Kapitel 16


Dass sie nicht alleine in dieses Abenteuer fuhr beruhigte Cati, als sie zusammen mit Madison und Lou den Zug nach Texas bestieg. Zwischendrin würden sie einmal umsteigen müssen. Cati hoffte inständig auf eine ruhige Fahrt und dass auch in der Stadt selbst alles reibungslos ablaufen würde. Vom gleichmäßigen Rattern des Zuges wurde Lou schläfrig und nickte ein. Catlen May und Maddie waren hingegen viel zu nervös und aufgeregt. Sie unterhielten sich und überlegten gemeinsam wie sie nach der Ankunft vorgehen sollten. Als der Zug dann tatsächlich in den Bahnhof einrollte, bildete sich ein Kloß in Catis Magen. 

„Sie sind ja ganz blass, Miss Gillwater. Ist Ihnen schlecht?" 

Auch Maddie sah ihre Freundin skeptisch an. 

Doch Cati winkte ab. „Das ist nur die Aufregung. Ich hoffe ich überstehe das alles." 

„Wir sind doch bei dir, Liebste." Madison drückte ihre Hand und zusammen verließen sie den Waggon, holten ihre Koffer und Lou organisierte eine Kutsche, die sie zum Hotel bringen würde. In ihrem Hotelzimmer nahm jede von ihnen ein Bad und dann richteten sie sich für die Nacht her. Catlen May bezweifelte zwar stark, dass sie einschlafen würde, aber die Reise hatte sie müder gemacht, als sie geglaubt hatte und so übermannte sie schon bald der Schlaf.

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Catlen May sah nachdenklich ihr Spiegelbild an. Das olivgrüne Kleid war schlicht aber dennoch schön. Es passte zu einer Gouvernante. 

„Bist du bald fertig?" Maddies Stimme drang zu ihr ins Zimmer. „Lou und ich haben jemanden gefunden der uns zu der Farm bringen kann." 

„Komm herein, Maddie." 

Die Türöffnete sich und Maddie trat ein. „Du siehst gut aus, Cati. Zieh deinen schwarzen Hut an und komm. Wir wollen doch nicht, dass du zu spät kommst, oder? Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige." 

„Ich frag mich, ob die Bewohner dieses Städtchens überhaupt wissen, was das ist." Cati setzte sich den Hut auf, den ihre Freundin ihr reichte und warf nochmals einen prüfenden Blick in den Spiegel. Ja, so konnte sie sich sehen lassen. 

„Deinen Schülern wirst du es auf jeden Fall beibringen." Madison hackte sich bei Catlen May unter und die beiden verließen die kleine Pension. 

Lou kam auf sie zu geeilt. „Ihr Fahrer wartet schon, Miss Gillwater. Sie können mitfahren, Miss Stuart, aber ich bleibe hierin unserem Zimmer. Ich habe Kopfschmerzen und muss mich hinlegen. Ich wünsche Ihnen viel Glück, Miss Gillwater." 

„Danke, Lou. Machen Sie sich einen schönen Nachmittag." 

Die beiden Freundinnen steuerten auf einen alten Farmwagen zu, der von einem bärtigen Mann mit langem Haar gelenkt wurde. Sein mürrisches Gesicht und sein verwahrlostes Aussehen machten keinen vertrauenswürdigen Eindruck und Cati fragte sich, wie Lou und Maddie es nur gewagt hatten ihn anzusprechen. Es würde bei ihrem hoffentlich neuen Arbeitgeber keinen guten Eindruck machen, dass sie von dieser zwielichtigen Gestalt gefahren wurde. 

Der Fahrer hielt es nicht für nötig sich mit den beiden jungen Frauen zu unterhalten und das war auch gut so, denn Cati war furchtbar aufgeregt und musste immer wieder mögliche Fragen in ihrem Kopf durchgehen und sich eine gute Antwort darauf zurechtlegen. Maddie hielt auf dem ganzen Weg ihre Hand. Es tat Cati unglaublich gut die Unterstützung ihrer Freundin zu haben. 

 Nach einer endlos erscheinenden Zeit war die ruckelige Fahrt zu Ende und die Pferde stoppten den Wagen vor dem Wohnhauseiner Ranch. „Vielen Dank, Sir, dass Sie uns gefahren haben." Cati kletterte ungeschickt vom Sitz. Die gebrummte Antwort des Mannes verstand sie nicht. Sobald auch Madisons Füße den staubigen Boden berührten knallten die Zügel auf den Rücken der Pferde und der Wagen verschwand. 

„Also, wenn alle menschlichen Wesen in dieser Stadt so gesellig sind, wie dieses Exemplar, dann wirst du schon sehr bald die Flucht ergreifen, wo du doch mein ewiges Geplapper gewohnt bist, was Cati?" 

„Ich glaube du hast recht. Hoffen wir, dass es hinter den Wänden dieses gemütlich wirkenden Hauses besser ist." 

Cati musterte das Wohnhaus. Es war etwas größer als das ihrer Eltern, das Dach war mit Reet gedeckt und das Holz der Wände war von der starken Sonne schon etwas verblichen. Die flimmernde Hitze stieg in Wellen vom Boden empor und ließ eine Schweißperle auf Catis Stirn entstehen. Sie wischte sie mit ihrem Taschentuch weg und atmete tiefdurch. 

Maddie sah sich um. „Ich werde hier draußen bleiben und auf dich warten. Viel Glück, Liebste." Sie gab Cati einen Kuss auf die Wange und drückte ihre Hand. „Du schaffst das, da bin ich mir zu hundert Prozent sicher." 

„Dein Wort in Gottes Ohr, Maddie. Bis Gleich!" Cati raffte ihren Rock etwas zusammen, um ihn vor der Staubschicht auf dem Boden zu schützen und ging auf das Haus zu. 

Bitte geht alles gut! 

 Sie betrat die Veranda. Auf ihr klopfen hin wurde ihr von einer kleinen untersetzen Frau die Tür geöffnet. Sie hatte eine dreckige Schürze umgebunden und aus ihrer schlichten Hochsteckfrisur hatten sich Strähnen gelöst, die ihr ins gerötete Gesicht hingen. „Guten Tag. Was wünschen Sie?" 

„Hallo, ich bin Catlen May Gillwater und werde von Mr Torres erwartet." 

Ein verstehender Ausdruck glitt über das Gesicht der Frau. „Ach, Sie sind die Gouvernante. Na dann kommen se mal rein." 

Cati lächelte gezwungen. „Dankeschön." Sehr freundlich ist diese Frau nicht. Sie hat auch keine Anzeichen gemacht, ob ich aus ihren Augen hier willkommen bin oder nicht. 

Die Köchin, so nahm Cati an, führte sie zum Büro ihres Arbeitgebers, dessen Tür offenstand. Cati konnte es verstehen, denn es war unerträglich warm in diesem Zimmer. „Torres, das ist Miss Gillwater, die Gouvernante." 

„Danke, Lisa." Die Frau nickte und verschwand auch wieder. 

Mr Torres erhob sich und streckte Cati die Hand entgegen, dann bedeutete er ihr sich zu setzen. Er musterte sie scharf und begann dann eine Reihe an Fragen zustellen. Cati war froh sich die Antworten bereits zurechtgelegt zu haben, denn sie war so nervös, dass sie ohne dem wohl kein Wort herausgebracht hätte. 

Mr Torres lehnte sich mit verschränkten Armen zurück und streckte seine Beine von sich, als er am Ende seiner Fragen angekommen war. „Meine Kinder, Logan und Tillie, sind seit letztem Jahr Halbwaisen und brauchen jetzt eine strenge und gleichzeitig liebevolle Hand. Ich denke, Sie sind dem gewachsen. Sie haben die Stelle, Miss Gillwater." 

Cati konnte ihr Glück kaum fassen und lächelte strahlend. „Vielen Dank, Mr Torres. Sie wissen gar nicht, was mir das bedeutet." 

Er winkte ab. „Ich bin es, der zu danken hat. Sie werden die Arbeit haben. Logan ist acht und Tillie ist erst sechs geworden. Logan hat viel Blödsinn im Kopf und darunter hat seine Schwester manchmal zu leiden." 

Tillie war... ein Mädchen? Nicht, dass der Name schon außergewöhnlich genug war, so war es dann auch noch ein Mädchen. „Ich werde mein Bestes geben, um die Kinder gut zu erziehen, Mr Torres." 

Er nickte knapp. „Das wird auch nötig sein." Er erhob sich langsam. „Ich werde Ihnen die Kinder jetzt vorstellen. Haben Sie ihre Sachen im Hotel, oder sind sie schon hier?" 

Cati glaubte nicht recht gehört zu haben. Ihre Sachen? Sie hatte doch nur wenige Kleider eingepackt, in der Annahme erst zum Ende der Ferien beginnen zu müssen. Das darf doch wohl nicht wahr sein! Was für eine Katastrophe! Was mache ich denn jetzt? „Noch im Hotel", kam es jetzt stockend von ihr. 

„Dann werde ich einen der Männer bitten mit Ihnen hinzufahren und die Sachen abzuholen." 

Catlen May nickte schwach. „Das ist sehr freundlich von Ihnen, Sir." 

Er ging ihr voran ins Wohnzimmer, wo ein rothaariger Junge mit Sommersprossen im Gesicht auf dem Boden lag und in einem Buch über Indianer blätterte. Ein Mädchen, mit blonden Zöpfen, kniete an dem Wohnzimmertisch und malte etwas undefinierbares auf eine Schiefertafel. Beide blickten auf, als ihr Vater mit der neuen Gouvernante das Zimmer betrat. 

„Logan und Tillie, das ist Miss Catlen May Gillwater, eure Gouvernante. Sie wird euch unterrichten und mit euch spielen." 

„Hallo", sagte Cati schüchtern und lächelte die beiden warmherzig an. 

„Hallo" echoten die Kinder ebenso zurückhaltend wie sie. 

„Ich sage dann mal Bescheid, dass angespannt werden soll. Sie können sich draußen ein wenig umsehen. Lisa kann Ihnen später Ihr Zimmer und das Haus zeigen." 

Catlen May nickte, auch wenn er sie nicht sehen konnte, da er wieder vor ihr her ging. 

Kaum hatte er sich von ihr getrennt, eilte Cati auf Maddie zu, die sich an die Wand eines Gebäudes lehnte, dessen Funktion Cati nicht erraten konnte. Es war auf jeden Fall keine Scheune. 

„Und wie war's?", fragte Maddie auch sofort, als Cati bei ihr ankam. 

„Gut und furchtbar zugleich." 

„Warum furchtbar?" 

Cati blickte ihre Freundin kläglich an. „Weil ich sofort anfangen muss." 

Maddies Augen wurden groß. „Sofort? Also heute?" 

Catlen May nickte. „Ich werde gleich zum Hotel gefahren, um meinen Koffer abzuholen. Kannst du bitte heute noch ein Telegramm aufgeben, dass Mutter mir meine restlichen Sachen nachschicken soll sobald es geht?" 

„Natürlich mach ich das. Aber ich kann doch nicht ohne dich nach Hause kommen und erst recht nicht ohne dich die Ferien verleben." 

Cati zuckte verzweifelt mit den Schultern. „Mein neues Zuhause ist jetzt wohl oder übel hier." Sie machte eine Handbewegung, die das gesamte sichtbare Gelände miteinschloss. Madison umarmte sie kurz und fest. „Ich habe mich nicht mal richtig von meinen Eltern verabschiedet oder mich sonst auf irgendeine Weise darauf vorbereiten können." 

Maddie strich ihr beruhigend über den Arm. „Du schaffst das schon. Ein langer Abschied wäre vielleicht zu schmerzhaft gewesen." 

Cati zuckte erneut die Schultern. „Vielleicht." 

„Wie heißen deine Schützlinge denn?" 

„Logan und Tillie. Logan ist acht und seine Schwester sechs. Ich bin gespannt wie ich mit ihnen zurechtkommen werde." 

Maddie lächelte sie aufmunternd an. „Das schaffst du schon, Liebste, sonst hätte ihr Vater dich nicht eingestellt. Oder war es die Mutter?" 

„Nein, sie ist letztes Jahr gestorben." 

Madison machte ein ganz betroffenes Gesicht. „Wie tragisch." 

Ja, wie tragisch. Cati konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen wie es war einen geliebten Menschen zu verlieren. Wie furchtbar musste es für die Kinder sein ohne Mutter aufzuwachsen oder für den Vater seine Kinder ganz allein zu erziehen? Sie taten Cati leid. Unendlich leid. „Ich werde mein bestes geben, um sie zu trösten und von dem Schmerz abzulenken. Sie sollen glücklich sein und es gut bei mir haben."

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