Kapitel 12

„Na du schaust ja mürrisch drein", begrüßte Mrs Spencer Cati. Diese ließ sich seufzend auf den Stuhl neben Mrs. Spencers Bett fallen. 

„Sind Sie immer mit allem und jeden zufrieden, Mrs Spencer?" 

Die alte Dame verzog spöttisch das Gesicht. „Bei weitem nicht. Es fängt bei mir an und hört bei den Menschen in unserer Stadt auf. Aber was macht dich denn unzufrieden?" 

Cati fand es befremdlich sich der mürrischen Frau zu öffnen, aber irgendwie erschien es ihr auch ganz natürlich. „Haben Sie schon mal versucht jemandem zu gefallen, Mrs Spencer? Ich meine, dass Sie versucht haben in den Rahmen zu passen, den diese Person Ihnen vorgibt." 

Mrs Spencer nickte mit einem finsteren Gesichtsausdruck. „Leider schon viel zu oft. Manchmal ist es nur eine Person, der man gefallen möchte und manchmal verstellt man sich um sich bei einer Gruppe zugehörig zu fühlen." 

„Tja, und genau das tue ich zurzeit. Ich möchte es eigentlich nicht so gerne, aber die Person zwingt mich dazu jemand anderes zu sein." 

„Dann geh ihr aus dem Weg." Cati senkte den Kopf und starrte auf die Predigt, die sie mitgenommen hatte. 

„Das geht leider nicht", murmelte sie. 

„Dann sag ihr deine Meinung." 

Cati schüttelte ihren gesenkten Kopf. „Das geht auch nicht." 

„Du darfst dich nicht von jemand anderes unterkriegen lassen oder dir Vorschriften machen lassen, wie du zu sein hast, nur weil er oder sie dich so haben möchte, Catlen May." Cati sah aus den Augenwinkeln, wie Mrs Spencer mit ihrem Zeigefinger rumfuchtelte. „Wir Menschen sind Individuen und das müssen wir ausleben. Und wenn uns das Verhalten einiger nicht passt, dann gehen wir ihnen aus dem Weg, weil wir sie sowieso nicht ändern können und geben ihnen nicht Vorschriften, damit sie uns gefallen. Irgendwer wird ihren Charakter schon mögen. Ich gehe auch nicht zu den Leuten aus der Stadt und sage ihnen ins Gesicht, dass ich es leid bin von ihnen nur deshalb besucht zu werden, weil es ihre christliche Pflicht ist und dabei genau zu wissen, dass sie sich, sobald sie mein Haus verlassen haben, ihr Maul über mich zerreißen." 

Catis Kopf fuhr erschrocken in die Höhe. Mrs Spencer wusste was hinter vorgehaltener Hand über sie geredet wurde? 

„Schau nicht so, Kind. Ich bin nicht so blöd, wie ich aussehe." 

Hatte sie ihre Gedanken gelesen? 

„Und aus diesem Grund werde ich niemals wieder einen Fuß in die hiesige Kirche setzen; es sei denn der neue Pastor besucht mich." 

„Und wenn Mr White das nicht tut?" 

Mrs Spencer zuckte ihre Schultern. „Dann gehe ich nach Swindville zur Kirche. Auf jeden Fall werde ich mir nicht bis zum Ende meines Lebens, dass ohnehin nicht mehr weit entfernt ist, mit anhören, was alles Schlechtes über mich gesagt wird. Die alte Mrs Spencer haben alle vergessen. Jetzt existiert nur noch die kranke, mürrische Frau im Bett die niemanden leiden kann." 

Mrs Spencer tat Cati unendlich leid, wie sie da mit schmerzerfülltem Gesicht in ihrem Bett lag und ihre faltigen Hände knetete. Sie stand auf, setzte sich auf die Bettkante der Kranken und legte ihre Hände über die von Mrs Spencers. „Ich habe in dem Augenblick in dem ich dieses Zimmer betrat gewusst, dass hinter Ihrer rauen Fassade ein weicher Kern steckt und dass Sie sich tief in ihrem inneren nur nach Annahme und Verständnis sehnen, so wie ich." 

Verwundert sah Mrs Spencer Cati an. „Bist du einsam, Kind?" 

Catlen May legte ihren Kopf etwas schief. „Nicht wirklich einsam. Ich fühle mich eher unverstanden und ... ungewollt." 

Mrs Spencer packte ihre Hände etwas fester. „Von wem?" 

Cati konnte ihrer neuen Freundin nicht in die Augen sehen. Sie konnte und wollte nicht sagen, wer schuld an ihrer inneren Zerrissenheit war. 

„Nun?" 

„M-meine... meine Mutter sie... sie ist sehr unzufrieden mit mir und...", stotterte Cati. „Ich glaube, wenn sie die Möglichkeit hätte mich neu zu erschaffen, dann würde sie es tun." Ihre Stimme war kaum lauter als ein flüstern. 

„Und wie würde diese Cati aussehen? Innerlich, meine ich." Cati straffte ihre Schultern und sah Mrs Spencer in die Augen. 

„Ich wäre intelligent, gehorsam, könnte mich an Regeln halten, wäre eine Dame, würde meine Eltern in die gehobene Gesellschaft zurückbringen, könnte kochen, ich würde Handarbeiten mögen, vertrauenswürdig sein, nicht oberflächlich... Eben perfekt. Ich bin aber nicht perfekt. Ich liebe die Freiheit und hasse Regeln und Etikette. Ich will einfach nur das Leben genießen, aber Mutter möchte mich in den Rahmen der reichen und prominenten Leute pressen." Eine Träne rollte über ihre Wange, weitere blinzelte sie fort. 

„Deiner Mutter ist es schon immer schwergefallen sich daran zu gewöhnen jetzt eine Farmersfrau zu sein und nicht mehr reich und von vielen bediensteten umgeben." 

„Woher wissen Sie das?" 

„Ich hab doch Augen im Kopf, Mädchen. Sie hat zwei Jahre lang keine Gartenarbeit gemacht, sondern eurer Lou die Arbeit überlassen. Und warum hat deine Mutter das getan? Weil sie stolz ist und sich nicht mit der Realität anfreunden kann. Das was sie dir vielleicht beibringen möchte, braucht hier draußen kein Mensch." Mrs Spencers Gesicht war rot angelaufen vor Erregung. Cati stand auf und tränkte den Lappen, auf ihrer Kommode mit der danebenstehenden Medizin und rieb ihr damit die Stirn und Schläfen ein. 

„Sie haben recht, Mrs Spencer. Mutter würde am liebsten die Vergangenheit zurückholen und den Grund, warum wir hier sind ungeschehen machen, aber das geht natürlich nicht. Ich glaub, sie möchte wenigstens ein Stückchen davon behalten und in mich hineinpflanzen." 

„Und weil das nicht geht musst du ihr das sagen und einfach du selbst sein. Mit der Zeit wirst du erwachsen werden und auch Freude daran finden Hausarbeiten zu verrichten. Alles zu seiner Zeit." 

Cati hoffte inständig, dass sich die Worte der alten Dame erfüllen würden.

Catlen May verabschiedete sich bald von Mrs Spencer und machte sich auf den Weg nach Hause. Dabei dachte sie über das nach, was die Kranke ihr gesagt hatte. Vielleicht würde Cati eines Tages, wenn sie den Mut dazu aufbringen wird, mit ihrer Mutter darüber sprechen. Aber eines war ihr jetzt schon klar: Nie wieder würde sie versuchen sich für ihre Mutter zu verändern.  

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