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Während des Essens blieben Mrs. Black und ihr Sohn auffällig still, dafür löcherte mich Mr. Black ununterbrochen mit Fragen zu meiner Firma, die ich gottseidank alle mehr oder weniger gut beantworten konnte. Doch als er sich immer mehr einem Thema näherte, nämlich dem Jährlichen Umsatz und was ich beabsichtigte, mit den Gewinnen zu tun, wurde es mir langsam zu bunt.
Ich meine... was geht das diesen widerlichen Kerl eigentlich an? Und auch wenn er der Vater meines Vorgesetzten ist, so muss ich ihm doch nicht alles verraten. Sicher würde mir jeder Andere Inhaber einer Hotelkette einen Vogel zeigen, wenn ich ihn dazu auffordern würde mir seine Geschäftsgeheimnisse zu verraten.
Und so...
"Mr. Black!" unterbreche ich mein Gegenüber ärgerlich und balle die Hand auf dem Tisch zur Faust. "Ich weiß nicht, ob mich ihr Interesse schmeicheln soll oder nicht, dennoch bin ich nicht gewillt, ihre Neugier in diesem Punkt zu befriedigen." mit hochnäsigem Gesichtsausdruck, streiche ich mir eine Haarsträhne aus der Stirn, dann fahre ich mit fester Stimme fort.
"Desweiteren wäre ich ihnen dankbar, wenn sie meine knapp bemessene Freizeit nicht auch noch mit Arbeit belasten würden." ich werfe ihm einem Missbilligenden Blick zu und kräusel genervt die Lippen, dann wende ich meine Aufmerksamkeit seiner Frau zu, doch bevor ich auch nur dazu komme, das Wort an sie zu richten, mischt Mr. Black sich ein.
"Mrs. Wellenstein, sie sollten doch daran gewöhnt sein, dass solche Fragen auftauchen. Immerhin müssen sie ein beachtliches Vermögen besitzen, wenn man der Presse glauben darf." musternd schaut er mich an, ganz so als könnte er mir im Gesicht ansehen, ob es stimmt, was in der Zeitung steht.
Genervt verdrehe ich die Augen und seufze hörbar auf.
"Da haben sie recht Mr. Black. Ich bin mit solchen Fragen durchaus vertraut und aus genau diesem Grund, langweilen sie mich zu Tode. Sie sind an Informationen zu meinem Unternehmen interessiert? Dann können sie gern im Internet Recherchieren, aber ich habe kein Interesse daran hier die Klatschzeitung zu vertreten." finster Blicke ich ihn an und knirsche fast hörbar mit den Zähnen, so sehr geht er mir auf die Nerven.
"Oh, sein sie versichert, dass ich durchaus Informiert bin, leider konnte ich im Internet nur wenig finden. Fast scheint es mir, sie würden nicht existieren." sagt er provokant, was mich kurz aus der Bahn wirft und auch Alexander zuckt leicht zusammen, was ich aber nur merke, weil sein Knie gegen meines Stößt.
Am liebsten würde ich ihm einen Blick zuwerfen, kann es aber gerade noch verhindern, um die Aufmerksamkeit seines Vaters nicht auf ihn zu lenken, stattdessen lächele ich meinen Gegenüber herablassend an.
"Da bin ich aber froh." versuche ich möglichst erleichtert von mir zu geben. "Nicht umsonst versuche ich mich soweit es geht aus der Öffentlichkeit herauszuhalten. Sie verstehen sicher, wie lästig es ist, sich die neugierigen Reporter und weniger gut verdienenden Menschen vom Leib zu halten. Deshalb nehmen sie es mir sicher nicht übel, dass ich nicht weiter auf dieses Thema eingehen werde, Mr. Black."
"Natürlich Mrs. Wellenstein, ganz wie sie wünschen." gibt Mr. Black endlich klein bei und lächelt mich beinahe freundlich an.
Erleichtert atme ich auf, dann schaue ich mich suchend nach einem Kellner um und hebe die Hand, als ein Vertreter dieser Gattung ganz in der Nähe vorbeihuscht.
"Würden sie uns bitte nochmal die Karte Bringen?" frage ich höflich, als der Mann im schwarzen Anzug an unseren Tisch tritt. "Und bringen sie mir bitte ein Glas Scotch." fragend schaue ich zu Alexander und hebe leicht die Augenbraue. "Möchten sie auch etwas?" will ich wissen, woraufhin er mich nur verunsichert anschaut.
Doch so blass wie er ist, kann er einen Schnaps gut gebrauchen und so bestelle ich einfach einen Für ihn mit.
"Möchten sie auch noch etwas Mr. Black?" frage ich meinen Gegenüber höflich, dabei möchte ich ihn lieber in dem Getränk ersäufen, als es ihn trinken zu lassen. "Ich lade sie ein." sage ich zuvorkommend.
"Ich nehme einen Bourbon, wenn sie erlauben und einen Grappa für meine Frau." nimmt er das Angebot an, wobei ich sehe, wie sich die Augen von Mrs. Black erstaunt weiten.
Auch ich bin etwas erstaunt, vor allem, weil er sie die ganze Zeit nicht eines Blickes gewürdigt hat. Aber vielleicht, weiß er ja, was sie mag. Wobei es nicht den Anschein macht, ob es ihn überhaupt interessieren würde.
"Sie können auch gern etwas anderes haben Mrs. Black." wende ich mich deshalb an sie und schaue sie freundlich an.
Unsicher huscht ihr Blick zu ihrem Mann, dann senkt sie ihn auf ihre Hände und schüttelt verneinend den Kopf.
Irritiert runzel ich die Stirn, doch dann wende ich mich an unseren Kellner und bestätige die Bestellung.
"Dann also einen Grappa, zwei Scotch, einen Bourbon und die Dessertkarte bitte." sage ich freundlich.
Während wir warten, versuche ich ein unverfängliches Thema zu finden, doch da ich die Blacks nicht kenne und auch nicht weiß, was sie so machen, fällt es mir ein wenig schwer.
"Wie gefällt es ihnen denn hier?" wende ich mich schließlich an Mrs. Black, doch wenn ich gehofft hatte, dass sie mir Antwortet, so habe ich mich geirrt.
"Es gefällt uns ganz gut hier." antwortet mir stattdessen Mr. Black gleichgültig.
"Aber das Zimmer könnte etwas geräumiger sein und die Matratzen sind zu weich." schränkt er ein, dann setzt er fragend hinzu. "Nicht wahr Schatz?"
Mrs. Black nickt zustimmend, schaut aber weiterhin auf ihre Hände, die sie in ihrem Schoß gefaltet hat.
Verstimmt runzel ich die Stirn. Warum kann sie mir das denn nicht selbst sagen? Schon will ich sie danach fragen, als Mr. Black Jr. mir unauffällig unter dem Tisch einen Schubs mit den Knie gibt und fast unmerklich mit dem Kopf schüttelt.
Na gut, dann eben nicht. Aber wenn er glaubt, dass ich ihn nicht danach Fragen werde, wenn wir wieder allein sind, dann hat er sich geschnitten. Auch warum er kaum den Mund aufmacht, wird er mir erklären müssen.
Doch für den Augenblick lasse ich die Sache auf sich beruhen, vor allem, da unser Kellner gerade die Getränke bringt.
Kurz nippe ich an meinem Drink, bevor ich mich wieder meinen Gästen zuwende.
"Gut das sie das sagen, Mr. Black. Da kann ich gleich Morgen mal schauen, wann die Matratzen das letzte Mal erneuert wurden. Und gibt es sonst noch etwas, dass ihnen aufgefallen ist?" will ich wissen, obwohl ich gerade wirklich nicht in der Stimmung bin noch weiter über die Arbeit zu reden.
Und dann gibt es für Mr. Black kein Halten mehr. Angeblich wäre das Zimmer schmutzig gewesen, die Handtücher hätten ausgesehen, als wären sie bereits benutzt und auch die Dusche wäre nicht anständig gereinigt worden. Hinzu käme, dass seine Kaffeetasse einen Rand gehabt hätte, sein Messer schmutzig gewesen wäre und überhaupt..., wenn seine Tochter hier das Sagen gehabt hätte, hätte es so etwas nicht gegeben. Während er über die Hotelleitung herzieht, leert er sein Glas, auch ich nippe hin und wieder an dem meine.
Doch bei der Erwähnung seiner Tochter, werde ich hellhörig.
"Ach, sie haben noch weitere Kinder?" frage ich erstaunt, was den Mann neben mir schmerzhaft die Augen schließen lässt und auch Mrs. Black macht ein Trauriges Gesicht.
"Nein. Nicht mehr." sagt Mr. Black kalt und wirft seinem Sohn einen hasserfüllten Blick zu.
"Das tut mir leid." sage ich aufrichtig.
"Ja, das war wirklich eine schlimme Sache." sagt Mr. Black stirnrunzelnd und lehnt sich mit den Armen auf den Tisch, dann schaut er mich bestimmt an.
"Aus ihrer Reaktion entnehme ich mal, dass ihnen mein Sohn nichts von Sophie erzählt hat." kurz wirft er eben besagtem Sohn einen kalten Blick zu, der ihn zusammenzucken lässt, dann sieht er mich wieder an.
"Würde ich an seiner Stelle vermutlich auch nicht, wenn ich am Tod meiner Schwester schuld wäre, aber ich werde ihnen reinen Wein einschenken Mrs. Wellenestein." verkündet er wohlwollend, dann senkt er die Stimme, als wäre das, was er jetzt zu sagen hat etwas ganz geheimes, wobei die beiden Menschen, die mit uns am Tisch sitzen und die alles andere als Glücklich aussehen, es nicht ohnehin wissen würden.
Mrs. Black schließt schmerzhaft die Augen und ich sehe die einzelne Träne, die über ihre Wange läuft, bevor sie es verhindern kann und auch Alexander sitzt alles andere als entspannt neben mir.
Der Kurze Blick, den ich ihm zuwerfe und der mir seine verkrampften Kiefermuskeln und seine vor Schmerz zusammengezogenen Augenbrauen offenbart, lassen mich meine Frage bereuen, doch bevor ich seinen Vater aufhalten kann, lässt er die Bombe platzen.
"Ihr ach so heiß geschätzter Angestellter hat seine Schwester beim Klettern abstürzen lassen. Sophie hat sich auf ihn verlassen, genau wie wir, aber er hat sie nicht beschütz. Hat sie im Stich gelassen, als sie ihn am dringendsten brauchte." erzählt er mir, wobei er seinen Sohn mit Blicken tötet.
Mit vor entsetzten geweiteten Augen starre ich Mr. Black Senior an und kann nicht glauben, was er da sagt.
Abgestürzt beim klettern?
Aber Alexander hat doch Höhenangst! Er würde doch niemals klettern gehen. Und selbst wenn doch, kann ich mir nicht vorstellen, dass er seine Schwester im Stich lassen würde!
"Sie war ein wundervoller Mensch. Hatte einen gut bezahlten Job, immer gute Noten und hat uns auch sonst nie Probleme gemacht und wenn mein Nichtsnutz von Sohn nicht gewesen wäre, dann ginge es ihr auch heute noch gut. Aber er musste sie ja mit in die Berge schleppen und sie umbringen!" während er redet, wird er immer lauter, dann knallt er die Faust auf den Tisch, was Mrs. Black dazu veranlasst in Tränen auszubrechen und überstürzt den Raum zu verlassen.
Auch Alexander sieht aus, als würde es ihn nicht mehr lange auf seinem Stuhl halten, was ich durchaus verstehen kann!
Wenn mir mein Vater vorwerfen würde, am Tod meiner Schwester Schuld zu sein und das auch noch vor einer Fremden, könnte ich dieser Person vermutlich nicht einmal mehr in die Augen sehen und so unterbreche ich den ungehobelten Klotz in seiner Aufgebrachten Rede.
"Mr. Black!" sage ich so bestimmt wie möglich, obwohl ich verstehen kann, dass ihn der Tod seiner Tochter so mitnimmt, dennoch hat er nicht das Recht, Alexander in der Öffentlichkeit so bloßzustellen.
"Der Verlust ihrer Tochter muss wirklich schrecklich gewesen sein und ich möchte ihnen hiermit mein aufrichtiges Beileid aussprechen, dennoch bin ich der Meinung, dass mich ihre Familienprobleme nichts angehen. Ich bin nur die Vorgesetzte ihres Sohnes und auch wenn er zum Zeitpunkt des Todes ihrer Tochter bei ihr gewesen sein sollte, so bin ich felsenfest davon überzeugt, dass er alles in seiner Macht stehende getan hat, um ihr zu helfen." sage ich zuversichtlich, wobei ich meine Hand unter dem Tisch auf Alexanders Bein lege und es mitfühlend drücke.
"Sie haben wohl nicht zugehört Mrs. Wellenstein..." mit großen Augen sieht Mr. Black mich an. "Er hat sie umgebracht!" stößt er aufgebracht aus, doch bevor er noch weiter reden kann, unterbreche ich ihn erneut.
"Das habe ich sehr wohl." versichere ich ihm mit unbeugsamen Blick. "Aber sie müssen verstehen, dass ich ihre Sicht der Dinge nicht Teile."
"Vielleicht sollten sie sich mal fragen, warum er ihnen nichts davon erzählt hat." fährt er mich an und steht ruckartig von seinem Stuhl auf.
"Das werde ich mich sicher nicht, denn es ist allein die Sache ihres Sohnes, wem er solch Privaten Dinge erzählt."
"Na, wenn sie meinen... aber sie sollten an meine Worte denken, wenn sie die nächste sind, die er umbringt." sagt er kalt, wirft seinem Sohn erneut einen hasserfüllten Blick zu, der diesen zusammen zucken lässt und geht wutschnaubend davon.
Seufzend lehne ich mich auf meinem Stuhl zurück, dann streiche ich mir erschöpft übers Haar, bevor ich den Rest von meinem Scotch hinunter stürze und dem Mann neben mir einen unsicheren Blick zuwerfe.
Er tut mir so leid. Wie kann sein Vater mit solch einer Neuigkeit nur so kaltschnäuzig umgehen? Interessieren ihn die Gefühle seiner Frau und seines Sohnes denn überhaupt nicht?!
Vermutlich nicht! Denn wenn ich mir Alexander so anschaue...den gesenkten Kopf, die Blasse Haut und den erschöpften, ergebenen Blick, ...kommt es mir so vor, als wäre er an diese Behandlung von seinem Vater gewöhnt.
"Alles Okay?" frage ich hilflos und lege meine Hand mitfühlend auf seinen Arm.
Unsicher hebt er den Blick. Huschen seine Augen kurz zu meinem Gesicht, nur um dann wieder auf den Tisch zu sinken.
"Tut mir leid. Dumme Frage. Komm, lass uns nach oben gehen." langsam stehe ich auf, doch als ich den unberührten Scotch vor seiner Nase stehen sehe, halte ich ihm ihn auffordernd hin.
"Hier, trink! Oder willst du nicht?" nachdenklich sehe ich auf ihn hinunter und wünschte, er würde in irgendeiner Weise auf mich reagieren, aber bis auf dass er sein Gesicht in den Händen vergräbt, regt er sich nicht.
Kurzerhand kippe ich den Scotch selbst hinunter und schnappe ein wenig nach Luft, als sich die Scharfe Flüssigkeit einen Weg durch meine Kehle sucht, dann greife ich energisch nach seiner Hand und ziehe ihn hoch.
"Komm jetzt mit!" sage ich bestimmt und zerre ihn hinter mir her. Wenn er nicht von allein dazu in der Lage ist, sich zu etwas durchzuringen, dann muss ich ihn halt dazu zwingen.
Widerstandslos folgt er mir bis in unser Zimmer, dort dirigiere ich ihn auf das Sofa und lasse uns eine Flasche Whiskey und zwei Gläser raufbringen, dann setzte ich mich zu ihm.
Noch immer hat er kein Wort gesagt, stattdessen rauft er sich ununterbrochen die Haare.
Kurzerhand drücke ich ihm ein Gals in die Hand, was ihn dazu veranlasst, zumindest kurzfristig innezuhalten.
Nachdenklich mustert er es eine Weile, bevor er es leert, dann stellt er es auf den Tisch zurück.
Erneut vergräbt er den Kopf in den Händen.
"Du weißt, dass das für mich keinen Unterschied macht oder?" frage ich sanft und lege ihm eine Hand auf die Schulter. "Egal was dein Vater gesagt hat. Ich weiß, dass du, wenn du gekonnt hättest, deine Schwester gerettet hättest." versichere ich ihm.
"Du verstehst das nicht." bricht er schließlich das Schweigen.
"Muss ich auch nicht. Aber ich kenne dich und ich weiß, dass du sie niemals im Stich gelassen hättest." mit einem unruhigen Gefühl im Bauch nehme ich einen weiteren Schluck aus meinem Glas und starre zur Terrassentür.
Die letzten Strahlen der Abendsonne tauchen die Wolken in ein violettes Licht und erinnern mich an ein anderes Mal, als wir auf einem Sofa gesessen und Whiskey getrunken haben. Vor einigen Monaten in seiner Wohnung, als ich von seiner Höhenangst erfahren habe.
In der Nacht danach hat er mich mit seinem Alptraum geweckt. Hat nach einer Sophie geschrien und mich letzten Endes für sie gehalten.
In der Nacht habe ich bei ihm geschlafen. In seinen Armen. In seinem Bett. Aber irgendwie sind wir nie wieder auf das Thema zu sprechen gekommen.
Vielleicht hätten wir uns den Ärger sparen können, wenn wir bei Gelegenheit mal da rüber geredet hätten, aber jetzt...
Doch eigentlich bin ich nach wie vor der Meinung, dass es seine Entscheidung ist, ob er mit mir darüber redet oder nicht.
"Aber ich hab sie im Stich gelassen! Emely." sagt er verzweifelt und seufzt einmal tief auf.
"Das glaube ich nicht. Das würdest du nie tun!" wehre ich seinen Einwand ab.
"Sie hing am Seil unter mir und ich habe versucht sie zu erreichen. Das Seil, an dem sie hing, wurde bei ihrem Sturz beschädigt..." beginnt er mit leiser Stimme zu erzählen und am liebsten würde ich ihn unterbrechen, ihm sagen, dass ich es nicht wissen muss, dass ich ihm vertraue, ganz gleich, was passiert ist... aber ich tue es nicht.
"...ich hatte sie fast erreicht, als ich merkte, wie mein eigenes Seil nachgab. Ich stürzte an ihr vorbei und riss sie mit. Ihr Seil zerriss, weil es die zusätzliche Last nicht tragen konnte..." erneut vergräbt er die Hände in seinen Haaren und ballte sie zu Fäusten, bevor er weiter spricht.
"Hätte ich nicht versucht ihr zu helfen, würde sie vielleicht noch leben. Wenn ich nicht abgestürzt wäre und sie mitgerissen hätte, hätte sie vielleicht einen Halt finden können...du hattest so recht Emely..." beendet er mit einem Schluchzen seinen Bericht. "Auch dich hätte ich fast in den Tod gestürzt, als ich versuchte dich zu retten, dabei warst du ohne mich gar nicht in Gefahr."
"Alexander, das ist doch Quatsch!" erschreckt schnellt mein Kopf zu ihm herum "Das habe ich doch nur so gesagt. Du würdest mich niemals absichtlich in Gefahr bringen."
"Nein, nicht absichtlich, aber ich...ich...mein Vater hat schon recht! Ich bin ein Nichts! Nutzlos! Da hilft es auch nicht viel Geld zu haben oder viele Hotels. Das macht Sophie auch nicht wieder lebendig."
"Nein, Alexander." wiederspreche ich ihm energisch. "Dein Vater hat nicht recht! Du bist weder Nutzlos, noch bist du ein Nichts! Du wolltest deine Schwester retten, dass du dabei selbst fast verunglückt wärst, war ein Unfall! Du konntest doch nicht wissen, dass du ihr damit schadest. Außerdem, wer sagt denn, dass sie nicht so oder so abgestürzt wäre? Hast du nicht gesagt, ihr Seil war beschädigt? Wenn du nicht versucht hättest ihr zu helfen, wäre sie vermutlich trotzdem abgestürzt. Dir blieb gar nichts anderes Übrig, als es zu versuchen." langsam stehe ich auf und knie mich vor ihm nieder, lege die Hände auf seine Knie und schaue ihm ins Gesicht.
"Hey." sage ich leise. "Schau mich an." sanft lege ich einen Finger unter sein Kinn und hebe es an, wobei er sich anfangs etwas dagegen sträub, doch dann gibt er nach. "Was euch passiert ist, war schrecklich. Aber es war nicht deine Schuld." versichere ich ihm mit fester Stimme.
Traurig sieht er mich an, schüttelt leicht den Kopf, dann schließt er mit schmerzverzerrtem Gesicht die Augen.
Gott! Er tut mir so leid!
Was kann ich nur tun, um ihm zu helfen?
Ich mein, ganz gleich, was ich mache, er wird wohl kaum plötzlich seinen Kummer vergessen, aber vielleicht kann ich ihn wenigstens etwas davon ablenken, damit er zu seinem sonst so selbstbewussten ich zurückfindet.
Oder ob es besser für ihn ist, sich mit der Situation auseinander zusetzten um sie zu verarbeiten? Nur weiß ich nicht, ob ich dafür die Richtige bin. Vielleicht sollte er mal mit einem Arzt darüber reden. Einem der sich mit so etwas auskennt.
Nur ist gerade keiner hier. Nur ich bin hier.
Unschlüssig, was ich machen soll, sitze ich einfach da und tue gar nichts. Lege meinen Kopf an sein Bein und streichel ihn, während er die Ellenbogen auf die Knie stützt und den Kopf in den Händen vergräbt.
Lange Zeit rührt sich keiner von uns. Niemand spricht.
Niemand bewegt sich. Nur das letzte Licht der untergehenden Sonne verlischt und lediglich der fahle Schein eines kleinen Sichelmondes erhellt das Zimmer.
Und langsam schlafen mir die Beine ein.
Zögerlich stehe ich auf, streiche ihm sanft mit der Hand über den Kopf und möchte einige Schritte gehen, um das Blut in meinen Beinen wieder in Gang zu bringen, als er nach meiner Hand greift und mich aufhält.
"Lass mich nicht allein." fleht er leise, wie damals in der Nacht und hebt unsicher den Kopf.
"Ich geh nicht weg." versichere ich ihm ebenso leise. "Ich muss nur meine Beine ein wenig vertreten."
Kurz sieht er mich hilflos an, dann nickt er fast unmerklich und lässt mich los.
Ein bisschen dämlich komme ich mir ja schon vor, wie ich im Zimmer auf und ab gehe, aus der Balkontür schaue und nach einem Blick auf Alexander hinaus auf den Balkon trete. Aber da ich ihm gesagt habe, dass ich nicht weg gehe, kann ich ja schlecht draußen einen Spaziergang machen.
Tief atme ich die Nachtluft ein und genieße die sanfte Briese, die mir um die Nase weht, während ich mit geschlossenen Augen den Kopf in den Nacken lege.
Eine Weile stehe ich einfach nur da, lasse die Ruhe auf mich wirken und denke nach.
Denke über den Tag nach, über seinen Vater, der ein so herrischer, unsympathischer Mann ist, dass es mich wundert, wie er überhaupt eine Frau finden konnte. Und natürlich denke ich auch über seine Mutter nach, die während des ganzen Essens nicht ein Wort gesagt hat und auf mich einen mehr als eingeschüchterten Eindruck gemacht hat, genau wie Alexander.
Wie kann jemand, der sonst so selbstbewusst und beinahe dominant ist, plötzlich so unsicher und unterwürfig sein? Das passt doch nicht zusammen!
Was hat Mr. Black Senior seinem Sohn nur angetan, dass dieser sich so von seinem Vater einschüchtern lässt?
Ob das alles mit dem Tod seiner Schwester zu tun hat? Oder ob da mehr dahinter steckt?
Fröstelnd reibe ich mir die Arme, weil es langsam kalt wird hier draußen. Immerhin haben wir schon Herbst, auch wenn noch nicht viel davon zu merken ist.
Na ja, bis auf, dass die Nächte langsam kühler werden.
"Vorsicht!" reißt mich eine tiefe, sanfte Stimme aus meinen Gedanken. "Nicht erschrecken."
Doch bevor ich mich umdrehen kann, spüre ich, wie mir eine Decke um die Schultern gelegt wird.
Langsam drehe ich mich samt Decke um und schaue Alexander mit großen Augen an.
"Was machst du denn?!" frage ich erstaunt und will ihn ins Zimmer zurückschieben, doch er weigert sich.
"Ist schon gut. Emely. Es geht schon. So hoch sind wir ja nicht." versichert er mir, doch ganz überzeugt bin ich nicht.
"Bist du sicher?" will ich unsicher wissen und sehe ihm forschend ins Gesicht.
"Ja." sagt er schlicht und tritt einen Schritt weiter auf die Brüstung zu. Fast ängstlich folge ich ihm und fürchte, er könnte jeden Moment wieder einen Anfall bekommen, wie beim letzten Mal, doch auch als er bis ganz an den Rand getreten ist, scheint es ihm noch immer gut zu gehen.
Zögernd stelle ich mich neben ihn und lege meine Hand auf seine, die er ein klein wenig angespannt auf das Geländer gelegt hat.
"Schön? Oder?" frage ich leise und lasse meinen Blick über den See und den von Laternen beleuchteten Garten schweifen.
"Ja, das ist es." stimmt er mir verhalten zu, doch dann löst er den Blick von der Aussicht und schaut auf mich herunter.
"Danke." sagt er mit heiserer Stimme und räuspert sich vernehmlich, dann hebt er eine Hand und löst die Spange, die meine Haare zusammen hält, fährt mit den Fingern hindurch und lockert sie auf, so dass sie mir in sanften Wellen über die Schulter fallen.
Eine Hand unter die Haare in meinen Nacken gelegt hält er plötzlich inne und schaut mich verträumt an, dann schleicht sich langsam ein sanftes Lächeln in sein Gesicht, dass mein Herz mal wieder zum stehen bringt.
Sprachlos schüttelt er leicht den Kopf, senkt ihn langsam, bis er seine Nase in meinen Haaren vergräbt und tief meinen Geruch einatmet.
Er ist mir so nahe, dass mir gar nichts anderes übrig bleibt, als ebenfalls seinen Duft einzuatmen und so schließe ich genießerisch die Augen und Atme tief ein.
Genieße seinen unwiderstehlich schokoladigen Geruch und die angenehme Wärme, die von seinem Körper ausgehen.
Inzwischen schlägt mir das Herz mal wieder bis zum Hals und bringt mich ganz durcheinander, so dass ich gar nicht anders kann, als meine Wange in seine Hand zu schiegen und ihm meinen ungeschützten Hals darzubieten. Doch wenn ich gehofft hatte, er würde mich dort Küssen, so habe ich mich geirrt, denn was auch immer ihn dazu veranlasst hat sich mir zu nähern, scheint ihn nun dazu zu treiben, mich wieder loszulassen und einige Schritte Richtung Tür zu machen.
Verwirrt schaue ich ihn an, mustere sein Gesicht, die traurigen Augen, das sanfte Lächeln, seine Schultern, die nicht so aufrecht sind wie sonst und seine Hände, die er zwar zu Fäusten geballt hat, die aber nicht angespannt wirken eher so, als wolle er mit sanftem Griff etwas festhalten und dann erst kommen seine leisen Worte bei mir an.
"Wofür war denn das "Danke"?" will ich stirnrunzelnd wissen und nähere mich ihm ein Stück weit.
"Nicht so wichtig." sagt er ausweichend und beißt sich leicht auf die Lippe, dann weicht er noch weiter zurück und lehnt sich mal wieder an den Türrahmen und schaut mich nachdenklich an.
Verwundert schüttel ich innerlich über ihn den Kopf, dann gehe ich langsam an ihm vorbei nach drinnen, wobei er mir im vorbeigehen mit der Hand über den Arm streicht.
Langsam gehe ich weiter, strecke den Arm unschlüssig nach hinten aus, sehe ihn aber nicht an.
Zögerlich, Schritt für Schritt setzte ich einen Fuß vor den Anderen und spüre, wie seine Finger meinen Arm entlang streichen, bist zu meiner Hand. Über die Finger, bis diese schließlich enden, erst dann trennen wir die Verbindung.
Bedauernd gehe ich ohne mich umzusehen bis ins Bad, wo ich mich mit zitternden Knien und einem wild klopfendem Herzen auf den Klodeckel setzte und aufseufzend die Augen schließe.
Verzweifelt vergrabe ich den Kopf in Händen und bin nun meinerseits am Haare raufen.
Fuck!
Wie soll das nur werden?
Er ist mein Vorgesetzter.
Ich seine Vorgesetzte. Na ja, zumindest Morgen.
Ich bin seine Nachbarin, aber ich kann nicht auch noch seine Freundin sein.
Dabei würde ich so gern die Gelegenheit nutzen und die Nacht mit ihm verbringen.
Ich weiß schon, warum ich unbedingt getrennte Zimmer und mir keines mit ihm teilen wollte.
Die Versuchung, mich ihm hier und jetzt hinzugeben ist so viel größer, als wenn sich ein paar mehr Stockwerke, Straßen oder Zimmer zwischen uns befinden würden.
Aber so schwer es mir auch fällt! Ich darf nicht schwach werden! Ich muss es schaffen, diese letzte Nacht hier zu verbringen, ohne mich ihm an den Hals zu werfen.
Ich kann nur hoffen, dass er nicht wieder Alpträume hat, wie letztes Mal. Denn wenn ich heute Nacht wieder bei ihm schlafe, da bin ich mir sicher, wird es spätestens morgen Früh mit unserer Geschäftsbeziehung vorbei sein.
Seufzend atme ich tief durch, dann gehe ich kalt duschen, um mein erhitztes Gemüt abzukühlen, bevor ich in mein Zimmer husche, wo ich mir etwas frisches anziehe.
Noch einmal stecke ich kurz den Kopf aus der Tür und wünsche Mr. Black eine gute Nacht, bevor ich mich zurückziehe.
Ich lasse ihn nicht allein, aber bei ihm bleiben kann ich auch nicht. Zumindest nicht so dicht. Ich kann nur hoffen, dass es ihm reicht, dass ich nur eine Tür entfernt bin.
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