31


Es kostet mich erhebliche Mühe, ihn die wenigen Schritte nach drinnen zu schieben und so bin ich fast so atemlos wie er, als ich mich erschöpft neben ihn auf das Sofa fallen lasse.

"Schön weiter Atmen. Hast du verstanden!" flehe ich ihn mit fester Stimme an, die so wackelig ist, dass sie beinahe bricht, doch jetzt, wo wir nicht mehr auf dem Balkon stehen, wird er zusehends ruhiger und auch der panische Ausdruck in seinem Gesicht legt sich immer mehr.

Ängstlich streiche ich ihm über die Wange und den Kopf und schaue ihn mit großen Augen an.

"Soll ich einen Arzt rufen?" ich bin so verzweifelt und weiß nicht was ich machen soll, doch da er inzwischen wieder auf mich reagiert, weicht meine Panik langsam einer unbändigen Angst. Die aber immer noch besser ist, als dieses hilflose Gefühl, dass mich überkam, als wir auf dem Balkon standen und er mich gar nicht mehr wahr genommen hat.

"Nein." stößt er atemlos mit noch immer geweiteten Augen aus. Aber immerhin wird sein Atem etwas ruhiger.

"Ich bring dir ein Glas Wasser, ja?" biete ich zögerlich an und gehe hinter den Tresen, der die Küche vom Wohnzimmer trennt.

Verängstigt schaut er mir nach und beobachtet beinahe Panisch jede meiner Bewegungen, bis ich mich mit dem Wasser in der Hand wieder neben ihn setzte.

"Gehts wieder?" frage ich unsicher und streiche ihm behutsam über den Arm, während er nach und nach das Glas leert.

Angespannt macht er einen Tiefen Atemzug, lehnt sich auf der Couch nach hinten und schließt erschöpft die Augen.

FUCK!

Das war...ich weiß nicht... echt schrecklich!

Warum ist er denn verdammt noch mal auf den Balkon gekommen, wenn er solche extreme Höhenangst hat? Das ist doch beinahe Lebensgefährlich!

Zumindest hätte es das werden können, wenn ich nicht da gewesen wäre.

Erschöpft vergrabe ich den Kopf in den Händen und atme erstmal tief durch, doch noch immer habe ich Herzklopfen, die ausnahmsweise einmal nicht davon kommen, dass ich ihm zu tief in die Augen geschaut habe, sondern davon, dass ich solche Angst gehabt habe.

"Hast du irgendwas zu trinken da?" frage ich in die Stille hinein.

"Ja." mit dem Finger deutet er auf einen großen weißen Schrank, der neben der Terrassentür an der Wand steht "Drittes Fach von links." erklärt er leise, doch als ich erneut aufstehe, greift er nach meiner Hand und hält mich auf. "Bringst du mir auch was mit?" bittet er mich und fährt mir sanft mit dem Daumen über die Finger.

Nachdenklich schaue ich ihn an. Ob Alkohol in seinem Zustand gut ist? Aber eigentlich sieht er schon wieder ganz Fit aus, wenn ich die Blässe um seine Nase und die kleinen Schweißperlen auf seiner Stirn mal außer Acht lasse.

Wortlos nicke ich ihm zu, dann gehe ich zu dem Schrank, hinter dessen Tür sich ein Barfach verbirgt.

Den ersten Whiskey kippe ich an Ort und Stelle meine Kehle hinunter und schnappe erstaunt nach Luft, als er sich schmerzhaft seinen Weg bahnt. So stark ist er, doch dann fülle ich das Glas erneut, ebenso wie ein Zweites.

"Hier." mit einem dankbaren Blick nimmt er mir das Glas aus der Hand, dann nippt er vorsichtig an der bernsteinfarbenen Flüssigkeit, die ihm scheinbar zusagt, denn genau wie ich kippt er den Rest in einem Zug hinunter.

"Mehr?" will ich mit einem tonlosen Lachen wissen und halte ihm mein Glas hin, von dem ich nur einen kleinen Schluck getrunken habe.

"Ja, bitte." kurzerhand drücke ich ihm mein Glas in die Hand und gehe die Flasche holen.

Noch immer sind wir recht schweigsam. Wir müssen beide erst einmal diesen Schreck verarbeiten, wobei mir weiterhin Rätselhaft ist, warum er auf den Balkon gekommen ist.

"Alexander?" wende ich mich nach einer gefühlten Ewigkeit des Schweigens an ihn.

"Hmm?" fragend sieht er mich an.

"Was war das eben?"

"Was meinst du?" er runzelt leicht die Stirn, aber davon lasse ich mich nicht Täuschen.

"Du weißt was ich meine." beginne ich ein klein wenig säuerlich. Er soll gar nicht denken, dass er mich für dumm verkaufen kann. "Warum bist du auf den Balkon gegangen, wenn du doch solche Angst vor der Höhe hast? Das hätte auch anders ausgehen können." sage ich mit schwerem Herzen und nehme erneut einen Schluck aus meinem Glas.

Nachdenklich sieht er mich an, dann fährt er sich mit der Hand über den Nacken. Er öffnet den Mund. Schließt ihn aber gleich wieder. Doch dann versucht er es erneut. "Ich dachte..." setzt er an, nur um noch einmal innezuhalten. "Ich dachte, du würdest fallen." bringt er schließlich heiser hervor.

"Fallen? Du meinst vom Balkon?" frage ich verwirrt. "Wie kamst du denn da drauf?" will ich wissen, als er meine erste Frage mit einem gequälten Nicken beantwortet.

Mitgenommen senkt er den Kopf , seufzt einmal tief auf und schaut mich dann mit traurigen Augen an. "Ich weiß nicht. Du sahst aus, als würdest du schwanken. Den halt verlieren." erklärt er leise. "Ich dachte du würdest Fallen." wiederholt er seine Worte von vorher.

"Oh." sage ich erstaunt und sehe ihn mit großen Augen an. Sicher, ich habe geschwankt, aber doch nur, weil mich sein Lächeln so aus der Bahn geworfen hat. Davon vom Balkon zu fallen war ich Lichtjahre entfernt.

"Dann wolltest du mich also "retten"?" frage ich lächelnd, doch eigentlich ist an der ganzen Sache überhaupt nichts komisches.

Bei meinen Worten nickt er Kopfschüttelnd, was ich dann mal so interpretiere, dass er mir tatsächlich helfen wollte, selbst darüber aber ziemlich erstaunt ist, was für eine sau dumme Idee das war.

Dankbar lege ich ihm die Hand auf's Knie. "Das war sicher lieb gemeint, aber wenn du mich das nächste Mal retten willst, versuch mich dabei nicht umzubringen ja?"

Erstaunt reißt er den Kopf hoch und sieht mich geschockt an. Was mich doch sehr verwirrt. Jedoch, kaum dass seine Augen meine finden, beruhigt er sich wieder und fährt sich unruhig durch die kurzen Haare.

Was hat dieser Mann nur für ein Problem? Wie kann er nur so unheimlich wandelbar sein? Von Ruhig und Still, zu aufbrausend und laut. Von Freundlich und nett zu widerwärtig und fies. Ich bin mal gespannt, wohin uns diese angespannte, bedrückte Stimmung führt.

"Es tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe." entschuldigt er sich und steht auf. "Soll ich dich jetzt ins Büro fahren?" Fragt er unsicher und geht Richtung Tür, dabei wirkt er nicht so als könnte er auch nur allein gehen, geschweige denn Auto fahren.

"Bist du sicher, dass du allein klar kommst?" frage ich zweifelnd, aber er nickt zögerlich. Nur dass ich seine Antwort nicht glaube.

Typisch Männer. Warum geben sie nur nie zu, dass sie Hilfe brauchen. Und wenn es nur jemand ist, der in der Nähe ist.

"Alexander?" meine Stimme klingt zögerlich, vor allem, weil mir unsere letzte gemeinsame Nacht noch so unangenehm in Erinnerung ist. "Kann...kann ich hier bleiben?" will ich wissen, wobei ich eher meine, ob er möchte dass ich bleibe.

Kurz sieht er mich erstaunt an, dann nickt er dankbar und schließt die Tür, die er mir aufgehalten hat.

"Klar. Du kannst im Gästezimmer schlafen." sagt er erleichtert und bringt mich zu einem der Zimmer, in die ich schon beim ersten Mal, als ich hier war, einen Blick geworfen habe.

Der Raum ist ganz schlicht gehalten, mit großem Bett, einem Schrank und bodentiefen Fenstern, die allerdings mit Gardinen verhängt sind.

Der entschuldigende Blick, den er mir zuwirft, sagt mir auch warum. Gleichgültig zucke ich die Schultern und sehe ihn ein klein wenig belustigt an.

Wobei... wenn ich solche Höhenangst hätte, wie er und im obersten eines Hochhauses ein Apartment hätte, würde ich vielleicht auch auf die Aussicht verzichten.

"Wenn du duschen möchtest, das Bad ist gleich neben an und Handtücher sind im Schrank links vom Wachbecken." sagt er höflich, doch als sein Blick warm über meine Sportsachen gleitet, bekomme ich erneut Herzklopfen.

Verlegen räuspert er sich, dann bietet er mir eines seiner T-Shirts für die Nacht an, dass ich dankbar annehme.

Was bleibt mir auch anderes übrig. Ich hab ja nichts sauberes hier, nur meine verschwitzen Sportsachen.

"Kann ich auch eine Shorts von dir haben?" frage ich verlegen und streiche mit den Fingern über meine Oberschenkel, dann schaue ich in sein belustigtes Gesicht.

"Klar, aber ich kann dir leider keinen BH leihen, die brauch ich selbst." verspottet er mich, worauf hin ich ihm verspielt die Zunge rausstrecke.

"Oh Mrs. Stone." flüstert er mit belegter Stimme und schüttelt langsam den Kopf, aber es ist so leise, dass ich mir nicht sicher bin, ob er tatsächlich etwas gesagt hat.

Obwohl ich weiß, wo seine Sachen sind und ich mir theoretisch ja auch selbst etwas zum anziehen holen könnte, lasse ich mir von ihm ein T-Shirt und eine Boxershorts geben, dann verschwinde ich unter die Dusche.

Als ich mich endlich wieder wie ein Mensch fühle, gehe ich zurück ins Wohnzimmer, wo Alexander in Gedanken versunken an der Terrassentür steht.

Kopfschüttelnd gehe ich zu ihm und stelle mich neben ihn.

"Hi." sage ich leise und genieße die bereits deutlich abgekühlte Luft auf meiner Haut und am liebsten würde ich nach draußen gehen, um die frische, klare Luft zu genießen, doch da mir der Schrecken noch immer in den Gliedern steckt, lasse ich es lieber bleiben.

"Hi." erwidert er meinen Gruß und schaut mich lächelnd an. "Danke dass du bleibst." sagt er sanft und stupst mich mit der Schulter an, dann wendet er sich von der Terrasse ab und mir zu. "Die Sachen stehen dir gut." zieht er mich grinsend auf und lässt seinen Blick lächelnd über meinen Körper gleiten. Kurz bleibt er an meinen nackten Beinen hängen, bevor er mir wieder in die Augen schaut.

"Hast du hunger?" interpretiert er das zornige Brummen aus meinem Bauch durchaus korrekt. "Wir könnten was bestellen. Chinesisch? Oder Pizza? Du kannst auch was anderes haben." bietet er an, als er meinen ablehnenden Gesichtsausdruck bemerkt.

An sich habe ich weder gegen Chinesisch noch gegen Italienisch was einzuwenden, aber zur Zeit möchte ich auf diese fettigen Sachen lieber verzichten.

Wobei Reis mit Gemüse und Hähnchen durchaus verlockend klingt. "Chinesisch klingt gut, aber ich möchte die Soße extra. Damit nicht alles so durchgepampt ist." sage ich entschuldigend, was mir von ihm einen belustigten Blick einbringt, dann zückt er sein Telefon und ruft den Lieferservice an.

Es dauert keine halbe Stunde, bis das Essen kommt und jetzt wird mir auch klar, warum er mich so belustigt angesehen hat, als ich ihm das mit der Soße gesagt habe.

"Du auch?" stelle ich grinsend, mit Blick in die Kartons fest, die Allesamt ohne Soße geliefert wurden.

Entschuldigend zuckt er mit einer Schulter und reicht mir einen Teller und Besteck, mit dem ich mich an den Tresen setzte, genau wie er. Wie gern würde ich draußen auf dem Balkon essen, aber da es dort nicht mal einen Stuhl gibt, muss ich wohl hier drinnen bleiben.

Aber so schlimm ist das auch nicht, immerhin ist Alexander ja auch hier.

Ja, Alexander. Seit ich bei ihm bin, fällt es mir schwer, ihn Mr. Black zu nennen, wie soll das nur werden, wenn wir morgen wieder im Büro sind?

Wird es mir dort auch so schwer fallen? Oder wird er im Büro einfach wieder zu Mr. Black, so wie beim letzten Mal?

Möglich wäre es. Immerhin ist er ein anderer Mensch, wenn wir dort sind.

So wie er ein anderer Mensch ist, wenn wir woanders sind. So wie hier. Oder wie bei meine Eltern.

Während wir essen, wälze ich schweigend ein Problem vor mir her, dessen Lösung ich nicht wirklich näher komme.

"Was ist denn Emely?" reißt Alexander mich aus meinen Gedanken. "Du bist so still."

"Ich war nur am überlegen, was ich morgen Früh anziehen soll." spreche ich meine Gedanken aus. "Ich kann ja nicht in deinem T-Shirt zur Arbeit gehen." freudlos lache ich auf, doch der Blick den er mir zuwirft, lässt mich verstummen.

"Das hättest du wohl gerne." sage ich empört und ziehe das Shirt etwas weiter nach unten, was ihn zum Lachen bringt.

"Vielleicht hast du recht, aber da wir morgen hohen Besuch erwarten, wäre es vielleicht schon angebracht, wenn du nicht ganz so freizügig gekleidet wärst." belustigt zwinkert er mir zu, dann steht er auf und trägt seinen Teller zur Spüle.

"Wart mal kurz. Könnte sein, dass ich dir da weiterhelfen kann."

Verdutzt schaue ich ihm nach. Wie soll er mir denn da weiterhelfen? Sollte ich mir vielleicht doch Gedanken machen, wenn er plötzlich mit Damenbekleidung daherkommt?

Neugierig warte ich darauf, dass er wiederkommt und räume, während ich warte, ebenfalls meinen Teller weg.

Doch gerade, als ich mich mit einem Glas Wasser auf die Couch setzte, kommt er tatsächlich mit einem dunkelblauen Hosenanzug zurück, der durchaus elegant ist.

"Ich weiß nicht ob er passt, aber... vielleicht probierst du ihn einfach mal an." entschuldigend zuckt er mit den Schultern und reicht mir den Anzug.

"Also, wenn du da rein passt, dann ist er mir definitiv zu groß!" sage ich grinsend und greife nach dem Blazer, den er über den Arm gelegt hat und streife ihn über das T-Shirt.

Schmunzelnd schüttelt Alexander den Kopf, sagt ansonsten aber nichts zu meinen Vorwürfen.

Der Blazer ist ein kleines bisschen eng aber ansonsten sitzt er sehr gut, ebenso wie die Hose, die ich kurzerhand einfach überziehe.

"Warum hast du so etwas?" frage ich erstaunt, als ich die Sachen ordentlich auf einen Bügel in das Gästezimmer gehängt habe.

"Den hat meine Schwester bei ihrem letzten Besuch vergessen." sagt er niedergeschlagen und wendet den Kopf ab um nachdenklich aus dem Fenster zu sehen.

"Bist du sicher, dass sie nichts dagegen hat, wenn ich ihn anziehe?" frage ich unbehaglich.

"Ganz sicher!" sagt er mit belegter, heiserer Stimme und zieht die Stirn in Falten, dann wendet er sich mit einem Ruck ab und geht mit energischen Schritten zu seinem Zimmer.

An der Tür verharrt er einen Moment, wünscht mir ohne mich anzusehen, eine gute Nacht und lässt mich dann einfach stehen.

Wieder so ein krasser Stimmungsumschwung. Wie kommt er damit nur klar? Kopfschüttelnd gehe ich noch einmal auf den Balkon. Jetzt wo er nicht mehr hier ist, kann ich doch noch für einen Augenblick die stille, klare Luft und die funkelnden Lichter der Stadt genießen. Ich bin ganz schön kaputt. Der stressige Tag, Jasons fordendes Training und dieses Gefühlschaos, heben mich restlos geschafft und so kehre ich nur wenige Minuten später, dem pulsierende Leben unter mir den Rücken zu und begebe mich ebenfalls ins Bett.

Und es dauert auch nicht lange, bis ich in einen Tiefen, traumlosen Schlaf sinke, aus dem mich keine Tausend Pferde wieder hervorlocken können, zumindest habe ich das gedacht, denn...

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