Kapitel 4


»Reez, was hast du jetzt nach deinem Abschluss vor?«, fragte mein Großvater während des Abendessens und senkte sein Besteck, welches in seinen Händen lag.

»Ich habe meine schriftliche Arbeit erst kürzlich bestanden. Eigentlich war geplant, dass ich eine Weltreise mit den Jungs unternehme. Daraus will ich auch kein Geheimnis machen. Ich habe meine Bewerbungen bereits alle im voraus zusammengestellt und versendet. Die Fristen dafür sind noch offen und ich wollte die Wartezeit nutzen, um mehr von der Welt zu entdecken und im Ausland Erfahrungen zu sammeln«, beschrieb ich ihm knapp.

Meine Großmutter nickte verständnisvoll und applaudierte leise, als wäre ich immer noch ein kleiner Junge, der die Bestätigung brauchte.

»Das ist ein sehr guter Einfall. Nimm dir ruhig eine Auszeit, mein Junge. Warum nimmst du nicht deine Freundin mit? Übrigens, warum hast du uns nie von ihr erzählt?«

Verwundert blickte ich auf und die gebratene Kartoffel fiel von meiner Gabel herunter. Was?

»Von wem sprichst du?«, keuchte ich überrascht auf. Ich gab bewusst vor, als würde ich nicht verstehen. Aber tatsächlich hatte ich wirklich keinen Schimmer, worüber sie sprach.

Meine Großmutter nippte an ihrem Rotwein und stellte das Glas ab. Ich wartete darauf, dass sie ihre Hände auf dem Tisch verschränkte, was sie immer tat, wenn sie kurz nachdachte.

» Ein ganz reizendes Mädchen. Natürlich Elin.« Elin?

Mir fiel das Silberbesteck aus der Hand und es klimperte über den Teller. Verdammt...das...Das ist unmöglich.

»Wer?«, keuchte ich ahnungslos und hatte das Gefühl, als hätte ich mich verhört. Verdammt, ich wünschte, ich hätte mich wirklich verhört.

»Na, jetzt wird es aber ganz schön peinlich. Das ist nicht lustig Reez. Du solltest doch den Namen deiner Freundin wissen. Sie heißt doch Elin«, brummte sie enttäuscht von mir.

Ich habe mich definitiv nicht verhört. Wie ist das möglich?

»Marilyn, wir sollten sie zum Abendessen einladen«, schlug mein Großvater vor, während ich wie betäubt da saß. »Das ist eine fabelhafte Idee, Robert. Das erinnert mich an den Brief, von dem sie am Telefon gesprochen hat. Er ist heute angekommen. Ist sie nicht reizend.«

Das Wasser, das ich vorhin trinken wollte, entglitt mir und ergoss sich kühl über meine Hand und die elfenbeinfarbene Tischdecke.

»Also hör mal, Reez! So benimmt man sich doch nicht beim Essen. Als junger Mann solltest du das wissen«, schimpfte mein Großvater mit seinen gekrümmten grauen Augenbrauen, die wie die eines Adlers wirkten. Meine Großmutter mit ihrer vornehmen Perlenkette im Chanelkostüm wirkte genauso enttäuscht.

»Was? Wann hat sie angerufen? Woher hat sie die Nummer?«, ächzte ich weiterhin ungläubig, über das Geschehene. Wütend legte meine Großmutter ihre Gabel weg. »Also Reez, langsam reicht es. Natürlich hat sie die Nummer von dir. Von wem sollte deine Freundin sonst die Nummer haben.«

Verdammte Scheiße, wie ist das nur möglich? Das kann nur ein dummer Streich sein. Ich schwöre dir, Dawson, wenn du dafür verantwortlich bist und ich dich in die Finger kriege, dann mache ich dich fertig.

»Wo ist der Brief?«, wollte ich schleunigst wissen. Ich wollte sicherstellen, dass alles nur ein blöder Witz war, da Elin im Koma lag. Davon habe ich mich erst vor einer Woche überzeugt.

Eine Angestellte wurde herbeigerufen und wenig später wurde mir ein breiter Umschlag gereicht. Unter der dünnen Verpackung konnte ich ertasten, dass sich dort nicht nur ein Stück Papier befand.

Ich entschuldigte mich und rückte den Stuhl zurück. Er schabte über den Boden und verursachte ein quietschendes Geräusch auf dem hölzernen Untergrund. Dann begab ich mich bereits auf den Weg in den hellen Flur. Genauer gesagt, ging ich in eine dunkle Ecke, falls sich jemand anschleichen sollte. Ich war nicht gerade scharf darauf, dass jedermann erkennen konnte, was ich in der Hand hielt.

Einen Brief von einer beinahe Toten.

Meine Hand zitterte und jede Faser in mir versetzte sich in Alarmbereitschaft. Die prunkvollen Kronleuchter nahmen mir mit ihrer Helligkeit nicht die Anspannung. Im Gegenteil, sie brannten sich in meine Haut ein.

Mit Mut, der aus meiner Schockstarre heraus geboren wurde, fummelte ich an der größeren Lasche des Umschlags herum und riss ihn auf. Das mysteriöse Stück Papier trug Elins Handschrift. Ich hatte ihr die ganze Zeit über keine genaue Beachtung geschenkt, aber nun war sie vor mir und ich hatte das Gefühl, dass ich mir wegen der Buchstaben in die Hose machen könnte. Ich brach in Angstschweiß aus, obwohl wenn ein Teil von mir der Situation nicht glauben konnte. Nach Aussage der Ärzte war es unmöglich, dass Elin aufstand. Wie kann das also sein?

Ich faltete den Brief auf. Meine Finger waren nicht in der Lage, das raue Papier richtig zu greifen.

Jetzt bin ich mit dem Spielen dran.

Ein Satz, und in mir gefroren meine Blutzellen. Meine Adern fühlten sich an wie Eiszapfen, die sich durch meine Haut bohrten.

Ich drehte den Brief um, aber da stand nichts Weiteres drauf. Das Einzige, was noch im Umschlag war, war ein Bild. Ich drehte die Aufnahme um, um es mir besser ansehen zu können, und ich schiss mich beinahe ein, als ich erkannte, dass das Foto unser altes Lagerhaus zeigte. Genauer gesagt waren die Whiteboards mit Bildern des Spielstand und allem Drum und Dran zu sehen.

Wir haben alles vernichtet, wie kann das sein?

Ich schaute mir den Spielstand genauer an. Ein neuer Spieler war hinzugekommen. Es war Elin und ihre Spielfigur stellte mich dar. Da bemerkte ich erst, das einige Fotos aus den letzten Tagen von mir enthalten waren.

Scheiße, was passiert hier?

Ich drehte die große Aufnahme hektisch um und entdeckte unter meinen Fingern eine Schrift.

Möge das Glück stets mit euch sein.

Punktestand: 0

Verdammt, was geht hier vor? ›Euch‹? Verflucht, was für ein schlechter Witz ist das hier?





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