3. Der Heimweg

Den gesamten Weg nach Hause hatte ich das Gefühl gleich umzukippen. Der heutige Tag am Friedhof war wohl der Emotionalste seit einer ganzen weile. Es fühlte sich an, als wäre ein riesiger Stein von meinem Herzen gefallen, gleichzeitig fühlte ich mich aber so allein wie noch nie. Ich hatte mir alles mögliche von der Seele geredet, was nach Mias Tod zusammen gekommen war, doch jetzt versank ich noch mehr darin, dass sie nicht mehr da war. Es ließ sich nicht mehr leugnen.
Wenn ich genauer darüber nachdachte war ich deshalb so lange nicht auf dem Friedhof. Jedes mal, wenn ich ihn betrat wusste ich, dass ich ihrem Grab immer näher kam. Der Tod war überall um mich herum und wenn ich ganz ehrlich bin, ich habe Angst vor dem Tod. Naja, bis vor wenigen Jahren noch nicht, aber dann kam das mit Mia. Seitdem fürchtete ich mich davor, plötzlich aus dem Leben gerissen zu werden. Oder jemand anderes könnte sterben. Meine Mutter, mein Vater oder einfach jemand anderes, der mir wichtig war. Ich hatte schon meine beste Freundin verloren, da könnte ich es nicht ertragen noch jemand zu verlieren.

Je weiter ich mich vom Friedhof entfernte, desto besser fühlte ich mich. Es fühlte sich wieder so an, als würde der Tod sich weiter von mir entfernen. Ich wusste, er war immer noch da, aber es fühlte sich nicht so an und das gab mir ein sichereres Gefühl. Die ganze Zeit, während ich vor Mias Grab saß hatte es sich auch so angefühlt, als wäre die ganze Welt stehen geblieben. Ich hatte weder Vögel, noch Autos gehört, obwohl kurz vor dem Eingan eine Straße vorbei führte. Es war einfach, als wäre ich in eine andere Welt eingetaucht.

Vermutlich würde ich es auch dieses Jahr nicht schaffen, öfter vorbei zu kommen. Vermutlich würde ich es wieder nicht übers Herz bringen, jeden Monat oder zumindest zwei mal im Jahr zu kommen, doch vielleicht würde es auch schon reichen, wenn ich mir vornahm, weiterhin zumindest an ihrem Todestag dort aufzukreuzen. Am wichtigsten Tag des Jahres. An dem Tagd, der uns auseinander rieß.

Jedes mal, wenn ich von dieser Richtung nach Hause ging, musste ich zwangsläufig an Mias altem Haus vorbei. Es fühlte sich seltsam an, eine neue Familie darin zu sehen. Zu hören, wie sie lachten und wie ihre Kinder im Garten spielten. Nach dem Tod ihrer Tochter konnten Mias Eltern nicht weiter dort wohnen. Sie verbanden zu viele Erinnerungen mit dem Haus. Nachdem ihre Tochter dann nicht mehr da war hielten sie es nicht mehr aus. Allein schon, wenn sie an ihrem früheren Zimmer vorbei gingen mussten die Gefühle sie fertig gemacht haben. Für mich ist ihr Tod schon schlimm, aber für ihre Eltern muss es noch schrecklicher gewesen sein. Ich will mir kaum vorstellen, wie es sich anfühlt, das eigene Kind zu verlieren und dann auch noch durch Selbstmord.

Still ging ich an dem Haus vorbei. Wenn ich mich in alte Zeiten zurück versetzte, dann könnte dieses lachen von uns sein. Die spielenden Kinder im Garten könnten wir sein und unsere Eltern würden zusammen auf der Terrasse sitzen, Kaffee trinken und uns beobachten. Wir hatten eine schöne, behütete Kindheit. Größere Probleme gab es nie. Hin und wieder steigerten wir uns in etwas hinein, aber etwas wirklich schlimmes passierte nie. Unsere Eltern hatten keine Geldprobleme, wir hatten keine Probleme mit irgendwelchen Familienmitgliedern und schlecht in der Schule waren wir auch nie. Zwar waren wir auch nicht die besten Schüler, aber das muss auch nicht sein.

Jedes mal, wenn ich hier vorbei kam überkam mich auch wieder die Schuld. Die Schuld, dass ich sie nicht öfters besuchen ging. Die Schuld, dass ich nicht öfters bei ihren Eltern vorbei ging und die Schuld, nicht besser für sie da gewesen zu sein.

Aber vielleicht war es schon ein Anfang mir fest zu sagen, dass ich wirklich jedes Jahr bei ihr vorbei kam. Jedes Jahr an ihrem Todestag. Immer an ihrem wichtigsten Tag.

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