2. Das Grab

,,Ich weiß, dass du enttäuscht von mir bist. Es ist jetzt erst das zweite mal, dass ich dich hier besuchen kommen. Ich habe es einfach nicht über mich gebracht, noch öfter zu kommen. Jedes mal, wenn ich auch nur an dich und unsere gemeinsame Zeit denke bekomme ich Bauchkrämpfe. Jedes mal frage ich mich, warum du nicht mit mir geredet hast? Warum hast du so viel vor mir geheim gehalten? Wir wollten doch keine Geheimnisse haben, verdammt!" Ich starrte auf den Grabstein vor mir. Einige Tränen liefen mir über das Gesicht. Es war tatsächlich erst das zweite mal, dass ich hier saß und das erste mal sprach ich wirklich aus, was ich schon so lange auf dem Herzen hatte. ,,Du hättest mir doch vertrauen können. Scheiße, Mia! Wir waren beste Freundinnen! Ich hätte dir irgendwie geholfen. Wenn du mir nur erzählt hättest, was los ist." Zum Ende hin wurde meine Stimme leiser. Ich schluchzte kurz. ,,Oder ich hätte es sehen müssen. Ich hab gemerkt, dass etwas nicht stimmt, aber ich habe dir geglaubt. Ich dachte wirklich, du würdest mir immer alles sagen. Das war ein Fehler. Schon am Anfang hätte ich hartnäckiger sein sollen. Vielleicht hättest du es mir dann gesagt. Vielleicht hattest du einfach Angst vor meiner Reaktion... Es wäre so schön, wenn du antworten könntest. Du könntest mir so viele Fragen beantworten. So vieles verstehe ich einfach nicht."

Eine ältere Frau lief an mir vorbei. Sie sah zu mir runter, wie ich weinend vor dem Grab saß. In ihrem Blick erkannte ich Mitleid. Kurz wühlte sie in ihrer Handtasche, dann reichte sie mir ein Taschentuch. ,,Hier, bitte. Leider kann ich nicht viel mehr für sie tun.", meinte sie und ging weiter. Während sie schon weg ging bedankte ich mich. Schnell versuchte ich mir die Tränen aus dem Gesicht zu wischen, dann wendete ich mich wieder dem Grab zu.

,,Ich wollte hier eigentlich gar nicht weinen.", meinte ich und versuchte dabei zu lächeln. Heraus kam aber nur eine komische Grimasse. ,,War dir eigentlich bewusst, wie deine Freunde und Familie auf deinen Tod reagieren würden? War dir das bewusst, als du hinaus schwammst? Ich wünschte, ich könnte das mit nein beantworten. Das wünschte ich mir so sehr, aber so gut kannte ich dich doch. Ich wusste zwar vieles nicht, aber ich weiß, dass dir andere immer schon wichtig waren. Du hast dich immer um andere gesorgt und wolltest niemanden verletzen. Du wusstest sicher, wie sehr du uns alle verletzen würdest, doch es war dir egal. Du warst wirklich so weit, dass es dir egal war, ob du andere Menschen damit zerstören könntest!"

Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Wut kam in mir auf. Wut und Enttäuschung. Verzweifelt schlug ich auf die Erde vor mir.

,,Ich hätte dir wirklich geholfen, hättest du mich nur gelassen."

Ich sank auf dem Boden zusammen und weinte. Jetzt hielt ich es nicht mehr zurück. Es war schon so lange her und doch nahm es mich immer noch so sehr mit. Ich weinte lange. Sehr lange. Genau kann ich es nicht sagen, aber als ich mich endlich wieder gerade hin setzen konnte war es schon um einiges dunkler geworden.

,,Weißt du Mia, was mich am meisten an der ganzen Sache mit nimmt? Ich werde wohl niemals wieder eine so gute Freundin finden, wie du eine warst. Auch wenn du Geheimnisse hattest, die dich schlussendlich umgebracht haben. Du warst die beste Freundin, die ich mir wünschen könnte. Ich werde niemals wieder jemanden finden, mit dem ich so offen reden kann, wie mit dir. Du warst meine Seelenverwandte. Wir waren ein Herz und eine Seele und nach deinem Tod fehlt die eine Hälfte. Ich fühle mich ohne dich einfach nicht komplett. Ohne dich fehlt etwas. Nichts macht mehr richtig Spaß."

Erneut schluchzte ich. Neue Tränen liefen mir übers Gesicht. So viel wie heute hatte ich wohl noch nie geweint, doch ich merkte auch, wie es mir dadurch irgendwie besser ging. Es tat gut, einfach mal darüber zu reden. Über alles zu reden. Hier fühlte es sich so an, als würde Mia mich hören. Es fühlte sich so an, als wäre sie die ganze Zeit hier.

Vorsichtig stand ich auf. Meine Beine zitterten. Ich konnte kaum richtig stehen, doch es war schon spät. Langsam drehte ich mich weg und machte mich auf den Weg nach Hause.

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