zwölf
Ich bin erst eine halbe Stunde zu Hause, in der ich mich frisch machen und etwas essen konnte, als es schon an der Tür klingelt. Voller Vorfreude laufe ich schnell zum Summer und drücke auf den Knopf, durch den die Haustür ganz unten geöffnet wird. Nachdem ich meine Tür aufgesperrt habe, höre ich schon Gabriels schweren Schritte im Flur.
Wir begrüßen uns mit einem Kuss. So kann das ruhig immer sein.
Als gehöre es bereits zu einer Routine, gehen wir in die Küche, nachdem der Braunhaarige seine Jacke und Schuhe ausgezogen hat, wo ich uns einen Chai Latte mit Hafermilch zubereite. Heute trägt er keinen Justin Bieber Merch, sondern eine lockere blaue Hose und ein braunes T-Shirt mit einem kleinen gestickten Baby Yoda auf der rechten Brust.
„Wie lief die Klausur?", frage ich ihn, bevor ich vorsichtig an meinem Getränk nippe.
„War echt gut. Hätte nie gedacht, dass ich alle Aufgaben bearbeiten kann, da das Lernen die letzten Tage echt gelitten hat. Aber im Endeffekt war sie gar nicht so schwer. Wobei man sagen muss, dass der Prof auch einfach ein Guter ist und machbare Klausuren erstellt."
„Wow, ein Hoch auf solche Profs!", rufe ich und hebe mein Glas.
Gabriel tut es mir gleich und wir stoßen an.
„Ich habe mir überlegt, dass wir gemeinsam ein Lebkuchenhaus bauen können", erzähle ich ihm, nachdem ich einen großen Schluck getrunken habe. „Das habe schon ewig nicht mehr gemacht, obwohl es früher für uns immer zu Weihnachten gehört hat."
„Ich hab' das noch nie gemacht", gibt er zu und trinkt ebenfalls einen Schluck.
„Das ist ganz einfach. Und macht Spaß. Ich helfe dir auch, keine Sorge."
Nach wenigen Minuten habe ich das Paket mit dem Lebkuchenhaus geholt, das schon seit Wochen unter meinem Bett wartet, endlich geöffnet zu werden und lege es aufgeregt zwischen uns auf den Tisch.
„Immerhin machen wir den Lebkuchen nicht selbst. Ich hatte schon kurz Angst, dass du mit einer Küchenmaschine wiederkommst", witzelt er.
„Das hab' ich mal, als ich 13 war oder so, mit meinen besten Freunden gemacht. Beziehungsweise versucht. Hat nicht so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt haben und schlussendlich haben wir den Lebkuchen und die Verzierung unabhängig voneinander gegessen, weil wir das Scheusal nicht mehr sehen wollten."
„Ich hab' als 13-jähriger mit meinen Freunden eher Stress gemacht und Scheiße gebaut, aber das ist natürlich auch eine Möglichkeit, seine Zeit rumzuschlagen", lacht er.
„Ich bin immer ein Engel gewesen."
Sein Blick wird in einen Hauch Misstrauen gezogen. „Ist klar... ich finde schon noch all deine dunklen, dreckigen Geheimnisse heraus."
„Okay", erwidere ich herausfordernd. „Ich bin gespannt."
Bevor wir beginnen, beschließe ich, erst einmal den Zuckerguss anzurühren. Gabriel sitzt währenddessen noch am Tisch und trinkt seinen Chai Latte. Ich stehe mit dem Rücken zu ihm an der Küchenzeile, weswegen ich nicht mitbekomme, wie er aufsteht. Erst als er hinter mir steht und mich umarmt, wird mir seine Anwesenheit bewusst. Sofort friere ich in meiner Bewegung ein. Er legt seinen Kopf auf meiner Schulter ab und fährt mit seinen Händen sanft über meine Arme.
„Mach ruhig weiter", haucht er mir ins Ohr, doch ich bin zu nichts mehr fähig. Dies scheint auch er zu bemerken, denn wenig später verschränkt er meine Hände mit seinen vor meiner Brust.
Und plötzlich geht alles ganz schnell. Der Braunhaarige dreht mich um, drückt mich gegen die Küchenzeile und küsst mich leidenschaftlich. Freudig erwidere ich den Kuss und schlinge meine Arme um seinen Hals, um Halt zu finden, aus Angst, meine Beine geben gleich nach. Seine Hände wandern an meiner Seite entlang bis zu meiner Taille und hinterlassen eine heiße Spur. Dort verweilen sie einen Augenblick, in dem ich glaube, an dieser Stelle zu verbrennen. Bevor sich das Feuer weiter ausbreiten kann, hebt er mich auf die Arbeitsfläche.
Ich gebe ein überraschtes Quieken von mir, woraufhin wir beide leise lachen müssen. Doch in Sekundenschnelle haben sich unsere Lippen wiedergefunden. Seine Hände finden nun Platz auf meinen Beinen, mit welchen der diese langsam auseinanderschiebt und sich zwischen sie stellt, um mir noch näher zu sein.
Doch genauso schnell, wie er mich geküsst hat, löst er sich auch wieder von mir. „So, jetzt habe ich genug Kraft getankt, um das Lebkuchenhaus zu bauen."
Mein Kopf ist noch zu benebelt, um darauf eine ordentliche Antwort zu geben. „Wow, das war... unerwartet. Aber schön."
„Fand ich auch", sagt er verlegen, ehe ich von der Küchenzeile hüpfe.
„Ich hab' das früher immer Anfang Dezember mit meiner kleinen Schwester und meinen Eltern gemacht. Das war irgendwie immer unsere Tradition. Bis erst ich und dann auch Jana in die Pubertät gekommen ist, aber mittlerweile bin ich wieder zurückgekommen. Ich erinnere mich gerne an meine Kindheit. Was war oder ist eure Familientradition?", erzähle ich ihm, während ich die einzelnen Teile auf dem Tisch verteile und Gabriel nur gegenüber von mir sitzt und zuschaut.
„Wir haben keine Familientradition", antwortet er kalt.
Ich glaube, ich hätte das nicht fragen sollen, da ich sofort das Gefühl bekomme, wir entfernen uns voneinander.
„Wirklich? Wie feiert ihr Weihnachten? Fährst du um die Feiertage nach Hause?" Es könnte sein, dass ich mich richtig in die Scheiße reite mit diesen Fragen, aber allmählich kann ich meine Neugier nicht mehr zügeln.
„Ich feiere kein Weihnachten mehr."
Ich. Mehr. „Warum nicht? Und warum nur du? Deine Eltern schon noch?"
„Keine Ahnung, was meine Eltern machen", erwidert er gleichgültig.
„Aber du musst doch –"
„Hannes, es reicht", unterbricht er mich harsch. So habe ich ihn noch nie erlebt. Nicht einmal an dem Tag, an dem wir uns kennengelernt haben. „Ich kann da nicht drüber reden."
„Du kannst nicht oder du willst nicht?" Hilfe, was rede ich da?
Mittlerweile schaut er mich richtig sauer an und ist aufgestanden. „Ich habe einfach keine Kraft dazu!"
Verständnislos gucke ich ihn an. „Ist es wirklich so viel verlangt, mir etwas aus deinem Leben zu erzählen?"
Haareraufend antwortet er: „Wenn du das nicht akzeptierst, was mache ich dann noch –"
„Gabriel warte!", unterbreche ich ihn laut, da ich Angst vor dem habe, was er als nächstes sagen könnte und wo das hinführt. „Was passiert hier gerade? Ich will nicht mit dir streiten. Ich will nicht gegen dich sein."
„Ich auch nicht", erwidert er nun leise.
Ich gehe auf ihn zu und umarme ihn fest. „Es tut mir leid, dass ich dich so angefahren habe. Das war nicht okay. Vor paar Tagen sage ich noch, dass du dir bei mir Zeit lassen kannst und dann sowas."
„Ist schon okay", sagt er erschöpft. „Ich kann dich verstehen."
Langsam löse ich mich aus der Umarmung und schaue ihm in die Augen „Wirklich?", frage ich hoffnungsvoll.
„Ja, wirklich."
Mein Blick huscht auf seine Lippen. „Darf ich...?"
„Ja, du musst nicht fragen."
Wir tauschen einen kurzen, liebevollen Kuss aus, ehe ich ihn wieder umarme.
„Wir müssen dieses Lebkuchenhaus auch nicht bauen, wenn du das nicht möchtest. Wir können auch einfach auf meinem Sofa oder Bett liegen und einen Film schauen. Ich hab' dir immer meinen Willen aufgezwungen, weil ich wollte, dass du Weihnachten plötzlich wieder magst, aber nie gefragt, was du eigentlich willst."
„Ja, einen Film schauen klingt gut."
Und so liegen wir wenige Minuten später eingekuschelt in meinem Bett und schauen Love, Simon. Vielleicht ist Gabriel auch direkt eingeschlafen und vielleicht war ich noch bis Ende des Films wach und ganz vielleicht habe ich ihn nicht geweckt, damit er bei mir bleibt.
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