zwanzig
Jetzt kann Weihnachten kommen. Zusammen mit Gabriel in meinem Arm fühlt sich die Welt schon wieder ganz anders und besser an. Ich fühle mich, als würde mir die Welt zu Füßen liegen und ich könnte alles schaffen.
Wer weiß, vielleicht kann ich das mit Gabriel auch.
Ich bin weit vor ihm wach, obwohl uns die Sonnenstrahlen nahezu in die Augen scheinen, weswegen ich mich dazu entscheide, schon einmal aufzustehen, um uns Frühstück zu machen. Barfuß tapse ich in die Küche, in der ich als Erstes Milch aufsetze, um später Kakao zu machen. Da ich nicht sonderlich viel in seinem Kühlschrank vorfinden kann, beschränkt es sich auf Dinkelbrot, Margarine und vegetarische Wurst. Irgendwo habe ich auch noch Schokocreme und Marmelade gefunden. Aus seiner Obstschale nehme ich eine Birne, die ich in kleine Stücke schneide und zwei Mandarinen.
Ich bin gerade dabei, die heiße Milch in zwei Tassen zu füllen, als mein Freund mit verwuschelten Haaren und Pyjama in die Küche kommt. „Guten Morgen", gähnt er und umarmt mich von hinten. Sein Kinn legt er auf meiner Schulter ab. „Meine Mutter hat mir früher auch immer heißen Kakao zum Frühstück gemacht."
„Gewöhn' dich nicht dran", lache ich und drehe mich mit beiden Tassen in der Hand zu ihm um. Er nimmt mir eine aus der Hand. „Ich bin nicht deine Mutter."
„Mhm", er nippt einmal am Getränk, „zum Glück." Mit den Worten setzt er sich an den Küchentisch.
In aller Ruhe frühstücken wir und blenden die Welt für keinen kurzen Moment aus. Keine Gespräche über Uni, Weihnachten, Familie oder Freunde. Einfach nur Gabriel und Hannes. Wir sitzen bestimmt zwei Stunden am Tisch, ich habe schon nach meinem ersten Brot das Zeitgefühl verloren. Genauso wie ich mich in Gabriels Gesicht um die hundert Mal verloren habe. Zwischendurch lehne ich mich des Öfteren über den Tisch, um ihm ein Klecks Marmelade wegzuwischen und ihn danach zu küssen. Oder um den Aufstrich wegzuküssen.
Als wir die Spülmaschine einräumen, spreche ich doch das aus, worüber ich schon die letzten Minuten nachgedacht habe, die mir keine Ruhe gelassen haben. Ich halte in meiner eigentlichen Bewegung inne und drehe mich mit einem Teller in der Hand zu meinem Freund. „Gabriel, ich weiß, du willst das wahrscheinlich nicht hören, aber meinst du nicht, dass du deiner Familie und gerade deinen Eltern nochmal eine Chance geben willst?" Ich kann in seinem Gesicht kein Anzeichen von Wut oder Ähnlichem erkennen, viel mehr fordert es mich dazu auf, weiterzureden. „Ich habe morgen meine letzte Vorlesung und würde mich bereit erklären, mit nach München zu kommen. Wir müssen auch nicht über Nacht bleiben. Gott, wir müssen nicht einmal eine Stunde bleiben, wenn du das nicht möchtest." Nervös lege ich den Teller zurück in die Spüle, ohne die Augen von dem Braunhaarigen zu nehmen.
Er schaut mich nicht böse an. Eher im Gegenteil. Sein Blick ist verständnisvoll und voller... Reue? „Ich glaube, ich versuch's erstmal mit Facetime?"
„Okay, ja, das ist ein guter Anfang!", freue ich mich und umarme ihn.
So sitzen wir wenige Minuten später erneut gegenüber voneinander am Küchentisch. Gabriel hält sein Handy mit beiden Händen fest und schaut mich unsicher an.
„Wenn es nicht gut läuft, kannst du immer noch auflegen. Es ist nur ein Klick entfernt. Du schaffst das. Außerdem bin ich direkt hier." Ich löse eine verkrampfte Hand von seinem Handy und lege meine sacht auf seine. Das scheint ihm genug Mut zugeben, denn er drückt nun doch auf Anrufen.
Es kostet ein paar Versuche, bis seine Mutter abnimmt. Mein Freund reißt erschrocken und ängstlich die Augen auf. Einfühlsam lächle ich.
„Oh Gott, Gabriel! Von dir hab' ich ja ewig nichts mehr gehört", begrüßt sie ihn schon fast unter Tränen. Ich kann sie zwar nicht sehen, aber man kann es deutlich hören. Genauso wie ihren bayerischen Dialekt. Wie lange sie wohl keinen Kontakt mehr hatten? So genau hat er es nicht gesagt. Vielleicht ein Jahr? Aber vielleicht auch, seit er weggezogen ist?
„Hallo, Mama", begrüßt Gabriel sie genauso emotional und wischt mit einem Daumen einmal über seine Augen.
„Wie geht's dir, mein Schatz?" Es gibt wenig Menschen, bei denen die Frage echt klingt. Sie ist eine der wenigen.
„Gut. Gut, ja. Echt sehr gut. Und euch?" Auch seine Antwort hört sich echt an.
Seine Mutter erzählt, dass es ihr mittlerweile viel besser geht, sein Vater in seiner Freundin in einen Vorort von München gezogen ist und seine Schwester mit ihrem Freund zusammengezogen ist, sein Bruder aber noch zu Hause wohnt.
Nach einer Weile gehe ich zurück ins Schlafzimmer, um den beiden ihre Privatsphäre zu geben. Ich muss schließlich auch nicht alles wissen. Außerdem weiß seine Mutter gar nicht, dass ich theoretisch hinter ihr saß und ihr zugehört habe. Nun mache ich das Bett, beseitige den Boden um seinen Schreibtisch von den Lernzetteln und lege sie feinsäuberlich auf den Tisch, öffne das Fenster zum Lüften. Draußen sehe ich zwei kleine Mädchen, die im Schneeanzug händchenhaltend durch den Schnee rennen.
Bis mein Freund nach einer halben Stunde immer noch mit seinem Handy vorm Gesicht zu mir ins Zimmer kommt. „Das ist Hannes", stellt er mich vor und hält die Frontkamera auf uns beide, ehe er einen Arm um mich legt.
„Hi", sage ich schüchtern ins Handy und winke mit einer Hand. Er hat die gleichen dunklen Haare und Augen wie seine Mutter.
„Du hast also meinem Sohn den Kopf verdreht", meint sie augenbrauenwackelnd.
„Äh, ja, sieht wohl so aus", stottere ich und fahre mir verlegen durch die Haare.
„Es freut mich sehr, dass Gabriel endlich jemanden an seiner Seite hat. Jemand, der ihn aufbaut, auffängt, zum Lachen bringt, aber auch beim Weinen zusieht." Irgendwie klingt es so, als wäre sie den gesamten letzten Monat bei uns gewesen. Hoffentlich hat er nicht zu viel erzählt.
Als Gabriels Arm langsam schwer wird und er uns nicht länger beide ins Bild bekommt, stellt er sein Handy gegen die Schreibtischlampe und wir quetschen uns auf seinen Stuhl. So reden wir bestimmt noch zwei Stunden mit seiner Mutter. Sie wirkte sehr glücklich und erleichtert, endlich wieder mit ihrem Sohn zu reden.
Wir reden über alles Mögliche. Nie war es so einfach, die Mutter eines Partners kennenzulernen. Nicht, dass ich sonderlich viel Erfahrungen damit hätte, aber ich stelle es mir nicht leicht vor. Aber mit ihr ist es, als würden wir uns schon ewig kennen und als wäre ich schon Jahre mit Gabriel zusammen.
„Deine Mutter ist echt goldig", meine ich zu ihm unmittelbar nachdem er aufgelegt hat.
„Ja, das ist sie. Ich weiß gar nicht, warum ich nie den Kontakt zu ihr gesucht habe. Es war wie früher", meint er nostalgisch. „Danke. Danke, dass du so hartnäckig geblieben bist." Dann umarmt er mich fest.
„Ich hätte uns damit zwar fast ins Aus befördert, aber klar, hab' ich gerne gemacht", lache ich.
Er löst sich von mir, um mich besser anschauen zu können. Mit einem ernsten Gesichtsausdruck lässt er seine Augen über mein Gesicht wandern. Als könnte er nicht fassen, dass ich neben ihm sitze. Ich kann es selbst kaum glauben und verstehe immer noch nicht, warum ich ihn verdient habe und was ich getan habe, dass Karma so sehr auf meiner Seite steht.
Paar Sekunden später finde ich mich erneut in seinen Armen wieder. Da es nach einer Zeit auf dem Schreibtischstuhl doch unbequem ist, verfrachten wir uns zurück in sein Bett, kuscheln uns in seine Decke ein und verstecken uns vor der Welt.
Er liegt eingerollt neben mir, wodurch ich seinen Atem an meinem Hals spüre. Was würde ich dafür geben, für immer so liegen zu bleiben.
„Hannes?", fragt er vorsichtig an meiner Haut. Meinen Kopf drehe ich zu ihm, so dass wir uns angucken können, und zeige ihm, dass ich ihm zuhöre. „Eventuell hab' ich meiner Mutter auch gesagt, dass wir beide an Heiligabend zu ihr kommen."
Ich glaube, meine Augen fallen mir fast aus dem Kopf, da ich nicht realisieren kann, das gerade wirklich gehört zu haben. Er hingegen schaut mich immer noch unsicher an.
„Wow, Gabriel, das ist –", ich setze mich etwas aufrechter hin, was er mir gleichtut. „Das ist großartig!" Und schon liegen meine Lippen auf seinen. „Ich bin wirklich stolz auf dich."
naja, immerhin stimmt die erste Zahl des Datums... wer hätte gedacht, dass die Story nochmal weitergeht ahahah
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