zehn

Gabriel und ich müssen auf dem Sofa eingeschlafen sein, denn als ich aufwache, ist es stockfinster in meinem Zimmer. Nur die Straßenlaterne vor meinem Fenster spendet spärliches Licht. Langsam richte ich mich auf und strecke meinen Rücken durch. Ich schlafe nie wieder auf der Couch. Bei einem Blick nach rechts stocke ich jedoch in meiner Bewegung. Dort liegt ein schlafender Gabriel, der eins meiner grauen Sofakissen wie ein Kuscheltier im Arm hält. Am liebsten würde ich ihn noch Stunden beobachten, aber wenn er aufwacht, sieht es aus, als würde ich ihn stalken.

Also schaue ich aus dem Fenster. „Halleluja, es schneit!", freue ich mich vielleicht etwas zu laut, als ich die vielen Schneeflocken im Licht der Laterne sehe.

„Hä was?", höre ich eine verschlafene Stimme neben mir. „Was ist los?"

„Es schneit! Wir müssen dringend raus", sage ich nur und stürme aus meinem Zimmer, um meine Schuhe und Jacke anzuziehen.

„Was? Es ist viel zu spät und viel zu kalt. Komm wieder zurück, bitte."

Doch ich habe schon meine Sachen angezogen, was der Braunhaarige mir wenige Minuten doch gleichtut.

„Worauf habe ich mich hier bloß eingelassen?", höre ich ihn murmeln, als wir die Treppen hinunter stürmen. Wobei – ich stürme, er schleicht.

Unten angekommen stelle ich mich mitten auf die Straße und versuche, eine Schneeflocke mit meinem Mund zu fangen. Und noch eine. Und noch eine.

„Du bist so süß, wenn du dich so freust", flüstert der Braunhaarige, als er neben mir zum Stehen kommt. Mein Mund schließt sich unverzüglich und die Schneeflicken prallen an meinen Lippen ab.

Ich merke, wie mein Gesicht eine rote Farbe annimmt, die nicht aufgrund der Kälte zustande kommt. Zur Ablenkung bücke ich mich, um eine Schneekugel zu formen, um sie anschließend auf Gabriel zu werfen.

Von romantischen Momenten abzulenken, scheint mein Spezialgebiet zu sein. Manchmal hasse ich mich selbst dafür. Flirten läuft noch ganz okay, aber sobald es ernster wird, bin zu schüchtern und ich weiß nicht, was ich machen soll.

Dem Braunäugigen scheint das aber nicht zu stören, denn er formt ebenfalls einen Schneeball und wirft mich lachend damit ab. Das Ganze artet in einer Schneeballschlacht aus, von der ich überrascht bin, dass sich noch keiner der Nachbarn beschwert hat. Naja, eher arten unser Lachen und unsere Rufe aus. Es geht so lange weiter, bis er mich abwirft, ich im Gegenzug aber keine neue Kugel forme, sondern stattdessen auf ihn zu gehe und dicht vor ihm zum Stehen komme. Ich habe keine Ahnung, was passiert ist, wir haben uns doch nur mit Schnee abgeworfen, wie kleine Kinder es tun, doch trotzdem hat sich die Stimmung währenddessen irgendwie verändert. Mittlerweile sind nicht nur Schneeflocken zwischen uns, sondern auch eine elektrische Spannung.

„Du hast da eine Schneeflocke", flüstere ich, ehe ich mit meiner linken Hand in seine weichen Haare fahre. Als ich sie jedoch nach ein paar Sekunden immer noch nicht zurückgezogen habe, bewegen sich Gabriels Augen über mein ganzes Gesicht, als würde er nach etwas suchen. „Das hat echt Spaß gemacht. Es fehlt nur noch eine Sache, um den Moment für mich perfekt zu machen." Inzwischen ist meine Hand zu seiner rechten Wange gewandert und streichelt diese beruhigend.

„Und die wäre?"

„Darf ich dich küssen?"

Grinsend nickt er leicht und schon habe ich mich auf Zehenspitzen gestellt, um meine Lippen auf seine zu legen. Sie sind genauso weich, wie ich sie mir immer vorgestellt habe und schmecken noch lieblich nach Zimt. Sofort erwidert er den Kuss, als hätte er nur darauf gewartet. Zunächst ist es nur ein kurzer, unschuldiger Kuss, aber trotzdem fühle ich mich, als wäre ich am Gipfel der Welt. Es ist zwar das erste Mal, dass wir uns küssen, doch trotzdem fühlt es sich schon so unglaublich vertraut an. Nachdem wir uns nach einer viel zu kurzen Zeit wieder voneinander lösen und uns in die Augen schauen, dauert es nicht lange, bis Gabriel seine beiden Hände an meine Wangen legt und mich noch dichter an sich zieht, um erneut unsere Lippen zu vereinen. Mein Herz feiert schon heute Silvester.

Der Kuss wird immer leidenschaftlicher. Ich lege meine Hände in Gabriels Nacken, um den Kuss noch zu intensivieren und um ihn noch näher an mir zu haben, obwohl das wahrscheinlich gar nicht mehr möglich ist. Es ist, als würden wir miteinander verschmelzen.

Luftschnappend lösen wir uns widerwillig nach einiger Zeit. Gabriel lächelt mich breit an und zum zweiten Mal in meinem Leben kann ich sein süßes Grübchen sehen. Kann ich ihn bitte ganz oft so glücklich machen?

„Wollen wir wieder hoch gehen?", frage ich immer noch außer Atem. „Es ist ziemlich kalt und ich möchte es noch spüren, wenn du mich berührst."

„Ja, ich sollte sowieso mal langsam nach Hause." Er schaut kurz auf seine Armbanduhr. „Es ist schon ziemlich spät."

„Oh, du kannst auch hierbleiben", schlage ich ihm vor, während ich durch meine Haare fahre, die Gabriel zerstört hat. Irgendwie dachte ich, das wäre klar. „A-also nicht so, ich meine, ich kann auch auf der Couch schlafen, wenn dir das lieber ist, ich äh –"

„Hannes", unterbricht der Braunhaarige mich lachend. „Ich würde sehr gerne bei dir schlafen, ich habe den ganzen Abend darauf gewartet, dass du mich das fragst. Bei diesem Wetter und vor allem dieser Uhrzeit an einem Samstag will ich ungern noch einmal quer durch Hamburg fahren müssen."

Glücklich grinse ich. Womit habe ich das alles verdient?

Oben angekommen schälen wir uns aus unseren Jacken und suchen den direkten Weg in mein Zimmer auf.

„Du kannst ein Shirt von mir haben. Oder willst du in dem Hoodie schlafen?"

„Ne, ich nehme gerne ein Shirt von dir."

Ich versuche, nicht hinzusehen, während Gabriel sich seinen roten Pullover über den Kopf zieht und tatsächlich nichts drunter hat. Auch ich ziehe mein Oberteil aus, worunter ich jedoch noch ein weißes Unterhemd trage, und suche uns zwei T-Shirts zum Schlafen aus meinem Kleiderschrank heraus.

Ich halte ihm ein schlichtes violettes Shirt hin, während ich mir ein Braunes ausgesucht habe.

„Willst du dein Unterhemd nicht auch ausziehen?", fragt Gabriel, nachdem er sich das Oberteil übergestreift hat und ich immer noch starr mit meinen in der Hand dastehe.

„Äh, ja, doch", erwidere ich, während ich das Shirt auf mein Bett lege, um freie Hände zu haben.

„Lass' mich das machen", flüstert Gabriel und greift nach dem Saumen. Unfähig etwas zusagen, lasse ich ihn mir das Hemd ausziehen.

Als ich das zweite Mal heute aufwache, ist es bereits hell, ich liege statt auf dem Sofa in meinem weichen Bett und Gabriel liegt neben mir auf dem Bauch, einer seiner Arme um meinen Oberkörper geschlungen. Vorsichtig fahre ich mit meiner freien Hand über sein zerknautschtes Gesicht, um ihn langsam zu wecken.

Ich wünsche mir, dass ich jeden Tag so aufwachen darf.

„Ich will noch nicht aufstehen", murmelt Gabriel verschlafen und fährt sich mit einer Hand über die Stelle, die ich soeben noch berührt habe.

„Es ist aber schon 10 Uhr."

Schon? Das ist noch früh. Zu früh für einen Samstag."

„Okay", gebe ich mich geschlagen und schlinge meine Arme um ihn. Insgeheim würde ich am liebsten den ganzen Tag so liegen bleiben, aber da ich nachmittags arbeiten muss, geht das leider nicht.

„Hast du Lust auf Christmas Porridge?", frage ich ihn, als uns zum Aufstehen aufgerafft haben und noch in Schlafsachen in der Küche stehen.

„Christmas Porridge?", fragt er misstrauisch.

„Ja", erwidere ich stolz. „Also halt Porridge, der weihnachtlich schmeckt. Verstraust du mir?"

„Klar."

Und damit sitzen wir wenige Minuten später gegenüber voneinander an dem kleinen Küchentisch und haben jeweils eine Schüssel mit warmem Porridge, Apfelstücken, paar Nüssen, einem zerbrochenen Spekulatiuskeks und zerflossener Schokolade vor der Nase.

„Wow, das schmeckt echt lecker", gibt er mit vollem Mund zu.

„Buongiorno, Hannes", kommt ein verschlafener und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch verkaterter Mario in die Küche. „Buongiorno Typ, den ich nicht kenne."

Zunächst lässt er sich von Gabriel gar nicht beirren, weswegen wir uns belustigt anschauen, während Mario mit dem Rücken zu uns steht und sich einen Kaffee kocht.

„Warte", der Italiener dreht sich zu uns um, „ich habe dich hier noch nie gesehen. Wer zur Hölle bist du? Moment – bist du etwa Hannes' Freund?"

Ja! Nein? Keine Ahnung. „Das ist Gabriel."

„Freut mich, ich bin Mario! Hannes ist echt ein Schatz, glaub mir, ich –"

„Und ich glaube, du solltest jetzt wieder in dein Zimmer gehen und dich ausschlafen", sage ich panisch zu ihm und schiebe ihn mit seinem Kaffee aus der Küche. Schnell schließe ich hinter ihm die Tür. „Sorry, Mario ist manchmal ein bisschen..."

„Er ist lustig, ich mag ihn."

Ohne weitere Zwischenfälle machen wir uns für den Tag fertig; frühstücken zu Ende, putzen gemeinsam Zähne, ziehen uns um, werfen uns verstohlene Blicke zu, küssen uns ein paar viele Male und verlassen pünktlich um 15.30 Uhr die Wohnung. Wir funktionieren gut zusammen.

„Ey, ich freu mich für dich, Mann!", ruft Valentin und haut mir einmal gegen die Schulter, nachdem Gabriel mich zur Arbeit gebracht hat und es sich nicht nehmen lassen hat, mich zum Abschied zu küssen.

Gequält lächle ich. „Irgendwie weiß ich nicht, ob wir zusammen sind."

Mit den Gedanken an die vergangenen Stunden bediene ich eine Kundin, die einen Kakao mit Amaretto bestellt hat.

„Klar seid ihr zusammen. Zumindest auf einem guten Weg. Das hat sogar ein Blinder mit Krückstock gesehen."

„Wir haben uns heute Nacht geküsst. Also so richtig. Aber keine Ahnung; du weißt, wie mein Kopf mich immer fertig macht", erzähle ich ihm beiläufig zwischen einzelnen Kunden.

„Weißt du, was da hilft?", fragt mich der Rothaarige in seiner Bewegung innehaltend. „Reden."

„Danke", erwidere ich ironisch. Als wäre ich da nicht selbst draufgekommen.

„Ne wirklich; frag ihn, ob ihr euch so bald wie möglich nochmal treffen könnt, um über alles zu reden."

Nachdem ich einem kleinen Jungen seinen heißen Apfelsaft gegeben habe, schaue ich Valentin wirklich dankend an. „Ja, mach ich, versprochen."

ahhhh der erste Kuss ist gefallen 👀👀

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