vier

Den ganzen Vormittag war ich nicht aufgeregt. Nicht einmal, als ich Gabriel eine Nachricht geschrieben habe, dass ich mich auf den Nachmittag freue. Und noch weniger, als ich seinen Namen auf meinem Display lesen konnte und über dem WhatsApp-Symbol eine kleine 1 zu sehen war. Bis ich in die U-Bahn gestiegen bin und es somit nur noch 19 Minuten sind, bis ich den Dunkelhaarigen treffe. Verbindlich. Nicht unverbindlich wie auf dem Weihnachtsmarkt. Und jetzt schlägt mein Herz so schnell, dass ich Angst habe, es würde mir aus der Brust springen und direkt zu Gabriel in die Arme rennen, sobald sich die Türen des Wagons öffnen.

Während ich mit zitternden Knien die Treppen hinaufgehe, was tatsächlich nicht der Kälte zuschulden ist, kann ich Gabriel schon sehen, wie er lässig an der Wand lehnt. In voller Wintermontur steht er dort wie ein kleines Kind, das auf seine Eltern wartet. Als wäre er nicht aufgeregt und als würde ihn nicht gleich das Herz in die Hose rutschen. Als er mich sieht, schleicht sich ein breites Grinsen auf sein Gesicht und er kommt mir entgegen.

Ruhig bleiben, Hannes. Es ist alles okay.

Bei ihn angekommen, zieht er mich in eine feste Umarmung. Erneut kann ich seinen Vanilleduft einatmen. Vielleicht habe ich mir schon zu viele Gedanken darüber gemacht, wie wir uns begrüßen werden und vielleicht habe ich mir gewünscht, dass er mich umarmt. Aber niemals hätte ich mir ausmalen können, was für eine Wärme durch meinen Körper strömt.

„Hey."

„Hi."

„Und?", fragt er aufgeregt, während wir nebeneinander aus dem Bahnhof gehen. „Was machen wir?"

„Wir gehen Schlittschuhlaufen", erzähle ich mindestens genauso aufgeregt wie er. „Ich dachte, wir fangen mit etwas an, das nicht direkt mit Weihnachten zu tun hat, aber trotzdem damit in Verbindung gebracht wird."

Ich kann beobachten, wie Gabriel jegliche Farbe aus dem Gesicht weicht und er noch blasser aussieht als sowieso schon. „Eigentlich wollte ich heute noch nach Hause anstatt ins Krankenhaus."

„Keine Sorge, ich passe auf."

Zum Glück müssen wir nicht lange gehen. Kaum haben wir den Bahnhof verlassen, stehen wir vor dem kleinen Weihnachtsmarkt in Wandsbek. Am Eingang werden wir von einem hölzernen Bogen mit der Aufschrift „Wandsbeker Winterzauber" in Empfang genommen und schon stehen wir mitten in dem urigen Weihnachtsdorf. Vor uns erstrecken sich viele kleine Holzhütten, die alle ihren eigenen kleinen Charme haben.

„Dein Ernst? Schon wieder ein Weihnachtsmarkt?", lacht Gabriel. „Ich weiß ja nicht, ob du's gemerkt hast, aber ich bin nicht so der Freund davon."

„Wir sind ja nicht deswegen hier. Ich schwöre, ich schleppe dich heute in kein Bierzelt. Dafür aber auf die Eisbahn." Als ich das sage, sind wir an der Schlittschuhbahn angekommen, wo auch schon ein paar Menschen ihre Runden drehen. Manche allein. Manche mit Freunden oder einem festen Partner oder Partnerin, manche mit einem Kind. Manche sind froh, wenn sie vorwärtskommen, ohne hinzufallen, manche drehen Pirouetten als würden sie nie etwas anderes machen. Aber eine Sache haben alle gemeinsam.

„Schau, wie glücklich sie aussehen."

„Sicher, dass wir das machen wollen?", fragt Gabriel ängstlich kurz bevor wir die Eisbahn betreten, schon mit Schlittschuhen an den Füßen.

„Ja, sogar sehr sicher. Und jetzt komm'!" Ich grinse ihn an und lasse mich zum ersten Mal seit langer Zeit über das Eis gleiten.

Während ich ohne Probleme auf dem Eis stehen kann, ist Gabriel ziemlich wackelig. Die ganze Zeit hält er sich an der Bande fest und schaut hilfesuchend zu mir. Ich sehe wahrscheinlich auch nicht sehr elegant aus, aber ich kann mich ohne Hilfe auf den Beinen halten.

„Bist du überhaupt schonmal Schlittschuhlaufen gewesen?", frage ich ihn schmunzelnd, als ich vor ihm zum Stehen komme. Schon fast ängstlich, als würde er wirklich denken, er wird sich noch beide Beine brechen, klammert er sich an der Bande fest. Auf meine Frage schüttelt er nur den Kopf.

Ein kleiner Junge mit einer großen Pinguinfigur, welche Anfängern helfen soll, fährt fröhlich an uns vorbei. Gabriel schaut der Figur sehnsüchtig hinterher und meint, dass er auch so eine haben wolle.

„Das ist leider nur was für kleine Kinder", lache ich. „Komm', ich helfe dir." Ich stecke meine in Handschuhe eingepackte Hand zu ihm aus, welche er auch vorsichtig ergreift.

Gabriel klammert sich wie ein kleines Kind an mich und zusammen sind wir wackeliger unterwegs, als ich anfangs dachte. Ich spüre sein Gesicht dicht neben meinem und somit auch seinen heißen Atem, der regelmäßig an meinem Gesicht abprallt. Ich muss mich sehr zusammenreißen, ihn nicht anzugucken. Während ich versuche, uns irgendwie aufrecht auf dem Eis zu halten, merke ich seinen musternden Blick auf mir. Eigentlich müsste ich mich aufs Schlittern konzentrieren, aber Gabriel macht es mir schier unmöglich, weswegen wir wenig später auch hinfallen.

Erst komme ich aus dem Rhythmus, sodass ich nach hinten falle und ziehe den Braunhaarigen natürlich mit, welcher dann mit seinem ganzen Gewicht auf mich fällt. Aber bevor ich mir einprägen konnte, wie sich sein Körper auf meinem anfühlt, hat er sich schon wieder von mir heruntergerollt und versucht, aufzustehen.

Wie gesagt; er hat es versucht, ich bin nämlich vor ihm wieder auf den Beinen und helfe ihm nun, indem ich seine Arme nehme und er meine.

„Sorry", murmelt er und weicht meinem Blick aus. Ich merke, wie unangenehm ihm das war.

Nach einiger Zeit kann Gabriel schon relativ gut alleine fahren. Berührt haben wir uns seitdem nicht mehr. Eher herrscht sogar ein gewisser Sicherheitsabstand zwischen uns.

Wahrscheinlich sollte ich ihn darauf ansprechen. Aber dass die Stimmung dadurch unangenehmer wird, ist viel wahrscheinlicher. Also halte ich meinen Mund und genieße den Moment. Der Himmel ist blau, die Sonne scheint am wolkenlosen Himmel, mir weht eine leichte Brise durch die Haare und durch die Lautsprecher ertönt Mistletoe von Justin Bieber. Perfekt zum Schlittschuhlaufen. Und für eine romantische Stimmung.

„Oh mein Gott ist das Justin Bieber?", höre ich Gabriel aufgeregt neben mir rufen. Ein paar Passanten drehen sich zu ihm, woraufhin er sich peinlich berührt die Hände vor sein Gesicht hält. Wenn er wüsste, wir niedlich er gerade aussieht.

Lachend fahre ich an eine Bande und deute ihm, zu mir zu kommen, „Du bist Fan von Justin?"

„Wer ist kein Fan von ihm?"

„Ich bin eher Team Shawn Mendes", meine ich schulterzuckend.

„Du bist-", erschrocken fasst er sich ironisch ans Herz, „was?"

„Ja, stell dir vor", lache ich. „War vor sechs Jahren so obsessed mit ihm. Und vielleicht auch ein bisschen verknallt. Was meine Eltern sich alles anhören mussten. Die tun mir im Nachhinein schon leid. Mein Vater musste sogar mal mit auf ein Konzert, weil ich noch zu jung war. Ich glaube, er war traumatisiert danach. Und sein Trommelfell auch."

„Ich hatte Glück, dass meine Schwester auch ein krasser Fan war. Und vier Jahre älter als ich. So konnten wir immer zusammen auf Konzerte und danach von ihm schwärmen."

Und schon unterhalten wir uns über unser damaliges Geschwärme für Justin Bieber und Shawn Mendes als hätten wir nie etwas anderes gemacht. Wer hätte gedacht, dass in Gabriel ein kleiner Fanboy schlummert?

„Das ist wahrscheinlich auch das einzige Weihnachtslied, das ich mir geben kann, ohne zu kotzen", sagt er noch, ehe er sich von der Bande wegdrückt und mit Schwung auf die Bahn fährt. Kurz kommt er ins Straucheln, doch er kann sich schnell wieder fangen und fährt ein paar Runden um den wundervoll geschmückten Weihnachtsbaum, der mitten auf der Bahn seinen Platz findet, während er ein paar Passanten ausweicht. Sehr niedlich. Dafür, dass er zu Beginn nicht sehr begeistert aussah, hat er jetzt ein Lächeln im Gesicht. Für das ich verantwortlich bin.

„Buh!" Jemand mit einer weiblichen Stimme fasst mir von hinten in meinen Kragen, wodurch ich erschaudere. Schnell drehe ich mich um und erblicke meine beste Freundin Lotte.

„Hey!", rufe ich begeistert und ziehe sie in eine Umarmung. „Was machst du hier?"

„Das sollte ich wohl eher dich fragen. Du gehst schließlich seit drei Stunden nicht an dein Handy."

„Ich äh – hab ein Date?", erwidere ich und schaue in Gabriels Richtung, welcher auf uns zugefahren kommt und einen Arm um meine Schulter legt, als er angekommen ist. Kurz muss ich mich anspannen. Mit so einer Reaktion habe ich nicht gerechnet. Gleichzeitig merke ich auch, wie meine Wangen eine rote Farbe annehmen, die nicht durch die Kälte kommt.

„Hi, ich bin Lotte", stellt sich das blonde Mädchen vor. „Hannes' beste Freundin." Mit ihren letzten Worten merke ich, wie Gabriels Anspannung gelockert wird und sich sein Arm auf meiner Schulter viel natürlicher anfühlt.

„Gabriel", ist alles, was er sagt.

„Okay, ich gehe dann mal wieder. Ich will euch nicht weiter stören. Sophie wartet auch bestimmt schon", lacht Lotte. „Aber nächste Woche müssen wir uns endlich mal wieder treffen, Hannes."

Als Lotte außer Sichtweite ist, nimmt Gabriel auch seinen Arm wieder weg und schon überkommt mich wieder die Kälte. Eben war es echt schön. Verlegen fährt er sich über seinen Kopf, der durch eine gelbe Mütze gewärmt wird. Als Schutz hat er sie sich doch noch angezogen. „Sorry."

„Alles gut. Ich finde bisschen Eifersucht süß."

„Ich war nicht eifersüchtig!"

„Ach habe ich mir deinen beschützenden Arm nur eingebildet?"

„... na gut, vielleicht war ich ein kleines bisschen eifersüchtig." Allmählich weiß ich nicht, was roter ist. Gabriels Gesicht oder die Kugeln am Tannenbaum.

„Lass' uns noch ein bisschen fahren", schlage ich vor, um ihn aus seiner Verlegenheit zu holen und halte ihm eine Hand hin, die er auch freudig nimmt.

Wir fahren noch ein paar Runden, ohne, dass Gabriel sich festklammern muss, er hält lediglich meine Hand. Was wiederum mich fast zum Hinfallen bringt, da ich kaum klar denken kann. Das Kribbeln, was von meiner Hand in meinen ganzen Körper strömt, kann ich noch nicht verarbeiten.

„Ich muss sagen, ich bin positiv überrascht", teil Gabriel mir mit, als wir uns wieder auf dem Weg zum Bahnhof befinden. Mittlerweile ist es schon dunkel eindeutig kälter geworden, sodass ich ab und zu unfreiwillig mit den Zähnen klappern muss. „Es war besser, als ich gedacht habe, wirklich."

Unwillkürlich muss ich grinsen. Ich bin sehr erleichtert und merke, wie eine Spannung von mir abfällt, die ich bis dato gar nicht bemerkt habe. Seine nächste Frage sorgt dann aber dafür, dass er mich komplett aus der Bahn wirft.

„Und was machen wir morgen?"

Ich hätte mir allem gerechnet, aber damit absolut nicht. Gabriel steckt noch voller Überraschungen,

„Findest du jetzt doch Gefallen an der Weihnachtszeit?"

„Nö. Aber an dir."

fröhlichen zweiten Advent :)

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