siebzehn

Anders als ich erwartet habe, hat Gabriel mir bis jetzt nicht geantwortet oder mir irgendein anderes Zeichen gegeben. Und es ist der nächste Tag am Abend. Mittlerweile hat er sie sogar gelesen und hat in seiner Story auf Instagram ein Video von seinem Mittagessen in der Unimensa und seinen Freunden gepostet. Offensichtlich bin ich am Boden zerstört. Leider bin ich an einem Punkt angekommen, an dem ich sauer bin und es ihm heimzahlen will beziehungsweise ihn auch verletzen will. Gleichzeitig habe ich etwas Angst, zu was ich beim Feiern in der Lage sein werde. Gabriel hätte wenigstens schreiben können, dass er nicht mehr mit mir reden will oder so, aber ghosten ist einfach uncool und macht mich aggressiv.

Pünktlich um 22 Uhr stehen tatsächlich Lotte und Valentin vor meiner Tür. Meine beste Freundin ist sehr aufgestyled, während mein bester Freund aussieht wie ich und wie immer. In ihren Händen haben sie eine angebrochene Flasche Saurer Apfel Schnaps, eine Flasche Korn, zwei Flaschen Cola und drei Dosen Red Bull. In meinem Zimmer trinken wir etwas vor, hören etwas zu laut Mickie Krause, spielen zu viele Runden Ich hab' noch nie, nach denen ich den Red Bull schon deutlich spüre und meine Freunde machen sich noch eine Mische für unterwegs. Ich schnappe mir noch den letzten weißen Energy und schon ziehen wir los.

Wie es mit zwei betrunkenen Menschen so ist, brauchen wir viel länger als nötig zur Reeperbahn, da Lotte und Valentin dauernd stehen bleiben, um die Sticker an den Häuserfassaden genau zu inspizieren und über gefühlt alles lachen, was sie und ich sagen.

Im Club angekommen, stürmen Lotte und Valentin direkt auf die Tanzfläche, während ich beschließe, mich erst einmal an die Bar zu setzen und mir etwas zu trinken zu bestellen. Der Raum ist sehr überschaubar. Es stehen ein paar Stühle an der Theke und noch ein paar Tische mit Stühlen und Bänken im Raum verteilt. Gegenüber der Bar ist ein großes Fenster, von dem man direkt auf die Tanzfläche schauen kann, welche auch schon gut befüllt ist. In der Mitte erkenne ich meine besten Freunde miteinander tanzen.

„Na, Süßer, was darf's für dich sein?", fragt mich die Barista. Ihre dunkelroten Haare sind in einen hohen Zopf gebunden und ihre Nase ziert ein Septum.

„Ich nehme eine Sprite", rufe ich über die Musik hinaus.

Die Frau schaut mich nur verständnislos an, als hätte sie mich nicht verstanden. „Mit einer Sprite verdien' ich hier nichts. Soll ich dir nicht noch einen Korn hineinmischen?" Sie klimpert mit ihren Wimpern.

„Ne, passt so", erwidere ich freundlich.

„Du bekommst dafür auch etwas", meint sie verführerisch und malt mit ihrem Zeigefinger Kreise auf meine Hand, die auf der Theke liegt und lehnt sich etwas zu mir herüber.

„Nein, danke", erwidere ich harsch und ziehe meine Hand weg. „Ist es jetzt verboten, keinen Alkohol zu trinken?"

Sie entfernt sich wieder von mir. Ein Glück. „Aufm Kiez schon weird."

„Ich will feiern. Nicht saufen", stelle ich klar.

„Und vielleicht in einer ruhigen Minute mit mir auf die Toilette? Wir haben eine nur für Mitarbeiter, da fällt es nicht so auf", versucht sie es erneut.

Verschreckt reiße ich meine Augen auf und ziehe meine Augenbrauen hoch. „Auf keinen Fall. Ich möchte nur meine Sprite haben. Nichts anderes."

Grimmig stellt sie mir das Getränk hin, mit dem ich doch auf die Tanzfläche verschwinde. Bloß weg von der!

„Hannes!", werde ich freudig von Lotte in den Arm gezogen und in ihren Tanz involviert.

Wir tanzen noch eine ganze Weile ausgelassen, in der ich wirklich endlich mal wieder loslassen konnte und nicht an Gabriel denken musste. Mein Glas habe ich irgendwo auf eine Box gestellt. Es gab nur mich und die um Längen zu laute Musik. Morgen werde ich nur noch stumpf hören können. Irgendwann sind Valentin und ich uns einig, dass wir eine Pause brauchen und setzen und an einen Tisch etwas abseits der Bar. Lotte will partout nicht mitkommen.

Als Valentin den Raum verlässt, um kurz auf die Toilette zu gehen, sehe ich am anderen Ende direkt eine Frau mit einem kurzen schwarzen Kleid aufstehen, die nun auf mich zu kommt.

„Hey", begrüßt sie mich schüchtern und setzt sich auf den Platz gegenüber von mir. Ihr Gesicht wird von schulterlangen brünetten Haaren eingerahmt. „Sorry, dass ich dich hier so random anspreche, aber du bist mir vorhin schon aufgefallen und ich wollte dich fragen, ob du vielleicht mit mir tanzen möchtest. Wenn du nicht tanzen magst, können wir vielleicht auch nur was trinken, wäre auch gut."

Sie ist wirklich süß und ich glaube, so nett und freundlich wurde ich noch nie in einem Club angemacht. Ich glaube, überall wurde ich noch nie so angesprochen. Ich wurde bisher zwar auch nur von Frauen angesprochen, aber immerhin etwas.

„Ey, ich bewundere deinen Mut, dass du zu mir gekommen bist, ich hätte mich das niemals getraut, aber ich stehe auf Männer. Also wir können gerne tanzen oder was trinken, aber dann solltest du wissen, dass es auch dabei bleiben wird."

„Okay, dann äh – will ich euch nicht weiter stören", stammelt sie und setzt zum Gehen an.

„Warte nochmal", halte ich sie grinsend auf. „Also der Typ, der gerade mit mir hier saß, ist mein bester Freund. Er steht auf Frauen und ist auch noch single."

Sie wird rot und grinst. „Danke für die Info." Und damit gesellt sie sich wieder zu dem Mädchen, mit dem sie vorhin an einem Tisch saß.

Manchmal hasse ich es, heteropassing zu sein. In brenzligen Situationen und Umfeldern ist es natürlich gut und ich habe im Alltag selten mit Diskriminierung oder Gewalt zu tun, aber nur von Frauen angesprochen zu werden, ist auf Dauer anstrengend. Und nie von Männern angesprochen zu werden, ist auf Dauer frustrierend. Ein Wunder, dass Gabriel es irgendwie gecheckt hat.

Als ich mein Coming Out bei meinen Eltern hatte, gab es kein ach, das haben wir doch schon gewusst, nein, sie waren sichtlich überrascht und ich habe solche Angst bekommen. Aber zum Glück gab es dann ein wir sind stolz auf dich, dass du dich gefunden hast und glücklich, dass du uns vertraust von meiner Mutter und ein sarkastisches und wir haben dir damals erlaubt, bei Julian zu übernachten von meinem Vater.

Als Valentin wieder da ist, sprechen wir angeregt über Silvester und was wir machen wollen, als ich einmal meinen Blick gedankenverloren über die Tanzfläche schweifen lasse. Ich sehe Lotte, wie sie mit einem großen schlanken Mann tanzt. Erst stolpere ich überhaupt nicht darüber, doch plötzlich fällt es mir auf und ich reiße meine Augen auf.

„Scheiße", rufe ich und rutsche meinen Stuhl herunter. Fast so weit, dass ich unter dem Tisch liege.

„Was ist denn jetzt los?", fragt Valentin lachend.

Nur mein Gesicht ist noch über der Tischplatte. „Da ist Timo. Und wenn Timo hier ist, ist Gabriel bestimmt auch nicht weit."

„Und er soll dich nicht sehen?"

„Genau", erwidere ich und merke, wie wenig Sinn das eigentlich ergibt. Auf der einen Seite habe ich schon Angst, dass er hier sein könnte. Aber auf der anderen Seite, kann es mir auch egal sein. Ich habe ein eigenes Leben unabhängig von ihm. Ich bin ihm nichts schuldig und nichts.

Langsam setze ich mich also wieder normal hin. Vorsichtig schaue ich noch einmal zur Tanzfläche. Lotte und Timo tanzen immer noch miteinander. Und sie sehen wirklich richtig glücklich aus.

„Starr da nicht so sehnsüchtig hin. Wir können auch so tanzen, wenn du willst."

Ungläubig schaue ich meinen besten Freund an. „Wie bitte?", lache ich.

„Vielleicht wird er dann eifersüchtig."

„Nein, danke, ich möchte mit meinem besten Freund bitte nicht sexy tanzen."

„Du weißt nicht, was dir entgeht." Da spricht der Alkohol aus ihm. Nüchtern hätte er das niemals vorgeschlagen. Nicht, dass er es nicht wollen würde, er hätte sich aber auf keinen Fall getraut.

Nach einiger Zeit gesellt sich auch Lotte wieder zu uns. Ohne Timo.

„Ist Gabriel auch hier?", frage ich sie leise, woraufhin sie nickt. „Ach du Scheiße."

„Er hat nach dir gefragt", erzählt Lotte. „Ich hab' gesagt, dass es dir gut geht und du hier richtig aufgehst."

Oh. „Danke." Irgendwie fühle ich mich gut mit dem Gedanken, dass er das von mir denkt. Auch wenn es eine glatte Lüge ist. Es ist gerade mal zwei Uhr und ich würde gerne schon nach Hause.

Lotte hat nur ein paar Schlucke ihres Getränks getrunken, als sie plötzlich aufgeregt ruft: „Oh, das ist der Hardstyle Remix von Last Christmas; wir müssen tanzen!", und Valentin und mich widerwillig auf der Tanzfläche zerrt. Zum Glück sind Timo, Gabriel und wahrscheinlich auch Luca und Fabian außer Sichtweite.

Nach dem Lied und noch ein paar weiteren Weihnachtssongs verschwinde ich unauffällig auf die Toilette, wo ich zum ersten Mal Ruhe habe. Die Musik höre ich nur noch stumpf durch die Wände und es scheint nur ein weiterer Mann hier zu sein. Als ich am Waschbecken stehe und mir Wasser in mein warmes Gesicht spritze, da ich ziemlich schwitze, sehe ich auch, wer die andere Person ist.

„Oh, hi", begrüßt mich ein lallender Gabriel, der neben mir ans Waschbecken torkelt. Durch den Spiegel versucht er, mich anzugucken, aber es ist eher ein Schielen.

„Hi", begrüße ich ihn leise.

Ich beobachte, wie er sich die Hände waschen will, aber immer den Seifenspender verfehlt, weswegen ich mich doch dazu entscheide, ihm zu helfen, anstatt so schnell es geht, zu verschwinden. Warum muss man auch über seine Grenzen hinaus trinken?

Als ich zum ersten Mal wieder seine Hände berühre, merke ich, wie sehr es mir wirklich gefehlt hat und was er immer noch in mir auslöst. Ich merke, wie sein Blick derweil auf mir ruht, wobei ich nicht weiß, ob er mich auch wirklich anschaut.

Ohne weitere Vorkommnisse wasche ich ihm seine Hände, doch als ich aufschaue, sehe ich, wie er mich sehnsüchtig anguckt. Ehe ich mich versehe, drückt er mich ans Waschbecken und presst stürmisch seine Lippen auf meine. Ich erwidere den Kuss, obwohl mir bewusst ist, dass ich es nicht tun sollte. Aber es ist wie eine Droge, dessen Entzug mich fast umgebracht hätte, da ich von ihr noch nicht losgekommen bin. Wir funktionieren noch genauso gut wie vor ein paar Tagen. Seine Hände sind plötzlich überall an meinem Körper und seine Zunge erkundet meinen Mund. Nach wenigen Sekunden steht alles bei mir unter Strom. Ich kralle mich an seinem Rücken fest, meine Beine fühlen sich an wie Wackelpudding.

„Zu dir oder zu mir?", fragt Gabriel außer Atem.

Ich realisiere gar nicht, dass er zu mir vorgeschlagen hat. Das Einzige, was ich realisiere, ist, dass wir gerade auf der Clubtoilette rumgemacht haben, obwohl ich sauer auf ihn bin.

„Zu niemandem", erwidere ich kalt und drücke ihn von mir weg, um den direkten Weg aus der Toilette zu suchen.

bisschen spät am Tag schon i know, aber ich wollt's unbedingt noch hochladen, damit ich nicht noch mehr hinterher hänge lol

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