sechzehn
Bis nachmittags habe ich gearbeitet und dann saß ich noch 90 Minuten in einer Vorlesung. Bei beiden war ich nicht annährend bei der Sache. In der Vorlesung habe ich nur missmutig auf meinem Blatt herumgekritzelt und irgendwelche Entschuldigungen sowie Rechtfertigungen aufgeschrieben. Mein Handy lag aufgedeckt neben mir, damit ich eine Nachricht von Gabriel auf keinen Fall verpasse. Doch sie kam nicht.
Ausgerechnet heute war Valentin nicht auf der Arbeit, weswegen ich mit Jonas zusammenarbeiten musste. Ich mag ihn, keine Frage, aber er ist nun einmal nicht mein bester Freund Valentin, bei dem ich mich hätte ausheulen können.
So musste ich den ganzen Tag meine Tränen zurückhalten und auf jede Frage, was heute mit mir los ist, antworten, dass alles in Ordnung ist, ich nur zu wenig geschlafen habe. Das ist sogar nur zur Hälfte gelogen. Ich habe definitiv zu wenig geschlafen und zu viel geweint.
Alle fünf Minuten habe ich auf mein Handy geschaut, bei jedem Vibrieren gehofft, dass er mir geschrieben hat. Selbst wenn es nicht vibriert hat, habe ich trotzdem drauf gehofft. Natürlich war heute auch noch sehr viel los, wo ich Ablenkung eigentlich nicht gebrauchen kann. Doch trotzdem habe ich es sechs Mal geschafft, einer Kundin ein falsches Getränk zu geben, fünf Mal geschafft, den falschen Preis zu nennen, vier Mal geschafft, zu viel Wechselgeld zu geben, drei Mal geschafft, zu wenig Wechselgeld zu geben, zwei Mal geschafft, das Getränk zum Überlaufen zu bringen, ein Mal geschafft, die Tasse fallenzulassen. Aber kein Mal geschafft, eine Minute nicht an Gabriel zu denken.
Kein Wunder, dass ich später mit Lotte und Valentin, der heute auf dem Geburtstag seiner Nichte war, um meinem Couchtisch herumsitze und Ben & Jerry's in mich hineinlöffle. Meine Freunde vernichten die Schokolade, die ich von Gabriel zum Nikolaus bekommen habe.
„Es kann doch nicht sein, dass er was komplett anderes gefühlt hat als ich", heule ich mit vollem Mund. „Es hat sich so echt angefühlt und so gut."
„Es war schon scheiße, was er gesagt hat, aber oft sagt man Dinge aus dem Affekt heraus", meint Valentin. „Ich glaub nicht, dass er es so gemeint hat, um ehrlich zu sein."
Lotte nickt zustimmend.
„Ihr seid meine Freunde! Ihr sollt sagen, wie toll ich bin und dass er mich nicht verdient hat", weine und lache ich gleichzeitig.
„Du bist toll, Hannes", sagt Lotte und tätschelt meine Schulter.
„Und Gabriel hat dich nicht verdient", sagt Valentin und legt seine Hand auf meine andere Schulter.
„Hab ich schon einmal erwähnt, wie sehr ich euch hasse?", frage ich theatralisch.
Beide nicken.
„Versuch doch nochmal, mit ihm zu reden. Vielleicht war es nur ein großes Missverständnis", schlägt Lotte vor.
„Er hat gesagt, mit mir zusammen zu sein beziehungsweise gewesen zu sein, ist ein Fehler. Was soll ich daran missverstanden haben?" Und ein weiterer Löffel voller Eis trifft auf meinen Mund. „Ich wollte einfach zu schnell zu viel und hab alles versaut."
„Weißt du, was du brauchst?", fragt Lotte plötzlich aufgeregt. „Ablenkung! Du. Ich. Valle. Morgen. Club."
„Bitte?", kommt es von Valentin, während ich sie nur missmutig anschaue.
„Lass uns morgen feiern gehen. Du schnappst dir 'nensüßen Typen und schon ist Gabriel vergessen."
„So einfach ist das bei mir nicht. Außerdem will ich niemand anderen."
„Sag' das nochmal, wenn wir im Club sind."
„Ich –"
„Keine Widerrede! Valle und ich holen dich morgen um 22 Uhr ab und wehe du bist dann noch im Pyjama." Sie scheint nicht mehr von der Idee abzubringen sein. Sie würde mich höchstpersönlich aus der Wohnung tragen.
„Aber was ist, wenn er darauf wartet, dass ich ihm schreibe. Und weil ich ihm nicht schreibe, denkt er, ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben? Und wenn er mitbekommt, dass ich feiern gewesen bin, denkt er doch erst recht, ich hab' abgeschlossen", rattere ich runter und stochere in meinem Eis herum.
„Mein Gott, Hannes, du zerdenkst mehr als ich", lacht Lotte.
„Du zerdenkst ja auch gar nichts", mischt Valentin sich nun ein, woraufhin Lotte ihm nur den Mittelfinger zeigt.
„Ich schreibe ihm jetzt", sage ich entschlossen, stelle den Eispott auf den Tisch und fische mein Handy hinter meinem Rücken hervor.
Hey :) können wir nochmal reden? Ich will nicht, dass das schon alles gewesen ist habe ich nach 15 Minuten überlegen endlich abgeschickt.
„Jetzt geht's mir etwas besser", meine ich.
„Wir gehen morgen trotzdem feiern", sagt Lotte trotzig, die nun mein Eis isst.
„Ja okay, wir könnten echt mal wieder feiern gehen", stimme ich ihr nun doch zu.
„I-ich glaube, ich muss dir langsam auch mal was erzählen. Lieber jetzt, als dass du es von jemand anderem erfährst", beginnt Lotte leise und stellt das Eis zurück auf den Tisch, woraufhin ich sie nur verwirrt anschaue. Was kommt jetzt? Kurze Zeit schaut auch sie mich einfach nur an, ohne etwas zu sagen. Ihre Augen strahlen Angst aus, die ich bei ihr sonst nie so sehe. Bis aus ihr „Ich hab' mit Timo geschlafen!", kurz und schmerzlos herausplatzt. Wobei schmerzlos wohl nicht ganz zutrifft, denn ich empfinde sehr wohl Schmerz bei dem Gedanken, dass meine beste Freundin mit dem besten Freund meines Freu- meines – meines ach-keine-Ahnung geschlafen hat.
Schockiert, aber auch verwirrt schaue ich sie an. „Wie? Hattest du nicht letzte Woche noch einen Crush auf diese Sophie?"
„Ja schon, aber das war ja nur ein Crush", erwidert sie leise.
Das war ja nur ein Crush. „U-und Timo?"
„Wir sind jetzt irgendwie zusammen", flüstert sie. „Wir lieben uns."
Und dann breche ich noch einmal komplett in Tränen aus. Schnell umarmt meine beste Freundin mich und fährt liebevoll über meinen Rücken.
„Aber du bist Lotte, du bist nie mit jemandem zusammen, geschweige denn liebst du jemanden", weine ich.
„Es tut mir so leid", schluchzt sie.
Wir sitzen noch eine Weile genauso da. Je mehr ich aber darüber nachdenke, dass meine beste Freundin mit Timo zusammen sein soll, desto wütender werde ich. Grob löse ich mich von ihr und schaue zu Valentin.
„Willst du mir vielleicht auch noch etwas erzählen, Valle? Vielleicht, dass du mit Fabian rumgemacht hast?", frage ich wütend.
Schockiert schaut er mich an.
„Sorry", murmle ich wieder leise. „Offenbar hab' ich meine Gefühle nicht ansatzweise unter Kontrolle. Wahrscheinlich ist deswegen der Streit auch so eskaliert. Ich find's nicht schlimm, dass du mit Timo zusammen bist, wirklich nicht. Es war einfach nur so plötzlich und ich bin wahrscheinlich neidisch. Ich freue mich aber für euch."
„Danke", flüstert sie und fährt sich verlegen durch die Haare.
Seitdem Lotte und ich uns kennen, war sie in keiner Beziehung, was erst einmal nichts Außergewöhnliches ist, wir kennen uns erst zwei Jahre, aber sie ist so ziemlich der unromantischste Mensch der Welt und hält auch nicht viel von der Liebe. Als sie mir erzählt hat, dass sie auf Sophie steht, war ich schon erstaunt, aber nach ihrem Geständnis heute bin ich aus allen Wolken gefallen.
Wie kann es jedoch sein, dass es bei den beiden schon so schnell funkt und in Liebe verwandelt hat und Gabriel und ich immer noch auf den Startpositionen verweilen?
Bis nachts schauen wir 2 Broke Girls, reden, lachen und essen Eis sowie Schokolade. Viel zu oft ging mein Blick auf mein Handy, welches mir nie eine neue Nachricht angezeigt hat. Als ich auch noch sehe, dass er bereits online gewesen ist, könnte ich schon wieder heulen. Immerhin hat er mich nicht auf gelesen gelassen. Mit wem er wohl geschrieben hat?
„Ich mochte Gabriel von Anfang an nicht", meint Valentin zum Abschied.
Traurig lächle ich ihn an. „Natürlich mochtest du ihn.
Wie ich meine besten Freunde liebe. Sie haben es für drei Stunden geschafft, dass ich mich besser fühle und nicht heulen muss. Bis sie aus der Tür sind und alles, was sich die letzten Stunden angestaut hat, zum Ausbruch kommt.
Zum Glück schläft Mario schon längst, sodass er mich nicht hört und ich mich ihm nicht erklären muss. Ich kann mich ja nicht einmal selbst erklären.
In meinem Bett lasse ich meinen Tränen freien Lauf, lasse sie mein Gesicht hinab rinnen, bis ich sie auf meinem Kopfkissen spüre.
kleiner Reminder, dass nächste Woche Weihnachten ist :)
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