achtzehn
Ermüdend schaue ich von meiner Zusammenfassung hoch. Mein erster Blick geht natürlich auf mein Handy, auf dem ich leider keine neue Nachricht vorfinden kann. Nach gestern hat Gabriel mir trotzdem nicht geantwortet. Ich habe es aber gehofft. Nicht, um zu schreiben, dass er es sich anders überlegt hat und nun doch mit zu meinen Großeltern kommen möchte, sondern vielmehr, um zu sagen, dass alles gut ist. Oder zumindest, um etwas zu gestern zu sagen. Offenbar ist wohl nicht alles gut. Vielleicht hätte ich ihn doch nicht so abblitzen lassen sollen? Aber ich wollte nun wirklich nicht in dem Zustand mit ihm schlafen und zum Reden war er zu betrunken. Er war für alles zu betrunken. Und mit ihm feiern, als wäre alles wie vorher, konnte ich auch nicht.
Mit noch immer gemischten Gefühlen fahre ich nach zwei Stunden mit der U-Bahn zu meinen Großeltern nach Winterhude. Dort wohnen sie in einem kleinen Haus mit Garten in einer ruhigen abgelegenen Straße. Zur Weihnachtszeit ist es bunt erleuchtet und mit Tannenzapfen geschmückt.
Meine Oma öffnet die Tür und zieht mich sofort in ihre Arme. „Hallo, Hanni-Schatz, schön, dass du da bist." Immerhin eine, die meine Anwesenheit zu schätzen weiß. „Geh ruhig schon durch ins Esszimmer. Michi, Anna und die Kinder sind bereits da. Ich muss noch mal kurz in die Küche."
Nachdem ich mich meiner Jacke und Schuhen entledigt habe, gehe ich der Anweisung meiner Oma nach. Als ich das Esszimmer betrete, werde ich sofort von meinen drei kleinen Cousins begrüßt. Sie hören auf die Namen Oskar, Emil und Anton und nach drei Jahren bin ich unglaublich froh, sie endlich auseinander halten zu können. Ich dachte immer, Drillinge existieren nur in Büchern und Filmen bis meine Tante Anna mit 37 doch noch schwanger geworden ist. Sie ist sechs Jahre jünger als meine Mutter, aber trotzdem hat so gut wie niemand mehr daran geglaubt, dass die beiden nochmal Kinder bekommen würden, nachdem ich schon fast erwachsen war. Cousins sind doch eigentlich im gleichen Alter hieß es damals. Lange mussten meine Tante und mein Onkel Michael sind so etwas anhören, bis wir uns alle einmal zusammengesetzt haben und realisiert haben, dass es nicht so sein muss. Bilderbuchfamilien existieren ausschließlich in Bilderbüchern.
„Annette und Lars wie immer viel zu tun?", fragt Michael an mich gewandt, nachdem ich mich auf einen freien Stuhl gegenüber von ihm an den bereits gedeckten Tisch gesetzt habe. „Und was ist mit Jana?"
„Ja, zu Weihnachten ist es doch immer besonders stressig im Laden", grätscht mein Opa, der neben mir sitzt, dazwischen. „Und Jana ist mit ihren Freunden zum Backen verabredet. Das muss sie unseretwegen nicht absagen."
Meine Eltern haben sich vor etwa zehn Jahren in meiner Heimatstadt mit einer Bäckerei selbstständig gemacht. Bis ich weggezogen bin, habe ich dort auch viel nebenbei gejobbt. Diesen Platz hat jetzt meine Schwester eingenommen.
„Na, hoffentlich haben sie wenigstens Weihnachten Zeit", meint Anna vorwurfsvoll, ehe sie den quengelnden Emil auf ihren Arm nimmt und hin und her wiegt.
„Bis jetzt haben sie es doch immer geschafft", entgegne ich.
„Ja, bis jetzt."
Während meine Tante mit der Situation nicht wirklich zufrieden zu sein scheint, hat sich mein Onkel schon längst zu Oskar und Anton auf den Boden gesetzt, um mit ihnen zu spielen. Gerade kurz vorm Essen wollen sie immer besonders viel Aufmerksamkeit.
„Warum bist du so vorwurfsvoll?", will ich ehrlich von ihr wissen. „Ist doch voll normal, dass man um Weihnachten herum mehr arbeiten muss als sonst. Du kennst das doch bestimmt auch noch von früher."
Bevor sie schwanger geworden ist, hat sie selbst in einem Restaurant mit unmöglichen Arbeitszeiten gearbeitet. Da war immer sie diejenige, die am ersten Weihnachtstag viel zu spät dazu kam.
Ihr Blick wird müde und erschöpft, ehe sie mit der flachen Hand über ihr Gesicht fährt, um etwas der Müdigkeit zu vertreiben. „Ich weiß es selbst nicht. Ich bin momentan sehr schnell gereizt. Ich will einfach, dass Weihnachten perfekt wird. Für die Kinder."
„Wann war Weihnachten bei uns denn bitte mal perfekt?", frage ich sie lachend. „Ich find's perfekt, wenn es nicht perfekt ist."
„Gott, Hannes, warum musst du so weise sein?"
Genau in dem Moment kommt meine Oma mit zwei Schüsseln mit dampfendem Inhalt in den Händen in den Raum und stellt sie auf den Tisch. Nach zwei weiteren Gängen kommt sie neben mir zum Stehen. „Und für dich, Hanni, habe ich extra Tofu mariniert und angebraten", teilt sie mir mit und legt fünf kleingeschnittene Stücke Tofu auf meinen Teller. Anschließend fülle ich mir Rotkohl und ein paar Klöße auf. Von der Bratensauce sehe ich lieber ab.
Die erste viertel Stunde redet keiner ein Wort, so vertieft sind wir in unser Essen. Nur die Kinder geben Geräusche von sich.
„Wie läuft eigentlich dein Studium?", fragt mein Opa mich. „Bist du bald fertig?"
Ich verschlucke mich fast an meinem Tofu. „Nein, ich bin noch lange nicht fertig. Aber es läuft ganz gut. Die Prüfungsphase ist für dieses Jahr erst einmal vorbei und bis jetzt habe ich alles bestanden."
„Super Hanni, wir sind echt stolz auf dich", sagt meine Oma mit dem Mund voller Rotkohl. „Wer war eigentlich der junge Mann, der an Nikolaus mit dir in der Kirche war?"
„Das äh –" Wahrheit oder Lüge? „Das war mein Freund." Lüge. Oder eher halbe Lüge.
„Oh Gott, mein Neffe wird erwachsen", meint Anna theatralisch. Möglicherweise weiß niemand außer meiner Mutter und meiner Schwester, dass ich schon einmal in einer Beziehung war. Bei weiteren Verwandten hatte ich noch ziemlich lange Hemmungen zu erzählen, dass ich schwul bin. Bei meinem Coming Out wussten meine Eltern, meine Schwester und meine besten Freunde es immer hin schon drei Jahre. Mittlerweile weiß es aber wirklich jeder. Sogar meine Uroma Hilde, die allein in Norwegen in einem kleinen abgeschotteten Haus lebt. Und gerade sie hat es unglaublich gut aufgenommen. Danach meinte sie noch, dass wir jetzt gemeinsam Männern hinterherschauen und anschmachten können. Immer wenn ich sie besuche (was leider nicht sonderlich oft vorkommt), machen wir das wirklich.
Ich bin sehr sehr froh und glücklich darüber, in so einer toleranten und offenen Familie gelandet zu sein. Das Privileg hat schließlich noch lange nicht jeder. Das habe ich bei vielen queeren Menschen in meinem Umfeld leider schon erlebt.
„Warum ist er heute nicht dabei?", will meine Oma wissen.
Weil er mich vielleicht hasst und wir gar nicht mehr zusammen sind. „Er schreibt morgen noch eine Klausur und konnte sich heute leider nicht freischaufeln."
„Lernen wir ihn dann an Weihnachten kennen?", fragt sie nun hoffnungsvoll. Sie hat immer davon geträumt, dass ich irgendwann mal einen Freund mitbringe. Sie ist immer die erste Person, die sich für mich freut.
„Ja, vielleicht", erwidere ich leise. Wahrscheinlich nicht.
„Meinst du, er spielt mit uns?", fragt mich mein kleiner Cousin Oskar mit vollem Mund, weswegen die Hälfte seines Essens auf dem Lätzchen landet.
„Bestimmt spielt er mit euch", antworte ich lächelnd. Dabei weiß ich gar nicht, ob wir uns überhaupt nochmal sehen werden. Hamburg ist groß und wir gehen nicht an dieselbe Uni. Wenn man sich aus dem Weg gehen will, ist es durchaus möglich. In meiner kleinen Heimatstadt bin ich meinem Ex ständig über den Weg gelaufen, was mich nahezu wahnsinnig gemacht hat. Ich glaube, ich bin auch erst vollständig über ihn hinweggekommen, als ich weggezogen bin.
Nachdem Anna, Michael und die Kinder fast direkt nach dem Essen gegangen sind, da die drei schlafen müssen und mein Opa die Küche aufräumt, habe ich mich noch zu meiner Oma ins Wohnzimmer gesellt.
„So Hannes, jetzt kannst du mir erzählen, was mit dir und diesem Mann ist. Niemand hört uns zu. Aber irgendwas ist da im Busch, oder?"
„Wie –"
„Ich habe zwei Kinder und fünf Enkelkinder. Und einen Mann. Allmählich habe ich ein gutes Gespür für sowas.
„Ja, also eigentlich sind wir zusammen, aber vor drei Tagen haben wir uns krass gestritten, er hat nicht mehr auf meine Nachrichten geantwortet. Gestern haben wir uns dann zufällig beim Feiern getroffen und uns geküsst, aber seitdem wieder Funkstille. Ich weiß langsam nicht mehr, was ich machen soll. Ich will ihn nicht verlieren." Ich werde zum Ende hin immer leiser und schaue meine Oma hilfesuchend an. Wenn sie keinen Ratschlag hat, wer dann? Meine Großeltern sind schließlich schon über 50 Jahre verheiratet.
„Das Wichtigste ist, dass du nicht aufgibst. Auf keinen Fall nach einem anderen suchen, bevor ihr es nicht geklärt haben. Nur weil ich euch einmal gestritten habt, muss nicht gleich die Beziehung vorbei sein. Wenn wir so gelebt hätten, hätten dein Opa und ich uns schon nach einem Monat wieder getrennt und nach spätestens sechs Jahren geschieden. Man muss sich zusammenraufen und gemeinsam das Problem bekämpfen. Und wenn er es nicht gemeinsam mit mir bekämpfen will, dann lass ihn ziehen. In Beziehungen braucht man kein Einzelkämpfer zu sein."
„Danke, Omi", seufze ich erleichtert, während ich sie fest umarme. Sowas habe ich gebraucht.
i'm so sorry, dass ich so hinterherhänge :( die Kapitel werden kommen, es ist nur die Frage wann lol
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