7 | Bettenschlacht
Mit Kind und Kegel fällt meine Schwester Susanne mit ihrem Mann Günni in das Haus ein. Anton und Emilia stürmen sofort ins Wohnzimmer und hinterlassen nasse Fußspuren auf Mamas heißgeliebten Langflor Teppich. Dort, wo ich eine saftige Strafpredigt bekommen hätte, lacht die stolze Oma nur auf und schließt ihre beiden Enkelkinder glücklich in die Arme. Dass meine Schwester mit ihrer Familie erst morgen Vormittag anreisen wollte, blendet sie geschickt aus. Mein Vater ist es, der das Wort ergreift, als Susanne ihren Schal und ihre Mütze abnimmt und fröhlich in die Runde winkt.
„Hallo Schatz", sagt er und kann seine Verwunderung nur schwer verbergen. „Wir dachten, ihr kommt morgen erst kurz vorm Mittag."
„Ach, weißt du, Papi", stöhnt Susi und lässt ihren schweren Mantel auf die Lehne von Onkel Alberts Stuhl fallen. „Die Kinder waren den ganzen Morgen so aufgeregt, da haben wir beschlossen, heute schon loszufahren." Während meine ältere Schwester sich dreisterweise noch im Stehen ein warmes Würstchen aus der Mitte des Tisches stibitz, versucht ihr Ehemann ohne viel Erfolg, den Kindern ihre Jacken und Schuhe abzunehmen.
„Deine Mutter und ich haben nicht genügend Platz, um euch alle hier für die Nacht unterzubringen", behauptet, mein Vater. Ich überlege. Platz gäbe es tatsächlich genug. Nur bezweifle ich, dass meine Schwester freiwillig für die Nacht in eines der kleinen Kinderzimmer ziehen würden. Onkel Albert schläft heute in dem alten Kinderzimmer meines großen Bruders, in dem nun der Computer meines Vaters steht. Da man damals die Kinderzimmer nach Größe und Geburtsjahr in absteigender Reihenfolge verteilt hat, ist das größte Zimmer folglich bereits belegt. Margret und „Kristian" sollen in Susannes Zimmer schlafen, welches ein großes Bett hat. Da ich allein angereist bin, reicht mir mein altes Kinderzimmer vollkommen aus.
Doch wer nun mitgezählt hat, versteht, was nun das Problem ist. Mags Zimmer, welches das kleineste unter dem Dach ist, hat nicht annähernd genug Platz für zwei Erwachsene und zwei kleine Kinder. Im Wohnzimmer wird meine Mutter die vier auch nicht schlafen lassen. Denn es ist bereits alles für den morgigen Tag dekoriert und die Gefahr, dass die Kinder irgendetwas anfassen, umstoßen oder gar kaputt machen, ist einfach viel zu groß. Das würde sie den beiden natürlich niemals unterstellen, aber ich weiß genau, dass sie das denkt.
„Wir legen eine Matratze auf den Boden in meinem Kinderzimmer und wir Erwachsenen schlafen im Bett", schlägt Susanne leichthin vor.
„Das geht nicht", wirft Maggie ein. „Kristian und ich schlafen in deinem Zimmer."
„Ihr könnt doch in deinem Zimmer schlafen", sagt Susanne bestimmt. „Dann kuschelt ihr halt", grinst sie bei dem Gedanken an das Neunzig Zentimeter breite Bett, das dort steht.
„Vergiss es!" Maggie sieht wütend aus. Und ich kann sie verstehen.
Unsere ältere Schwester war immer schon sehr spontan und hat sich selten vorher Gedanken gemacht, bevor sie etwas getan hat. Mit siebzehn ist sie aus- und in die Stadt gezogen und hat kurz nach ihrer Ausbildung mit einundzwanzig Jahren Günni geheiratet. Die Geburt von Emilia folgte ein knappes halbes Jahr später. Anton folgte keine zwei Jahre danach. Mit 25 gründete sie ihre eigene Firma für Handtaschen, die tatsächlich sehr erfolgreich geworden ist. Günni arbeitet in Teilzeit und betreut hauptsächlich die Kinder.
Für Susanne ist im Leben vieles gut verlaufen, weil sie einfach ihren Gefühlen gefolgt ist und gemacht hat, wonach ihr gerade der Sinn stand. Doch dass jede Entscheidung auch Konsequenzen für andere Menschen haben könnte, scheint sie manchmal einfach auszublenden. So wie heute. Als sie sich entschieden hat, einfach einen Tag früher anzureisen.
„Ihr könnt mein Zimmer haben", sage ich, ohne weiter darüber nachzudenken. „Ich habe immerhin eine Eins-Vierziger-Matratze. Mir macht es nichts aus unter dem Dach zu schlafen." Dankbar sieht Maggie mich an. Sicherlich hat es nicht zu ihrem Plan gehört, mit einem fast fremden oder nur wenig Bekannten Mann eine Neunzig Zentimeter Matratze zu teilen. Auch wenn es der attraktive Jules ist.
„Dann ist ja alles geklärt", freut sich Susanne und wirbelt einmal um die Kinder, um sie auszuziehen. Meine Mutter entschuldigt sich vom Tisch, um die Luftmatratze aus dem Schuppen zu holen und neue Bettwäsche zu beziehen. Sie tut mir leid. Ich überlege kurz, ob ich ihr helfen soll, als Maggie bereits aufspringt und ihr mit einem „Ich komme mit" nacheilt.
Nun steht auch mein Vater vom Tisch auf und begrüßt seine Tochter und meinen Schwager mit einer Umarmung. Die Kinder nehmen ihn und auch meinen Onkel sofort im Beschlag und betteln, dass er ihnen die Eisenbahn vom Dachboden holt. Mein Vater argumentiert halbherzig, dass das Wohnzimmer schon viel zu voll sei. Doch den flehenden Kinderaugen kann auch er nicht widerstehen. Und so machen sich die fünf auf, die Eisenbahn zu suchen. Auf einmal sind nur noch Jules und ich im Wohnzimmer. Die Stille, die nun herrscht, ist fast unangenehm. Ich will etwas sagen, doch weiß nicht, was. Jules scheint es ähnlich zu gehen.
„Zeigst du mir vielleicht die Zimmer?", fragt er und mein Herz beginnt gleich zu klopfen. Die Vorstellung, ihm mein Kinderzimmer zu zeigen, finde ich gleichsam aufregend wie peinlich. Immerhin sieht es darin noch genauso aus, wie ich es vor vielen Jahren verlassen habe. Sicherlich sitzen meine Teddys auf dem Bett und die alten Bilder von Bands, die ich heute als Jugendsünde bezeichnen würde, hängen an den Wänden. Doch so wie mein Vater den Blicken der Kinder nicht widerstehen kann, kann ich Jules den Gefallen nicht abschlagen.
„Gerne", höre ich mich sagen und gehe dann vor, um ihn die Treppe hoch in den ersten Stock zu führen.
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