15 | ... and a Happy New Year

„I'm Driving Home für Christmas", singe ich lauthals mit, als Chris Rea aus dem Autoradio meines neuen gebrauchten SEAT Ibiza schallt. Es ist schon später Nachmittag, als ich auf der Landstraße zum Haus meiner Eltern fahre.

Wie das kennt ihr schon? Stimmt. Es ist schon wieder Weihnachten und abermals bin ich allein im Auto unterwegs und singe zu der immergleichen Weihnachtsmusik. Aber habt ihr gemerkt? Ich fahre ein anderes Auto.

Was in der Zwischenzeit passiert ist? Mein Auto hat es gerade noch bis zur nächsten Werkstatt und von da aus auf den Schrottplatz geschafft. Die Reparaturkosten überstiegen den Wert des Autos um ein Vielfaches. Also fuhr mein Vater mich zum nächsten Bahnhof und ich fast zwanzig Stunden wieder zurück nach Hause. Das hat man also davon, wenn man nicht auf den Straßenverkehr achtet. Doch wenn ich ehrlich bin, habe ich zwar ein Auto verloren, aber dabei etwas viel Wichtigeres gewonnen.

Als ich gerade unter einer Laterne hindurch fahre, sehe ich in den Rückspiegel. Seit geraumer Zeit folgt mir ein anderer Wagen, der sich aus Richtung Hamburg auf den Weg gemacht hat. Drei Passagiere sitzen darin. Einer davon ist meine Schwester Maggie. Der Mann auf dem Beifahrersitz ist Torben, Maggies neuer Freund. Ein netter Kerl, der sie auf Händen trägt und den ich bei meinem letzten Besuch in Hamburg bereits kennenlernen durfte.

Als ich die Kurve erreiche, in der ich das letzte Jahr in den Graben gefahren bin, gehe ich bewusst vom Gas und rolle galant um die Biegung. Dieses Mal muss mein Auto heilbleiben. Denn dieses Mal werde ich nicht allein zurückfahren.

Nach ein paar weiteren Kilometern rolle ich auf den Hof meiner Eltern und bleibe auf dem Parkplatz stehen. Nur ein paar Sekunden später parkt der Wagen meiner Schwester neben mir. Ich schalte den Motor aus und steige aus dem Auto. Mein Weg führt mich direkt zur hinteren Beifahrertür, um den Fahrgast hinauszulassen und sofort in meine Arme zu schließen. „Hey, mein Schatz", begrüße ich ihn und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. „Ich habe dich vermisst", flüstert mir Jules zu.

„Und was ist mit mir?" Meine Schwester steht nun vor mir und breitet die Arme aus. „Ja, dich habe ich auch vermisst", gebe ich zu und drücke sie fest an mich. Torben schüttele ich zur Begrüßung die Hand. Dann nehme ich die meines Freundes in meine und wir gehen gemeinsam zur hell beleuchteten Haustür.

Wie ihr euch vielleicht denken könnt, war das letzte Jahr turbulent. Jules hat ein paar Wochen gebraucht, bis er eingesehen hat, dass ich vielleicht der Richtige für ihn sein könnte. Trotz der vielen Kilometer, die zwischen unseren gewählten Wohnorten liegen. Kurz nach Silvester hat er mich das erste Mal angerufen und wir haben drei Stunden lang telefoniert. Bis zu meinem Geburtstag im April haben wir uns fast täglich geschrieben oder telefoniert. An meinem Ehrentag hat er mich dann überrascht. Als es am Abend an der Tür klingelte, ahnte ich ja nicht, wem ich ein paar Momente später öffnen würde.

Jules war den ganzen Weg nach München mit dem Zug gefahren, nur um mich mit Jerry zu besuchen. Ab dem Abend war es uns egal, wenn wir uns nur alle paar Wochen mal sahen und den Rest der Zeit nur telefonierten. Auch Skype hat uns trotz der Entfernung ein paar schöne gemeinsame Stunden beschert.

Im Sommer sind wir das erste Mal gemeinsam in den Urlaub gefahren. Da wir weder ans Meer noch in die Berge wollten, fiel unsere Entscheidung auf einen Städte-Urlaub. Es war fantastisch. Wir gingen zusammen in Museen, hatten den gleichen Geschmack bei der Restaurant-Auswahl und waren uns sogar in der Wahl der Bettseite einig. Nur auf eines konnten wir uns nicht einigen: Unser fast fertiges Studium in einer anderen Stadt zu beenden!

Und so verblieben wir, für das letzte Semester unserer Ausbildung in den von uns gewählten Städten zu bleiben. Was ich ihm noch nicht erzählt habe, ist, dass ich meine Masterarbeit bei ihm in Hamburg schreiben werde, da ich die Recherchen dazu ortsunabhängig durchführen kann. Meine Schwester habe ich bereits eingeweiht und sie hat mir angeboten, ihre Wohnung zu übernehmen, da sie Anfang des neuen Jahres zu Torben ziehen wird.

Nachdem es zwischen den beiden so gut läuft, hat meine Schwester die Zähne zusammengebissen und mir zuliebe unsere Mutter angerufen. Die Beichte, dass Kristian eigentlich Jules ist, den meine Mutter bisher nur aus Erzählungen von Mags Job kannte und der nun mit mir ausgeht, hat meine Mutter zwar geschockt, doch ihr auch endlich klargemacht, dass ihr Sohn nun mal auf Männer steht. Als ich sie später selbst noch einmal angerufen habe, um den Weihnachtsbesuch zu planen, hat sie mich gleich gefragt, ob ich Jules mitbringen werde. „Er ist ja so ein netter junger Mann. Und wenn Maggie ihn nicht will... Hauptsache, er bleibt in der Familie."

Zu meinem Glück brauchte ich nur Sekunden, um Jules dazu zu überreden, an Weihnachten erneut mit zu meiner Familie zu kommen. Und da waren wir nun. Mein Engel Jules Kristian und ich, die Hände miteinander verschränkt und eine angenehme Anspannung im ganzen Körper. Ab diesem Weihnachten müsste meine Mutter sich ernsthaft überlegen, einen größeren Tisch zu kaufen. Oder endlich alle Familienmitglieder selbst bestimmen lassen, wer wo an welchem Tisch sitzt. Denn Traditionen, so schön sie auch sein mögen, können manchmal durchbrochen werden, um neuen Traditionen Platz zu machen.

Noch einmal drücke ich Jules Hand und lächele ihn an. „Wir schaffen das!", sagt er entschlossen und lächelt zurück. Als sich die Tür öffnet und warmes Licht auf die Stufen zu unseren Füßen fällt, atme ich noch einmal tief durch.

„Wir schaffen das!"

Ende

Und Euch Allen Frohe Weihnachten!
Mit wem ihr das Fest auch verbringen werdet, ich hoffe es sind die Menschen, die ihr liebt und die euch lieben und akzeptieren wie ihr seid.
♥️

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