Ungewöhnlich (3)

Ich hatte eigentlich vorgehabt zu warten, bis Mina zurück war, doch schlussendlich hatte es mir dann doch zu lange gedauert.
Wie konnte man nur so verdammt lange brauchen, um ein einziges Kleidungsstück auszusuchen?
Noch dazu eines, das man im ganzen Leben nur ein mal tragen würde?
Für mich klang das zugegebenermaßen nach einer Sache von 10 Minuten. Aber Mina war jetzt schon seit Stunden weg und mir war langweilig geworden.

Ich hatte die neue Herr der Ringe DVD also ohne sie entweiht.
Zugegebenermaßen von Schuldgefühlen geplagt spielte ich an meinem Verlobungsring herum, während Elrond im Film, der auf dem kleinen Fernseh lief, den Mina von ihrer Mutter geschenkt bekommen hatte, einen Haufen verschiedenster Wesen über einen ganz anderen Ring aufklärte.
Mina und ich vergötterten das Buch und hatten es gar nicht erwarten können uns die DVD zu kaufen.
Irgendwie waren wir nur ziemlich lange nicht dazu gekommen.

Kurz verließen meine Augen die Ratsversammlung auf dem Bildschirm und flackerten zur Tür. Das dauerte aber schon sehr lange. Normalerweise braucht Mina nicht so viel Zeit zum shoppen.
Um genau zu sein hasste sie es fast genau so innig wie ich.
Manchmal probierte sie die Sachen nicht einmal an und warf sie einfach so in den Einkaufskorb, aber vermutlich verhielt man sich, wenn man ein Brautkleid kaufen wollte, anders.

Ich verdrehte die Augen.
Vermutlich würde ich die Frauenwelt nie verstehen.
Als ob dieses Kleid so wichtig wäre.
Schlussendlich ging es doch um die Hochzeit, und nicht um das, was man dabei anhatte.
Ich persönlich hatte einfach den ersten Anzug genommen, der mir gut gepasst hatte.
Und irgendwie hatte ich von meiner Verlobten, die mir bei so etwas doch normalerweise sehr ähnlich war, auch erwartet, dass sie für das Kleid nicht sehr lange brauchen würde.
Wie sehr man sich doch täuschen konnte.

Ich seufzte und versenkte meine Hand wieder in der Chipstüte. Meine Augen klebten am Bildschirm. Mittlerweile war Boromir aufgestanden und behauptete, man solle den Ring doch für das Gute verwenden.
Ich verdrehte die Augen.
War nicht vorher sehr klar gemacht worden, dass der Ring böse war?
Man erkannte doch, wenn etwas Böses mit einem Raum war, man würde einem bösen Ding doch nicht vertrauen!
Nicht war?

Meine Hand in der Chipstüte erstarrte und ich fragte mich, ob ich vielleicht auf den Ring hineingefallen wäre.
Hätte auch ich einfach nicht akzeptieren können, dass etwas, das so klein und unschuldig aussah, so schön und fast schon vertraut, wie ein Schmuckstück, so unglaubliche Bosheit in sich tragen konnte?
Nein, bestimmt hätte ich es bemerkt!
Ich schüttelte diesen beunruhigenden Gedanken ab.
In so eine Situation würde ich schließlich niemals kommen.

Ich stopfte mir einige Chips in den Mund, kaute genüsslich und konzentrierte mich wieder auf den Film.
Plötzlich schrillte ein lautes Geräusch durch das Haus.
Die Türklingel.
Ich zuckte zusammen.
War war das denn bitte?
Mina hatte doch einen Schlüssel dabei!
War ihr etwas zugestoßen?
Nein, bestimmt war es nur die alte Nachbarin, der wieder einmal eine ihrer 24 Katzen entwischt war, oder Minas Vater, der mich nochmals darüber aufklären wollte, dass er mir mit seinem Jagdgewehr das Hirn rauspusten würde, sollte ich seine Tochter schlecht behandeln.

Mit einem genervten Seufzen hielt ich den Film an und erhob mich vom Sofa.
"Komme schon!", rief ich in Richtung Türe, während ich in meine Adiletten stieg und mir die Chipskrümel an der Jeans abwischte.

Die Klingel ließ erneut ihr wiederliches Kreischen durch das Haus schrillen.
Ich zog eine Grimasse. Hatte ich nicht gerade noch gesagt, dass ich schon unterwegs war?
"Ich komm ja schon!", schrie ich und lief eilig auf die Türe zu.
Bestimmt war es Minas Vater, elender, drängelnder Wichser!

Minas Eltern waren so unterschiedlich wie Tag und Nacht, auch was mich betraf.
Ihre Mutter war eine freundliche, ältere Dame, die niemals einer Fliege etwas zu leide tun würde und sie vergötterte mich.
Der Vater hielt mich für einen faulen Drecksack, der seine Tochter ausnutzte. Er war Hobbyjäger und machte keinen Hehl daraus, wie viel Freude es ihm bereitete Tieren den Garaus zu machen.
Ich konnte Herrn Jade nicht leiden.

Mit einer, zugegebener Maßen wohl ziemlich angepissten, Mine, öffnete ich die Türe.
Draußen stand, anders als ich erwartet hatte, nicht Herr Jade, sondern seine Tochter höchst selbst.
"Mina?", fragte ich vollkommen verwirrt.
Seit wann war meine Verlobte denn so ungeduldig?

"Hallo Schatzi! Ich bin wieder zuhause!", trällerte Mina und schloss mich fest in die Arme.

Schatzi? Dieser singsang-Ton? Das Klingen?
So verhielt sich Mina doch gar nicht!
Was zur Hölle war hier los?

"Hi, Funkelstern. Alles okay?", flüsterte ich in ihr Ohr und legte vorsichtig meine Arme um sie, während ich die Straße sorgfältig beobachtete.
War ihr jemand gefolgt?
Verhielt sie sich deshalb so seltsam?
"Aber natürlich! Alles ist super! Ich war shoppen,  Schatzi! Alles ist besser als okay!", rief Mina scheinbar überglücklich und kicherte gekünstelt.
"Ach wirklich.", gab ich trocken zurück, "Du hasst shoppen."

Für einen kurzen Moment glaubte ich zu sehen, wie Minas seltsame, überfrohe Art von ihren Zügen abfiehl und etwas anderes durch ihr Gesicht huschte.
War das Angst?
Wut?
Dann war es wieder verschwunden und meine Verlobte grinste wieder breit.

"Schatzi, ich habe meinen Schlüssel verloren, so tollpatschig von mir...", wechselt Mina eilig das Thema und lachte erneut dieses schrille, falsche Lachen.
Was ging hier vor? So lachte Mina doch nicht!
"Schon okay.", murmelte ich, "Soll ich die Sachen aus dem Auto holen, oder darf ich das Brautkleid noch nicht sehen?", fragte ich mit einem Grinsen und dem verzweifelten Versuch die Situation aufzulockern.

Erneut huschte dieser andere Ausdruck durch Minas Mimik, dieses Mal war ich mir ganz sicher, dass es da war. Dann grinste Mina wieder breit.
Zu breit.
"Ich... nun ich fürchte ich habe noch kein Kleid gefunden. Ich muss wohl noch mal in die Stadt fahren. In eine andere vielleicht nächstes mal."
"Alles klar.", murmelte ich, nickte und ging vor Mina her ins Haus.
Das war so... falsch. Mina gab nicht auf, bevor sie hatte, was sie wollte.
Irgendwie hatte ich ein verdammt mieses Gefühl dabei, sie so ins Haus zu lassen.
Es war fast, als hätte man meine Verlobte durch eine Perfekte Kopie ersetzt.
Eine fast perfekte Kopie.
Nein.
Das war lächerlich.
Ich schüttelte den Kopf.

Ich schlenderte zurück ins Wohnzimmer, vollkommen in Gedanken versunken.
Hatte ich etwas falsch gemacht?
War Mina sauer auf mich und verhielt sich deswegen so seltsam?
Oder war sie einfach nur von dem ganzen Hochzeitsstress übermüdet.
Bestimmt war es das.

Mein Blick fiel auf den Fernseher.
Gandalf und Elrond sahen mir mit vorwurfsvollen Blicken entgegen, fast als hätte ich gerade den einen Ring an mich genommen und verkündet, dass ich ihm vertraute und ihn für das Gute benutzen würde.
Plötzlich hatte ich gar keine Lust mehr auf den Film.
"Ach haltet doch die Klappe.", zischte ich den auf dem Bildschirm eingefrorenen Figuren zu und schaltete das Fernsehgerät aus.

Ich würde Mina einfach fragen, was nicht stimmte.
Mein Rumgedruckse war doch lächerlich, wir waren schließlich ein Paar, ein verlobtes sogar.
"Hey Mina...", rief ich und lief zurück in den Hausflur.
Die Liebe meines Lebens saß auf dem Boden und streifte ein Paar hochhackiger Sandalen ab.
Ich stutzte.

Ich hätte schwören können, dass Mina, als sie losgefahren war, ihre Lieblingswanderstiefel angezogen hatte.
Hatten wir nicht heute Morgen noch darüber gescherzt, dass sie in Wanderschuhen ein Brautkleid anprobieren wollte?
"Ich bin Geologin, Erik, ich darf das!", hatte mir Mina lachend mitgeteilt.
Daran erinnerte ich mich noch ganz genau!
Und auch ein Blick auf das Schuhregal bestätigte meine Vermutung.
Die Stiefel fehlten.

"Hey... wo sind deine Schuhe?", fragte ich vorsichtig.
Minas Kopf schnalzte zu mir herum, erneut war ihr Gesicht erfüllt mit dieser komischen Fratze.
Und... war das das Licht?
Lag ein Schatten auf ihrem Gesicht?
Es musste so sein!
Minas komplette Augen wirkten pechschwarz.
Mein Herz donnerte in meiner Brust.
Was war das für ein kranker Scheiß?
"M-m-mina?", stammelte ich.

Meine Verlobte schüttelte ihren Kopf, ihre sorgsam geglätteten Haare wirbelten um sie herum, dann sah sie wieder zu mir auf.
Sie grinste.
Ihre Augen sahen wieder aus wie immer.
Aber etwas stimmte nicht.
Ich brauchte einen Moment bis ich es sah und fragte mich im nächsten wie ich es hatte übersehen können.
Minas Zähne waren lang und spitz geworden.

Das Ding, das da auf dem Boden saß, das Ding mit dem Körper meiner geliebten Verlobten öffnete seinen Mund, nur um weiter spitze Zähne zu entblößen.
"Welche Schuhe, Schatzi?"

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