Dämonen und Halbgeschwister(4)

Ich konnte es nicht fassen.
Wie war das möglich?
Am ganzen Körper zitternd stolperte ich rückwerts.
"I-i-ich muss mal an die frische Luft.", stammelte ich.
Mina, oder besser das Ding mit ihrem Körper, versperrte mir den Weg zur Tür.
Sie lächelte breiter und legte den Kopf schief.
Ihre schwarzen Haare hingen in ihr Gesicht wie der Schleier einer trauernden Witwe.
"Aber wieso denn, Schatzi, wollen wir nicht ein bisschen Zeit mitbringen verbringen? Schließlich werden wir heiraten, Schatzi!" Sie kicherte.

Mir drehte sich der Magen um. Was war nur mit meiner Mina passiert?
Ohne ihr eine Antwort zu geben sah ich mich verzweifelt nach einem Weg um, auf dem ich gut an ihr vorbeischlüpfen konnte.
Vielleicht... vielleicht reichte es, wenn ich einfach schnell war.
Ich stützte an ihr vorbei, griff mir meine Schuhe und rannte aus dem Haus.
Erst, als ich die Treppe vor dem Haus bereits verlassen hatte zog ich die Schuhe an und ergriff schnellst möglich die Flucht.

Ich rannte durch die Straßen, immer bemüht möglichst viel Platz zwischen mich und das Ding, das aussah wie meine Verlobte, aber viel zu viele Zähne hatte, zu bekommen. Selbst als meine Lunge und meine Beine brannten, wie Feuer, mein Kopf sich anfühlte, als würde jemand darin gerade Umbauarbeiten mit einem Vorschlaghammer vornehmen und sich eine unangenehme Menge klebriger Schleim in meinem Mund gesammelt hatte, wagte ich es nicht das Tempo zu drosseln. Was wenn sie mir nachkam? Was wenn sie mich fressen wollte, oder so etwas?
Erst als ich die Innenstadt erreicht hatte traute ich mich anzuhalten und durchzuatmen.

Fahrig fummelte ich in meiner Hosentasche nach meinem Handy und klappte es auf.
Das schrille Piepsen, als ich die Nummer meiner baldigen Schwiegereltern eintippe beruhigte mich erwas.
Nein.
Ich würde die Jades nicht anrufen.
Frau Jade würde mir sagen, dass ich nur gestresst sei und mir eine Auszeit gönnen solle. Was ich gesehen hatte, war gar nicht echt, würde sie mir mitteilen, und fragen, ob sie Mina und mir ein Suppenrezept diktieren sollte.
Herr Jade dagegen würde seine US-Army Kumpels anrufen und meinen 'italienischen Arsch hochjagen', wie er mir ach so oft gedroht hatte. Auch daruf war ich nicht gerade scharf.

Die Eltern meiner Verlobten waren also definitiv nicht die richtige Anlaufstelle.
Ich seufzte frustriert und tippte die Nummer der einzigen Person, die mir in so einer Situation glauben, geschweigeden helfen, würde in das Handy ein:

Mein Halbbruder Andrea Costa, Mutters Kind aus erster Ehe, war ein Nerd, wie er im Buche steht.
Absolut fokussiert auf Horror Filme, Star Wars, Herr der Ringe und sämtliches Okkulte, rannte, oder besser gesagt fuhr, er allem nach, was einigermaßen nach Fantasy-Abenteuer, oder Chips roch.
Selbst wenn er mir nicht glauben würde, würde er der Versuchung in so einem spannenden Fall des Übernatürlichen herumzuschnüffeln, nicht widerstehen können.
Manchmal schien es, als lebe er gar nicht in der Realität, sondern in einer Blase der Fantasie. Er würde mir glauben.

Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis Andrea abnahm.
"Ey, kleiner Bruder. Schön, dass du dich mal wieder meldest!", rief die Stimme meines Halbbruders begeistert.
Im Hintergrund knisterte eine Chipstüte.
Ich grinste nervös.
"Hey, Andrea. Ich hab hier was, das dich interessieren könnte."
"Wirklich?", erneut knirschte die Chipstüte und mein Bruder biss geräuschvoll in etwas, das vermutlich ein Burger war.
"Wapf denn?", nuschelte er mit vollem Mund.

Ich zögerte.
Wie sollte ich ihm das denn erklären.
"Also... es geht um Mina."
"Will sie den Herr der Ringe nicht mit dir schauen? Kein Ding! Wir schauen ihn zusammen. Ich kann dir dann auch die Hintergründe erklären und..."
"Nein, nein.", wehrte ich schnell ab, "Es geht... sie ist... sie... sie... also... sie benimmt sich extrem seltsam. Und sie... ihre Augen... ihre Zähne... oh verdammt, Andrea, ihre Zähne!"

"Hä?", gab mein großer Bruder zurück und biss erneut in den Burger.
"Also.", setzte ich erneut an, "Bitte halte mich jetzt nicht für verrückt, aber Minas Augen waren pechschwarz, also, komplett und... ihre Zähne. Nun, zuerst einmal hatte sie viel zu viele und...", ich zögerte. Man, das klang sogar für mich völlig bescheuert und ich hatte es gesehen!
"Naja, ihre Zähne waren spitz. Wie kleine Messer! Das ist doch... ich weiß, das klingt wahnsinnig, aber ich habe es gesehen! Sie hat sich auch total komisch benommen! So überfröhlich und sie hat mich immer Schatzi genannt und gegrinst und so. Im ernst, Andrea, hilfe, ich gehe zu der alleine nicht mehr hin! Ich gehe nicht heim!"

"Wa... Aaalso. Das klingt nach einem Sukkubus. Wenn man das mal rein theoretisch sieht, natürlich. Also wenn man nach den Sagen geht. Die verführen Männer und ernähren sich von ihrer Energie... oder sie fressen sie. In manchen Geschichten über Sukkubi können die auch ihre Form verändern.
Das sind Dämonen...
Wenn... also wenn wir jetzt einfach davon ausgehen, dass Mina jetzt ein Sukkubus Dämon ist und das früher nicht war. Also... das würde bedeuten, dass der Dämon sie vermutlich gefressen hat. Oder sie einfach so gekillt hat."
Ich konnte hören, wie Andrea erneut in die Chipstüte griff.
"Aber das sind ja nur Legenden, muss ja nicht wirklich so sein.", hängte er noch schnell, mit vollem Mund an.

Ich begann zu zittern. Das Ding in meinem Haus hatte meiner geliebten Verlobten was angetan?
Tränen stiegen in meine Augen. Verdammt, das durfte doch nicht wahr sein!
"Andrea. Meinst du das ernst?"
"Mhm."
"Gib mir eine richtige Antwort Andrea, glaubst du, dass das wahnsinnige Teil in meinem Haus Mina... dass es sie... einfach umgebracht hat?"
Meine Stimme war seltsam schrill geworden.
Mittlerweile weinte ich.
Die Passanten starrten mich an.

"Mhm.", kam es aus der Leitung.
"Andrea, verdammt noch mal, Andrea, mio Dio! Meine Mina ist in Gefahr, oder... oder etwas schlimmeres!
Jetzt hör doch verdammt noch mal auf zu essen! Leg' deinen scheiß Burger weg und rede mit mir! Nimm das gefälligst mal ernst! Mina! Braucht! Uns!"
Ganz kurz zögerte mein Halbbruder. Ich konnte hören, wie der Burger raschelnden zurück in die Box wanderte und die Chipstüte knisternd von ihrem Platz, vermutlich auf Andreas Schoß, auf den Boden gesetzt wurde. Ganz vorsichtig, als seien die bescheuerten Fressalien eine unbeschreibliche Kostbarkeit.

"ANDREA! Reiß' dich zusammen! Was soll ich machen, wenn das so ein Sukki-Dings ist? Weihwasser? Kruzifixe? Silber? Ein Blutritual bei Vollmond?"
Erneut zögerte mein Bruder.
"Also... da sind sich die Quellen nicht ganz einig... und wenn du etwas falsches machst... naja."
Ich konnte Andreas Bedürfnis nach seinem Essen zu greifen förmlich spüren.
"Ich komm' vorbei. Wir treffen uns bei dir."
Entgeistert schüttelte ich den Kopf.
"Äh, ganz bestimmt nicht! Bei mir zuhause ist dieses Dämonen-Teil, schon vergessen? Ich lasse mich doch nicht fressen! Wir treffen uns..."

Ich überlegte. Wenn ich ein Männer-fressender Dämon wäre, wo würde ich unter gar keinen Umständen hingehen?
Natürlich!
"In der Kapelle, zwei Straßen von da, wo ich wohne. Da geht ein Dämon bestimmt nicht rein!"
"Mhm.", machte Andrea, "Gute Idee! Halte durch. Ich besorge ein paar Sachen, die wir brauchen, um den Sukkubus zu besiegen. Ich bin in zwei bis drei Stunden da."
Ich nickte grimmig.
"Bis dann, Bruder. Dieser kranke Dämon entkommt uns nicht."

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