24 | Nachts auf dem Friedhof
Als Bob auf den Hof kam, war Skinny überraschenderweise noch dort. Lässig lehnte er gegen seinen Sportwagen und rauchte eine Zigarette.
Neugierig ging Bob auf ihn zu. „Du bist ja noch da? Hätte gedacht, dass du dich längst aus dem Staub gemacht hast."
Skinny zog die Schultern hoch. „Der merkt doch nicht, ob ich noch hier bin oder schon weg. Und ich habe ein kleines Problem mit dem Auto."
„Du hast ein Problem? Ist der Wagen kaputt? Vielleicht kann ich dir ja helfen", bot Bob an.
„Das könntest du tatsächlich", antwortete Skinny mit einem schiefen Grinsen. „Der Tank ist so gut wie leer, und ich bin gerade ziemlich knapp bei Kasse. Der letzte Weg, den dieses Auto noch schafft, ist zur Tankstelle – aber ohne Geld..."
Bob blickte Skinny mitleidig an. „Ich wusste nicht, dass es bei dir so knapp ist, Skinny. Soll ich dir was leihen?"
Skinny zog an seiner Zigarette und blies den Rauch lässig aus. „Ich brauche deine Almosen nicht."
‚Natürlich', dachte Bob. Skinny war viel zu stolz, um Geld einfach anzunehmen. Da musste er einen anderen Weg finden.
„Und was, wenn ich dir einen Vorschlag mache?", fragte Bob vorsichtig.
Skinny sah auf, ein leichtes Funkeln in seinen Augen. „Jetzt bin ich gespannt, Andrews..."
„Also, ich habe zwei Tickets für die Red Devils am Mittwoch im Planet Evil", begann Bob zögernd, „und ich dachte, vielleicht könntest du mir helfen, die Karten loszuwerden. Eigentlich wollte ich mit Peter hingehen, aber er hat keine Zeit und ..."
„Du hast Karten für die Red Devils?" Skinny verschluckte sich fast vor Aufregung an seiner Zigarette und starrte Bob ungläubig an.
„Ja, jemand schuldete mir einen Gefallen, also hab ich die Karten bekommen", erklärte Bob. „Ich dachte, du könntest sie vielleicht verkaufen, und..." Doch bevor Bob seinen Plan weiter ausführen konnte, unterbrach ihn Skinny entschlossen. „Vergiss es! Ich gehe mit dir dahin!" Mit einem letzten Zug an der Zigarette ließ er sie auf den Boden fallen und trat die Glut mit seinem Schuh aus.
„Du willst mit mir aufs Konzert gehen?" Bob war überrascht. Das war nicht das, was er im Sinn gehabt hatte. Eigentlich wollte er Skinny eine kleine Provision für den Verkauf anbieten, nicht ein gemeinsames Konzert-Erlebnis.
„Du kannst die Karten auf keinen Fall verkaufen, Bob! Das sind die Red Devils, die wahrscheinlich geilste Band auf dem Planeten! Ihre Interpretation von ‚In the Middle of the Night' ist legendär!" Skinny grinste breit und zog die Augenbrauen spielerisch hoch. „Und du müsstest nicht allein hingehen, wenn ich dich begleite."
Bob wollte etwas erwidern, doch Skinny legte noch einen drauf: „Und wenn du willst, kannst du mich ja sogar dafür bezahlen, dass ich mitkomme. Wie klingt das für dich?" Sein freches Grinsen zeigte, dass er den Scherz nicht allzu ernst meinte – aber irgendwie auch doch.
Bob konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Also willst du mich retten und lässt mich dafür noch bezahlen? Ganz groß, Skinny. Ich frage mich die ganze Zeit, worin der Mehrwert für mich besteht", lachte er. So dreist wie Skinny musste man erst mal sein.
„Hey, du kannst mit einem gutaussehenden Mann wie mir auf ein geiles Konzert gehen. Win-Win!" Skinny grinste überheblich und streckte die Brust heraus.
Bob schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Okay, Skinner, ich nehme dich mit. Aber ich werde dich nicht für deine Anwesenheit bezahlen. Wenn du willst, kannst du am Wochenende für ein paar Dollar mein Auto waschen." Ein breites Grinsen zog sich über Bobs Gesicht.
Skinny lehnte sich betont lässig an seinen Wagen. „Wenn ich dabei nur meine Badehose tragen darf..."
Bob schluckte und dachte unweigerlich an den Tag am Strand zurück, als er Skinnys durchtrainierten Körper vielleicht etwas zu lange gemustert hatte. Die Erinnerung ließ ihn kurz stocken. „Das war ein Scherz, das weißt du, oder?", versuchte er die Spannung zu brechen.
Doch Skinny grinste weiterhin frech. „In jedem Scherz steckt doch ein Fünkchen Wahrheit, oder?" Er trat näher an Bob heran, und Bob konnte den Rauch riechen, der noch immer an Skinnys Gesicht klebte. Doch da war noch etwas anderes, ein vertrauter Duft – Moschus und Patschuli?
Skinny streckte die Hand aus und berührte Bobs Bein. Für einen Moment spürte Bob, wie sein Herz schneller schlug. Was hatte das zu bedeuten? Doch bevor er sich den Gedanken weiter hingeben konnte, merkte er, wie Skinny nach dem Autoschlüssel in seiner Jeanstasche griff und ihn triumphierend vor Bobs Nase hin und her schwenkte.
„Nehmen wir deinen Wagen zum Friedhof? Ich fahre auch."
Bob seufzte tief, griff nach dem Schlüssel des Käfers und antwortete mit einem schiefen Lächeln: „Na komm, steig ein. Aber ich fahre."
„Aye, Sir!" Skinny zwinkerte ihm zu und öffnete die Beifahrertür. Als Bob sich hinter das Lenkrad setzte, schob er mit dem Blick auf die Zigarette am Boden noch hinterher: „Lass das nicht zur Gewohnheit werden, Skinner."
„Natürlich nicht... Danke!" Skinnys Stimme klang mit einem Mal ehrlich, fast verletzlich, und das überraschte Bob. Es war selten, dass der sonst so coole und schlagfertige Skinny etwas sagte, das nicht mit einem spöttischen Unterton versehen war. Für einen Moment herrschte Stille im Auto, während Bob den Motor startete und die Finger fester um das Lenkrad schloss als nötig.
Während er die Einfahrt hinunterrollte, konnte er die Gedanken in seinem Kopf nicht ganz abschütteln. War das Flirten nur ein Spiel für Skinny? Oder steckte doch mehr hinter den frechen Bemerkungen und der beiläufigen Berührung? Die Mischung aus Anspannung und Nervosität machte es ihm schwer, klar zu denken. Er hatte Skinny nie wirklich als jemand gesehen, der Nähe suchte – zumindest nicht auf diese Art. Aber in den letzten Wochen war da etwas anders gewesen. Bob konnte nicht leugnen, dass er sich manchmal gefragt hatte, was hinter Skinnys lockerer Fassade wirklich vorging. Jetzt, wo sie allein im Auto saßen, fühlte sich alles plötzlich intensiver an.
Ein kurzer Blick zu Skinny verriet ihm, dass dieser entspannt wirkte, den Kopf zurückgelehnt und die Augen halb geschlossen, als würde er den Moment genießen. Doch Bob konnte das Kribbeln in seiner Brust nicht ignorieren. Die kleine Geste, die scheinbar harmlose Berührung – war es nur Zufall oder doch mehr?
Er schüttelte leicht den Kopf und zwang sich, sich auf die Straße zu konzentrieren. Aber die Gedanken ließen ihn nicht los. Vielleicht war es besser, das Ganze nicht zu überdenken. Oder vielleicht war es genau das, was er tun sollte.
🪦
„Justus hat das nicht böse gemeint, was er gesagt hat", meinte Bob schließlich, um die Stille zu durchbrechen. „Er sorgt sich nur um dich."
Skinny zuckte zusammen. Er hing gerade seinen ganz eigenen Gedanken nach. „Justus wird seinen Weg gehen, und dann werde ich immer noch hier sein. Er will es nicht wahrhaben, aber seine Vorstellung eines Lebens, ist nun mal nicht meine. Auch Peter wird nicht ewig hierbleiben. Sobald er die Möglichkeit bekommt, ist er weg."
Bob spürte einen leichten Stich und konnte einen bissigen Unterton nicht ganz unterdrücken. „Du scheinst dir da ziemlich sicher zu sein. Was, wenn du falsch liegst? Peter würde mich nicht einfach so zurücklassen."
„Nimm das nicht persönlich, Bob. Es hat nichts mit Loyalität zu tun. Einige von uns führen, andere folgen. Menschen wie Peter und Justus... die ergreifen ihre Chance, wenn sie sich ihnen bietet. Du solltest das auch tun."
Bob runzelte die Stirn und warf Skinny einen fragenden Blick zu. „Glaubst du, dass dir und Just das passieren wird oder mir und Peter?"
Skinny zuckte mit den Schultern, sein Blick blieb nachdenklich. „Ich weiß nur, dass unsere Zeit zusammen spätestens mit dem Ende des Schuljahres enden wird. Wenn nicht schon vorher."
„Das klingt fast so, als hättest du innerlich schon damit abgeschlossen," bemerkte Bob überrascht.
Skinny drehte sich zu ihm, fixierte Bobs blaue Augen. „Abgeschlossen? Nein, noch nicht." Einen Moment zögerte Skinny, dann fuhr er fort, mit einer Mischung aus Ernsthaftigkeit und einem Funken Trotz: „Ich werde Justus nicht kampflos aufgeben. Der Klugscheißer bedeutet mir was. Er mag ja in höhere Sphären abheben wollen, aber solange er hier ist, kämpfe ich um ihn."
Bob nickte anerkennend, beeindruckt von Skinnys Entschlossenheit. „Das ist gut zu hören. Man merkt, wie viel er dir bedeutet. Du gibst ihn nicht einfach auf, nur weil es kompliziert werden könnte."
„Danke", murmelte Skinny, der sich ein wenig aufrichtete. Bob schmunzelte und konnte ein leises Lachen nicht zurückhalten. „Du bist echt 'ne Marke, Skinny."
Doch plötzlich veränderte sich Skinnys Miene, und sein Ton wurde ernster. „Überleg dir gut, ob du wirklich eine Fernbeziehung führen willst, wenn es soweit ist." Seine Stimme klang ungewohnt nachdenklich. „Ich hab nicht viel Erfahrung mit festen Beziehungen, aber ich habe einmal jemanden gehen lassen, der mir wichtig war... und ich bereue es bis heute."
Bob bemerkte die Traurigkeit, die über Skinnys Gesicht huschte, bevor er seinen Blick abwandte und in die Ferne starrte. Bob wusste nicht, wer diese Person war, aber es musste jemand sein, der eine tiefe Narbe bei Skinny hinterlassen hatte.
„Wenn Peter weggeht, dann werde ich vielleicht mit ihm gehen", sagte Bob spontan, ohne weiter darüber nachgedacht zu haben. „Seine Karriere ist wichtiger als meine, und ich kann überall schreiben." Er lächelte. Vielleicht sollte er wirklich ernsthaft darüber nachdenken. So schlecht klang die Idee nicht.
Doch Skinny verzog das Gesicht und schickte noch eine weitere Frage hinterher, die Bob aus dem Konzept brachte: „Und wirst du dann auch an seiner Seite als offizieller Partner auftreten, als sein fester Freund?"
Bob öffnete den Mund, um zu antworten, aber die Worte blieben ihm im Hals stecken. Die Frage war unangenehm direkt und traf genau ins Schwarze. Er wusste, dass Skinny recht hatte. Also schwieg Bob, unfähig, eine Antwort zu finden, und lenkte stattdessen den Käfer schweigend von der Harvey Street bis zur kleinen Parkbucht neben der Kirche St. Annen. Dahinter erstreckte sich der alte Zentralfriedhof, umrahmt von hohen, stillen Bäumen, deren Blätter sanft im Abendwind raschelten.
Sie stiegen aus und gingen schweigend den schmalen Pfad entlang, der zum gusseisernen Tor führte. Das Tor wirkte schwer und alt, als würde es mit seinen eisernen Spitzen in der Dämmerung wachen. Noch war es früher Abend, und so schritten sie ungehindert hindurch, wie brave Bürger, die einem Besuch bei den Verstorbenen nachgingen.
Die Kiesel knirschten unter ihren Füßen, als sie langsam durch die Stille des Friedhofs gingen. Schließlich war es Skinny, der die Ruhe brach. „Also, was genau suchen wir hier eigentlich?" Seine Stimme klang gedämpft zwischen den hohen, alten Bäumen, die das Gelände säumten.
Bob überlegte kurz. „Keine Ahnung. Vielleicht ein Piratengrab. Oder irgendwas, das zu dem Zeichen aus dem Notizbuch passt. Halte einfach Ausschau nach irgendwas Ungewöhnlichem."
Skinny salutierte grinsend. „Verstanden, Chef!"
Bob lachte leise. „Normalerweise sagen wir das zu Justus, wenn er uns herumkommandiert."
„Von dir lasse ich mich gerne herumschleuchen." Skinny grinste verschmitzt.
Bob musste lächeln. Skinny nahm alles so locker, und auch wenn er wusste, dass das Flirten nicht ganz ernst gemeint war, war es irgendwie angenehm. Mit Peter war alles gerade so verkrampft und schwierig – mit Skinny hingegen fühlte sich alles leicht an, fast wie ein kleiner Ausbruch aus seinem Alltag.
„Okay, dann schau du auf der linken Seite, ich nehme die rechte", schlug Bob vor.
Skinny nickte und nahm den schmalen Pfad, der zwischen dunklen Baumstämmen hindurchführte. Er ließ seine Augen über die Namen und Inschriften schweifen, entdeckte hier und dort Zeichen, aber keine, die ihm bekannt vorkamen. Doch plötzlich hielt er inne. Ein Grabstein weckte seine Aufmerksamkeit. Auf der Inschrift stand:
Catherine und Julius Jonas
Vermisst, aber nicht vergessen
Skinny schluckte. Das musste das Grab von Justus' Eltern sein! Aus den Akten in der Zentrale wusste er, dass sie bei einem Flugzeugabsturz verschwunden waren und das Grab unter seinen Füßen leer war.
Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter. Hier, in der Stille des Friedhofs, schien ein Stück von Justus' Vergangenheit lebendig zu werden, und es überkam ihn eine tiefe Rührung. Fast andächtig legte er die Hand auf den kalten Stein. „Danke", murmelte er leise. Denn das war er. Dankbar dafür, dass Justus trotz allem zu dem Menschen geworden war, den er heute kannte.
In einiger Entfernung fiel sein Blick auf einen Strauß frischer Rosen, die auf einem anderen Grab lagen. Er ging hin, nahm eine einzelne Blume heraus und legte sie behutsam auf das Grab von Justus' Eltern. Er nickte dem Stein zu; eine stille Bestätigung, dass es Justus gut ging, und machte sich dann wieder auf den Weg durch die Reihen.
Bob hatte sich mittlerweile der Seite des Friedhofs zugewandt, die an die Straße grenzte. Die sinkende Abendsonne tauchte die alten Steine in ein warmes, goldenes Licht, während der Wind sanft durch die Baumkronen strich. Er wusste, sie würden hier etwas finden. Doch dann hielt er inne und dachte nach – der Gedanke, der ihm kam, war so offensichtlich, dass er sich fast ärgerte, es nicht früher bedacht zu haben: Die Piraten, deren Schatzkarte sie gefunden hatten, hatten ihre Zeichen vor fast 200 Jahren hinterlassen. Es war unwahrscheinlich, dass Spuren davon in den neueren Teilen des Friedhofs zu finden waren. Aber er wusste, dass es hier auch einen alten, verlassenen Abschnitt gab, der längst nicht mehr in Gebrauch war.
Entschlossen machte Bob sich auf den Weg dorthin. Der historische Teil des Friedhofs lag versteckt hinter einer Baumgruppe, wo die Pfade enger wurden und das Gras wilder wuchs. Die Grabsteine waren verwittert und schief, manche von Moos überzogen und kaum noch lesbar. Doch die Jahreszahlen auf ihnen ließen keinen Zweifel: Dies war der richtige Ort. Wenn Blutbart und seine Crew wirklich etwas hier hinterlassen hatten, dann war es hier, in diesem vergessenen Winkel der Geschichte Rocky Beachs.
Er war schon ein Stück gegangen, als ein Stein ihn plötzlich innehalten ließ. Er war anders als die anderen – fast gänzlich zerbrochen und doch war er nicht entfernt worden. Bob ging näher und sah ihn sich genauer an. Den Namen des Toten konnte man nicht mehr entziffern, doch er war verziert mit einem kaum lesbaren Symbol, das von Moos überwuchert war. Bob kniff die Augen zusammen und fuhr vorsichtig mit den Fingern über das Muster, um die Konturen freizulegen. Sein Herz begann schneller zu schlagen, als er das Symbol erkannte.
„Hey, Skinny! Ich glaube, ich habe was gefunden," rief er leise, doch die Aufregung in seiner Stimme konnte er kaum verbergen.
Es dauerte einen Moment, bis Skinny zu ihm aufschloss. Inzwischen war die Sonne hinter den Bäumen versunken, und die Schatten hatten den Friedhof in ein tiefes Dunkel gehüllt. Irgendwo in der Ferne rief ein Käuzchen. Skinny hatte die Taschenlampe seines Handys eingeschaltet und trat neben Bob.
Er beugte sich über den Stein, und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Na sieh mal einer an! Wenn das nicht das Symbol aus deinem Buch ist!"
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