11 | Mein, dein, unser Strand
Bob war gerade auf dem Weg zu seinem Fahrrad, als er noch einmal auf sein Handy schaute. Vorfreude erfüllte ihn, als er an den Abend mit Peter dachte, zu dem sie sich beim Mittagessen verabredet hatten, auch wenn sie nur kurz miteinander Zeit haben würden. Aber zwei Stunden waren besser als gar nichts. Erfreut stellte Bob fest, dass Peter sich bereits gemeldet hatte. Vielleicht kam er ja sogar heute früher raus.
Peterchen:
Hi Bob, es tut mir leid,
aber Jesse hat gefragt,
ob ich noch mit ins Diner komme.
Er will die Taktik wegen
des Spiels besprechen.
Wir wiederholen das, okay?
Bobs Gesicht verfinsterte sich. Soweit zu seiner Abendplanung. Er überlegte, ob Justus vielleicht Zeit hatte, um etwas zu unternehmen. Die Antwort kam prompt.
Just:
Heute nicht, Bob.
Ich muss die Unterlagen
für die Uni raussuchen.
Wir sehen uns morgen in Physik.
Bob seufzte. Dann würde er den Abend eben allein verbringen. Um sich abzulenken, beschloss er, zu Peter nach Hause zu fahren und noch eine Runde mit Buddy spazieren zu gehen. Mrs. Shaw sorgte sich zwar sehr gut um ihren Hund, aber Bob hatte versprochen, sich ebenso um ihn zu kümmern wie Peter.
Er fuhr mit dem Fahrrad zu dem einsamen Strandabschnitt, wo er Buddy auch ohne Leine ungestört laufen lassen konnte. Als er ankam, tobte der Hund sofort freudig am Wasser und jagte den Möwen hinterher. Bob zog seine Schuhe aus und vergrub seine Zehen mit jedem Schritt den er ging tiefer im warmen Sand. Es war ein herrliches Gefühl. Das Rauschen des Meeres spülte die schlechten Gedanken des Tages beiseite, und die Sonne wärmte angenehm seine Haut. Es fühlte sich an wie ein kleiner Urlaub, ein Moment der Entspannung, in dem er den Alltag und seine Gedanken hinter sich lassen konnte.
„Andrews?" Bob drehte sich überrascht um und blinzelte gegen die Sonne. Ein Jogger kam auf dem schmalen Strandabschnitt auf ihn zu. „Skinner?"
Skinny grinste. „Was machst du an meinem Strand?"
„Dein Strand?" Bob grinste zurück. „Ich wusste gar nicht, dass du jetzt Grundstücksbesitzer bist."
„Ähm... ich bin immer hier! Ich jogge hier regelmäßig!"
Bob lächelte und legte den Kopf schief. „Wollen wir ein Stück gemeinsam an unserem Strand spazieren gehen?"
Skinny zog einen Mundwinkel hoch. „Klar. Bist du allein hier?"
„Buddy ist bei mir", sagte Bob und deutete auf den Hund, der nun fröhlich auf sie zustürmte. Skinny ging sofort in die Hocke und begrüßte den kleinen Vierbeiner mit offenen Armen, während Buddy ihn freudig mit einem wedelnden Schwanz umkreiste.
„Einen tollen Hund hast du! Ich liebe die Energie, die er hat. Trotzdem ist er süß."
„Die perfekte Mischung seiner beiden Herrchen", witzelte Bob. Skinny schaute auf und grinste schelmisch. „Da stimme ich dir voll zu."
Bob lächelte verlegen, fühlte jedoch, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Hatte Skinny ihn gerade wirklich „süß" genannt? Zum Glück lenkte Skinny mit einer Frage ab. „Was ist das eigentlich für eine Rasse? Wisst ihr das schon?"
Erleichtert über den Themenwechsel, antwortete Bob: „Der Tierarzt meint, er sei ein Mix aus Jack Russell und Labrador. Vielleicht steckt noch was anderes drin, aber das konnte er nicht genau sagen. Auf jeden Fall erklärt das, warum er so viel Energie hat, oder Kleiner?"
Er ging ebenfalls in die Hocke und kraulte Buddy hinter den Ohren. Dabei streifte er unbeabsichtigt Skinnys Hand, die gleichzeitig nach Buddys Kopf griff. Überrascht sah er auf – direkt in Skinnys grinsendes Gesicht.
„Und du joggst hier oft?", fragte Bob hastig, während er sich wieder aufrichtete und den Sand von seinen Beinen klopfte.
„Mindestens zweimal die Woche", erwiderte Skinny entspannt und stand ebenfalls auf. „Als ich bei Justus eingezogen bin, wollte er eigentlich mitmachen, aber das hat nicht lange gehalten. Ich hätte echt mal wieder Lust auf Gesellschaft."
Bob nickte und setzte sich mit Skinny und Buddy in Bewegung. Der warme Sand knirschte leise unter ihren Schritten. „Kann ich mir vorstellen. Ist bestimmt schöner, wenn man nicht allein unterwegs ist."
„Definitiv." Skinny sah ihn aus dem Augenwinkel an und grinste. „Vielleicht hast du ja mal Lust, mitzukommen?"
„Frag doch Peter, ob er mitkommt. Laufen geht er ohnehin jeden Morgen."
„Ich soll mit Shaw joggen?" Skinny verzog die Mundwinkel und schüttelte leicht den Kopf.
Bob lachte. „Was ist eigentlich mit euch? Woher kommt diese ganze Feindschaft?"
„Es ist ja nicht meine Schuld, dass Peter so ein Idiot ist!" Skinny schnaubte.
„Vorsicht", mahnte Bob mit leicht erhobener Stimme. „Du redest hier von meinem Freund!"
„Noch ein Grund, warum ich ihn nicht leiden kann." Skinny grinste, als wäre das offensichtlich.
„Weil wir Freunde sind?" Bob schaute ihn irritiert an und hob eine Augenbraue.
„Weil er alles hat: den perfekten Körper, tolle Freunde, einen süßen Freund und einen niedlichen Hund." Skinny hob ein Stöckchen vom Boden auf und warf es weit weg, so dass Buddy begeistert bellend hinterherjagte.
„Einen süßen Freund?" Bob echote überrascht.
„Hast du doch selbst gesagt!" Skinny zwinkerte ihm zu, als er das sagte, und Bob fühlte, wie sein Herz einen Moment schneller schlug. „Also, wie sieht's aus – Lust zu baden?"
„Jetzt? Ich habe nicht mal eine Badehose dabei!"
„Ich doch auch nicht." Skinny trat näher und zog eine Augenbraue hoch. „Was ist los, Andrews? Hast du Angst?"
Bob lachte nervös und wich einen Schritt zurück. „Angst? Vor ein bisschen kaltem Wasser? Bestimmt nicht!"
„Na, dann los." Skinny zog sein Shirt über den Kopf und warf es in den Sand, die Hose folgte kurz danach. Nur in Unterhose ging er auf das Wasser zu. Bob blieb kurz stehen, beobachtete Skinny und merkte, wie sich in ihm eine seltsame Mischung aus Nervosität und Aufregung breit machte. Skinny war immer so direkt, so ungezwungen – das machte Bob nervös, aber auch neugierig.
„Okay, du hast es so gewollt!" Bob zog ebenfalls sein Shirt und seine Jeans aus und rannte hinter Skinny her in Richtung Wasser. Die kühle Meeresluft prickelte auf seiner Haut, während er auf die ersten Wellen zulief. Als er Skinny einholte, spritzte er ihn absichtlich mit einer Hand voll Wasser an.
„Hey!" Skinny lachte laut, wirbelte herum und spritzte zurück, das Wasser tropfte von ihren nackten Körpern. In dem Moment fühlte Bob sich plötzlich leicht, als würden alle Sorgen, die ihn noch vor wenigen Stunden bedrückt hatten, mit den Wellen weggespült.
„Du bist echt verrückt", keuchte Bob und wischte sich das Wasser aus dem Gesicht.
„Vielleicht", grinste Skinny und trat noch näher an ihn heran, so nah, dass ihre Gesichter sich fast berührten. „Aber besser verrückt als langweilig, oder?"
Bob spürte, wie sein Herz schneller schlug. Er erinnerte sich daran, wie Skinny ihn früher oft genannt hatte. „Findest du mich langweilig", brachte er schließlich unsicher heraus, während er Skinny in die Augen schaute, die in diesem Moment einen fast herausfordernden Glanz hatten.
„Schon lange nicht mehr!" Skinny grinste wieder und drehte sich um, um in die nächste Welle zu springen. „Komm schon, bevor die Sonne untergeht!"
Eine Weile tobten die beiden im Wasser herum, bis Bobs knurrender Magen das Spiel unterbrach. Gemeinsam mit Buddy gingen sie zurück zum Fahrrad. Skinny begleitete Bob den ganzen Weg, und als sie am Rad ankamen, hielten sie einen Moment inne.
„Das war echt ein schöner Nachmittag", sagte Bob, während er sich eine noch nasse Haarsträhne aus der Stirn strich.
„Fand ich auch", stimmte Skinny zu. „Können wir gerne mal wiederholen."
Bob lächelte bei dem Gedanken, Skinny bald wiederzusehen. Er nickte. „Komm gut nach Hause. Oder schläfst du bei Justus?" Skinny schüttelte den Kopf.
„Justus steckt tief in seinen Uni-Sachen. Ich übernachte auf meinem Boot im Hafen."
Bob lachte. „Dann gute Nacht, Kapitän!" Er salutierte spielerisch.
„Gute Nacht, Andrews." Skinny lächelte, warf einen letzten Blick auf Bob und machte sich auf den Weg.
🏴☠️
Dienstag
Thousand Oaks, Marin Street
„Skinny, wie geht es Ihnen heute?" Dr. Ferguson hatte ihre grauen Haare wie jeden Dienstag in einen langweiligen Dutt zusammengebunden und rückte ihre runde Brille zurecht, durch deren Gläser sie Skinny freundlich anblickte.
Das Zimmer in ihrer privaten Praxis in Thousand Oaks war ruhig und einladend. Die späte Nachmittagssonne strömte durch das große Fenster und tauchte den Raum in ein warmes, goldenes Licht. Feine Staubpartikel tanzten in der Luft vor den, in beruhigenden Pastelltönen gestrichen, Wänden. Eine Pflanze in der Ecke zog Skinnys Aufmerksamkeit auf sich, verbreitete sie doch einen Hauch von Leben und Frische.
„Ganz gut, denke ich", antwortete er, während er versuchte, sich in die ruhige Atmosphäre zu fügen, obwohl ihn die Erinnerungen an seine Vergangenheit oft überwältigten. „Ich habe einen Job und ein neues Zuhause. Meine privaten Dinge sind nun auf dem Boot und die Möbel bleiben in der Wohnung, die ich vor zwei Wochen gekündigt habe."
„Haben Sie das Gefühl, dass es in ihrem Leben nun bergauf geht?" Die ältere Frau saß in sich ruhend in einem Korbsessel und hatte Skinny wie jede Woche ein Glas Limonade angeboten. Ihr eigenes stand noch immer unberührt auf einem winzigen Flechttisch mit Glasplatte zwischen ihrem Sessel und dem Fenster.
Skinny saß ihr gegenüber auf einem Korbstuhl mit hohen Lehnen, in denen er sich erstaunlich geborgen fühlte. Sie hatte ihm bei ihrer ersten Therapiestunde die Wahl überlassen, ob er den Korbsessel, einen normalen Stuhl oder einen Bürostuhl haben wollte. Skinny hatte sich für den Korbstuhl entschieden, und jede Woche stand er für ihn bereit, damit er sich darin zurücklehnen und mit seiner Therapeutin über die letzten Monate reden konnte.
„Ich denke schon", antwortete er nachdenklich. „Es ist wahrscheinlich besser als alles, was ich die letzten Jahre im Leben erlebt habe."
Dr. Ferguson nickte und notierte etwas auf ihrem kleinen Notizblock. „Wie sieht es mit Ihren Albträumen aus? Träumen Sie noch jede Nacht von dem Angriff?" Skinny konnte nicht verhindern, dass erneut die Bilder des Angriffs auf ihn einstürzten. Die Teufelsfratze, die auf ihn gestürzt war. Dass er mit schmerzender Schulter auf den Fußboden der Zentrale gestürzt war. Das alles um ihn herum schwarz geworden und er dann gefesselt in seinem Zuhause wieder aufgewacht war.
„Es wird weniger. Wenn ich allein bin, ist es schlimmer." Unbewusst umklammerte sein heiler Arm die verletzte Schulter, die inzwischen fast nicht mehr schmerzte. Doch in Momenten wie diesen nahm er es noch besonders wahr.
„Und wenn sie mit jemandem das Bett teilen? Schlafen Sie dann besser?" Freundlich sah Dr. Ferguson ihren Patienten an. Auch wenn sie die fünfzig bereits weit überschritten hatte, kam sie Skinny sehr weltoffen und nahbar vor. Zumindest hatten sie sich bisher gut verstanden und Skinny war bereit, ihr zu vertrauen. Er nickte.
„Können Sie mit dieser Person über Ihre Erfahrung sprechen?", hakte Dr. Ferguson nach.
„Wir reden eigentlich nicht darüber, was passiert ist. Aber es hilft mir, dass er da ist." Die Frau schrieb etwas in ihr Buch und sah dann wieder auf.
„Haben Sie außer Ihrem Freund noch andere Menschen, die Ihnen in dieser schwierigen Zeit helfen? Freunde oder Familie?"
„Ich denke schon. Einem Menschen würde ich beinahe alles anvertrauen."
„Vielleicht fragen Sie diesen Menschen einmal, ob er Ihnen zuhören möchte. Es könnte Ihnen guttun, sich mit einem Freund auszutauschen. Sie müssen nicht alles allein tragen."
Skinny nickte nachdenklich. Die Vorstellung, jemandem seine innersten Ängste und Erlebnisse anzuvertrauen, schien gleichzeitig beängstigend und befreiend. Er hatte seinem Freund bisher nie wirklich in seine Albträume eingeweiht, aus Angst, ihn zu belasten.
„Es ist wichtig, dass Sie sich nicht isolieren", fuhr Dr. Ferguson fort. „Traumatische Erfahrungen können überwältigend sein, aber das Teilen dieser Erfahrungen kann dazu beitragen, die Last zu verringern. Darüber hinaus gibt es auch Techniken, die Ihnen helfen können, besser mit den Albträumen umzugehen."
„Ach ja?", fragte Skinny interessiert.
„Zum Beispiel können wir an einer Technik namens 'Imagery Rehearsal Therapy' arbeiten," erklärte Dr. Ferguson. „Dabei schreiben Sie Ihre Albträume um. Sie ändern das Ende oder die Ereignisse so, dass Sie die Kontrolle übernehmen und ein positives Ergebnis erzielen. Durch das wiederholte Durchgehen dieses neuen Szenarios können Sie die Macht Ihrer Albträume über Ihr Bewusstsein verringern."
„Das klingt... irgendwie logisch", murmelte Skinny noch nicht ganz überzeugt. „Aber was, wenn es nicht funktioniert?"
„Es gibt immer Alternativen", antwortete Dr. Ferguson beruhigend. „Zum Beispiel Entspannungstechniken wie progressive Muskelentspannung oder Atemübungen, die Ihnen helfen können, zur Ruhe zu kommen und Ihre Angst zu mindern. Es kann auch hilfreich sein, ein Traumtagebuch zu führen, um die Muster und Auslöser Ihrer Albträume besser zu verstehen."
„Ein Traumtagebuch?" Skinny runzelte die Stirn. Er hatte noch nicht einmal in seinem Leben ein Tagebuch geschrieben. Und nun sollte er seine Träume niederschrieben? Noch dazu jene, die ihn jede Nacht unerbittlich verfolgten und an das Erlebte erinnerten? Aber er war seit Wochen müde, weil er fast jede Nacht aufwachte, besonders, seit er seltener bei Justus übernachtete. Vielleicht konnte er das Problem tatsächlich in den Griff bekommen. „Wie genau würde das helfen?", wollte er von der Therapeutin wissen.
„Indem Sie Ihre Träume aufschreiben, können Sie sie klarer analysieren und möglicherweise wiederkehrende Themen oder Trigger identifizieren", erklärte Dr. Ferguson. „Das Bewusstsein darüber, was Ihre Träume auslöst, kann Ihnen helfen, Strategien zu entwickeln, um mit diesen Auslösern umzugehen. Außerdem kann das Schreiben selbst eine kathartische Wirkung haben."
Skinny atmete tief durch und lehnte sich in seinem Korbstuhl zurück. Es war viel zu verarbeiten, aber er fühlte sich ermutigt. Zum ersten Mal seit langem hatte er das Gefühl, dass es einen Weg aus seiner Dunkelheit geben könnte.
„Danke, Dr. Ferguson", sagte er. „Ich werde es versuchen."
Dr. Ferguson lächelte ihn an, aufrichtig und ermutigend. „Das ist der erste Schritt. Denken Sie daran, dass Heilung Zeit braucht und dass es in Ordnung ist, Unterstützung zu suchen. Sie sind nicht allein auf diesem Weg."
Skinny nickte erneut, ein Hauch von Hoffnung in seinen Augen. Er wusste, dass es ein langer und schwieriger Weg sein würde, aber mit Unterstützung und den richtigen Techniken konnte er vielleicht eines Tages wirklich wieder Frieden finden.
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