Kapitel 9 - James
Es dauerte eine Weile, fast schon zu lange, bis Meira sich endlich blicken ließ. Sie war zu spät. Eine ganze halbe Stunde zu spät. James hatte schon erwägt, sie hierher eskortieren zu lassen. Das Einzige, das ihn davon abhielt, war, dass sie ohnehin schon vor der Tür stand. Sie verschwendete seine Zeit, ohne dabei eine Szene zu provozieren. Kluges Mädchen. Kein Wunder, dass Cleo mit ihr ins Bett gestiegen war. Intelligenz konnte extrem heiß sein.
Mit dem Rücken zu ihr starrte er auf die Überwachungskameras. Das Wasser sollte bald kommen. Bereits jetzt begannen Arbeiter, sich aus der Kuppel zu schleichen. Ebenso die Handvoll der anwesenden Unterstufen. Die Neulinge dachten sich nichts dabei, vermuteten wahrscheinlich ein Essen oder ein Willkommensfest. Selbst Luis tat es als unwichtig ab. James hatte wirklich mehr erwartet. Er saß einfach nur da, lachte und unterhielt sich mit Meiras kleiner Truppe. Es bestärkte seine Entscheidung nur.
"Ich will, dass du ihn nimmst."
"Du willst, dass ich ihn ficke?", sagte sie mit ihrer patentierten 'Kannst du noch mehr Unsinn labern'-Stimme. "Ich bin lesbisch, James. Das weißt du."
"Nicht -" Er biss frustriert die Zähne zusammen und schnalzte mit der Zunge. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. "Nicht die Art von nehmen." Bei den Göttern, missfiel ihm ihr Sprachmuster. Immer so vulgär. Als wäre sie zu dumm für etwas Besseres. Typisch Meira Emerson halt.
Ein ungläubiges, beinahe panisches Schnauben entwich ihr. James konnte es ihr nicht verübeln. Heute Morgen hätte er auch nicht damit gerechnet, dass er ihr seinen neuen Bauern aushändigen würde. Sie wusste ja noch nicht einmal, dass er ein Spion war. Hatte es bei Cleo auch nicht gewusst noch bei ihren Vorgängern.
"Dada dam! Es ist noch unsinniger geworden." Als ihr die Ernsthaftigkeit jedoch bewusst wurde, seufzte sie mit einer Mischung aus Resignation und Argwohn. Ja, die Situation war mehr als unvorteilhaft. Ihm wäre es auch lieber, wenn er Luis zurechtschleifen und ihn dann wieder in seine Reihen eingliedern könnte. Umso höher er ihn in der Rangordnung bringen konnte, umso besser.
"Wieso?"
Das konnte er ihr jedoch nicht sagen. So verzweifelt war er bei weitem noch nicht. Also schob er seine Hände in die Hosentaschen und zuckte mit den Schultern, das perfekte Bild der Desinteresse. "Hab besseres zu tun."
"Was könnte so wichtig sein, dass du-?"
Er schüttelte den Kopf "Unwichtig." Und das war es auch - zumindest für sie. Es hatte weder etwas mit dieser Einrichtung zutun noch mit ihr persönlich. Es war sein Problem, Rhyllis' auch, wenn sie sich entschied, an Board zu kommen.
"Äh sehr wohl wichtig. Du bist Studentenführer des Kontrollzweigs. Verstehe zwar noch immer nicht wieso aber wenn du Zeit für Extracurriculars hast-"
"Hab ich nicht", unterbrach er sie. "Ich trete zurück."
"Ach? Planst dich etwa bei Mami einzuschleimen?" Er wies ihre Frage ab. Sie würde es ohnehin bald sehen. Einfach so zurücktreten konnte er nicht - das Semester hatte bereits begonnen. Wenn er jedoch genügend Aufsehen erregte, dann - nun ja - das Institut konnte sich keinen schlechten Ruf leisten.
Die Laptops piepten einmal, zweimal, dreimal und läuteten den Beginn der Aufnahmeprüfung ein. Jetzt würde sich zeigen, wer mehr als nur eine Kostprobe Magie verdient hatte.
Die Rohe platzten und Wasser begann von oben die Kuppel zu füllen. James wusste noch genau, wie er gehandelt hatte, wie die Panik ihn ergriffen hatte, sein einziger Gedanke 'Nicht schon wieder' und er ein Loch in die Kuppel mit den Küchenutensilien gebrannt hatte. Eine Überreaktion, das Wasser war ja nicht dazu gedacht, die Neuen zu ertränken, vielmehr um ihr Verhalten abzuschätzen und sie in die richtige Richtung zu pferchen.
Luis' Ansatz war zumindest einmal etwas anderes. Statt vor dem stetig steigenden Wasser zu flüchten, versuchte er sich einen der älteren Studenten zu schnappen, ein erfolgloses Unterfangen, doch gar nicht mal so ein schlechter Einfall.
Und dann ging alles den Bach hinab. James verstand, was er vor hatte. Er wollte die magischen Fähigkeiten der anderen durch ihre Genetik bestimmen. Ein netter Trick, doch nicht gerade eine sehr genaue Methode. Laut seiner Taktik müssten die Chancen - seine Großeltern waren aus Indien, oder? - drei zu fünf stehen, dass er mit Schlangen sprechen konnte. James würde jedoch glatt dagegen halten, Persönlichkeit spielte eine viel größere Rolle in der magischen Entwicklung. Wenn er oft mit Schlangen konfrontiert wurde und eine starke Emotion mit ihnen verband, standen die Chancen gut, dass er sie zum Teetrinken einladen konnte.
Zudem schien sowieso keiner der Neuankömmlinge auf ihn hören zu wollen. Einen Abdichtungszauber würde er auf die Weise nicht in die Hände bekommen. Er wirkte mehr verrückt als autoritär, wie eine Gefahr - James würde sich an deren Stelle auch nichts von ihm sagen lassen.
Einige von ihnen versuchten das Glas zu durchbrechen - viel Glück dabei, James war sich sicher, dass nach seinem Auftritt nicht einmal ein Halbgott, da durchkommen würde - andere suchten nach einer Möglichkeit den Sauerstoff für später abzukapseln, die Meisten jedoch standen einfach nur dumm da und diskutierten.
"Glaubst du, er macht oben oder unten?", fragte Meira iin schließlich.
Er brauchte nicht lange zu überlegen. Die Antwort war klar. "Oben." Die andere Richtung wäre ihm einfach zu Riskant. Lieber einen überdimensionalen Feind, den man sehen konnte, als herab in unbekannte Gewässer. James hatte damals dieselbe Entscheidung getroffen, Meira die Gegenteilige. Sie hatte sich die Dunkelheit zum Vorteil gemacht und war einfach hindurchgeschlüpft.
Eben diese Gewieftheit, diese Frechheit war es, die sie in den Deceptionzweig verfrachtet hatte. Ein Zweig, in dem sie wirklich aufging. Heute hatte sie ja sogar an Angelinas Willkommensrede teilgenommen. James hätte eigentlich auch dort sein müssen, als Repräsentant der Schwarzen, jedoch hatte er komplett darauf gepfiffen. Er hatte wirklich besseres zu tun, als einen auf Schaufenstermodell zu machen.
Meira aber konnte kaum genug von der Aufmerksamkeit bekommen und obwohl er Luis nicht so einschätzte, glaubte er doch, dass dieser gut bei ihr aufgehoben wäre. James hatte sich von Cleo seine Akte schicken lassen. All seine Strategien basierten auf Tricks und unfairen Bedingungen. James konnte ihm in keinem anderen Zweig besser sehen.
Ein weiteres Licht an den Laptops flackerte mit einem kleinen Piepton auf. Der Kontrollraum hatte die Projektion der Karte begonnen. Eine Stimme erklang, nicht durch den Laptop, sondern durch die Decke. Zwar geschützt vor den Fluten, war das Kellerkammerl, in dem sie sich befanden, nicht gerade Schalldicht. Es war Angelinas Stimme, die seiner ach so tollen Mutter.
"Verzeiht den Schrecken, ich versichere euch, das Wasser wird nicht weiter ansteigen." Und getreu ihren Worten stoppten die Rohre ihre Wasserspuckerei und hielten den Pegel auf Wadenhöhe im ersten Stock. "Jedem von euch bleiben jetzt drei Optionen. Irgendwie müsst ihr aus dem Gebäude zu einem der zwölf Tore kommen." Zwölf verteilte Punkte flackerten über das zehn Kilometer weite Gelände zwischen der Kuppel und dem Schulgebäude selbst. "Ihr könnte euch einen Weg durch die Tiefe bahnen oder euch durch das Terrain kämpfen. Die dritte Option: Ihr steigt aus, wir holen euch hier raus und ihr geht heim. Für alle, die letzteres vorziehen, bleibt einfach dort, wo ihr gerade seid. Wählt Weise und möge eure Intelligenz euch nicht verlassen."
Gerade als das letzte Wort über ihre Lippen rollte, öffnete sich die Kuppel sowohl von oben als auch von unten, wo zuvor das Podest herausgekommen war. Es war ein sanfter Übergang, kein knarrendes Metall, nur Stille in aller Ohren. Und dann ertönte ein schriller, heftiger Schrei aus den Tiefen des Wassers. Er zitterte durch das Glas, durch die Tische und Monitore. Es ging James bis ins Mark, das Geräusch nicht so fern unter ihm, wie er es gerne gehabt hätte.
Die Neulinge hatten kaum eine Sekunde Zeit, um sich zu sammeln, da brüllte ein ähnlicher Klang von oben, nur tiefer, so viel tiefer. Breite Flügel drückten heftige Winde in das Innere der Kuppel, als der Drache eine Kiste mitten in die Menge reinfallen ließ. Es war ein Wunder, dass niemand zerquetscht wurde, zumindest für die Weißen. Für James, der den Mechanismus dahinter verstand, war es kalkulierte Präzession.
Zischend offenbarte die Kiste ihr Inneres und brachte alle möglichen Hilfsmittel hervor. Tauchflaschen, Neoprenanzüge, Kletterrhacken, Seile, Gurtwerk, Taschenlampen, Taucherbrillen und feuerfeste Handschuhe. Sogar ein Sack Wunderkraut war für die Mutigen dabei, ein blaues Wassergewächs, das einem bei Verzerr erlaubte, bis zu vier Stunden unter Wasser zu atmen. Auch wenn einem dadurch kein Schwanz oder ähnliches wuchs.
Die Neulinge drängelten zu der Box, stießen und traten, um so viel wie möglich abzustauben. Und Luis? Der setzte sich einfach auf den Boden, den Rucksack zwischen die Oberschenkel geschoben, scheinbar ahnungslos, dass Wasser seine Hose füllte.
"Tja", sagte Meira auf einmal. "Anscheinend weder unten noch oben. Option drei ist es geworden. Enthaltsamkeit. Und das bei all dem damdam, das deinen Was-auch-immern sonst so aus den Ärschen scheint."
James gab einen sinnlosen Laut von sich, weder Zustimmung noch Ablehnung, einfach irgendetwas, damit sie die Klappe hielt. Luis hatte doch irgendetwas vor, das konnte er genau erkennen, und tatsächlich begann er durch seinen Rucksack zu wühlen. Er war einer der Wenigen, der darauf geachtet hatte, seine Sachen nicht an die Flut zu verlieren.
Insgesamt holte er zwei Dinge heraus, einen Bezug für seine Schuhe, der rasch an seine Sohlen klebten und ein paar braune Handschuhe, die er sich über die Finger stülpte. James würde glatt sagen, dass einer der Spione über den Test geplappert hatte, doch der Zauber war so simpel - er weigerte sich zu glauben, ihn derartig vermasselt zu haben.
Dann zog Luis den Turnbeutel heraus, den man ihm in die Hand gedrückt hatte. Wie immer war dieser ein wenig anderes als die Restlichen. Wahrlich, der Inhalt war derselbe, der Unterschied lag anderswo. Es war nicht einmal eine sonderlich nützliche Änderung, weder für ihn noch für den Spion. James wusste selbst nicht, warum er es ihnen allen reinlegte. Nostalgie, vielleicht. Simple Sentimentalität.
Miss me?
Gott, James hoffte, dass es nicht so war. Harold Timotheus Bartholomew Remington, war letztes Mal nicht Warnung genug gewesen?
Er sah zu, wie Luis den Inhalt herausholte und ihn untersuchte in der Hoffnung, etwas Nützliches zu finden.
Allzu tolles befand sich nicht darin. Ein Schal, den man sich über den Mund ziehen konnte, wenn man sich für den Drachen entschied, künstliche Schwimmhäute für die Hände, falls man dem Unbekannten nachjagen wollte.
Der Rest war Unrat. Ein Kugelschreiber, ein Schlüsselanhänger und eine weiße Tasse, alle versehen mit dem Schulloggo - die Zahl 12, zu ihrer linken eine Lebensline, gereiht mit sechs Mohnblumen in den Farben des Instituts- und das zwinkernde Schulmotto 'When wit reaches its peak nothing is far behind'.
Faulheit und Spaß hin oder her, die Halbgötter hätten ihre Aufgabe ruhig etwas ernster nehmen können. Wenn das Institut wüsste, dass Kontrolle ihr Motto dafür verwendet hatte, um sich Shakespeare-Style über ihren Ex auszulassen - Angelina würde ausrasten.
Als Luis den Schal um seinen Hals wand, hielt er kurz inne. Er hob ihn an seine Nase und nahm einen tiefen Atemzug. Er konnte den Lavendel also riechen.
"Oben. Sag ich ja", entgegnete James, als Luis sich aufrichtete, den Rucksack umschnallte und begann, das Glas wie ein Gecko zu erklimmen. Ein wirklich netter Trick, einer, der bestimmt nur auf Glas funktionierte, aber dennoch ein verdammt guter Trick.
Mal sehen, wie viel er sonst noch auf dem Kasten hatte. Vermutlich wird ihm der Drache sogar weniger Arbeit als Meira bescheren. Anders als Cleo hatte er nämlich keine Brüste, die er mithilfe eines zu kleinen BHs über den Rand seines Shirts drängen konnte. Rhyllis hatte sich damals wirklich selbst übertroffen. Sogar James war versucht gewesen, Cleo zu vernaschen.
Die Kleine war nicht auf den Kopf gefallen. Sie wusste, wie sie aussah und das sie bei Meira damit punkten würde. James musste mehr als einen Zauber anwenden, als er sie endlich zurückgeschickte. So viel hatte sie aus Meira herausbekommen.
Bei Luis jedoch - irgendetwas sagte James, dass sie mit ihm nicht so schonend umspringen würde. Gut so. Niemand würde von einem Magienutzer profitieren, der von vorne bis hinten keinen Schimmer hatte. Für den Moment würde James sich jedoch nicht weiter darum sorgen. Er setzte sich auf den Drehstuhl, legte die Füße auf den Tisch und machte es sich bequem. Hoffentlich hatte Luis eine gute Show zu bieten. Er war gespannt darauf, was sich der Kleine einfallen lassen würde.
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Puh! Ihr wisst gar nicht wie schwer es war, das Kapitel heute rechtzeitig zu posten. Wir haben einen Stromausfall! Zum Glück soll in 24 Stunden spätestens alles wieder laufen! Falls ich daher nicht gleich auf eure Kommentare antworte, ist mein Akku mal wieder leer. :/
Aber mal zur Story. Was haltet ihr von Meira? Findet ihr Meiras Sprachmuster auch so vulgär wie James?
Was haltet ihr von James Entscheidung? Glaubt ihr, es wird ihm gelingen Luis abzuwälzen?
Welchen Weg würdet ihr in der Prüfung wählen? Den der Luft oder den des Wassers? Oder doch lieber die dritte Option?
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