Kapitel 21 - James

James blickte hinab auf seinen Teller. Ihm war der Appetit längst vergangen. Das fünf Sterne, bin ich nicht künstlerisch Gericht, das aussah, als käme es direkt aus einem dieser Restaurants mit Klaviermusik und überdimensionalen Kronleuchtern, half nicht gerade sonderlich gegen das flaue Gefühl in seinem Magen.

Er war sich nicht einmal genau sicher, was Angelina ihm diesmal hat vorsetzen lassen. Es war irgendein Muschelfleisch, drapiert auf einer weißen Soße, die mit grünen, geleeartigen Fäden verziert wurde. Natürlich war auch eine Menge Kaviar dabei. James hatte Mühe, nicht das Gesicht zu verziehen.

Es waren nur sie beide in dem Zimmer, doch es fühlte sich an, als würden tausend Augen auf ihm liegen. Vielleicht war es der lange Tisch. Vierzig Stühle und nur zwei davon waren besetzt. Immerhin: Leere konnte genauso erdrückend wie Fülle sein. James sprach da aus Erfahrung.

Rückblickend wunderte es ihn nicht, warum er eine Essstörung entwickelt hatte. Mit einer Diva als Mutter und Tag für Tag allein in solch einem Raum - einer Halle wirklich - wer hätte es ihm nicht gleich getan?

Desinteressiert pflückte er durch die Zutaten. Er schmeckte die mageren Bisse kaum. Es war fad und schlaksig, frei von jeglichen Geschmacksträgern. Salz und eine Brise Pfeffer mehr war anscheinend nicht erlaubt, in der feinen Cuisine dieses Hauses.

Was er nicht jetzt dafür geben würde, Zuhause zu sein. Zuhause, wo immer etwas Warmes auf dem Ofen stand. Wo der Duft von Essen warm durch die Räume drang. Wo selbst das Licht ihn willkommen hieß. Warm und kuschelig anstelle des kargen Weiß, das ihn hier empfing.

Im Hintergrund labberte Angelina über die Affären des Tages, als würde es ihn tatsächlich interessieren. Dabei konnte er sich kaum konzentrieren. Der Ort hier trieb ihn in den Wahnsinn. Laut klirrte es in seinen Ohren und unwohl keimte es in seiner Brust. Der Griff um seine Gabel verfestigte sich.

"Können wir zum Punkt kommen?", fragte er schließlich mit falscher Gelassenheit. Zumindest versuchte er es. Selbst für seine Ohren klang sein Ton etwas bissig. "Du hast mich doch nicht zum Plauschen herbestellt."

Mit einem Mal verstummte ihr ständiges Geschwätz. Angelina legte ihr Besteck beiseite. Ihr Blick wurde hart. Kalt sowie er es von ihr gewohnt war. Sie spitze ihre Lippen.

"Nein, habe ich nicht."

James schluckte. Hätte ihn auch gewundert. Es konnte ja nie so einfach sein.

"Na dann", sagte er und lehnte sich mit überkreuzten Armen zurück in den schnörkeligen Stuhl. "Worum geht es diesmal?"

Er kannte diese Gespräche genau. Sie hießen nie gutes für ihn bereit.

"Die Zeremonie. Der ganze Tag wirklich. Dein Verhalten war unmöglich."

Sie erwartete eine Entschuldigung. Wiedergutmachung. Als würde er ihr jemals das eine oder das andere geben.

Ganz ehrlich, es wunderte ihn ein wenig, warum sie es erst jetzt ansprach. Das Semester hatte nicht gerade gestern begonnen.

In anderen Worten: etwas war passiert. Etwas neues.

Gut. Damit konnte er schon eher umgehen. Die Gefahr war ein alter Freund. Einen, den immer gerne mit offenen Armen empfing.

James hob herausfordernd eine Augenbraue. "Ach, tatsächlich?"

"Ja, tatsächlich", gab sie eisern zurück. "Ich weiß nicht, was du dir dabei gedacht hast. Du verlässt deinen Posten, lässt mich vor der Menge wie ein Vollidiot wirken - hast du überhaupt eine Ahnung, wie schwer es für jemanden meines Standes ist, die Abwesenheit ihrer Nachkommenschaft zu erklären?"

James bemühte sich nicht einmal sein spöttisches Gelächter zu unterdrücken. Jemanden ihres Standes? Als wäre sie mehr als ein hübsches (nicht seine Worte) Werbegesicht, dass dumme Sprüche von sich gab.

"Olivia!", keifte sie und das Lächeln auf seinem Gesicht wurde steif. Gezwungener, als es ohnehin schon war. Bei den Göttern, wie er diesen Namen hasste.

"James", korrigierte er sie. "Du hast mir den Namen gegeben, verwende ihn auch." Dann einfach nur weil er konnte, fügte er hinzu: "Weißt du, du kannst es noch so sehr versuchen, mich tausend Mal bei ihrem Namen nennen - es macht mich noch lange nicht zu ihr."

"Weil Remington Junior" - James zuckte zusammen - "sie ist? Hör auf mich zu verarschen, Kleiner. Bluffen hast du von mir gelernt." Hatte er tatsächlich. Sie hatte ihn zu der perfekten Kamerapersönlichkeit erzogen. Mit sieben hatte er sich schon besser schminken können als so manche zwanzigjährigen. Sie hatte von klein auf auf seine Aussprache geachtet, ihn solange Lügen rauf und runter erzählen lassen, bis er keine Miene mehr verzog.

"Ich kann mich nur wiederholen. Er war schon immer der wahrscheinlichere Kandidat." Ein wahrer Meister der Magie. Selbstbewusst. Er konnte jeden führen. Es war für ihn so natürlich wie das Atmen selbst. "Du hast es sowieso immer schon gesagt, meine Magie ist schwach. Bevor ich meine Seele aufgegeben habe, gelang mir kein einziger Zauber."

Sie wirkte genauso überzeugt von seinen Worten wie vor sieben Jahren schon.

"Ich habe dich aufgezogen, Olivia." Sein Finger zuckte. "Nicht nur das, ich habe dich auch geboren. Keines von beidem würde ich als 'normal' bezeichnen, auch nicht für uns Fae. Aber deshalb habe ich dich nicht herbeordert." Sie spiegelte seine Haltung. Lehnte sich genauso wie er zurück und überkreuzte ihre Arme vor der Brust. James ließ seine Arme sogleich auf den Tisch fallen und hielt sich etwas strammer. "Doch davor", sie spitzte die Lippen, "du kennst die Regeln, lass den Schein fallen."

"Nein", entgegnete er nur. Ein Satz. Knapp und für keine Diskussion bereit. Er würde es nicht machen, würde die Illusion nicht fallen lassen. Sie versteckte jeden Makel, jeden Frevel und zeigte nur das, was er auch zeigen wollte. Er trug sie beinahe schon wie eine zweite Haut. Außerhalb seines Zuhauses, weit entfernt von den leeren Orten dieser Welt, war sie das auch. Rhyllis war vermutlich die Einzige, die momentan wusste, wie er wirklich aussah. Er würde sie nicht aufgeben, nicht für jemanden wie die Furie, die ihm gegenüber saß.

"Olivia", zischte Angelina dann auch schon. James Nase rümpfte sich leicht. Wieder gab er ihr dieselbe Antwort.

"Nein."

Angelinas Brauen zogen sich zusammen. Näher konnte sie einem Todesblick kaum kommen.

"Das war keine Frage. Runter damit. Du kennst die Regeln, du tust wie dir gesagt, sonst trete ich vor die Presse. Ich glaube nicht, dass sie ihre verlorengeglaubte Halbgöttin in Ruhe lassen würden, du?"

Eng presste James seine Lippen zu einem schmalen Lächeln zusammen, ehe er es wieder in seine normale Form fallen ließ.

"Okay, go ahead. Erzähl ihnen, was du willst. Nicht das du dich trauen würdest, aber versuchs ruhig."

Damit hatte sie nicht gerechnet. Kein Wunder, er hatte diese Karte noch nie zuvor gespielt. Er hatte sie immer in der Hinterhand behalten. Ein Teil von ihm keifte ihn an. Warum hatte er sie jetzt schon ausgespielt, er hatte doch geplant - doch es kümmerte ihn nicht. Er hatte ihrem Ego einen Schlag verpassen wollen und genau das hatte er getan.

Angelina funkelte ihn durch leicht gesenkte Lider an. Ein leises, zischendes 'Was?' drang aus fest zusammengebissenen Zähnen hervor.

James könnte praktisch schnurren. Ein tiefes, geschmeidiges 'Mmmm' des Genusses nistete sich in den Ecken seiner Kehle und drohte seine Stimme warm und seicht wie geschmolzene Schokolade erklingen zu lassen.

'Mehr', drängte seine Magie förmlich schon. 'Zieh sie auf, spanne sie wie einen Bogen - lass sie zappeln.' Er könnte es. Es wäre leicht. Beinahe schon zu leicht. Er war stärker als sie. Um so viel stärker. Es wäre sein Recht. Sein gottgegebenes Recht, sich über sie zu stellen und ihr ihren Platz zu lehren. Oh und wie sehr er es wollte. Er war es so leid, sich zu benehmen. Sich zurückstellen und mindern zu müssen.

"Du hast mich schon gehört", entgegnete er. "Versuch es. Du ziehst es sowie nicht durch." Eine Stimme, die verdammt nach Micah klang, warnte ihn irgendwo verborgen in seinem Verstand nicht zu weit zu gehen. "Dafür hast zu viel Angst. Angst, das du recht behältst. Überleg doch mal, wenn ich wirklich Kontrolle bin, dann hast du all deine Vergehen nicht nur mir angetan, sondern Deaths Liebling. Was glaubst du, würde er mit dir machen, wenn du schließlich das Zeitliche segnest? Champagner würde ich an deiner Stelle nicht erwarten."

"Es gibt keine Hölle." Und doch konnte er die Furcht in ihren Augen blitzen sehen.

"Nein, gibt es nicht", stimmte er zu. "Aber hast du dich nie gefragt, was in der Tiefe schlummert? Aus welchen Rissen genau die Schatten dringen? Die Griechen zumindest haben es." Intensiv sogar. James hatte sich bereits mit so vielen ihrer Schriften befasst - es war nicht gerade schwer, den wahren Kern in all den Mythen zu finden.

Er würde es gerne weitertreiben. Seine Macht höher und höher schaukeln lassen, bis er die Furcht in ihren Augen schmecken konnte. Es war so ein Theo-Verhalten, dass ihn der Gedanken abrupt den Wind aus den Segeln riss.

"Aber egal", gab er klein bei. "Wieso hast du mich herbestellt?" Er wollte es einfach hinter sich bringen. "Die Wahrheit diesmal."

"Du hast einen Lehrer ins Koma geworfen."

James blinzelte. "Und? Er ist ein inkompetenter Arsch. Außerdem wird es ihm in einer Woche ohnehin wieder gut gehen." Er hatte keinen permanenten Schaden angerichtet. Würde er nie. Nicht mehr zumindest. James hatte es nicht einmal geplant. Doch als Luis ihn hochgestachelt hatte - James hatte gewollt. Einmal hatte er seinen Stolz nicht schlucken wollen. Shuffelbottom hatte es abgekriegt, weil, so sehr James es auch gewollt hatte, er nicht auf Luis wütend gewesen war. Das Hin und Her zwischen ihnen. James hatte es gemocht.

Er konnte sich selbst nicht verstehen. Wie konnte er die Nähe von diesem Arsch überhaupt tolerieren? Geschweige denn ihre Gespräche mögen? Normalerweise bewahrte er doch auch mehr Distanz. 

Der einzige von den Spionen, mit denen er so halbwegs in Kontakt blieb, war William und das eigentlich auch nur, weil sein neuer Status ihn nützlicher als die anderen machte. James Devise bei diesen Dingen war generell, eine freundliche Bekanntschaft zu erhalten - Schulfreunde praktisch - aber keine wirklich nähe zuzulassen.

Wirklich, es war lächerlich. Luis konnte die Hälfte seines Genpools nicht ausstehen! Und was tat James? Er versuchte einen auf Buddy-Buddy zu machen, aus keinem anderen Grund als simple Neugier. Aus Lust und Laune heraus. Ging es überhaupt noch unlogischer?

"Olivia?" Angelinas Stimme zehrte ihn wieder in die Realität. Er zuckte zusammen, genauso wie er es immer tat, wenn sie ihm diesen gottverdammten Namen um die Ohren schlug. Warum sich ihn auch dauernd so nennen musste. Sie wusste genau, was es mit ihm anstellte. Welche Komplexe sie damit hervorrief. Auch jetzt konnte er die Tür noch vor seinem inneren Auge sehen. Ihr Knarren hallte laut in seinem Kopf. Ominös thronte sie vor ihm jedes Mal, wenn sie den Namen der Halbgöttin sprach. Und dennoch tat sie es. Er konnte sich an keine Zeit erinnern, in der er nicht Olivia in ihren Augen war.

"Was?", schnauzte er zurück. Das Lächeln noch immer breit in seinem Gesicht. So feindselig es auch war.

"Du hast mir zuzuhören, wenn ich mit dir rede."

"Und du hast mir die Wahrheit zu sagen", konterte er. "Andernfalls ist das hier reine Zeitverschwendung."

Er war nicht blöd. Shuffelbottom war von Anfang an nur ein weiteres Werkzeug für sie gewesen, um ihn in den Wahnsinn zu treiben. Es ging nicht um ihn. James hätte ihn töten können und es würde noch immer nicht um ihn gehen. Er war nur ein Vorwand. Und ein billiger noch dazu.

"Nun gut", sagte sie. "Der Neue. Luis, nicht wahr? Er hat es dir angetan."

James schüttelte den Kopf. Eine leichte Bewegung, kaum merkbar wirklich. "Nein. Nein, hat er nicht. Und selbst wenn, was geht es dich an?" Vielleicht ein bisschen zu defensiv, den Blick in ihren Augen nach zu urteilen. Jetzt hatte er einen Nerv getroffen.

"Was geht es mich-?" Sie schnalzte mit der Zunge. "Olivia." Und erneut zuckte James zusammen. Das gefühlt tausendste Mal in diesem Gespräch allein. Im Grunde wie immer also eigentlich. "Deine Magie hat ihn K.O. geschlagen und du hast es nicht geschafft, wieder die Kontrolle über sie zu erlangen. Sie ist dir komplett durch die Finger entglitten. Und du willst mir ernsthaft vormachen, dass da keine Vorgeschichte mitspielt?"

"Ja." James nickte. "Außerdem ist es nicht meine Magie, sondern Theos." Und so schnell hatte er das Thema wieder in eine angenehmere Bahn gelenkt. Angelina reagierte genauso wie erwartet.

"Ach? Du willst also über Harold reden?", sagte sie. "Okay, reden wir über Harold. Wie kam er durch die Barriere?" Sie gab ihm keine Chance zu antworten. "Wie? Sag es mir. Die Universität ist magisch geschützt, niemand kann hier einfach so rein oder rausspazieren. Du hast ihn reingelassen, oder?" James öffnete seinen Mund, um sich zu verteidigen. Denn nein, er hatte Theo nicht hereingelassen. Warum sollte er? Doch sie fiel ihm ins Wort. "Oder hast du geglaubt, ich würde es nicht merken? Spätestens auf der Tanzfläche wäre es doch auch dem größten Einfaltspinsel aufgefallen. Du bist Kontrolle. Du lässt dich von niemanden führen!" Sie verzog die Miene zu einer angewiderten Grimasse. "Außer von ihm."

Und ganz ehrlich, was sollte er darauf antworten? Er wusste, was Angelina über ihn dachte. Was sie von ihm erwartete. Sie hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht. Kontrolle war Perfektion und weniger duldete sie auch nicht von ihm.

Die Kontrolle abzugeben, jemand anderem mal das Ruder zu überlassen - für sie gab es keine größere Schandtat. Er hatte immer über allen zu stehen. Niemandem untergeben, zweitrangig nur zu ihr.

"Ich-" James versuchte sich zu rechtfertigen, doch die Gefühle der Unzulänglichkeit schwappten wieder empor. Wie Teer stauten sie sich in seiner Kehle und ließen jedes Wort versiegen.

Es war keine bewusste Entscheidung, er hätte den Gedanken der Flucht nie in Erwägung gezogen, doch mit einem Mal schlangen die Schatten sich um seine Füße und zogen ihn hinab in ihr Reich. Weit weg von Angelina, in der Sicherheit seiner eigenen Magie spuckten sie ihn wieder aus.

---

Etwas Backstory für euch! Was haltet ihr von Angelina? James kann sie ja nicht sonderlich leiden.

Die nächsten zwei Kapitel werden ordentlich shippy. Aber für zwei verschiedene Ships. Macht euch also auf was gefasst ;D

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top