Kapitel 15 - Luis

Keiner sprach es an. Nicht einer von ihnen. Auch nicht die Lehrer. Die glotzten ihn immer nur komisch in den Gängen an. Genauso wie die Studenten. Dabei hatten sie noch nicht eine Stunde hinter sich gehabt.

By the way waren die Lehrer überhaupt am ersten Tag da gewesen? Am nächsten? Am übernächsten? Nicht, das er sich entsinnen konnte. Aber gut, die meiste Zeit war er auch im Bett gelegen, während die anderen auf Erkundung gehen konnten. Luis selbst hatte das Gebäude noch nicht einmal verlassen. Kleine Runden durch die Korridore, mehr gab es die ersten vier Tage für ihn nicht.

Tag fünf, heute, sollte sich jedoch alles ändern. Kein ewiges aus dem Fenster starren mehr. Da sah man nämlich nichts als Bäume. Bäume und Felder.

Der Lift beförderte ihn knapp abseits der Massen. Luis fühlte sich wie auf einen anderen Planeten versetzt. Wenn man die Kuppel schon beeindruckend fand - Luis würde pfeifen, wenn es nicht so unangebracht wäre.

Das Hörsaalgebäude war riesig. Offensichtlich römisch inspiriert. Oder war es griechisch? Luis war nicht gerade Architektenmaterial. Oder geschichtsgeschult. Dafür konnte er allerdings eine halbe Stunde kopfüber hängen, ohne das ihm schlecht wurde.

Jedenfalls war es atemberaubend, mit goldenen Dächern und prunkvollen Statuen der Halbgötter. Alle Zwölf waren versammelt und blickten von sämtlichen Positionen auf einen herab.

Der Boden, auf dem er stand, war weiß wie Schnee. Kein Schmutz haftete an ihm. Nicht einmal ein Staubkorn. Es war alles so, wie Meira gesagt hatte. Nur die Unterkünfte konnte er nicht von hier ausmachen. Sie sollten auf dem anderen Ende des Bodens sein, direkt gegenüber den Hörsälen. Doch genau dort, wo er sie vermutete, verlor sich der Boden in einer Schlucht. Wasser plätscherte den Abhang in einem glorreichen Wasserfall hinab.

Der Ausblick jedoch war ihm reichlich bekannt. Und dann machte es klick. Er hatte die ganze Zeit durch die Klippe hinausgesehen.

Meine Güte, welche Einnahmen machte diese Uni, um sich all den Prunk leisten zu können? Das Institut war nichts dagegen. Normale Gebäude, manche zwar schöner als andere, doch im Grunde nichts, was man nicht in einer normalen Stadt antreffen würde.

Bei näher Betrachtung bemerkte Luis die Altare unter den Statuen der Halbgötter. Sie waren reichlich besucht. Opfergaben lagen ihnen zu Füßen und betende Studenten, die auf ein erfolgreiches Jahr hofften. Nur Olivias war unbesucht. Eine tote Halbgöttin konnte einen nicht helfen, so war der Konsens.

Luis Hand glitt herab zu seinem Gürtel. Den Göttern sei dank, kam die Uniform mit einem. Generell war sie äußerst bequem. Der Beutel Kirschkerne, den er daran befestigt hatte, knisterte zwischen seinen Fingern.

Er wollte. Es fühlte sich richtig an. Ihr Segen würde ihm das Alles deutlich erleichtern. Emotional gesehen zumindest. Immerhin agierte er nicht nur gegen ihre Schwester, er infiltriert auch einer ihrer Orte für seine Ziele. Ob er es wagen sollte? Sein letztes Gebet hatte er mit siebzehn gesprochen. Als Kaia...

Zudem würde es ein ordentliches Statement abgeben. Man betete nicht zu toten Göttern. Nur weil seine Familie ihn nie ermahnt hatte, bedeutete das nicht, dass er hier ungestraft davonkommen würde. Es wäre eine klare Demütigung der anderen Elf. Blasphemie.

Seine Füße brachten ihn vor ihre Statue, bevor er eine Entscheidung treffen konnte. Seine Knie fanden den Boden und seine Hände den Beutel. Er legte eine Handvoll der Kerne in die goldene Schale.

Eine Kostprobe deines Talents, mehr hatte sie früher nicht verlangt. Dann von einem Tag auf den anderen kamen Kirschkerne hinzu. Ein Kind hatte es zufällig beim Kirschkernspucken entdeckt. Ein Kern war in die Flammen geflogen und ein Gebet beantwortet worden. Es war eine rasche Alternative, wenn man keine Zeit für aufwendige Kunststücke hatte. Luis hatte, soweit er sich entsinnen konnte, schon immer ein paar eingesteckt gehabt.

Zu seinem Glück standen Krug und Feuer noch bereit. Niemand hatte es anscheinend gewagt, ihren Altar herunterkommen zu lassen. Den Krug schienen sie jedoch nicht mehr frisch zu fühlen. Das Wasser im ihm kam von den Wolken, nicht so rein wie wünschenswert, aber es genügte.

Er entzündete eines der Streichhölzer, das zu ihren Füßen ruhte, und ließ es in die Schale fallen. Wie magische Flammen es so an sich hatten, entfachten sie die Kerne in Sekunden.

Luis zögerte. Es war so lange her, fast zehn Jahre, das er für einem Atemzug fürchtete, die Worte vergessen zu haben. Doch als er seinen Mund öffnete, sprudelten sie aus ihm heraus, als wäre kaum ein Tag vergangen.

"Queen of all movements,
Creator of skills,
Demigod of it all,
the first and strongest of the twelve,
hear my whispers and read my soul.
Before you I kneel with prayers and intend."

Luis nahm einen tiefen Atemzug und ab da waren es seine eigenen Worte.

"I beg for your aid, I beg for your blessing.
I look for your knowledge, I pray for your wisdom.
I hope for your guidance, I yearn for your presence."

Dann löschte Luis die Flammen mit dem Wasser des Krugs und beobachtete, wie der Rauch vor ihm emporstieg.

"Olivia,
demigod of control,
goddess of my heart,
I lend you my power,
I give you my soul.
Gaze upon me
and know my truth."

"Ich verspreche dir", hauchte er, nachdem das letzte bisschen Rauch verschwunden war. Er wollte nicht, dass sie das hörte. "Ich bekomme deine Kette wieder hin. Deine Macht wird hier oben wieder fließen. Frei und ungezügelte. Nutze sie und komm wieder zu uns zurück."

---

Die erste Stunde, reine Einweisung, und es stellte sich schnell heraus, dass Luis nicht wirklich ein Talent für Magie besaß. Missmutig betrachtet die Professorin seinen Tisch. Der Haufen Stifte lag weiterhin unverändert da. Er hatte es weder geschafft, einen von ihnen zum Schweben zu bringen, sie zu überzeugen, ihre Farbe zu wechseln oder sich zu einem einzelnen Stift zusammenzufügen.

Niemand sonst schien seinen Misserfolg zu teilen. Jeder nutze die neu erworbene Magie mit Erfolg. Das Mädchen neben ihm, die mit den roten Haaren, schaffte es sogar, einen ihrer Stifte in ein Lineal zu transfigurieren. Zugegeben, es war von den Abständen her noch etwas ungleichmäßig und das Pink der Zahlen verlief mit jeder Ziffer mehr mit dem Holz, doch wenigstens war es etwas. Selbst der vorlaute Junge in der ersten Reihe hatte es geschafft, seine Stifte in Brand zu setzen und röstete nun eine Handvoll Marshmallows über ihnen - auch wenn er dabei einige Seiten seines Textbuchs versengt hatte.

Nur bei Luis rührte sich nichts. War ja klar, dass er Kaias Talente nicht teilte.

Er war der Einzige in einem Raum voller Studenten, die mit Kontrolles Magie gesegnet wurden, der es nicht hinbekam. Ob jemand in anderen Zweigen sein Problem teilte oder war er der einzig unfähige an dieser Uni?

Luis nahm einen der Stifte in die Hände und versuchte, ihn zu etwas - irgendetwas - zu zwingen. Und tatsächlich, als er diesen an den Enden mit seinen Fingern drehte, machte sich ein schwaches Kribbeln unter seinen Kuppen breit. Doch gerade als er dachte, endlich Fortschritte zu machen, riss jemand prompt die Tür des Klassenzimmers auf und zerstörte jede Konzentration, die er besessen hatte.

Stöhnend ließ er den Stift wieder fallen. Er war fertig mit dem Tag, so was von fertig. Entnervt wandte er seinen Blick in Richtung Eingang und als hätte es das Schicksal auf ihn abgesehen, stand da sein guter Freund James fucking Monroe. Natürlich musste es er sein. Es konnte nicht irgendein x beliebiger Student sein. Das wäre ja auch zu einfach gewesen.

Was machte er überhaupt hier. Das war ein Kurs für Erstsemestler. Für absolute Newbies.

"Mr. Monroe, wie nett von Ihnen auch endlich zu uns zu stoßen", sagte die Professorin Mrs. Polei? Povlei? Auch egal. Die gesamten Augen des Auditoriums richteten sich auf James. Diesem schien die ganze Aufmerksamkeit jedoch nicht sonderlich viel auszumachen.

Dabei war sein Erscheinungsbild das absolute Chaos. Sein Hemd war zerknittert, seine Krawatte schief, die Ärmel unachtsam hochgekrempelt und seinen Blazer hatte er auch einfach in seine Umhängetasche gestopft. Mit jedem seiner Schritte baumelte der Stoff gefährlich über den Boden.

Selbst seine Haare waren eine Frechheit. Ein absolutes Chaos. Komplett durchgeschwitzt. Absolut nicht attraktiv.

"Ich nehme an, dass Sie einen guten Grund für Ihre Verspätung haben?" Verlegen, wenn nicht auch ein wenig selbstzufrieden, grinste James ihr entgegen und dann machte es Click. Luis konnte sich ein Augenrollen nicht verkneifen. James jedoch lehnte sich einfach gegen den Türrahmen und zuckte mit den Schultern.

"Wollt nicht aufstehen und hab die Zeit übersehen. Kommt schon mal vor."

Mrs. So und so hob eine Augenbraue. "Ach wirklich?"

James Lächeln nahm eine versteckte Wendung an. Begeistert irgendwie, mit einer schwindelerregenden Freude dahinter. Kindlich fast in seiner Breite.

"Was kann ich sagen? Bin mit dem richtigen Fuß aufgestanden. Na ja, aufgewacht wohl eher. Die Decke wollt mich beim Aufstehen nicht so wirklich loslassen."

"Und daraufhin haben Sie einfach entschieden, nicht nur Ihren Zweig, sondern auch Ihren Rang zu wechseln?" James sah auf sich herab. Luis und er realisierten es im selben Moment. Seine Krawatte war violett, genauso wie sein Blazer. Foresights Symbol, eine geometrische Mischung aus Sanduhr und Sonnenuhr waren auf beiden abgebildet.

"Äh", begann James, "ich nehme nicht an, dass Sie mir glauben, wenn ich sage, dass er mir nur einen Blick in das weite Unbekannte gegeben hat?"

"Da sie offensichtlich miteinander in demselben Bett aufgewacht sind - nein, nicht wirklich", sagte Mrs. Porei? "Und, ach, ich entsinne mich gerade, sie wurden ja... - warum genau sind Sie eigentlich hier?"

Das wollte Luis auch gerne wissen. James hatte wie immer eine Antwort parat. Wie auswendig gelernt, rechtfertigte er sich.

"Als Schülervertreter von Kontrolles Zweig bin ich dazu verpflichtet. Muss ja sehen, wie sich die neuen machen. War letztes Jahr doch auch so."

Mrs. Powley (?) nickte. "Ja, aber sofern ich mich enrinnere, hat deine Mutter, unsere liebe Direktorin, dich vorgestern von deinem Posten enthoben, James. Dein Ersatz scheint jedoch nicht pünktlicher zu sein."

Da war es wieder, dasselbe Grinsen, als er erstmals in den Raum stolziert war. Mrs. Povley (?), zu Luis' Verblüffung, tat es ihm gleich. "Offiziel ja. Inoffiziell jedoch... Du kennst sie ja, Gabriela. Der, den sie statt mir das Ruder überlassen hat - absolute Vollkatastrophe. Gerade mal gut genug für den Papierkram."

"Dobrze", sagte sie mit einem verspielten Augenrollen. "usiądź."

"Dziękuję, Madam Povleí." James schnippte zweimal in einer Aufwärtsbewegung. Mit einem Mal war seine Kleidung tatsächlich wieder die seine. Dann kam er die Treppe herab und setzte sich auf den einzig freien Platz.

Genau neben Luis.

---

Genau neben Luis...

Na wer glaubt, dass die beiden sich zerfetzen? ->

Wer meint, dass das Gegenteil passiert? ->

Ich liebe dieses Kapitel einfach. Es war so lustig zum Schreiben. Das Gebet hat vermutlich am längsten gebraucht.

Kleine Frage: Wer glaubt zu wissen, weshalb ich nicht gezeigt habe, wie James Rhyllis befreit?

Ich bin schon gespannt wie euch die nächsten Kapitel gefallen! Wie findet ihr eigentlich dieses? Feedback, Vorschläge, Theorien? Alles wie immer herzlichst willkommen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top