Kapitel 14 - Luis
Es war kalt. Und dann irgendwie doch nicht. Es war weder warm noch heiß. Mehr lauwarm wie ein Becher Joghurt bei Zimmertemperatur. Nicht gerade poetisch, aber Luis hatte sie immer damit in Verbindung gebracht. Damals, er konnte sich noch genau daran erinnern, als er das erste Mal mit ihr in Berührung gekommen war, hatte es ihn verwundert. Er hatte sie sich anders vorgestellt. Brennender. Zu viel, flüsterten die Leute immer, wenn es um sie ging. Nicht bei ihren Geschwistern, aber bei ihr. Immer nur bei ihr.
Sie hatten unrecht. Jeder von ihnen. Luis hatte es schon mit sechs erkannt und auch die letzten zwanzig Jahre hatten seine Überzeugung nicht gemindert.
Auch jetzt war sie nicht zu viel. Dennoch: Er konnte kaum etwas ausmachen, Spinnenweben tanzten in seinem Blick, Braun und Gold lagen in dem Schwarz seiner Sicht. Dann aber doch. Etwas drang durch den Nebel. Durch die Dunkelheit zwischen Schlaf und Bewusstsein. Schmerz, so überraschend das auch klang, war es nicht. Es war eine Hand. Leicht und schwer zugleich, direkt auf seinem Bauch. Die Finger zuckten gerne einmal. Es kribbelte. Luis wusste sofort, wer es war.
James Monroe.
Natürlich. Er hielt dieselbe Macht in seinen Fingern. Schwächer, aber dennoch die ihre. Dieselbe nicht-Kälte. Kein Wunder, so lief das System hier. Es machte Sinn und doch: als er durch verschleierte Augen blickte, kurz bevor die Dunkelheit ihre Krallen um ihn legen konnte, meinte er in James' Augen, jemand anderen zu sehen.
Ein Hauch ihres Namens fiel von seinen Lippen, so leise, dass selbst sein Atem dagegen wie ein Orchester hallte.
"Olivia."
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Als er seine Augen wieder öffnete, lag er in einem Bett. Einem stinknormalen Bett. Nicht einmal auf einem Krankenbett, nein, Luis war sich ziemlich sicher, dass er sich in seinem designierten Zimmer befand.
Je länger er sich in dem Raum umsah, desto sicherer wurde er in seiner Beobachtung. Vor dem Kleiderschrank hing eine Uniform, ungefähr seine Größe. Eine braune Stoffhose, ein beiges Hemd, eine hellblaue Krawatte und der passende Blazer. Kontrolles Symbol leuchtete ihm als Anstecknadel entgegen. Selbstgefälligkeit machte sich in ihm breit.
Das Schicksal selbst schien wohl auf seiner Seite zu stehen. Auch wenn das Schicksal ihn ausgeknockt hatte. Sieht so aus, als würde doch nicht immer alles so laufen, wie Mr. James Monroe es wollte.
Luis ließ seinen Blick weiter wandern. Sein Rucksack hang über einem Stuhl, daneben ein kleiner Schreibtisch. Eine kleine Kommode stand ein paar Schritte entfernt. Und das war es auch schon. Das Bett, auf dem er lag, der Kasten, die Kommode, Stuhl und Tisch. Oh, und natürlich noch der pretty Boy mit dem Schwert neben der Tür. Schräge Ausstattung.
Es dauerte ein paar Atemzüge, ein paar Ticks der Wanduhr - viel zu nah an seinem Bett, wenn er sie hören konnte. Welcher Sadist war bitte auf die Idee gekommen? - und dann noch mal ein bisschen, bis er realisierte, dass 'Pretty Boy mit Schwert' nicht gerade zur Grundausstattung gehörte.
Luis war schneller aus dem Bett, als die Uhr ihre Zeiger bewegen konnte. Schlechte Entscheidung. Vertigo ließ ihn zurück auf das Bett klappen. James beobachtete ihn nur mit einem belustigten Funkeln auf der Miene. Er musterte ihn eindringlich. Luis wollte erst gar nicht wissen, wie lange er dort schon stand.
Dennoch fragte er.
"Ähm...Hi?", begann er. Antwortend hob James eine Hand halb zum Gruß, die ohne Schwert zum Glück. "Nicht um komisch zu klingen, aber wie lange stehst du schon hier?"
Er zuckte mit den Schultern. "Ich bin auf dem Weg zu Rhyllis. Hier hindurch ist es am schnellsten. Beim Vorbeigehen habe ich deine Atmung bemerkt, du warst am Aufwachen."
Luis nickte. Vorsichtig rutschte er zurück und lehnte seinen Oberkörper gegen das Kopfteil des Bettes. "Überhaupt nicht schräg, aber...in Ordnung? Irgendeinen speziellen Grund oder sind unangemeldete Besuche bei euch" - Freaks - "Durchgeknallten etwa die Norm?"
"So normal wie in der Sekte, für die du arbeitest", konterte James. "Aber ja, es gibt einen Grund. Ich will wissen, wie du es gemacht hast."
Stille.
"Führst du das noch aus oder soll ich einfach raten, um was es geht?"
Zähneknirschend verdrehte James die Augen. "Kontrolle. Ihre Magie hat - ganz ehrlich, ich weiß nicht einmal, was sie gemacht hat. Die Studenten nennen dich schon ihren Champion. Meine Frage also: Wie hast du es angestellt? Und wieso? Mehr Magie hat es dir nicht beschert." Bei jeder Geste schwang das Schwert mit ihm mit.
"Keine Ahnung. Vielleicht wollte sie nur 'Hallo' sagen." Ernsthaft Luis konnte seine Augen nicht von dem Ding nehmen. Warum zur Höhle war es so groß? "Aber wenn wir schon dabei sind. Du - uhm - wofür ist das?"
James erlaubte dem Schwert eine Drehung. Elegant glitt der Griff über seine Handfläche. Es fühlte sich extrem nach einer Drohung an. Zumindest nach einem zwielichtigen Versprechen. Die Art, die einem motorisch mehr als nur ein bisschen einschränken würde.
"Zum Schnur schneiden", kam die unerwartete Antwort, "funktioniert besser als eine Schere."
Luis blinzelte. "Zum Schnur scheiden?" Er sah sich um. "Was für eine... ?"
Nach einem Moment des Zögerns schnippte James mit den Fingern. Goldener Staub entzündete die Luft. Ein Bild erschien neben ihm, funkelnd und glitzernd.
Luis schluckte, als es sich in seinem Bauch zusammenzog. Er erinnerte ihn ein bisschen zu sehr an die Halbgöttin. Zu denken, dass hunderte hier mit einem Teil ihrer Magie herumliefen. Das er selbst einen Teil, irgendwo tief in ihm, von ihr hatte - es war ein bisschen überwältigend.
Er würde es ekelig nennen, erniedrigend, widerwärtig sogar. Doch nicht einmal in Gedanken konnte er die Worte formen, denn es war ihre Magie. Nicht die ihrer Geschwister oder die des Volks - Olivias. Seine Instruktorin würde es gewiss verstehen. Vielleicht. Zumindest etwas. Immerhin war Olivia ja so was wie das Gesicht ihres Unterfangens. Sie hat ihr Leben für sie gelassen, damit sie ihre Aufgabe weiterhin erfüllen und die schlechte Magie in Schach halten konnten.
Luis konnte ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken, als der funkelnde Staub Form annahm. Es war dem, was sie getan hätte, so ähnlich. Abgebildet war die Frau, die immer neben James umhertänzelte, Rhyllis. Kopfüber gefesselt baumelte sie in der Luft. Eine rosa Schleife klebte an ihrem Haar. Riesig und mit roten Steinen besetzt. Es sah mehr als lächerlich aus. Rhyllis starrte die Kamera zornig an, während eine Frau neben ihr ihre Zunge herausstreckte und ein Selfie von ihnen machte. Und jetzt wurde es interessant. Luis war sich ziemlich sicher, dass er das Metall kannte, das sie verwendet hatte. Der Schein war unverkennbar.
"Ist das Olivias-" James' Körper versteifte sich bei der Erwähnung ihres Namens. Wirklich der perfekte Kandidat für leicht wie ne Feder, steif wie ein Brett. "äh - Kontrolles Kette?"
"Ein Teil zumindest", gestand er. Luis Augen fielen wieder auf das Schwert. Nein. Er konnte doch nicht...
Mit einem Mal war Luis auf den Beinen und auf der anderen Seite des Zimmers. Seine Hand ergriff das Schwert. Ein Ruck und es baumelte zwischen ihnen.
"Was stimmt nicht mich dir?", keifte Luis. "Hast du keinen Respekt? Du kannst sie nicht zerstören. Sie ist ein Heiligtum!"
Ein weiterer Ruck, diesmal von James. "Ein Artefakt höchstens, aber auch kein besonderes."
Luis hielt dagegen. Das Schwert rührte sich keinen Zentimeter. "Es ist ihre Magie, besonderer geht es kaum!"
James nahm einen tiefen Atemzug. Mit einem Mal merkte Luis, wie nah sie aneinander standen, beinahe Gesicht an Gesicht. Nicht gerade eine ideale Position.
"Sie würde ihr ohnehin nicht mehr gehorchen. Ich kann es dir garantieren, Kontrolle könnte vor dem Ding stehen, es kommandieren und sich heiser schreien - sie könnte sogar mit ihren Händen daran zerren - es würde ihr nicht mehr gehorchen. Die Knotenbinderin hat es magisch korrumpiert."
Luis schnaubte. "Und wenn die Kette nur noch Asche wäre, du hast sie nicht anzurühren."
Ein Grinsen. "Und - jetzt einmal ehrlich - wie genau willst du mich davon abhalten?"
"Bessere Frage", entgegnete Luis. "Wie willst du mich davon abhalten, dich abzuhalten? By putting me under lock and key?"
James beugte sich nach vor. Instinktiv machte Luis einen Schritt zurück, doch das Schwert hielt ihn an Ort und Stelle. "Ich könnte dich in den Kerker stecken. Shackle you up a bit. Could be fun", meinte er. Dann fiel sein Blick jedoch seitwärts auf das Bild, das noch immer neben ihnen flackerte. "Na ja, vielleicht ein anderes Mal. So gern ich auch weiter diese nutzlose Diskussion führen möchte, sollte ich Rhyllis wirklich nicht länger warten lassen. Du kannst aber gerne versuchen, mich aufzuhalten."
Luis ließ ihn nie los, aber als die Schatten über James' Gestalt krochen bis hin zum Schwert, verschwand er in ihrer Umarmung wie eine Illusion unter der Hand. Das Bild tat es ihm gleich.
Finden konnte er ihn jetzt definitiv nicht mehr. Das Foto hatte zu wenig dafür hergegeben. Doch das musste er auch nicht. Eine Stunde später landete ein Schuhkarton auf seinem Bett.
Der Zettel obendrauf las:
'Dein Heiligtum. Mach damit, was du willst, steckt ohnehin keine Kraft mehr drinnen. - James'
Luis konnte es kaum glauben. Er hielt es für einen Scherz. Dennoch: mit vorsichtigen Fingern hob er den Deckel hoch und in der Tat - Kontrolles Kette lag darin. Nur ein Teil. Ein kleiner, schmaler Teil, gestreckt durch mehrere Metalle. Aber ein Teil. Die Kette war halb verrostet und an mehreren Stellen brüchig. Mit viel Liebe war sie nicht gerade behandelt worden. Luis überlegte, sie dem Institut zuzuschicken. Gewiss würden sie noch etwas Magie daraus ziehen können. Doch als seine Finger über die feinen Perlen streiften, wusste er, dass er es unmöglich übers Herz bringen konnte.
"Wir kriegen dich wieder in Ordnung", murmelte er. Monroe wusste nicht, wovon er sprach. "Ich verspreche es."
Die Magie einer Halbgöttin konnte alles ertragen.
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Hi, meine Lieben! Ein neues Kapitel frisch aus dem Ofen. Nächstes Kapitel hat Luis dann seine erste Stunde. (Wie das wohl für ihn laufen wird?)
Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen. Mir hat es auf jeden Fall Spaß zum Schreiben gemacht. Rhyllis kann einem aber wirklich leidtun. Mit Theo lässt es sich wirklich nicht scherzen.
Für all die James/Luis Shipper unter euch, bald kriegt ihr euren ersten großen Leckerbissen. Zwei vielleicht drei Kapitel noch. Geschrieben ist es auf jeden Fall schon.
For all the theorists among you dieses Chapter beinhält so einige Hinweise auf zukünftige Ereignisse. Bin gespannt, wie viele euch schon beim ersten Mal auffallen und welche ihr erst realisiert, wenn wir etwas weiter in der Story sind.
PS: Ich hab mir vor zwei Tagen den neuen Disneyfilm Wish angesehen. Seid ihr auch so enttäuscht, das es keinen Starboy gab? (Er wäre so was von der Jack Frost von Disney gewesen.) Überlege schon Fanfiction zu schreiben, um meinen Frust etwas zu mildern. Vielleicht so ein paar Oneshots. Falls jemand interessiert ist, kann ich sie ja posten.
Wie immer danke fürs Lesen und (einfach weil ich es heute passend finde) möge die Macht mit euch sein!
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