Kapitel 12 - Luis

"Hm?", summte Luis, sein Blick auf das Stück Marmor gerichtet, auf dem James eben noch stand. Das Unkraut war weg. Überall schlängelte es sich durch die Ritze, doch hier war es wie weggekohlt. Luis war dabei auf die Knie zu gehen, da lachte Angelina.

"Teenager und ihre Rebellionen. Man müsste meinen, dass er mit zwanzig endlich mal aus dem Drama rauswächst, aber das ist halt mein kleiner Spätzünder." Luis blinzelte. Was genau sollte er darauf sagen? Was konnte er eigentlich sagen, ohne irgendeinen Zorn auf sich zu lenken? In der Tat? Also wechselte er einfach das Thema.

"Ist er eigentlich auch eine Fee?" Angelina schüttelte den Kopf.

"Nur halb. Er kommt mehr nach seinem Vater, blasse Haut, 08/15 Aussehen, ein Normalo - nicht einmal meine Kräfte hat er geerbt. Nur die Schwächen. Deshalb vermutlich auch sein Groll gegen mich. Man würde mich wohl kaum diese Universität leiten lassen, wenn ich meine Studenten an mich kette." Luis nickte. Das leuchtete irgendwie ein. "Wenn ich dir nur einen Tipp geben darf, ich weiß, wieso du hier bist. James spielt dieses Spiel schon eine halbe Ewigkeit. Keine Ahnung wieso, ich hab versucht es ihm auszureden. Überkompensation vielleicht. Lass dich bitte nicht auf seinen Blödsinn ein. Er hat schon vielen von euch einiges gekostet - ganze Leben zerstört. Williams unter anderen, falls du ihn kennst."

"Er war meine rechte Hand", sagte Luis. "Wir standen uns nicht gerade nahe, aber..."

Angelina legte ihm ihre Hand auf die Schulter.

"Dann verstehst du es ja. Ich möchte nicht, dass noch so ein Vorfall stattfindet. Ein entlaufener Werwolf ist mehr als genug. Und nun komm, der Vorstand hat euch Drachenreiter bestimmt auch schon untergebracht."

Sie hinüber ihn hinüber zu einer Reihe von steinernen Sitzbänken. Beinahe gereiht wie im Kolosseum, aber nur beinahe. Es gab viel zu wenige Reihen dafür.

"Deinen Namen bräuchte ich aber noch immer", erinnerte sie ihn. Für einen Moment zögerte er, dann:

"Sagen Sie dem Vorstand, ich heiße Luis. Luis Bennet." Nachdem sie verschwand, reihte er sich gemeinsam mit den anderen ein.

Er konnte es noch immer nicht glauben, auch als die restlichen Anwesenden ihre Anspannung verloren. Er hatte es geschafft und zwar gegen einen Drachen. Booyah! Take that William, I can be a badass risk taker too!

Gedankenloses Geschwätz füllte den Raum. Angebereien flogen in Übertreibung durch die Luft.

Luis ließ sich zurück auf die Bank fallen. Bei dem Tempo, das er drauf gehabt hatte, würde er es morgen gewiss in den Beinen spüren. Dann reckte der Drache unerwartet seinen Kopf und ließ Stille mit seinem Gebrüll einkehren. Er hob die Flügel und stieg empor in die Wolken. Auf der anderen Seite der Arena stand James. Mit einem Lächeln winkte er dem Drachen hinterher. Was hatte er mit der Bestie überhaupt am Laufen? 

Bevor die Stimmen wieder aufkeimen konnten, erhob sich Angelina von den Reihen des Vorstands. Hinter dem blauen Feld - beinahe wie ein 'Mensch ärger Dich nicht'-Feld - standen sie, die Zwölf anderen, alle schwarz. James  war plötzlich auch an deren Seite. Teleportation garantiert. 

Es folgte keine große Rede, stattdessen rief Angelina einen einzigen Namen in die Menge. "Theresa Larsen." Es war Tessa. Als sie an ihm vorbeischritt, warf sie ihm noch ein rasches Lächeln über die Schulter zu, ehe sie sich der blauen Plattform näherte. Für eine Weile hörte man nichts als Jubel. Doch auch der verstummte irgendwann. Nämlich drei Sekunden, nachdem sie Angelina gegenüber stand.

"Dein Wunsch ist es, Reinforcement zugeteilt zu werden. Eine gute Wahl, du kennst dich selbst sehr gut. Nach langer Überlegung und unter Bitten des Schülervorstands wirst du jedoch stattdessen Reversions neuste Studentin werden. Restaurierung und Curses - lifting and speaking sollten deiner Magie mehr als gerecht werden. Wir erwarten Großes von dir." Angelina deutete auf den Platz neben sie, worauf eine adrette Frau mit orangen Haaren und lila Lippenstift von den Schwarzen vortrat.

"Wir freuen uns, dich aufzunehmen. Steig bitte auf die Plattform und beginne die Verwandlung." Es war überraschend antiklimaktisch, als Tessa ihren Worten folgte. Das Blau des Feldes leuchtete kurz auf, kroch ihre Beine hinauf und erfüllte schließlich ihren Körper, ehe es mit einem Mal wieder verschwand.

Die ganze Sache wiederholte sich eine Weile. Bekannte und Fremde traten nach vorn und wurden ihren Zweigen zugeteilt. Tatsächlich war sogar ein Junge dabei, der sich für die 'Weder noch'-Option am Anfang entschieden hat, der weder dem Drachen noch dem Ding Unterwasser entgegengetreten war. Anscheinend war das auch eine legitime Wahl des 'Persönlichkeitstests', wie Angelia bei seinem Vortreten meinte. Er wurde in Foresight gesteckt. Und wieder einmal sagte der Schwarze dieselben Worte: "Wir freuen uns, dich aufzunehmen. Steig bitte auf die Plattform und beginne die Verwandlung."

Immer und immer wieder. Nur James - wer auch sonst - trat aus der Reihe. Er begann nie gleich.

"Ich hab deinen Auftritt da draußen gesehen, genial."

"Ein kleiner Feuerspucker, hm?"

"Man hast du krasse Schuhe an."

Enden tat er jedoch immer gleich. "Ja oder nein?", fragte er sie. Jeden Einzelnen. Als ob jemand 'Nein' sagen würde. Dennoch: Er frage mit einer solchen Ernsthaftigkeit, dass Luis fast meinte, er würde sie tatsächlich in ihren Wunschzweig versetzten oder persönlich am Abend wieder nach Hause bringen, falls sie in der Tat kein 'Ja' über die Lippen brachten.

Luis stieß einen zitternden Atem aus. Unruhe machte sich langsam in ihm breit. Er wusste genau, was ihm da draußen widerfahren würde. Doch nun konnte er auch nicht mehr kneifen. Was für einen Eindruck das sonst machen würde. Aber war er wirklich bereit, einen Teil seiner Seele hierfür aufzugeben? Wer konnte ihm denn garantieren, dass er danach immer noch er selbst war?

Äußerlich war Cleo zwar immer noch dieselbe. Schwarzes Haar und eine Brille, die ihre Augen unnatürlich groß wirken ließ. Doch innerlich? Sie hat wochenlang schon kein Wort mit ihm gewechselt. Zur Hölle noch mal, sie hatte Sex. Mit mehr als nur einer Person. Und dennoch befand sie sich im Aufsichtsrat.

Was würde wohl mit ihm passieren, wenn er die unsichtbare Grenze überschritt? Würden Moral und Anstand ihn verlassen? Wut und Verzweiflung ihn überkommen?

Schließlich war es endlich so weit.

"Luis Bennet."

Mit aufrechtem Kopf erhob er sich von seinem Platz und schritt nach vorne. Sogleich sein Blick auf Angelina fiel, ertönte auch schon der Applaus. Erniedrigend, etwas anderes war es nicht. Trotz des Applauses und dem jubelnden Gerufe. 

Luis fühlte sich wie gelähmt, als sein Blick auf Monroe fiel. In seinen Augen glitzerte es verheißungsvoll. Er sollte ihn nicht sehen können, nicht als Mensch und nicht aus dieser Entfernung. Und doch war er da, für alle Welt zu sehen, der Funke seiner Magie, der Stern im tiefen Schwarz seiner Pupille. Dann blinzelte Luis und schon war der Zauber gebrochen. 

Seine Augen hafteten jedoch weiter an Monroe, auf der eng anliegenden schwarzen Hose, den hohen Stiefeln und auf der grauen, ärmellosen Weste, festgeschnürt um seine Taille und über ein schwarzes Oberteil geworfen. Ganz ehrlich: Warum durfte er sich umziehen, während sie alle in ihrem befleckten Gewand und wie stinkende Hunde auftreten mussten? Luis wollte nicht einmal wissen, was genau ihm unter den Nägeln steckte. 

Erniedrigend, ja, das war es, als Luis in rußbefleckten Fetzen vor ihn trat. Die restlichen Zwölf, die sich hinter ihm reihten, machen die Situation auch nicht gerade angenehmer. Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis er unter den Augen aller vor James zu stehen kam.

"Gratuliere." James streckte ihm seine Hand entgegen. Ob er es ernst meinte oder sich nur an die Regeln des Spiels hielt, war ihm nicht bewusst. Dennoch ergriff Luis seine Hand unter dem tosenden Applaus des Publikums. Monroe zuckte bei der Berührung zusammen. Etwas huschte über seine Züge, Luis kannte ihn jedoch zu schlecht, um irgendeinen Sinn daraus zu ziehen. So oder so er schien seinen Missmut oder was auch immer es war hinunterzuschlucken. "Du hast dich gut geschlagen", sagte er. "Besser als so manche, die vor dir kamen."

Keiner von ihnen machte irgendwelche Anstalten, sich zu rühren. Mit eisernem Blick standen sie gemeinsam auf der Tribüne, ihre Hände Fläche an Fläche zusammengedrückt.

Luis müsste sich fürchten. Müsste zumindest nervös wegen des Kommenden sein. Doch etwas in ihm entfachte und verdrängte jeden Zweifel, als er die Herausforderung in James Gesichtszügen erkannte. Es war, als würde er ihn unter die Lupe nehmen, als würde er über seine Haut hinausblicken und tief in ihn hineinsehen. In diesem Moment wusste Luis, dass ihre Leben sich von hier an fort immer kreuzen würden. Ab jetzt gab es kein Zurück mehr.

Angelina begann zu sprechen. Wie verbrannt ließ James seine Hand fallen. "Ich glaube, wir sind uns alle einig, in welchen Zweig du gehörst. Nie zuvor ist einer auf einem Drachen in die Zeremonie geritten. Eine Leistung, die Kontrolle würdig ist."

Sie deutete auf James und wartete darauf, dass er das Kommando gab. Aber: "Ich stimme zu", sagte er, "es steht nicht Frage, in welchen Zweig du gehörst. Sophie." Er streckte die Hand aus und bat eine andere Schwarze an seine Seite. "Der Deceptionzweig wird dich in seine Reihen aufnehmen." Getuschel wurde in der Menge laut. Luis hörte nicht einmal annähernd auf das Geschwafel. Jetzt wusste er, was Rhyllis mit 'eingreifen' gemeint hatte.

"James", zischte Angelina ihrem Sohn entgegen, "mach dich nicht lächerlich und hör damit."

Dieser blieb jedoch hartnäckig. "Sophie, schick ihn bitte aufs Feld." Unsicher blickte die junge Frau zwischen ihm und Angelina hin und her. Alles an der Direktorin schrie 'wag es ja nicht', doch Sophie sprach ihre Worte.

"Wir freuen uns, dich aufzunehmen. Steig bitte auf die Plattform und beginne die Verwandlung."

Wie besessen trieben Luis' Füße ihn voran. Immer näher, bis seine Zehenspitzen den blauen Kreis streiften. Es war der Erste von Dreien. Danach würden drei Grüne folgen, drei Rote, drei Violette, drei Schwarze, bis von seiner Seele nichts mehr übrig blieb.

Ein letzter Schritt war das Einzige, das noch zwischen ihm und dem Verlust eines Teils seiner Selbst stand.

"Ja oder Nein?", fragte James dann auf einmal, als wäre es noch immer seine Wahl. Luis stieg auf das Feld, bevor er es überhaupt realisierte. Blitzschnell nahm der Wind zu, als hätte der Drache mit seinen Flügeln geschlagen. Eines der Tore leuchtete auf. Licht schoss aus seinen Pfeilern hinaus in die Arena. Es traf Luis mit einem Schlag, der ihn in die Knie zwang.

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James konnte seinen Augen nicht trauen. Es war unmöglich. Komplett außerhalb des Rahmens der Möglichkeiten. Kontrolles Magie - es gab bei weitem nicht genug davon. Auf der ganzen Welt verloren Menschen den Verstand, die Fähigkeit Arme und Beine zu bewegen. Manche konnte weder essen noch sprechen, andere wurden inkontinent, und wieder andere wurden von ihrer eigenen Kraft verschlungen. Und doch passierte es. James konnte nichts dagegen machen. 

Es war viel zu viel, ohne Tausch, ohne Regeln. Es war das reine Chaos. Es hätte nur Stück sein dürfen, ein Stück Magie, das seine Seele ersetzt. Ein Funke aus der Truhe der Halbgötter, die sie der Universität überlassen hatten. Nur ein Funke der Magie, die in dieser ruhte. Und auch nur im Tausch für einen Teil seiner Seele. Wahrhaft nur im Tausch, damit sich die Energie in der Truhe regenerieren konnte. 

James streckte eine Hand in den Strahl, der Luis umschlang. Die Magie sollte sich instinktiv von ihm angezogen fühlen. Er hatte viel mehr Kontrolle als Luis. Theoretisch sollte sie ihn bevorzugen. Doch sie streifte nur seine Fingern, tänzelte grüßend, beinahe spöttisch, über seine Haut. Es brachte alles nichts. Vehement zog James an der Magie. Wenn sie so weiter machte, würde nichts von ihr übrigbleiben. Das letzte bisschen purer Kontrolle verloren in einem unbedeutenden Menschlein.

Es würde das Ende bedeuten. Das Ende von James. Das Ende von allem.

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Ich hatte einen schrecklichen Tag. Schrecklich. Ergo Cliffhanger-Zeit. Hab knapp 1000 Wörter deshalb ins nächste Kapitel verfrachtet...

Dennoch: Ich hoffe es hat euch gefallen. 

Was sagt ihr eigentlich zu Angelina? (Man zieht sie James vor Luis durch den Dreck. Worst Wingwomen ever.)

Theorien sind wie immer willkommen. Bets on was als nächstes passiert?

a) Theo wollte Luis ermorden. Kontrolles Magie = Romantic rival killer

b) Luis ist Olivias Außerwählte. Jetzt hat er nicht nur ihre Magie, er muss auch Frieden zwischen den Magischen und Normalos schaffen.

c) nichts davon. (Eigene Theorie ->)

PS: Morgen veröffentliche ich eine romantische Kurzgeschichte für einen Wettbewerb! Falls euch die Romanze hier zu langsam entsteht oder ihr einfach neugierig seid, schaut doch mal vorbei. Hier schon mal ein kleiner Vorgeschmack: 


PPS: Falls euch die Story gefällt und ihr mehr als ein Kapitel wollt, sagt bescheid. Bei genügend Interesse, schreib ich gerne weiter daran.

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