Der verlorene Hengst
Annika lief hinter Dreamheart her, sie folgte seinen Hufabdrücken im weichen, erdigen Boden, weil sie diese am Straßenrand nach fast 150 Metern entdeckt hatte.
Annika verlangsamte ihre Schritte. Die Dämmerung hatte bereits vor Stunden begonnen und vor einer Stunde geendet. Sie war lieber vorsichtig, um sich nicht zu verletzen und Dreamheart zu erschrecken. Wo auch immer er war, sie musste ihn finden.
"Ich muss ihn wiederfinden... Ich muss, ich muss, ich muss.", murmelte sie leise verzweifelt.
Plötzlich knackte es im Unterholz neben ihr.
"Dreamheart?", fragte Annika.
Ein lautes Schnauben ertönte hinter ihr und sie drehte sich um.
"Dreamheart.", seufzte Annika erleichtert.
Dreamheart sah sie an. Mit tief hängendem Kopf sah er ihr direkt in die Augen. Seiene Augen schimmerte traurig im Mondlicht und Annika wusste sofort, was ihn bedrückte. Eine kalte Welle der Angst und Trauer, des Schuldgefühls und der tiefen Überzeugung, niemals mehr Ivy auf dem Rücken tragen zu können, schlug über sie ein und sog sie tief ins kalte Meereswasser der Gedanken. Annika tauchte hinab in das tiefe Gefühlschaos von Dreamheart und spürte, was ihn bedrückte und wie verzweifelt er nach einem Ausweg suchte.
Wieder richtig da, sah Annika Dreamheart mitfühlend an.
"Ich weiß, du hast viel erlebt. Gutes wie Schlechtes. Und dass das Schlechte dich so in die Tiefe zieht, das kann ich dir nicht verdenken. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Die Angst. Die Trauer. Die Schuldgefühle. Ich erkenne alles in dir wieder, was ich einst bei Sunny gesehen habe. Bei ihr war es ähnlich, nur viel schlimmer. Als wir sie damals aus einem Schlachtpferch auf einem Pferdemarkt bei Brüssel in Belgien zurück zu uns geholt haben und sie mein Pferd wurde, war sie vollkommen verstört und traumatisiert gewesen. Sie hatte auch Angst und Schuldgefühle, weil sie schon als Fohlen an ihre Mutter mit schmerzendem Herzen zurück dachte. Sie hatte sich schuldig für den Tod ihrer Mutter gefühlt. Aber bei einem Feuer... da ist es nur das Glück, das einem zur Seite steht oder auch nicht. Seit dem Feuer im Stall trauert sie. Nur nicht immer kann man es noch sehen.
Und ich kann dich verstehen. Du trauerst, weil du glaubst, dass du schuld daran bist, weil der Unfall passiert ist.", sagte Annika leise und strich ihm einen Strähne zur Seite, die sonst vor seinem Auge prangte.
"Die Angst, dass du noch einmal jemanden verletzt, ist nicht mehr nur ein wenig in dir, es ist schon ein Teil von dir geworden, sowie die Angst vor einem Schlachter. Ich weiß, dass dieser Humphrey oder wie auch immer der Typ hieß, an den Ivys Eltern dich verschachert haben, bevor du abgehauen bist, nicht gerade ein sehr umgänglicher Typ ist. Und dass er dich wohl ziemlich hart angepackt hat, um dich mitzunehmen.", fügte Annika noch hinzu.
Dann versprach sie ihm:"Aber das ist vergangen. Es gehört der Vergangenheit an und Ivy wird niemals zulassen, dass dir etwas passiert oder ihr noch einmal einen Unfall haben werdet.
Ich weiß, dass du mir vertraust, aber Angst vor dem hast, was noch kommen mag.
Ich kann das verstehen, Dreamheart. Aber so ist das Leben, es ist nicht immer alles leicht und schwerelos.
Dass die Bodenarbeit dich fordert und dir auch manchmal Spaß macht, das ist gut. Aber wenn du nicht willst oder du einfach keine Nerven dafür hast, dann musst du auch nicht dein Bestes geben oder alles mitmachen. Ivy liebt dich und würde dich dafür niemals beurteilen. Zudem ist keiner perfekt. Kein Mensch, kein Pferd. Wenn du keine Lust hast, dann weigere dich. Ivy wird dir dann auch mal etwas Freiraum lassen, wenn du ihn brauchst.
Ich weiß nicht, was ich dir jetzt noch Gutes raten kann, aber hör auf dein Herz. Ivy wird immer für dich da sein und egal was passiert, sie ist immer auf deiner Seite und wird dich genauso beschützen wie lieben. Sie würde dich jiemals zu etwas zwingen, weil sie dich unendlich doll liebt."
Der Hengst schnaubte. Dreamheart wusste, dass Annika Recht hatte, dennoch hatte er immer noch Angst. Er hatte sich bereits binter einer Mauer versteckt, die in einer Sackgasse endete und sich verloren fühlte, weil er wusste, dass seine Angst ihn beeinflusste.
"Na, komm. Sunny wartet sicherlich schon verzweifelt auf uns.", damit ging sie und lockte Dreamheart hinter sich her. Der Hengst folgte ihr langsam und zögernd, doch als Sunny sie schon von Weitem sah, flippte die Stute vor lauter Vorfreude aus und wieherte aufgeregt und laut.
Dreamhearts Muskeln spannten sich an und er sah aufmerksam, ja wachsam in Sunnys Richtung, mit hoch erhobenem Kopf, um auch ja alles von überall wahrnehmen zu können.
Annika dagegn entspannte sich total. Sie wollte, dass Dreamheart auf sie einging und ihr entspannt folgte.
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