✰ Kapitel 8
Stille.
Cassies Blick ist nachdenklich an die Decke gerichtet und ich kann sehen, wie es in ihrem Kopf arbeitet. Kein Wunder, nachdem ich ihr nun tatsächlich alles gebeichtet habe. Trotzdem bin ich froh, es endlich ausgesprochen zu haben.
»Und du träumst jede Nacht von ihm?«, vergewissert sie sich schließlich, ihre braunen Augen voller Mitgefühl auf mich gerichtet.
Ich nicke stumm und sie nimmt meine Hand. »Weißt du, was das einzig Verrückte an der ganzen Sache ist?« Sie pausiert kurz, ehe sie fortfährt: »Dass du es mir nicht schon viel eher erzählt hast!«
»Ein paar Mal war ich kurz davor, aber wie soll man so etwas Absurdes in Worte fassen, ohne vollkommen durchgeknallt zu klingen?!«
»Es muss einen besonderen Grund haben, dass du diese Träume hast«, sagt sie schließlich und streicht sich aufgeregt eine ihrer schwarzen Locken hinters Ohr.
»Hm«, mache ich und putze mir die Nase, welche von meinem Heulanfall vollkommen verstopft zu sein scheint. »Mir fällt wirklich nichts ein, was all das erklären könnte.«
Verwundert beobachte ich, wie Cassie sich aus dem Bett schwingt und in Richtung ihrer winzigen Küchenzeile bewegt. »Kaffee oder Tee?«, fragt sie, während sie bereits zwei Tassen aus dem Hängeschrank über der Spüle fischt.
»Es ist mitten in der Nacht«, gebe ich zu bedenken und fasse mir an meinen noch immer dröhnenden Schädel. »Eine Schmerztablette könnte ich jetzt wohl eher gebrauchen.«
»Wir werden doch sowieso kein Auge mehr zu machen«, lacht sie kopfschüttelnd. Sie befüllt den Wasserkocher und betätigt den seitlichen Knopf, um die Heizplatte zu aktivieren. »Ich mache uns Matcha-Tee, der wirkt Wunder gegen Müdigkeit.«
Sie verlässt die Küche, um im Badezimmer zu verschwinden. Ich kann hören, wie sie einen Schrank durchwühlt und frage mich, was sie nun wieder vorhat.
»Hier«, sagt sie und drückt mir nach ihrer Wiederkehr ein kleines braunes Fläschchen in die Hand. »Ist besser gegen Kopfschmerzen als jede Tablette.«
»Was ist das?«, will ich wissen und begutachte kritisch das Etikett. Im Hintergrund verkündigt das typische Klicken des Wasserkochers, dass der Siedepunkt mittlerweile erreicht ist.
»Japanisches Minzöl. Du musst es auf den Schläfen verteilen! Pass aber auf, dass nichts ins Auge geht – das brennt sonst wie Feuer.«
Ich öffne das Fläschchen und leiste dem Rat meiner Freundin Folge. Die angenehme Kühle des Öls legt sich auf meine Haut und ich atme tief ein, um den speziellen Duft zu inhalieren. In der Zwischenzeit bereitet Cassie den Tee vor und kehrt anschließend mit zwei dampfenden Tassen zum Bett zurück.
»Also ...«, ergreift sie das Wort und stellt die heißen Gefäße auf dem Nachttisch ab, bevor sie sich erneut neben mich fallen lässt. »... vielleicht bist du ja sowas wie ein Medium oder so?«
Jetzt bin ich diejenige, die ihre Freundin mit aufgerissenen Augen ansieht. »Medium?«, wiederhole ich ihre Worte, nur um sicherzugehen, sie richtig verstanden zu haben.
Sie nickt aufgeregt. »Was, wenn er eine Art Geist ist und dir etwas mitteilen will?«
»Ich weiß gerade wirklich nicht, ob mich diese Vorstellung beruhigen oder verstören soll.«
»Fassen wir mal zusammen: Er erscheint dir in jedem Traum, ihr seid offenbar verliebt und verbringt jedes Mal eine schöne Zeit miteinander – bis auf diese Nacht.«
»Das ist ganz schön kurzgefasst, aber ja ... Ich schätze, so kann man es beschreiben.«
»Dann ist da noch die Tatsache, dass er nicht spricht«, redet sie unbeirrt weiter, »dafür muss es doch auch eine Erklärung geben, oder nicht?«
»Cassie ...«, unterbreche ich ihren Redefluss. »Ich habe mir schon hunderte Male den Kopf zerbrochen, aber eins kannst du mir wirklich glauben: Eine Erklärung gibt es ganz sicher nicht.«
»Liebst du ihn?« Wow, die Frage trifft mich ziemlich unvorbereitet. Obwohl ich nicht lange überlegen muss, zögere ich. »Dein Schweigen werte ich als Ja«, schlussfolgert meine beste Freundin und greift kurzerhand zum Nachttisch, um mir eine der Teetassen zu reichen.
»Es ist doch vollkommen egal, wie ich es nenne«, jammere ich und nehme einen kleinen Schluck aus der Tasse. Liebe ist ein großes Wort, aber womöglich die treffendste Beschreibung, wenn ich ehrlich zu mir bin.
»Das ist irgendwie total romantisch«, erwidert Cassie seufzend. »Natürlich ist es auch tragisch, aber das sind die besten Liebesgeschichten doch immer, oder?«
»Sind sie das?«, frage ich mit hochgezogener Augenbraue. Kurz überlege ich, ob es nicht vielleicht besser gewesen wäre, wenn sie mich einfach nur ausgelacht hätte. Immerhin müsste ich mich dann nicht so intensiv mit meinem Unterbewusstsein auseinandersetzen.
»Hallo?«, empört sie sich. »Bonnie und Clyde, Romeo und Julia, nicht zu vergessen ...«
»Danke, das reicht«, stoppe ich sie und verdrehe die Augen. »Soweit ich weiß, sind die alle tot und ich würde eigentlich gerne noch ein bisschen weiterleben.«
»Ich möchte dir doch nur helfen, das Rätsel zu lösen«, gibt sie kleinlaut zurück. »Was ist, wenn ihr in einem früheren Leben mal zusammen gewesen seid und er dich über deine Träume erreichen will?«
»Keine Ahnung«, wiegele ich ihre Spekulationen ab und fokussiere mich stattdessen erneut auf meinen letzten Traum. Allein der bloße Gedanke daran beschert mir eine Gänsehaut am ganzen Körper und die Dunkelheit scheint sich dabei wie ein dichter Nebel um meine Gedanken zu legen. Noch immer habe ich klar die Bilder vor Augen, fast so, als hätten sie sich unwiderruflich in mein Unterbewusstsein gebrannt.
Dieser Albtraum hat irgendeine tieferliegende Bedeutung, dessen bin ich mir auf eine nicht näher definierbare Art bewusst. Doch egal, wie ich es drehe und wende, mir will nicht einleuchten, was das alles zu bedeuten hat. Ich möchte weder ein Medium sein, noch mich in eine Reihe tragischer Figuren einreihen. Eigentlich bin ich doch einfach nur Allie und dabei würde ich es furchtbar gerne belassen. Doch insgeheim weiß ich, dass es dafür schon viel zu spät ist. Diese Träume sind ein Teil meines Lebens, damit muss ich mich abfinden. Ganz davon abgesehen, bin ich nicht bereit, meinen Traummann gehen zu lassen.
»Oh Gott«, stoße ich plötzlich hervor und schlage mir erschrocken eine Hand vor den Mund. Mir ist plötzlich ein beängstigender Gedanke gekommen, welcher mir förmlich die Luft zum Atmen raubt.
»Was ist jetzt wieder los?« Cassie sitzt kerzengerade im Bett und starrt mich entgeistert an.
»Was ist, wenn die Dunkelheit ihn verschluckt hat und ich ihn nie mehr wiedersehe?«
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