✰ Kapitel 7

»Wehe, du kotzt ins Taxi«, höre ich Cassie sagen, aber es scheint, als wäre sie Millionen von Lichtjahren entfernt.

Nur am Rande bekomme ich mit, wie mich mehrere Personen in Richtung eines gelben Fahrzeuges tragen und anschließend umständlich ins Innere manövrieren. Ich habe keine Ahnung, was meine Freundin dem Fahrer gesagt hat, aber ich bekomme mit, wie er aus seinem Wagen hechtet und zum Kofferraum rennt. Gleich im Anschluss fliegt die Tür neben mir auf und ein riesiges Plastikteil landet auf meinem Schoß.

»Was ist das?«, nuschle ich, aber ich niemand scheint mich zu hören. Vielleicht haben sie auch einfach keine Lust, mir zu antworten.

Ich akzeptiere also dieses Ungetüm auf meinen Beinen und schließe erneut meine Augen. Von der Fahrt nach Hause bekomme ich überhaupt nichts mit, denn verwundert stelle ich fest, wie Cassie mich irgendwann aus dem Auto zerrt.

»Du schuldest mir verdammt nochmal eine Erklärung«, schimpft sie aufgebracht, während wir durch die kühle Nachtluft in Richtung Wohnkomplex laufen. Ihre Finger sind dabei wie ein Schraubstock um meinen Arm gelegt und kurz überlege ich, ob sie vielleicht absichtlich fester zudrückt, als es nötig wäre. »Hast du mich verstanden, Miss Bennett?«

»Mhm«, mache ich nur, denn selbst wenn ich wollte, könnte ich wohl keinen sinnvollen Satz mehr formulieren.

Ohne zu realisieren, wie ich dort hingekommen bin, finde ich mich plötzlich in Cassies Bett wieder. Sie selbst scheint noch im Bad zu sein und mein Versuch, mich aufzusetzen, endet in einem erneuten Schwindelanfall. Hilflos bleibe ich liegen, in der Hoffnung, irgendwie meine Gedanken ordnen zu können.

»Du bist ja wieder wach«, stellt meine Freundin überrascht fest, als sie irgendwann zu mir ins Bett klettert. Sie zieht die Decke noch ein wenig höher, um meine Schultern ebenfalls mit dem weichen Stoff zu bedecken.

»Wenn du doch noch kotzen musst, sag mir bitte rechtzeitig Bescheid, ja? Ich steh nicht so darauf, Erbrochenes in meinem Gesicht zu haben«, sagt sie in ihrer gewohnt trockenen Art und ich muss kurz auflachen.

Trotzdem versuche ich still liegen zu bleiben, denn jede unbedachte Bewegung fühlt sich wie eine wilde Karussellfahrt an. Alle möglichen Gedanken schwirren mir durch mein betrunkenes Gehirn, bis ich wieder an ihn denken muss. Noch während ich verzweifelt versuche, mich auf etwas anderes zu konzentrieren, drifte ich langsam aber sicher in meine Traumwelt ab.

Diesmal ist es jedoch anders als sonst. Ich bin allein und die Atmosphäre ist so düster, dass ich schaudere. Hilflos irre ich umher. Etwas stimmt hier ganz und gar nicht, wie ich ganz deutlich spüren kann. Irgendwann erkenne ich ihn in der Ferne, aber er scheint mich nicht wahrzunehmen. Lautes Rauschen, dessen Ursprung ich nicht ausmachen kann, umgibt uns und macht es somit unmöglich, ihn durch Rufen auf mich aufmerksam zu machen.

Je mehr ich versuche, mich ihm zu nähern, desto größer wird die Distanz zwischen uns. Ich beginne zu rennen, meine Füße versinken währenddessen in dem sandigen Untergrund und hindern mich somit daran, meinen Schritt weiter zu beschleunigen. 

Immer wieder sehe ich zu ihm, aber er sieht mich nicht an. Ein dichter Nebel scheint sich um meine Sinne zu legen und kurz befürchte ich, mein Herz würde einfach aufhören zu schlagen.

 Fassungslos muss ich schließlich mit ansehen, wie er in der Dunkelheit verschwindet , woraufhin ich verzweifelt zu schreien beginne.

»Allie? Mein Gott, was ist denn los?« Cassie hat das kleine Licht auf ihrem Nachttisch angeknipst und schaut mich vollkommen verängstigt an.

»Was ist passiert?«, will ich von ihr wissen, während ich das unangenehme Brummen meines Schädels ignoriere und mich stattdessen orientierungslos umsehe.

»Du hast wirres Zeug geredet und plötzlich losgebrüllt«, erklärt sie besorgt, bevor sie sich ein Stückchen weiter in meine Richtung beugt und mich genauer betrachtet. »Hey, du weinst ja sogar!«

Ganz automatisch wische ich mir mit dem Handrücken über mein Gesicht und spüre die Feuchtigkeit auf meinen Wangen. Die Bilder meines Traumes blitzen daraufhin vor meinem inneren Auge auf, aber ich versuche sie eilig wegzublinzeln. Anderenfalls würde ich vermutlich erneut in Tränen ausbrechen.

Cassie ist mittlerweile aufgestanden und kommt mit einem Paket Taschentücher zurück. Sie reicht mir eines der Papiertücher und schlüpft anschließend wieder unter die Decke. »Sagst du mir jetzt, was dich bedrückt?«, fleht sie leise. Mir ist bewusst, dass sie die ganze Situation belastet und es zerreißt mir das Herz, nicht ehrlich zu ihr zu sein.

»Ich kann nicht ...«, erwidere ich trotzdem verzweifelt und versuche ihrem Blick auszuweichen.

»Du kannst mir alles erzählen«, stellt sie sofort klar und streicht mir über mein verheultes Gesicht. »Wir sind beste Freundinnen und du könntest mir sogar einen Mord beichten, ohne dass ich meine Liebe zu dir anzweifeln würde.«

»Einen Mord? Ernsthaft?«, lache ich halbherzig auf. Sie hingegen scheint das vollkommen ernst zu meinen, denn sie verzieht keine Miene.

»Jetzt lenk nicht ab«, bohrt sie weiter nach. »Ich muss wissen, was los ist und zwar jetzt

»Wie viel Uhr ist es?«

»Was spielt das für eine Rolle?«

»Ich will ausrechnen, wie viel Promille ich noch in meinem Blut habe.«

»Wir haben ungefähr drei Stunden geschlafen und offenbar bist du wieder in der Lage, ein zumindest halbwegs normales Gespräch zu führen. Von daher ist es vollkommen egal, ob du noch betrunken bist oder nicht. Also ...?«

»Es geht nicht ...«, presse ich hervor und drehe mich mit dem Gesicht zur Wand, um irgendwie ihrem Blick zu entgehen.

»Allie«, appelliert sie an mich und denkt offenbar überhaupt nicht daran, aufzugeben. »Bitte.«

Warme Tränen sammeln sich in meinen Augen und ohne dass ich es beeinflussen kann, schluchze ich leise auf. Cassie schlingt daraufhin von hinten ihren Arm um mich. »Ist schon gut«, versucht sie mich zu beruhigen. »Ich bin für dich da. Immer.«

»Wenn ich es dir sage, wirst du denken, ich bin verrückt«, merke ich niedergeschlagen an, während noch immer unkontrolliert Tränen über mein Gesicht strömen.

»Das denke ich sowieso«, versucht sie die Situation aufzulockern. »Spätestens seit du im Taxi in eine Babybadewanne gekotzt hast. Allerdings gibt es trotzdem nichts, was du mir nicht sagen kannst.«

Erst will ich protestieren, dann fällt mir jedoch wieder das Ungetüm auf meinem Schoß ein. »Das war eine Babybadewanne? Wieso zum Teufel hat der Taxifahrer so etwas in seinem Wagen?«

»Wegen Leuten wie dir, schätze ich.« Cassie lacht kurz auf, bevor sie wieder ernst wird. »Zurück zum Thema: Du kannst mir alles erzählen, das weißt du, oder?«

»Da bin ich mir nicht so sicher«, erwidere ich im Flüsterton, bevor ich mich dann doch wieder zu ihr umdrehe. Ich atme tief ein, während ich sie ansehe und endlich eine Entscheidung getroffen habe.

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