✰ Kapitel 6

»Wer bist du und was hast du mit meiner besten Freundin gemacht?«, will Cassie von mir wissen, als ich mich gegen den Tresen lehne und eine vierte Runde Wodka-Redbull bestelle. Meine Ausrede, dass ich auf das Überstehen der Klausur trinken will, scheint sie langsam anzuzweifeln.

Ich ignoriere ihre Anmerkung und beobachte stattdessen fasziniert, wie die Barkeeperin die beiden Gläser großzügig mit der klaren Flüssigkeit befüllt. Gleich im Anschluss nimmt sie einen Energydrink aus dem Kühlschrank, um die Drinks zu vervollständigen.

Der Geldschein liegt bereits auf der Theke, weshalb sie die Getränke ohne weiteren Smalltalk zu uns rüberschiebt. Gut so, denn auf Reden habe ich heute wirklich keine Lust.

»Hier!«, rufe ich und drücke Cassie eines der Gläser in die Hand. Dabei bin ich etwas zu überschwänglich – oder betrunken – denn ich verschütte einen Teil der Flüssigkeit über meinen Handrücken. »Ups«, lache ich nur unbeholfen und lecke die klebrige Substanz kurzerhand von meiner Hand.

»Oh Gott, du bist ja total besoffen«, stellt sie entsetzt fest, bevor sie mich am Arm packt und quer durch den Club schleift. Als wir die Tanzfläche erreichen, spüre ich, wie der Bass in jede Faser meines Körpers dringt. Doch meine Versuche mich zur Musik zu bewegen, werden von meiner besten Freundin ausgebremst. Stattdessen zieht sie mich energisch durch die feiernde Menschenmenge und stoppt erst, als wir im Vorraum der Toiletten angekommen sind.

»Ist es wegen Ian?« Ich glaube, sie schaut mich mitleidig an, aber ihr Gesicht verschwimmt vor meinen Augen und ich schaffe es nicht, sie zu fixieren.

»Nein, natürlich nicht«, lalle ich und schüttle meinen Kopf ein wenig zu heftig. Daraufhin muss ich mich an der Wand abstützen, denn anderenfalls hätte ich wohl das Gleichgewicht verloren.

»Ich bin normalerweise diejenige, die sich volllaufen lässt«, antwortet sie besorgt und nimmt mir meinen Drink aus der Hand, um ihn kommentarlos in eines der Waschbecken zu kippen.

»Hey! Was soll das?«, protestiere ich, aber sie bedeutet mir mit einer Handbewegung, ruhig zu sein.

»Das will ich von dir wissen! Du bist diejenige, die sich plötzlich anders verhält!«

Ja, verdammte Scheiße! Ich verhalte mich anders, denn ich bin ganz offensichtlich vollkommen übergeschnappt und suche einfach nur Wege, um dieser Erkenntnis zu entfliehen. Wenn dies bedeutet, mich maßlos zu besaufen – bitte.

»Quatsch«, antworte ich mit ein wenig Verzögerung und behalte meine eigentlichen Gedanken für mich – wie immer in der letzten Zeit.

»Ich werde dich jetzt nicht zwingen, darüber zu reden«, erklärt sie nach einer kurzen Pause mit erhobenen Händen. »Allerdings schuldest du mir spätestens morgen eine Erklärung und ich würde vorschlagen, wir gehen nun nach Hause, damit du deinen Rausch ausschlafen kannst.«

»Bitte nicht«, flehe ich panisch, denn ich will nicht wieder in meine Traumwelt zurückkehren. Dort, wo alles perfekt ist, nur um nach dem Aufwachen erneut damit konfrontiert zu werden, dass ich offenbar meinen Verstand verloren habe.

»Na gut«, gibt sie sich geschlagen, »aber kein Alkohol mehr für dich, ist das klar?«

»Okay«, stimme ich ihr zu. Der Pegel den ich jetzt habe, wird sowieso ohne Probleme bis zur Mittagszeit halten. Immerhin bin ich hochprozentiges überhaupt nicht gewöhnt.

Sie bedenkt mich noch mit einem mahnenden Blick, dann greift sie meine Hand und wir verlassen die Sanitäranlagen. Cassie schleppt mich zur Tanzfläche, wo sie sofort anfängt, sich rhythmisch zu bewegen. Natürlich nicht, ohne mich mit Argusaugen zu beobachten.

Eine Weile tanzen wir so ausgelassen, wir es mein Zustand zulässt, bis meine Freundin plötzlich irgendjemandem hinter mir ein Handzeichen gibt. Wen zur Hölle winkt sie so fordernd zu uns herüber? Als ich mich daraufhin umdrehe, steht der blonde Kerl aus der Mensa direkt vor mir.

»Hi, ich bin Cassie«, begrüßt sie ihn mit einem breiten Grinsen, bevor sie auf mich deutet: »Und das ist Allie.«

»Freut mich«, erwidert er und sein Blick wechselt unsicher zwischen uns. »Mein Name ist Nick.«

Ich werfe meiner Freundin einen bösen Blick zu, denn obwohl ich wirklich betrunken bin, ahne ich bereits, auf was das hier hinauslaufen soll.

»Wir haben dich letzte Woche schon hier gesehen und ich dachte, vielleicht hast du ja Lust, ein bisschen mit uns zu feiern«, redet Cassie gegen die Musik an. Besagter Nick scheint ein wenig schüchtern zu sein, denn er lächelt nur verlegen.

»Okay«, bringe ich mich notgedrungen in das Gespräch ein und schenke meiner Freundin noch einen meiner Todesblicke, »ihr könnt euch ja unterhalten und ich gehe mal kurz für kleine Mädchen.«

Mein Plan, mir heimlich an der Bar Nachschub zu holen, wird jedoch sofort von ihr vereitelt. »Vergiss es«, zischt sie mir in mein Ohr und packt mich an den Schultern, um mich mit einer gezielten Bewegung direkt vor Nick zu platzieren. »Du bist diejenige, die sich unterhalten wird.«

Mit diesen Worten lässt sie uns tatsächlich stehen und verschwindet in der Menschenmenge, bevor ich die Gelegenheit habe, zu protestieren. Vielen Dank auch.

»Ist deine Freundin immer so ...?«, er scheint nach dem richtigen Wort zu suchen und kratzt sich verlegen am Hinterkopf.

»Bescheuert, aufdringlich, laut, vulgär ...«, zähle ich auf und er fängt an zu lachen. »Japp, das ist sie.«

»Ich kann auch wieder zu meinen Jungs rübergehen, wenn das für dich irgendwie eine blöde Situation ist.« Er deutet in die Richtung, aus der er gekommen ist.

»Nein, schon in Ordnung«, antworte ich und verfluche Cassie erneut. Diesmal dafür, dass er ein netter Kerl zu sein scheint und ich selbst mit einem vermuteten Blutalkoholspiegel von mindestens 1,5 Promille nicht in der Lage bin, ihn harsch abzuweisen.

»Du bist öfter hier, oder?«

»Immer dann, wenn Cassie mich dazu nötigt«, erkläre ich schulterzuckend und er verzieht seinen Mund zu einem Lächeln.

»Du bist mir letzte Woche schon aufgefallen, aber ich habe mich nicht getraut, dich anzusprechen.«

Automatisch muss ich an die Worte meiner Freundin denken. Sie hatte anscheinend recht damit, dass er mich abgecheckt hat.

»Normalerweise beiße ich nicht«, versuche ich die Situation aufzulockern, denn irgendwie tut er mir leid.

In diesem Moment kommt einer seiner Freunde zu uns rüber, um sich ebenfalls vorzustellen. In seiner Hand ein augenscheinlich alkoholisches Getränk.

»Was ist das?«, will ich neugierig wissen und zeige auf das Glas, ohne mir seinen Namen gemerkt zu haben.

»Whiskey-Cola!«

Dann mache ich etwas, was mein nüchternes Ich niemals gutheißen würde: Ohne zu fragen, aber mit einem charmanten Lächeln, nehme ich den Drink aus seiner Hand. Ich höre, wie Nick etwas wie »Ich glaube, du hast schon genug!«, sagt, aber ich ignoriere ihn und kippe die kühle Flüssigkeit in einem Zug runter.

Der Freund von Nick scheint mir mein Verhalten nicht übel zu nehmen, aber als ich neben ihn sehe, blicke ich direkt in das wütende Gesicht von Cassie.

»Spinnst du jetzt völlig?«, stellt sie mich sofort zur Rede, die Augen zu kleinen Schlitzen verengt.

»Du warst doch gar nicht da«, antworte ich nun doch etwas eingeschüchtert, denn so aufgebracht habe ich sie lange nicht mehr erlebt.

»Natürlich war ich da. Denkst du ernsthaft, ich lasse dich alleine?«, empört sie sich und deutet auf einen freien Barhocker, nur wenige Meter von uns entfernt. »Ich habe dich die ganze Zeit beobachtet, aber ich konnte nun echt nicht damit rechnen, dass du einem wildfremden Typen das Getränk aus der Hand reißt.«

Cassies Schimpftirade vermischt sich langsam aber sicher mit der immer lauter scheinenden Musik. Obwohl ich es wirklich versuche, kann ich ihr nicht mehr folgen.

Vielleicht war der Whiskey doch keine so gute Idee.

»Mir ist schlecht«, presse ich irgendwann mühsam hervor, während sich alles um mich herum zu drehen beginnt.

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