✰ Kapitel 4
Meine Finger zittern, als ich meinen Namen auf den Kopf des vierseitigen Papierbogens schreibe. Obwohl Cassie und ich in den letzten Tagen tatsächlich intensiv gelernt haben, ist meine Zuversicht spätestens nach Eintreten unseres Professors zu einem Häufchen Nichts zusammengefallen.
Es herrscht eine angespannte Stimmung im Hörsaal und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass selbst das Fallen eines einzelnen Stiftes einen ohrenbetäubenden Lärm verursachen würde. Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass der Mann mit dem graumelierten Haar und dem auffallend gezwirbelten Schnurrbart dafür bekannt ist, ziemlich streng zu bewerten. Die Plätze rechts und links neben mir sind leer, so wie es auch bei jedem anderen Studenten im Raum der Fall ist.
In meinem Kopf gehe ich alle möglichen Aspekte der Klinischen Psychologie durch und atme einmal tief ein, um mich auf die vorgegebenen Aufgabenstellungen fokussieren zu können. Ein letzter Blickaustausch mit Cassie – welche eine Reihe vor mir sitzt und trotz dieser Situation ein Lächeln auf den Lippen hat – bevor ich mit der ersten Aufgabe beginne.
Die hundertzwanzig Minuten vergehen wie im Flug, aber trotzdem schaffe ich es irgendwie, rechtzeitig fertig zu werden. Eilig packe ich meine Sachen zusammen und gehe anschließend zum Pult des Professors, um ihm meine Klausur auszuhändigen. Er nickt mir kurz zu und nimmt meinen Klausurbogen entgegen, um ihn feinsäuberlich in eine Mappe zu legen. Dann verlasse ich mit schnellen Schritten den Hörsaal.
Als ich durch die schwere Tür in den Korridor trete, kommt Cassie sofort auf mich zugestürmt. Sie war ungefähr fünf Minuten vor mir fertig und hat natürlich auf mich gewartet. »Und? Wie ist es gelaufen?«, will sie aufgeregt von mir wissen.
»Ich konnte alles beantworten, jetzt muss es nur noch richtig sein«, antworte ich schulterzuckend. Im Nachhinein zu beurteilen, ob eine Prüfungsleistung gut oder schlecht gelaufen ist, finde ich ziemlich schwierig. Es ist schon vorgekommen, dass ich mir sicher war, total versagt zu haben, aber letztendlich doch ziemlich zufrieden mit der Note gewesen bin. Auch der umgekehrte Fall ist bereits vorgekommen, weshalb ich lieber darauf verzichte, irgendwelche Mutmaßungen anzustellen.
»Das wird schon. Wir haben bestanden, davon bin ich überzeugt«, redet sie zuversichtlich auf mich ein, bevor sie sich auch schon bei mir unterhakt. »Mensa?«, schiebt sie nach und reibt sich mit der freien Hand demonstrativ über den Bauch, um ihr Hungergefühl zu unterstreichen.
Kurze Zeit später finden wir uns auch schon in der Schlange vor der Essensausgabe wieder. »Weißt du schon, was du nimmst?«, fragt Cassie, ohne den Blick von der digitalen Anzeige über der Ausgabe abzuwenden.
»Die vegetarischen Tacos klingen ganz gut«, überlege ich laut. »Und du?«
»Finde ich auch«, stimmt sie mir zu und zeigt gleich im Anschluss auf einen großen, blonden Kerl, der etwas weiter vorne in der Schlange steht. »Den habe ich neulich im Heartbeat gesehen«, flüstert sie unnötigerweise, denn bei dem Geräuschpegel um uns herum, könnte er uns vermutlich nicht mal hören, wenn sie schreien würde.
»Ah«, mache ich wenig geistreich, denn ich verstehe nicht, worauf sie hinauswill.
»Er ist süß, oder?«, konkretisiert sie ihr Anliegen und wirft mir einen vielsagenden Blick zu.
»Wenn du das sagst«, antworte ich ausweichend, denn mein Typ ist er definitiv nicht. Objektiv betrachtet ist er wahrscheinlich attraktiv, allerdings bin ich wirklich nicht interessiert.
»Ach, komm schon! Etwas Ablenkung nach dem Ian-Fiasko würde dir sicher guttun und ich habe zufällig gesehen, wie er dich neulich im Club abgecheckt hat«, kichert sie und ihr Ellenbogen landet fordernd in meinen Rippen.
»Ähm ... Nein danke, aber wenn du ihn so gut findest, kannst du doch dein Glück versuchen«, schlage ich vor und hoffe, sie lässt es gut sein.
»Ich mache mich ganz bestimmt nicht an jemanden ran, der offensichtlich auf meine beste Freundin steht«, empört sich Cassie lachend. »War auch nur eine Idee«, ergänzt sie noch, während sie ihre Hände unschuldig anhebt.
Glücklicherweise kommen wir nicht mehr dazu, das Thema zu vertiefen, denn eine grimmig dreinblickende Kantinenmitarbeiterin wartet bereits darauf, unsere Bestellung entgegenzunehmen. Als wir schließlich mit den Tabletts durch den Speisesaal laufen, besteht die nächste Aufgabe darin, einen freien Tisch zu finden. Ein Unterfangen, was gar nicht so einfach ist. Umso erleichterter bin ich, als wir tatsächlich zwei Plätze in der hintersten Ecke entdecken.
»Wann hast du deinen nächsten Dienst?«, will meine Freundin wissen, als wir endlich platzgenommen haben. Sie nippt an ihrer Cola und betrachtet mich abwartend.
»Am Freitag Nachtdienst und am Sonntag Spätschicht«, gebe ich genervt zurück. Derjenige, der den Dienstplan geschrieben hat, muss echt ein Arschloch sein.
»Schade«, erwidert Cassie und setzt einen Schmollmund auf. »Ich habe gehofft, wir würden am Freitag wieder ins Heartbeat gehen.«
»Leider nein«, antworte ich und verschweige dabei, dass mich das nicht ganz so traurig macht, wie sie.
»Samstagabend ist ja zum Glück auch noch eine Möglichkeit«, kichert sie, bevor sie den Taco mit beiden Händen zum Mund führt.
»Mal sehen. Ob ich nach der Nachtschicht wirklich Lust auf einen Abend im Club habe, kann ich dir echt nicht versprechen.« Ganz davon abgesehen, dass in meinen Träumen jemand auf mich wartet. Natürlich spreche ich letzteres nicht laut aus, der Gedanke an ihn lässt mich trotzdem lächeln.
»Was grinst du denn schon wieder so dümmlich?«, nuschelt Cassie mit vollem Mund, woraufhin ich ertappt zusammenzucke.
»Ich hab bloß darüber gelacht, wie dämlich es aussieht, wenn man sich den Mund so vollstopft wie du!«, lüge ich und strecke ihr die Zunge raus.
Sie leert ihren Mund und mustert mich mit zusammengekniffenen Augen. »Jetzt mal im Ernst«, beginnt sie und scheint kurz über die richtige Wortwahl nachzudenken, bevor sie fortfährt. »Irgendwie wirkst du seit einiger Zeit verändert. Erst habe ich gedacht, dass ich mir das bloß einbilde, aber du starrst oft vor dich hin und lächelst oder wirkst total abwesend.«
»Das ...«, stammle ich und versuche in meinem Kopf eine schlagfertige Antwort zu formen. »Das ist doch totaler Quatsch«, bringe ich schließlich wenig souverän hervor und merke, wie eine unangenehme Hitze mein Gesicht erfasst.
Wenn ich so weitermache, wird sie mir früher oder später auf die Schliche kommen.
»Ist es das?«, hakt sie noch immer skeptisch nach, ihr prüfender Blick starr auf mich gerichtet. »Oder verschweigst du mir etwas?«
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