✰ Kapitel 3
Kurze Zeit später klopft es auch schon an der Tür zu meinem Apartment. Als ich öffne, kommt eine vollkommen übermüdete Cassie hereinspaziert, in ihren Händen zwei Starbucks-Becher in Übergröße. Einen reicht sie mir im Vorbeigehen, bevor sie sich auch schon wie selbstverständlich auf mein Bett sinken lässt.
»Ist das ...?«, beginne ich und deute auf das Getränk in meiner Hand. Allerdings komme ich gar nicht dazu, den Satz zu beenden.
»Japp ... Ein Iced Brown Sugar Oatmilk Shaken Espresso, extra groß, da ich dachte, dass wir heute definitiv die doppelte Menge Espresso vertragen können«, bestätigt sie meine Vermutung und kann nur mit Mühe ein Gähnen unterdrücken.
»Du wohl mehr als ich«, antworte ich lachend, bevor ich mich ebenfalls auf meinem Bett niederlasse. »Wie war die Schicht im Krankenhaus?«
»Frag nicht«, erwidert sie augenrollend. »Die neue Assistenzärztin macht mich echt fertig.«
Seit dem ersten Semester arbeiten wir nebenbei im Johns Hopkins Hospital, was oft wirklich auslaugend sein kann. Meist werde ich für zwei Schichten pro Woche eingeteilt, die oft auf das Wochenende fallen. Leider arbeiten wir grundsätzlich an unterschiedlichen Tagen, was uns aber nicht davon abhält, uns regelmäßig über die Arbeit auszutauschen.
»Ich finde sie eigentlich ganz nett«, gebe ich zu und nehme anschließend einen großzügigen Schluck aus meinem Becher. »Sie hat einen sonderbaren Humor, aber sonst ist sie echt in Ordnung – denke ich.«
»Hm«, macht meine Freundin, bevor sie abrupt das Thema wechselt. »Nochmal etwas von Ian gehört?«
»Hör auf«, jammere ich und schlage mir meine freie Hand vor die Augen.
»So schlimm?«, will sie wissen.
»Schlimmer! Ich fühle mich furchtbar!«
»Ian ist n-e-t-t«, buchstabiert sie plötzlich, woraufhin ich dann doch die Hand von meinen Augen nehme und sie verwirrt ansehe. »Du weißt, was das heißt, oder? Nett ist die kleine Schwester von Scheiße und ich habe von Anfang an gewusst, dass es nicht halten wird«, schiebt sie hinterher und zuckt unbedarft mit ihren Schultern.
»Ach ja? Und warum hast du nie etwas dergleichen gesagt?«, will ich mit hochgezogener Augenbraue von ihr wissen.
»Weil ich deine beste Freundin bin! So lange ich vermute, dass du glücklich bist, werde ich den Teufel tun und dir deine Beziehung schlechtreden!«
»Er denkt, ich hätte jemanden kennengelernt«, gebe ich ein weiteres Detail meines Telefonats mit ihm wieder und kann sofort den vorwurfsvollen Ton seiner Stimme in meinen Gedanken hören.
Cassie prustet daraufhin los und verschluckt sich fast an ihrem Getränk.
»Was ist daran so lustig?«, empöre ich mich und boxe ihr scherzhaft gegen die Schulter.
»Wenn es jemanden in deinem Leben gäbe, wäre ich wohl die Erste, die davon wüsste, oder?« Sie schüttelt belustigt den Kopf, als wäre es der Witz des Jahrhunderts. In der Zeit vor meinen Träumen hätte ich wohl mitgelacht, aber jetzt kann ich nicht anders, als betreten zu Boden zu sehen. Meiner besten Freundin entgeht meine Reaktion natürlich nicht.
»Hey, ist alles okay?«, will sie daher wissen und stellt ihren mittlerweile fast vollständig geleerten Becher auf meinem Nachttisch ab, um ihre Hände anschließend auf meinem Arm zu platzieren. »Es gibt doch niemanden, oder?«
Oh doch, eigentlich schon. Aber wenn ich dir von ihm erzähle, wirst du mich wahrscheinlich ohne zu zögern einweisen lassen.
»Natürlich nicht«, lüge ich also und setze eine entsetzte Miene auf. »Ich will mich aufs Lernen fokussieren, hab ich doch schon mehr als einmal gesagt.«
»Apropos Lernen«, hakt sie sofort ein, während ihr die Erleichterung deutlich ins Gesicht geschrieben ist, »wie weit bist du heute gekommen?«
»Bin fast mit den relevanten Themen durch«, kommt eine weitere Lüge über meine Lippen und ich hoffe, dass sie sich mit der Antwort zufriedengibt.
»Echt? Ich habe mir vorgenommen, morgen nach der Schicht im Krankenhaus noch etwas zu lernen«, erklärt sie kleinlaut, weil ihr eigentlich bewusst ist, dass sie mal wieder viel zu nachlässig mit den Lerninhalten war. Sie gehört eindeutig zu den Studenten, die immer irgendwie durchkommen, aber mit etwas Lerninitiative locker zu den Besten gehören könnten.
»Wenn du willst können wir morgen auch zusammenlernen«, schlage ich nicht ganz uneigennützig vor. Wenn sie neben mir sitzt, bin ich zumindest gezwungen, in die Unterlagen zu gucken. »Außerdem haben wir noch vier Tage bis zur Klausur, das kriegen wir schon irgendwie hin.«
Nach einer weiteren halben Stunde verabschiedet sich meine Freundin und obwohl ich sie liebe, bin ich froh, wieder alleine zu sein. Am liebsten würde ich mich sofort ins Bett legen, um den Mann meiner Träume wiedersehen zu können. Allerdings ist die Vorstellung, an einem Samstag um 17 Uhr schlafen zu gehen, dann doch etwas verstörend und ich beschließe, mir eine andere Beschäftigung zu suchen.
Kurzerhand suche ich mein zu klein geratenes Badezimmer auf, um eine heiße Dusche zu nehmen. Nachdem ich mich meiner Kleidung entledigt habe, ziehe ich den grauen Vorhang beiseite und stelle das Wasser an. Allerdings achte ich wie immer penibel darauf, dass mich der Strahl erst berührt, wenn das Wasser eine angenehme Temperatur erreicht hat. Die Wärme durchflutet meinen Körper und kurz überlege ich, dass eine Dusche zu zweit doch noch viel schöner sein würde ...
»Oh Gott, du musst unbedingt damit aufhören«, murmle ich zu mir selbst und greife nach der Shampooflasche, um meine langen, dunkelblonden Haare damit zu waschen.
Was, wenn ich tatsächlich verrückt geworden bin?
Vielleicht gibt es irgendein Syndrom, durch das man sich krankhaft in seine Träume hineinsteigert und ich bin davon betroffen? Das wäre zumindest eine halbwegs plausible Erklärung für mein Verhalten.
Eilig wasche ich mir den Schaum aus den Haaren und vom Körper, bevor ich mir ein Handtuch von der Ablage schnappe und mich darin einwickle. Als ich aus der Dusche trete, wische ich mit einer Hand den Beschlag vom Spiegel und meine grünen Augen blicken mir erschöpft entgegen. Wahrscheinlich würde ich zum jetzigen Zeitpunkt so ziemlich alles geben, um ihn zum Leben zu erwecken und diese Erkenntnis fasziniert und schockiert mich gleichermaßen.
Warum zum Teufel muss ausgerechnet ich mich in eine verdammte Fantasie verlieben?
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