✰ Kapitel 26
Mittlerweile sind drei Tage seit meiner Kündigung im Krankenhaus vergangen. Natürlich haben Cassie und Madelaine versucht, mich in der Zwischenzeit umzustimmen, aber ich habe beiden mehrfach klargemacht, dass ich so nicht weitermachen kann. So sehr ich die Arbeit dort auch vermisse, ich kann einfach nicht mehr.
Allein der Gedanke, erneut einem ahnungslosen Ethan gegenübertreten zu müssen, treibt meinen Puls auf unangenehme Weise in die Höhe und so habe ich mittlerweile akzeptiert, den für mich einzig möglichen Weg gewählt zu haben. Auch, wenn genau dieser Weg für Unverständnis bei meinen Mitmenschen sorgt.
»Bist du immer noch sicher, dass es die richtige Entscheidung ist?«, vergewissert sich Cassie erwartungsgemäß, als wir das Gebäude unserer Fakultät betreten, um eine der morgendlichen Vorlesungen zu besuchen. Wir haben dieses Gespräch in den letzten Tagen schon oft geführt, aber sie hofft anscheinend immer noch, mich irgendwie vom Gegenteil überzeugen zu können.
»Bitte«, flehe ich deshalb und bedenke meine Freundin mit einem eindringlichen Blick, »wir haben das schon mehrfach besprochen, also lass es einfach gut sein, ja?«
»Ich glaube einfach nicht, dass es der richtige Weg ist«, antwortet sie kopfschüttelnd, die Augenbrauen angespannt zusammengezogen. Mittlerweile haben wir den Zugang zu dem von uns angestrebten Saal erreicht und sie schließt ihre Finger um den Knauf. »Man kann nicht vor seinen Gefühlen weglaufen«, schiebt sie nach, bevor sie die Tür öffnet und in den Raum huscht.
»Du verstehst das nicht«, zische ich ihr zu, während wir uns den Weg an ein paar bereits anwesenden Studenten vorbeibahnen. »Wie solltest du auch?«
»Allie«, ruft sie etwas lauter, als es nötig gewesen wäre und knallt ihre Tasche auf einen der leerstehenden Tische, bevor sie sich aufgebracht zu mir umdreht. »Ich kann nicht einfach dabei zusehen, wie du in dein Unglück läufst. Du wirst nie wissen, warum er in deinen Träumen aufgetaucht ist, wenn du ihn jetzt aufgibst!«
»Loslassen und aufgeben sind zwei verschiedene Dinge«, verteidige ich meine Entscheidung. »Stell dir vor, du führst ein Jahr lang eine glückliche Beziehung und plötzlich weiß die Person nicht mal, dass du überhaupt existierst. So in etwa fühlt es sich für mich an! Was würdest du dann tun, hm?«
»Ich würde kämpfen«, antwortet Cassie entschlossen und ihre braunen Augen mustern mich fordernd. »Wir wissen doch beide, dass deine Verdrängungstaktik nicht aufgeht, oder?«
Kraftlos lasse ich die Schultern hängen und nehme auf einem freien Stuhl Platz. Die neugierigen Blicke der anderen Studenten ignoriere ich dabei so gut es geht. »Wenn ich wüsste wie ich noch kämpfen könnte, würde ich das auch«, flüstere ich erstickt. Daraufhin nimmt sie neben mir Platz und legt einen Arm um mich.
»Du weißt, dass ich nur das Beste für dich will«, sagt sie in einem versöhnlichen Tonfall, während sie ihre Hand tröstend über meinen Rücken streichen lässt. Natürlich ist mir das bewusst. Trotzdem kann sie nichts an meiner Situation ändern. Niemand kann das.
Bevor wir unsere Unterhaltung fortsetzen können, kommt auch schon der Professor in den Raum gehetzt, um mit seiner Vorlesung zu beginnen. Während er also etwas zu den Aspekten der Psychologie erzählt, driften meine Gedanken dank Cassies Predigt erneut zu Ethan ab. Natürlich vermisse ich ihn. In meinen Träumen und selbstverständlich ebenfalls in der Realität.
Es ist auch nicht so, dass ich in den letzten Tagen nicht an ihn gedacht habe, allerdings ist es mir irgendwie gelungen, ihn zumindest phasenweise aus meinem Kopf zu verdrängen. Auch wenn diese Phasen womöglich nicht länger als ein paar Minuten gewesen sein könnten.
Plötzlich beginnt Cassies Handy zu vibrieren und da sie ihr Telefon vor sich auf dem Tisch liegen hat, muss ich lediglich den Kopf in ihre Richtung drehen, um auf ihr Display sehen zu können. Eingehender Anruf von Maddie, ist dort zu lesen, was meine beste Freundin ebenfalls irritiert zur Kenntnis nimmt.
Sie bedeutet mir mit einem entsprechenden Handzeichen, kurz den Raum zu verlassen, um das Telefonat entgegennehmen zu können. Im nächsten Moment eilt sie bereits durch den Saal und ich beobachte nachdenklich, wie sie durch die Tür nach draußen verschwindet.
Kurz überlege ich, ob mittlerweile etwas ernstes zwischen den beiden läuft und fühle mich furchtbar, weil ich ihr in der letzten Zeit überhaupt keine Gelegenheit gegeben habe, etwas über sich zu erzählen. Alles hat sich nur um mich gedreht, weshalb der Award für die schrecklichste Freundin auf dem Planeten eindeutig an mich geht. Ich werde mich revanchieren, so viel steht fest.
Bevor ich mir jedoch Gedanken um eine angemessene Wiedergutmachung machen kann, beginnt mein Handy ebenfalls zu vibrieren. Eine neue Nachricht von Cassie wird angezeigt:
Pack deine Sachen
und komm raus.
Sofort!
Was ist los?
Erkläre ich dir,
sobald du vor mir
stehst und sei
bitte so lieb,
meinen Kram
auch mitzubringen.
Ich dachte,
wir wollen uns
auf die Uni
konzentrieren?
Beeil dich!
Augenrollend verstaue ich unsere Unterlagen in den Taschen, bevor ich sie mir über die Schultern hänge und peinlich berührt durch den Hörsaal hetze. Ich kann förmlich spüren, wie sich der genervte Blick des Professors in meinen Rücken bohrt, als ich die Tür öffne und ebenfalls in den Korridor eile.
»Ich hoffe, du hast eine gute Erklärung, denn–«, beginne ich, aber ich komme nicht dazu meinen Satz zu beenden. Sie fuchtelt wild mit den Fingern vor meinem Gesicht herum und bedeutet mir, still zu sein.
»Madelaine hat mich angerufen! Wir müssen sofort ins Krankenhaus«, redet Cassie fast schon hysterisch auf mich ein und ich versuche anhand ihrer Mimik zu erahnen, was überhaupt los ist.
»Was ...«, stammele ich, aber Cassie hat schon nach meiner Hand gegriffen, um mich durch das Fakultätsgebäude nach draußen zu ziehen. »Ist irgendetwas mit Ethan?«, bringe ich schließlich ängstlich hervor, woraufhin Cassie abrupt in ihrer Bewegung stoppt, was zur Folge hat, dass ich beinahe in sie hineinlaufe.
»Natürlich hat es was mit Ethan zu tun! Oder denkst du, Madelaine ruft mich aus Spaß während ihrer Frühschicht an, obwohl sie weiß, dass ich gerade in einer Vorlesung sitze?!«
»Geht es ihm gut? Mein Gott, Cassie! Jetzt rede endlich Klartext!« Meine Stimme bebt, während sich meine Gedanken bereits vor Sorge um ihn überschlagen.
»Er erinnert sich an dich, Allie!«, ruft sie euphorisch und schlingt ihre Arme für einen kurzen Moment um mich, bevor sie sich auch schon wieder in Bewegung setzt, »und du wirst dich jetzt endlich mit ihm aussprechen!«
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