✰ Kapitel 17

Als ich drei Tage später im Krankenhaus ankomme, sehe ich Madelaine lediglich zur Übergabe. Trotzdem nimmt sie mich vor ihrem Feierabend kurz zur Seite. »Wie geht's dir?«, will sie wissen und ich erkenne sofort, dass die Frage aufrichtig und nicht bloß als Floskel gemeint ist.

»Ich bin einfach froh, Ethan endlich wiedersehen zu können«, flüstere ich und sie nickt verstehend.

»Seine Eltern haben sich heute Nachmittag angekündigt«, lässt sie mich wissen. »Schaffst du es, ihnen neutral gegenüberzutreten?«

»Hm«, mache ich und versuche eine ehrliche Antwort auf die Frage zu finden. »Ich werde es versuchen«, schiebe ich schließlich mit einem schiefen Lächeln nach.

»Außerdem kann es sein, dass Kate dich in die Aktivierung miteinbezieht.«

»Was?«, bringe ich gerade so hervor, während mir abwechselnd kalt und heiß wird. Wenn es tatsächlich dazu kommt, kann ich ihn berühren, ohne mir dabei wie eine Schwerverbrecherin vorzukommen.

»So«, reißt mich Madelaine aus meinen Gedanken und bedenkt mich mit einem zur Vorsicht mahnenden Blick, »ich bin dann mal weg. Wir sehen uns nächstes Wochenende zu einer gemeinsamen Schicht wieder, wie ich dem Dienstplan eben entnommen habe.«

Wir verabschieden uns voneinander und als die Assistenzärztin endgültig durch die Tür verschwindet, blicke ich ihr einen Moment dankbar hinterher.

In den ersten Stunden meiner Schicht kümmere ich mich um reguläre Aufgaben, wie Betten beziehen, Patienten zu Untersuchungen begleiten oder darum, das Essen zu verteilen. Obwohl ich wirklich versuche, professionell zu sein, driften meine Gedanken immer wieder zu Ethan ab. Es ist verdammt schwer, konzentriert zu bleiben, wenn der Mensch den ich liebe, nur wenige Meter von mir entfernt liegt und uns gleichzeitig ein ganzes Universum zu trennen scheint.

Als ich mich für meine Pause in das Schwesternzimmer zurückgezogen habe, kommt Kate auf mich zu. »Madelaine sagte, du sollst mir bei der Aktivierung von Mr. Marsh helfen. Wenn du möchtest, können wir nach deiner Pause damit starten.«

Ich verschlucke mich fast an meinem Kaffee und kann nur mühsam einen Hustenanfall unterdrücken. »Klar«, krächze ich schließlich und versuche, eine neutrale Miene aufzusetzen, während mein Herz bereits bei dem Gedanken daran zu rasen beginnt.

»Dann bis gleich«, verabschiedet sich die Krankenschwester und ich schiebe meinen Stuhl zurück, um mich zu erheben. Wie in Trance trete ich an den kleinen Spiegel über dem Waschbecken heran. Ich kippe den Rest meines Kaffees in den Abfluss und betrachte mich überfordert.

»Du schaffst das«, murmle ich zu mir selbst und versuche meine Worte irgendwie zu verinnerlichen. »Wenn du Ethan dabei unterstützen kannst, sein Bewusstsein wieder zu erlangen, wirst du dich gefälligst zusammenreißen.«

Umso schneller werde ich erfahren, ob er mich ebenfalls aus seinen Träumen kennt.

Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen und ich straffe die Schultern, bevor ich das Schwesternzimmer verlasse und mich auf die Suche nach Kate mache.

****

Ethan liegt ganz ruhig da, einzig die Maschinen um ihn herum piepen in regelmäßigen Abständen und erinnern daran, dass er nicht nur ein kleines Schläfchen macht.

Jede Faser meines Körpers sehnt sich danach, ihn zu berühren und die Wärme seines Körpers vollends in mich aufzunehmen. Trotzdem stehe ich ein bisschen verloren in der Mitte des Raumes und beobachte, wie Kate jeweils einen Stuhl auf jeder Seite des Bettes platziert. Anschließend wäscht und desinfiziert sie ihre Hände und bedeutet mir, das gleiche zu machen.

Danach lasse ich mich auf den mir zugewiesenen Stuhl fallen und beobachte, wie Kate vorsichtig mit einem kleinen medizinischen Ball über Ethans Oberarme fährt. »Im Prinzip geht es nur darum, Reize zu erschaffen. Wenn wir Glück haben, hilft ihm das beim Aufwachen«, erklärt sie, ohne den Blick von dem Patienten abzuwenden. »Die Eltern haben auch eine Playlist mit seinen liebsten Songs zusammengestellt und werden diese nachher mitbringen.«

Sofort beginne ich zu überlegen, was für eine Art Musik er wohl mag, aber bevor ich eine Antwort darauf finde, meldet sich die Krankenschwester erneut zu Wort: »Jetzt machst du das Gleiche auf der anderen Seite.« Kate reicht mir den blauen Ball und deutet auf Ethans Oberarm. Mit zitternden Händen platziere ich den Ball auf ihm und beginne, die Bewegungen von Kate zu imitieren. Einatmen, ausatmen ...

Gebannt starre ich auf sein Gesicht und bete, er möge doch einfach seine Augen öffnen. Aber er liegt weiterhin nur friedlich da, gefangen in seiner eigenen Welt.

Plötzlich beginnt Kates Pieper zu vibrieren, woraufhin sie genervt einen Blick auf das Display wirft. »Ich bin sofort wieder da. Mach einfach genauso weiter, ja?«, weist sie mich an und bevor ich ihr antworten kann, ist sie auch schon durch die Tür verschwunden.

Oh Gott, ich bin wirklich allein mit Ethan.

Ohne weiter darüber nachzudenken, lege ich den Ball beiseite und streiche stattdessen vorsichtig mit meinen Fingerkuppen über seine weiche Haut. »Du musst aufwachen, hörst du?«, flüstere ich eindringlich. »Es gibt so viel, was ich dir sagen will.«

Als ich Schritte vor der Tür höre, platziere ich schnell wieder den Ball auf seinem Arm. Die Tür öffnet sich, aber zu meiner Verwunderung, ist es nicht Kate, die in das Zimmer tritt. Ein Mann und eine Frau stehen im Türrahmen und blicken mir entgegen. Sofort wird mir klar, dass es sich dabei um seine Eltern handelt. Sein Dad hat das gleiche markante Kinn wie Ethan und auch die Augenpartie erinnert mich sofort an den Mann meiner Träume.

»Hallo«, begrüßen mich die beiden freundlich, während sie sich ihrer Jacken entledigen und diese anschließend an die Garderobe hängen. »Danke, dass Sie sich um unseren Sohn kümmern«, ergreift die blonde Frau mittleren Alters als Erste das Wort und schenkt mir ein warmes Lächeln.

»Sehr gerne«, presse ich hervor und mir kommt sofort in den Kopf, dass ich mich auf keinen Fall merkwürdig benehmen darf. »Meine Kollegin sagte, Sie würden Mr. Marshs Lieblingsmusik mitbringen?«

»Oh ja«, lächelt der Mann und hält einen USB-Stick in die Höhe. »Den hat sein bester Freund fertiggemacht.«

»Ethan liebt Musik. Es gibt eigentlich keine Situation, wo er keine gehört hat«, erinnert sich seine Mom und ich meine, einen Hauch Wehmut in ihrer Mimik zu erkennen.

»Eigentlich hört er sowieso hauptsächlich diesen ... wie heißt der noch gleich?« Ethas Dad kratzt sich überlegend am Kopf und wartet, darauf, dass seine Frau ihm auf die Sprünge hilft.

»The Weeknd?«, platzt es aus mir raus, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Allerdings habe ich keine Ahnung, wie ich gerade auf diesen Interpreten komme. Ich mag seine Musik, aber nicht so sehr, dass er mir als erstes in den Kopf kommen sollte.

»Woher wissen Sie das?«, antworten beide überrascht und ich weiß wirklich nicht, wie ich diese Frage beantworten soll.

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