✰ Kapitel 16

»Ich nehme alles zurück, was ich über Madelaine gesagt habe«, merkt meine beste Freundin kleinlaut an, als wir uns auf dem Heimweg befinden. »Eigentlich habe ich fest damit gerechnet, dass sie uns nicht glauben wird.«

Ich nicke stumm, während sich meine Gedanken noch immer überschlagen. Mich überrascht es nicht, dass Ethan tatsächlich jenes Muttermal besitzt und trotzdem spüre ich eine noch immer anhaltende Erleichterung durch meinen Körper strömen. Ich bin nicht verrückt und konnte dies sogar vor Cassie und Madelaine beweisen.

»Habe dir doch gleich gesagt, dass sie in Ordnung ist«, murmle ich schließlich und bedenke Cassie mit einem wissenden Blick. »Ich hab ein Auge für gute Menschen.«

Sie hebt ergeben die Hände und wir legen ein Stück des Weges schweigend zurück.

»Was hast du nun vor?«, ergreift sie irgendwann doch wieder das Wort. »Jetzt, wo wir zweifelsfrei wissen, dass Ethan der Mann deiner Träume ist?«

»Wenn ich das nur wüsste«, seufze ich nachdenklich. »Am liebsten würde ich mich einfach an sein Bett setzen, seine Hand halten und darauf warten, dass er endlich aufwacht.«

»Wirst du ihm von deinen Träumen erzählen?«, will sie wissen, als wir endlich die Tür zu unserem Wohnkomplex erreicht haben. Mittlerweile ist es weit nach Mitternacht und ich bin furchtbar erschöpft. Cassie kramt hektisch ihren Schlüsselbund hervor, während ich die Zeit nutze, um mir über ihre Frage Gedanken zu machen.

Die Ereignisse der letzten Tage sind so schnell über mich hereingebrochen, dass ich bisher keine Zeit hatte, meine weiteren Schritte im Voraus zu planen. Natürlich würde ich ihm am liebsten alles erzählen, aber ich habe gleichzeitig panische Angst davor. Was, wenn er mir nicht glaubt? Oder noch viel schlimmer: Wenn er denkt, ich hätte Wahnvorstellungen?

»Ich weiß es nicht«, antworte ich also ehrlich und beobachte, wie Cassie endlich das Schloss für uns öffnet. Als wir die Treppen zu unserer Etage hochlaufen, überlege ich noch immer, wie ich mich am besten verhalten soll, wenn er aufwacht. Und ich hoffe, dass dies bald der Fall sein wird.

»Möchtest du, dass ich bei dir schlafe?«, bietet meine Freundin an und ich nicke dankbar. In Gesellschaft grüble ich deutlich weniger, was insbesondere im Moment einen positiven Nebeneffekt darstellt.

Gemeinsam begeben wir uns daraufhin in mein Apartment, wo wir uns sofort für die Nacht fertigmachen. »Ich wüsste wirklich gerne, wie sich seine Stimme anhört«, überlege ich laut, während ich mir nebenbei die Zähne putze. Cassie – die selbstverständlich ebenfalls eine Zahnbürste bei mir am Spiegel stehen hat – spült gerade ihren Mund aus. Anschließend stellt sie den Zahnputzbecher auf der Ablage ab und sieht mich im Spiegel an.

»Wann war Ethans Unfall nochmal?«, will sie plötzlich von mir wissen, die Augenbrauen überlegend zusammengezogen.

»Am Samstag«, antworte ich und versuche aus ihrem Gesicht abzulesen, worauf sie jetzt wieder hinauswill.

»Dein Albtraum war ebenfalls am Samstag«, stellt sie fest, ihre Augen nun ehrfürchtig geweitet. Es dauert einen Moment, bis die Bedeutung ihrer Worte bei mir ankommt, aber ich bin nicht fähig, einen Zusammenhang herzustellen.

Trotzdem breitet sich eine Gänsehaut auf meinem Körper aus, als ich daran denke, wie Ethan in die Dunkelheit gegangen ist und ich schüttle ganz automatisch meinen Kopf – so, als könnte ich dadurch die grausame Erinnerung daran vertreiben. Der Gedanke daran schmerzt auf einer fast schon körperlichen Ebene, weshalb ich mich bisher so gut wie möglich in Verdrängung geübt habe.

»Verstehst du denn nicht?«, richtet sie sich erneut aufgeregt an mich, »er ist in die Dunkelheit gegangen, als er durch den Unfall ins Koma gefallen ist! Das bedeutet, ihr seid miteinander verbunden!«

Jetzt bin ich diejenige, die sie mit großen Augen im Spiegel ansieht. Darüber habe ich bisher noch gar nicht nachgedacht. War sein Eintreten in die Dunkelheit tatsächlich ein Zeichen für den Zeitpunkt seines Unfalls gewesen?

»Was, wenn er in deinen Träumen keine Stimme hatte, weil das Schicksal bereits wusste, dass er bei eurem Aufeinandertreffen im Koma liegt und somit nicht sprechen kann?«, redet sie unbeirrt weiter. Aufgeregt greift sie nach meiner Hand, während ihr Körper vor Aufregung bebt. »Ich denke, du wirst dafür sorgen, dass er seine Stimme wieder nutzen kann!«

Das ist zu viel für mich. Hilflos lehne ich mich gegen die kühlen Fliesen hinter mir und versuche, die neu gewonnen Informationen irgendwie zu verarbeiten. »Du meinst also, wir sind füreinander bestimmt?«, frage ich irgendwann hoffnungsvoll, denn diese Möglichkeit habe ich bisher nicht in Betracht gezogen.

Diesmal ist es Cassie, die heftig nickt. »Ich könnte mir sogar vorstellen, dass er ebenfalls von dir träumt.«

Wow, dieser Gedanke schafft es tatsächlich, mir ein leichtes Lächeln auf die Lippen zu zaubern. 

»Wir werden die Antwort darauf leider erst erfahren, wenn er aufwacht«, seufze ich ungeduldig, allerdings beschließe ich trotzdem, mich an diesen Hoffnungsschimmer zu klammern.

»Vielleicht kann Madelaine dafür sorgen, dass du einen Teil der Aktivierung übernimmst. Dann könntest du Zeit mit ihm verbringen und wärst vielleicht sogar bei ihm, wenn er sein Bewusstsein wiedererlangt«, schlägt meine beste Freundin vor, aber ich hebe sofort abwehrend die Hände.

»Wir sollten unser Glück mit Madelaine nicht überstrapazieren«, gebe ich zu bedenken. Obwohl sie zugesichert hat, mein Geheimnis zu bewahren, möchte ich sie eigentlich nicht noch tiefer in all das hineinziehen.

»Ich habe morgen wieder Dienst mit ihr und werde mich vorsichtig vortasten, ja?« Cassie sieht mich zuversichtlich an. »Wenn das Schicksal Ethan und dich zusammengeführt hat, müssen wir alles tun, um es dabei zu unterstützen.«

»Wenn du wirklich recht damit hast, würde das alles verändern«, antworte ich noch immer überwältigt. Die Vorstellung, dass er ebenfalls von mir geträumt haben könnte, gibt mir neue Hoffnung.

»Wir müssen uns noch ein Weilchen gedulden, aber ich bin trotzdem sicher, dass sich alles zum Guten wenden wird.« Cassie streicht mir zuversichtlich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht und schenkt mir ein aufbauendes Lächeln.

»Was würde ich nur ohne dich machen?«, frage ich und sie grinst breit.

»Wir beide gegen den Rest der Welt, richtig?« 

»Definitiv.« Ich lächle und sie stupst mich in die Seite.

»Eine Sache musst du mir aber versprechen«, ergreift sie erneut das Wort und die gespielte Strenge in ihrer Stimme lässt mich aufhorchen. »Auch wenn das Universum dich und Ethan zusammengebracht hat, ändert das nichts an unserer Freundschaft, ja?«

»Nichts und niemand wird je etwas an unserer Verbindung ändern«, verspreche ich ihr ohne zu Zögern. Natürlich würde ich niemals zulassen, dass sich jemand zwischen uns stellt.

Sie nickt erleichtert. »Dann lass uns jetzt gemeinsam herausfinden, in wie fern dein Albtraum und sein Unfall miteinander verbunden sind.«


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