✰ Kapitel 15

Nachdem ich die Kurzfassung meiner Situation in Windeseile runtergerattert habe, warte ich angespannt auf eine Reaktion von Madelaine. Ehrlich gesagt bin ich davon überzeugt, dass sie mich entweder auslachen oder ohne Umwege an die psychiatrische Abteilung überweist.

Viele Falten zieren ihre Stirn, während ihr Blick verwirrt zwischen mir und Cassie wechselt. »Oh, ihr meint das tatsächlich ernst, ja?«, bringt sie irgendwann hervor, die Augenbrauen noch immer irritiert zusammengezogen.

Bevor ich weiter auf sie einreden kann, öffnet sich die Tür vom Schwesternzimmer und einer der Krankenpfleger tritt ein. Er scheint uns keine große Beachtung zu schenken, denn er läuft auf direktem Wege zum Medikamentenschrank, um etwas aus einer der Schubladen zu holen. Gleich im Anschluss verlässt er das Zimmer auch schon wieder, während wir noch immer wie festgefroren auf der Stelle verharren.

»Ihr beide«, wendet sich die Ärztin erneut an uns und ihr Zeigefinder schwenkt von Cassie zu mir, »werdet mir nach unserer Schicht nochmal genau erläutern, was in euren Köpfen vorgeht. Anschließend entscheide ich darüber, ob ich euer merkwürdiges Verhalten vielleicht doch noch melden muss.«

»Okay«, sagen wir wie aus einem Mund und beobachten, wie sie sich, noch immer um Fassung bemüht, in Richtung Tür bewegt. Als sie kurz davor ist, den Raum ebenfalls zu verlassen, dreht sie sich erneut zu uns um: »Ihr werdet heute keinen Fuß mehr in das Zimmer von Mr. Marsh setzen, ist das klar?«

Wir nicken beide heftig, was sie mit einem halbwegs zufriedenen Nicken quittiert. Dann lässt sie uns endlich allein und ich lausche der kurzzeitigen Stille, die uns nun umgibt.

»Fuck«, flüstere ich schließlich, während ich spüre, wie sich meine Augen langsam mit Tränen füllen. Wie habe ich es eigentlich geschafft, mein Leben in kürzester Zeit ins komplette Chaos zu stürzen?

Cassie schließt zu mir auf und streicht mir aufmunternd über den Rücken. »Ich habe doch gleich gesagt, dass ich sie nicht mag«, knurrt sie, aber ich schüttle lediglich meinen Kopf. Selbstverständlich muss sich Madelaine von unseren Absichten überzeugen, immerhin hat sie uns tatsächlich in einer verdächtigen - und noch dazu nicht rational erklärbaren - Situation erwischt.

Irgendwie schaffen wir es trotz allem, uns die restlichen Stunden um die Ohren zu schlagen. Immer wieder versuche ich mir innerlich die passenden Worte zurechtzulegen, nur um dann doch wieder bei Null anzufangen. Es fällt mir unsagbar schwer, mich auf dieses unausweichliche Gespräch vorzubereiten. Da Madelaine kurz vor Dienstende noch einen Patienten versorgen muss, beschließen Cassie und ich, vor dem Krankenhaus auf sie zu warten.

Die kühle Nachtluft brennt sich in meine Lungen, als ich aus dem Gebäude ins Freie trete und ich blicke für einen Moment sehnsüchtig in den Sternenhimmel. »Warum kommt eigentlich keine verdammte Sternschnuppe, wenn man mal eine braucht?«, fluche ich leise, die Augen noch immer nach oben gerichtet.

»Du glaubst doch nicht echt, dass eine Sternschnuppe Probleme lösen kann, oder?«, lacht Cassie kurz auf und ich bedenke sie mit einem strengen Blick.

»Hättest du bis vor kurzem geglaubt, dass man sich im Traum in eine reale Person verlieben kann, bevor man überhaupt von ihrer Existenz weiß?«

»Touché«, antwortet sie schlicht und verkneift sich weitere Sprüche.

»Weißt du, was verrückt ist?«, frage ich, den Blick wieder in den klaren Sternenhimmel gerichtet. »Dass ich Ethan liebe und er nicht einmal ahnt, dass es mich gibt.«

»Ach, Allie«, seufzt meine Freundin neben mir auf und zieht mich unvermittelt in eine Umarmung.

Eine Weile hält sie mich fest und ich lege meinen Kopf erschöpft auf ihrer Schulter ab.

»Jetzt bin ich da«, ertönt eine gehetzte Madelaine neben uns und ich zucke kurz zusammen. »Lasst uns ein Stück in die Richtung laufen«, schlägt sie vor und unterstreicht ihren Vorschlag mit einem Fingerzeig in die entsprechende Richtung.

Gemeinsam setzen wir uns in Bewegung und obwohl es tausend Dinge gibt, die ich ihr gegenüber noch ergänzen will, schaffe ich es einfach nicht, den Anfang zu machen.

»Eigentlich würde ich nur gerne wissen, ob du uns glaubst«, merkt Cassie schließlich an und ich bin erleichtert darüber, dass sie das Wort ergriffen hat.

»Du hast also seit einem Jahr Träume von Mr. Marsh?«, richtet die Ärztin sich nun direkt an mich, während wir in die spärlich beleuchtete Gartenanlage des Krankenhauses abbiegen. Natürlich sind um diese Uhrzeit keine Menschen mehr dort zu finden, was ich außerordentlich erleichtert zur Kenntnis nehme.

»Ja, so ist es«, bestätige ich ihre Frage ehrlich. Ich traue mich jedoch noch immer nicht, sie anzusehen.

»Zumindest vermutest du, es sei Mr. Marsh«, korrigiert sie ihre ursprüngliche Aussage und ich erkenne trotz der Dunkelheit, dass sie mich interessiert von der Seite mustert.

»Ich bin mir sicher, dass er es ist.«

»Wenn du dir sicher bist, warum wolltest du dann nachsehen, ob er das von dir beschriebene Muttermal besitzt?«

»Vermutlich, weil ein physischer Beweis meinem Hirn endgültig klarmachen würde, dass ich nicht verrückt bin«, gebe ich im Flüsterton zu und schaffe es endlich, ihren Blick zu erwidern. 

»Ich habe mir die Akte von Mr. Marsh eben nochmal genau angesehen«, sie bleibt unter einem großgewachsenen Ahorn stehen und sieht mich eindringlich an. Die Spannung in der Luft ist fast greifbar, während ich mir nicht erlaube erneut einzuatmen.

Ratlos blicke ich zu Cassie, die ebenfalls planlos die Schultern hebt. Worauf will die Ärztin hinaus?

»Es ist nirgendwo etwas von einem Muttermal vermerkt, was nicht verwundert, weil es bei der Anamnese unerheblich ist«, ergreift sie erneut das Wort. »Diese Tatsache bedeutet allerdings im Umkehrschluss, dass ihr die Information nicht aus den Patientenunterlagen haben könnt.«

»Ich sagte doch, dass ich es weiß, weil ich ihn aus meinen Träumen kenne«, versuche ich ihr erneut zu verdeutlichen, aber sie hebt ihre Hand und bringt mich damit zum Schweigen.

»Als ich euch bei Mr. Marsh unterbrochen habe, wolltet ihr gerade seinen Oberkörper nach vorne beugen, aber ihr habt ihn nicht so weit bewegen können, dass ihr das Muttermal hättet sehen können.«

Wieder nicken Cassie und ich gleichzeitig, allerdings habe ich noch immer absolut keine Ahnung, worauf Madelaine hinauswill.

»Vor etwa einer halben Stunde bin ich in das Zimmer von Mr. Marsh gegangen und habe eure Aussage überprüft.«

Ohne dass ich etwas dagegen tun kann, wird mein Körper von einem Adrenalinschub geflutet und ich muss mich kurzerhand an dem Baumstamm hinter uns abstützen, um nicht auf der Stelle das Gleichgewicht zu verlieren.

Ich will sie am liebsten anschreien, endlich fortzufahren, aber ich bin nicht fähig, auch nur einen Ton hervorzubringen. Stattdessen starre ich sie einfach nur mit großen Augen an.

»Ja, und weiter? Jetzt rück gefälligst mit der Sprache raus«, drängt meine beste Freundin und an ihrer Stimme erkenne ich, wie angespannt sie ist.

Madelaine holt tief Luft und sieht mir dann direkt in die Augen: »Mr. Marsh hat tatsächlich ein Muttermal in Form der italienischen Landkarte zwischen den Schulterblättern.«

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