✰ Kapitel 14
Es ist das erste Mal, dass ich sein Zimmer in dem Wissen betrete, wer er ist. Das Klopfen meines Herzens ist unglaublich laut und kurz befürchte ich, Cassie könnte es ebenfalls hören.
Meine Freundin vergewissert sich mit einem letzten Schulterblick, dass niemand unser Eintreten mitbekommen hat. Ich nehme wahr, wie sie leise die Tür schließt, aber ich stehe wie angewurzelt auf der Stelle und kann meine Augen nicht von ihm abwenden.
Vollkommen ruhig liegt er da und ohne Beatmungsschlauch erkenne ich nun tatsächlich den Mann meiner Träume in ihm wieder. Noch immer führen einige Schläuche von seinem Körper zu den angrenzenden Apparaten, aber sein Gesicht sieht vollkommen friedlich aus. Einzig der Verband verrät, dass etwas nicht stimmt.
»Wenn du weiter auf der Stelle stehst und ihn anstarrst, wird Anna zurück sein, bevor wir nachsehen konnten«, reißt mich Cassie aus meinen Gedanken. Sie ist bereits an die linke Seite des Bettes herangetreten und sieht mich ungeduldig an.
Eilig begebe ich mich an seine rechte Seite und schaue kurz zu Cassie, um ihr mit meinem Blick zu signalisieren, dass ich bereit bin. Aufgrund seiner Schädelverletzung müssen wir extrem vorsichtig sein, weshalb ich das Kopfteil seines Bettes mit Hilfe der dazugehörigen Fernbedienung ein wenig weiter nach oben fahren lasse. Es war von vornherein aufrechter eingestellt, als man es bei regulären Patienten machen würde, da dies dem Zweck dient, den Heilungsprozess der Fraktur zu unterstützen.
Ein leises Surren begleitet die Bewegung des Kopfteils und als es endlich eine, für unser Vorhaben, günstige Position erreicht hat, legen wir unsere Hände gleichzeitig an Ethans Schultern. Als ich seinen Körper berühre, zucke ich jedoch erschrocken zurück. Ihn anzusehen, ist eine Sache, aber ihn zu berühren und somit seine Körperwärme zu spüren, eine ganz andere.
»Allie, du reißt dich jetzt zusammen, kapiert?«
Ich nicke und umfasse erneut seine Schulter.
»Auf drei bewegen wir ihn ganz vorsichtig und langsam nach vorne. Gerade so weit, dass du nach seinem Muttermal sehen kannst, okay?«
Wieder nicke ich und halte den Atem an, während Cassie zu zählen beginnt.
»Eins ...«
»Zwei ...«
In diesem Moment fliegt die Tür auf und wir zucken erschrocken zusammen.
»Was macht ihr denn da?« Madelaine steht im Türrahmen. Ihr Blick wechselt fragend von dem Patienten zu uns und mir wird sofort klar, dass wir in Schwierigkeiten stecken.
»Wir ... ähm ... ich wollte Allie nur zeigen, wie eine Aktivierung aussehen kann«, ergreift meine Freundin schließlich das Wort. Fast gleichzeitig lassen wir von Ethans Körper ab und treten jeweils einen Schritt zurück.
»Ihr könnt nicht einfach in dieses Zimmer gehen und ohne fachliche Anleitung an dem Patienten herumexperimentieren.«
Oh Gott, was haben wir uns nur dabei gedacht?
»Es ist alles meine Schuld«, beginne ich, aber Cassie schneidet mir das Wort ab.
»Eigentlich ist es meine Schuld. Ich wollte sie mit meinem Wissen beeindrucken«, versucht sie die Assistenzärztin zu beschwichtigen.
»Hört zu«, beginnt diese, während sie eilig die Monitore checkt und überprüft, ob alles noch seine Ordnung hat. Gleich im Anschluss bringt sie kopfschüttelnd die Matratze zurück in ihre ursprüngliche Position und scheint mehr als verwirrt von unserer Aktion zu sein. »Ich verstehe, dass ihr neugierig auf diesen Fall seid, aber ihr könnt trotzdem nicht einfach–«
Erneut öffnet sich die Tür, diesmal ist es jedoch Anna, die gerade aus ihrer Raucherpause zurückkommt.
Scheiße.
»Was ist hier los?« Die Krankenschwester blickt sich verwundert um. »Muss Mr. Marsh nochmal zu einer Untersuchung gebracht werden oder was wollt ihr alle in diesem Zimmer?«
Das war's ... Wir werden nicht erklären können, was wir hier machen und am Ende unsere Jobs verlieren.
»Ich habe den beiden gerade gezeigt, was die einzelnen Werte auf den Monitoren zu sagen haben«, springt Madelaine uns unerwartet zur Hilfe und ich kann nicht anders, als sie vollkommen verdattert anzusehen.
»Na gut«, antwortet Anna ungeduldig, »wenn ihr fertig seid, würde ich gern weitermachen.«
»Oh ja, wir wollten sowieso gerade gehen«, antwortet Madelaine mit Nachdruck, woraufhin wir fluchtartig das Zimmer verlassen. »Mitkommen«, befiehlt sie, als wir außer Hörweite von der Krankenschwester sind und wir leisten ihrer Anweisung mit gesenkten Köpfen Folge.
Sie steuert zielstrebig das Schwesternzimmer an und vergewissert sich vor dem Eintreten, dass sich aktuell kein Personal dort aufhält. Der Raum ist leer, sie eilt hinein und lehnt sich dann abwartend gegen einen der Spinde.
»Danke«, ergreife ich als Erste das Wort, denn ohne ihre Rettung wären wir vor Anna ziemlich in Erklärungsnot geraten.
»Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten«, beginnt Madelaine und bedenkt uns mit einem vielsagenden Blick, »entweder ihr sagt mir, was ihr wirklich bei Mr. Marsh wolltet oder ich bin gezwungen, es doch noch zu melden.«
»Ich habe doch schon gesagt, was–«, versucht es Cassie, aber die Ärztin schüttelt energisch den Kopf.
»Die Wahrheit«, fordert sie und ich kann nicht anders, als betreten zu Boden zu sehen.
Als keiner von uns etwas sagt, seufzt Madelaine gestresst auf. »Kennt ihr Charles Cullen?«
»Wen?«, fragen Cassie und ich im Chor, woraufhin sie nur gestresst die Augen verdreht.
»Ein Krankenpfleger, der sechzehn Jahre lang heimlich Patienten ermordet hat«, erklärt sie und ich schnappe nach Luft.
»Wir wollten Ethan ganz sicher nichts antun«, sage ich etwas lauter, als es notwendig gewesen wäre. Wie kann sie ernsthaft annehmen, dass wir ihm schaden wollen?
»Ethan?«, wiederholt Madelaine meine Wortwahl mit nach oben gezogenen Augenbrauen und ich gebe mir eine innerliche Backpfeife. »Kennst du den Patienten oder warum nennst du ihn beim Vornamen?«
Ich schüttle den Kopf, aus Angst mich mit einer erneuten Antwort in weitere Schwierigkeiten zu bringen.
»Als ich in das Zimmer gekommen bin, hattet ihr eure Hände an seinem Oberkörper und eure Blicke haben ziemlich deutlich gezeigt, dass ich euch bei etwas erwischt habe. Ganz davon abgesehen, dass ihr die Matratze verstellt habt, was bei der Art seiner Verletzung ohne ärztliche Anweisung sowieso tabu ist! Wenn ihr also keine Mini-Versionen von Mr. Cullen seid, bestehe ich sofort auf eine plausible Erklärung.«
Zögerlich sehe ich zu Cassie, die kaum merklich den Kopf schüttelt. Sie hat bereits den Mund geöffnet und ich vermute, dass sie mir mit einer weiteren Lüge den Arsch retten will – so wie sie es immer macht.
Da ich nicht möchte, dass sie den Kopf für etwas hinhält, was allein mein Verschulden ist, treffe ich kurzerhand eine Entscheidung.
»Du willst die Wahrheit?«, frage ich mit fester Stimme und Madelaine bedeutet mir mit einem ungeduldigen Handzeichen, endlich mit der Sprache rauszurücken.
Daraufhin hole ich tief Luft und bete inständig, dass sie mich nach meiner Erklärung nicht einweisen lässt.
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