✰ Kapitel 13

»Wir können da nicht gemeinsam aufschlagen«, flüstere ich angespannt, als Cassie zusammen mit mir das Krankenhausgebäude betritt. »Du hast heute keinen Dienst und dein Auftauchen wird für Verwirrung sorgen.«

»Überlass das mal mir«, erwidert sie ebenso leise und zwinkert mir verschwörerisch zu. »Wir werden gemeinsam herausfinden, ob Ethan Marsh eine Landkarte auf seinem Rücken hat, das verspreche ich dir.«

Mit diesen Worten drückt sie energisch auf den Fahrstuhlknopf. Einerseits bin ich unglaublich erleichtert, sie an meiner Seite zu haben, aber andererseits möchte ich nicht, dass sie wegen mir Probleme bekommt.

Als sich die Tür vor uns öffnet, treten wir Hand in Hand in die Kabine. Auf der Fahrt nach oben sagt niemand von uns ein Wort. Pures Adrenalin fließt durch meine Venen, als wir schließlich auf unserer Station angekommen sind und irgendwie komme ich mir wie eine Schwerverbrecherin vor.

Cassie löst unsere Verbindung, woraufhin ich sie fragend ansehe. »Geh schon mal vor«, weist sie mich an und deutet in Richtung des Schwesternzimmers.

»Was? Warum?«, antworte ich ängstlich und will erneut nach ihrer Hand greifen. Kurz bevor ich sie berühre, zieht sie jedoch ihre Finger weg.

»Vertrau mir einfach. Wenn wir da gemeinsam reingehen, wird Anthony auf jeden Fall misstrauisch.«

Mit diesen Worten dreht sich Cassie ab und ich sehe ihr nach, bis sie in dem kleinen Lagerraum am Ende des Korridors verschwunden ist. Mein Mund fühlt sich furchtbar trocken an, als ich endlich den Mut aufbringe, in das Schwesternzimmer einzutreten.

»Hey!«, begrüßt mich Anna, eine Krankenschwester mittleren Alters, und sie schenkt mir ein freundliches Lächeln. Ich nicke zur Begrüßung und öffne meinen Spind, um meine Arbeitskleidung hervorzuholen.

Als ich mich umgezogen habe, setze ich mich zu dem anderen Personal an den Tisch und warte darauf, dass die Übergabe beginnt. Währenddessen wandert mein Blick immer wieder zum Eingang des Raumes, in der Hoffnung, Cassie würde bald auftauchen.

Hoffentlich ist sie nicht bereits erwischt worden.

Gerade als Anthony das Wort ergriffen hat, fliegt die Tür auf und eine gehetzt wirkende Cassie kommt in das Zimmer gelaufen. »Ich bin zu spät – tut mir echt leid«, richtet sie das Wort in die Runde und ich kann nicht anders, als sie mit großen Augen anzustarren.

Unser Stationsleiter schiebt seinen Stuhl zurück und erhebt sich sichtlich irritiert. Bevor er etwas sagt, tritt er an die übergroße Magnetkarte am hinteren Ende des Zimmers heran und lässt seinen Finger suchend über den dort aushängenden Dienstplan gleiten. »Du hast erst Morgen wieder Dienst«, stellt er schließlich fest und ich klatsche mir innerlich gegen die Stirn. Das ist also ihr Plan?

»Was?«, gibt sie sich unschuldig und schließt zu Anthony auf, um ebenfalls einen Blick auf den Plan zu werfen. »Oh Mist, du hast recht! Ich muss wohl in der Zeile verrutscht sein.«

Er bedenkt sie mit einem nachdenklichen Blick und ich überlege, was wohl in seinem Kopf vorgeht.

»Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten«, richtet er sich nun direkt an sie, »entweder zu gehst wieder nach Hause oder du bleibst und baust Überstunden auf. Kate hat sich vorhin krankgemeldet und etwas Unterstützung können wir vermutlich gut gebrauchen.«

»Ach, wo ich schon mal hier bin, bleibe ich gerne da. Ich bin ja wirklich ein Schussel.«

Fassungslos darüber, dass ihr Plan tatsächlich aufgegangen ist, beobachte ich, wie meine beste Freundin ihre Arbeitskleidung aus dem Spind holt und in der Umkleidekabine verschwindet.

»Also, in den zwanzig Jahren hier, habe ich es noch nie geschafft außerdienstlich auf der Arbeit zu erscheinen«, schmunzelt der Stationsleiter, während er wieder Platz nimmt. Er scheint es ihr zumindest nicht übel zu nehmen, wenn ich das leichte Zucken seiner Mundwinkel richtig deute.

Keine zwei Minuten später sitzt Cassie neben mir und wir hören uns an, was der Frühdienst zu sagen hat. Als endlich Ethans Name fällt, kralle ich mich angespannt in die seitlichen Lehnen meines Stuhls. Einer der anwesenden Ärzte berichtet, wie Zufrieden Dr. Davis mit der Verbesserung seines Zustandes ist und ich kann nur mühsam ein erleichtertes Aufatmen unterdrücken. Weitere Tests haben zudem ergeben, dass eine Beatmung nicht mehr notwendig ist und er daher seit den Morgenstunden tatsächlich ohne Beatmungsgerät auskommt. Außerdem rechnen die Ärzte mit einem baldigen Erwachen. Diese Informationen lassen mein Herz hüpfen und ich würde am liebsten in Tränen ausbrechen.

»Nun liegt es an uns, ihn beim Aufwachprozess zu unterstützen«, ergänzt Anna und ich schaue kurz nach oben, um die Feuchtigkeit unauffällig aus meinen Augen zu verbannen. »Wir haben vorhin mit der Aktivierung begonnen, das solltet ihr dann gleich fortführen, ja?«

Aktivierung bedeutet in dem Fall, dass kleine Reize dabei helfen sollen, den Patienten aufzuwecken. Meist geschieht dies über Stimulation der Sinnesreize: Massagen, passive Bewegungen oder auch Musik sind hierbei Mittel der Wahl.

Die Information, dass sich Ethans Zustand deutlich verbessert hat, schenkt mir Zuversicht und auch meine beste Freundin sieht erleichtert aus.

»Cassie, du begleitest Mr. Hyde gleich bitte zum Röntgen«, weist Anthony sie an, bevor er sich an mich wendet, »und du wirst Mrs. Coleman aus dem OP holen. Sie müsste in etwa zwanzig Minuten abholbereit sein.«

Fuck. Warum kann ich nicht einfach bei der Aktivierung von Ethan mithelfen? Umso schneller würde ich Gewissheit darüber haben, ob Träume und Realität miteinander verbunden sind.

»Noch ein bisschen Geduld«, flüstert mir Cassie im Vorbeigehen zu, als die Übergabe beendet ist und jeder seiner Aufgabe nachgeht. Natürlich ist ihr mein entgeisterter Gesichtsausdruck nicht entgangen. »Wir werden heute gemeinsam zu Ethan gehen, versprochen.«

Ich nicke und schleiche anschließend in Richtung der Patientenaufzüge, um Mrs. Coleman aus dem Operationssaal abzuholen. Auf dem Weg dorthin passiere ich Ethans geschlossene Tür und kann nur mit Mühe dem Impuls, einfach einzutreten, widerstehen.

Eine geschlagene Stunde später begegne ich Cassie auf dem Flur und sie greift kurzerhand meinen Arm, um mich in ein leerstehendes Patientenzimmer zu ziehen. »Anna ist eben aus dem Zimmer von Ethan gekommen. Ich habe gesehen, wie sie ihre Zigarettenpackung unter dem Hemd versteckt hat und anschließend im Treppenhaus verschwunden ist.«

»... und das heißt?« Unsicherheit schwingt in meiner Stimme mit, denn ich weiß nicht recht, ob das Zeitfenster einer Raucherpause für unser Vorhaben geeignet ist.

»Wir haben ungefähr zehn Minuten, dann wird sie wieder zu Ethan gehen, um dort die Aktivierung fortzusetzen.«

Ohne eine Antwort von mir abzuwarten, stürmt Cassie aus der Tür. Mit klopfendem Herzen und kurz vor einem Ohnmachtsanfall, folge ich ihr über den Flur in Ethans Zimmer.

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