Kapitel 2
Von nun an würde sich mein Leben komplett verändern. Ich hatte mein Zimmer zu Hause mit Cal geteilt, doch in der Akademie waren Mädchen und Jungs getrennt. Es war ungewohnt ohne ihn in einem leeren Zimmer aufzuwachen und ich vermisste es, dass er mich morgens weckte, denn leider war ich eine ziemliche Schlafmütze.
Als ich Cal davon erzählte, lachte er.
»Keine Sorge, ich lass mir was einfallen. Ich schleich mich einfach in euren Teil des Gebäudes. «
Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen und stellte mir vor, wie er im Schlafanzug versuchte in die Mädchen-quartiere zu gelangen.
»Und wie willst du an den Wächtern vorbei?"
Er sah mich feixend an.
»Du solltest es doch wissen, dass ich alles schaffe.«
Ich seufzte.
»Stell lieber mal den Wecker«, meinte mein Bruder grinsend bevor er aus der Tür ging.
»Ich fürchte den überhör ich und schlafe weiter!«, rief ich ihm hinterher. Er drehte sich noch einmal um und konterte zurück.
»Keine Sorge ich nehme einen nassen Wachlappen mit.«
Das brachte ein Lächeln auf sein Gesicht und mit ihm schloss sich die Tür. Ich stöhnte genervt.
»Warum muss es unbedingt Wasser sein.«
Trotzdem war ich glücklich, denn irgendwie schaffte er es sich jeden Tag an den Wächtern vorbei zu schleichen und mich dann zu wecken.
*********************
So vergingen die Jahre in der Obhut der Akademie und als ich in der neunten Klasse war, kletterte ich abends aus meinem Zimmer.
Ich wusste ganz genau, dass es eine bescheuerte Idee war, aber das Leben in einer Hochsicherheitsschule war nicht gerade unterhaltsam. Ich wollte endlich mal wieder im Dunkeln einen Spaziergang unternehmen, die Sterne betrachten und endlich diesem langweiligen Alltag entrinnen. An Kreativität jedoch fehlte es mir nicht und wenig später hatte ich aus einem Bettlaken ein Seil gedreht und an den Bettpfosten festgebunden.
Mein gefährliches Unterfangen wurde, als ich auf halber Höhe die Mauer runterkletterte, zu einem Desaster. Der Grund dafür war, dass das Bettlaken riss und ich zwei Meter in die Tiefe fiel. Mit einem lauten Schrei fiel ich und rollte mich geschickt ab. Nur dank meiner Kampftraining überlebte diesen Sturz. Ich heulte allerdings leise auf und fluchte, weil ich hart auf dem Boden gelandet war. Im Anschluss fluchte ich lautstark, weil ich mich soeben verraten hatte.
Da Wächter um den gesamten Campus patrouillierten, war mein Schrei natürlich nicht unbemerkt geblieben und leider kam direkt einer der Wächter auf mich zu. Seine Taschenlampe und die Scheinwerfer am oberen Ende des Gebäudes beleuchteten den gesamten Hof.
Meinen nächtlichen Ausflug konnte ich vergessen, denn blöderweise entdeckte mich der Wächter, obwohl ich mich hinter einem Strauch geworfen hatte.
Mist!
Der würde mich bestimmt zum Direktor schleifen und zu allem Unglück entdeckte er beim Vorbeilaufen das halb zerfetzte Laken. Mit erstem und vorwurfsvollen Blick sah er mich an und vermutlich wollte er mich als Erstes auf die Krankenstation bringen und mich dann zum Direktor schleifen, wo ich mir dann einen ellenlangen Vortrag anhören konnte. Grimmig stand ich auf und ging mit gesenktem Blick zu ihm.
Doch mit einem Mal schien sein Interesse an einer zu liegen.
»Schrei nicht«, flüsterte er mir zu und sein Blick wanderte nach rechts, wo eine Reihe von Bäumen stand. Ich sah nichts in dieser Dunkelheit, aber als ausgebildeter Wächter entging ihm selbst bei dieser Dunkelheit keine einzige Bewegung.
Du rennst jetzt zurück ins Haus. Sag einem Wächter, dass die Dämonen angreifen und, dass einer es durch den Schutzschild geschafft hat. Los lauf!«
Er schob mich hinter sich und zog sein Schwert.
In dem Moment sprang aus dem gegenüberliegenden Schatten der Bäume etwas auf uns zu. Es war ein Dämon mit rotglühenden Augen, sodass ich erstarrte.
»Lauf!«, schrie der Wächter panisch und so überlegte ich nicht lange und rannte los in Richtung Gebäude. Anscheinend hatte man das Kreischen der Dämonen längst gehört, denn die Wächter rannten herbei...
Nur um mit anzusehen, wie der Dämon gerade den Wächter enthauptete. Ich konnte in ihren Augen Wut sehen bevor sie sich auch schon auf den Dämon stürzten. Der Dämon würde sie alle töten, wenn die Wächter auch nur einen Fehler machen würden. Doch sie waren schnell und überwältigten den Dämon bevor einer der Wächter ihn mit seinem Schwert tötete. Das Ganze war so schnell abgelaufen, dass mir im Nachhinein alles wie ein böser Albtraum vorkam.
Erst dann bemerkten die Wächter mich...
Ich starrte nur auf den Dämon, der sich zu einem Sandhaufen auflöste und versuchte nicht auf die übel zu gerichtete Leiche zu sehen, die auf dem Steinboden lag. Das Blut war in alle Richtungen gespritzt und bedeckte den größten Teil des Leichnams.
Im Moment war ich zu geschockt, um auch nur ein Wort rauszubringen.
Man konnte so etwas unmöglich in Worten beschreiben, denn alles fühlte sich so unwirklich an. War der Mann wirklich direkt vor meinen Augen gestorben und das nur, weil er mich hatte retten wollen? Lag es daran, dass ich zulange gezögert hatte? Tränen liefen mir übers Gesicht. Ich wollte nur weg von hier. Weg von diesem Ort, der Leiche und dem was ich gerade gesehen hatte. Ich wollte es vergessen, doch etwas hinderte mich daran.
»Bringt sie hier weg!«, befahl eine Wächterin.
Man fürchtete, dass ich nach diesem Vorfall physisch labil war, weshalb man mich auf die Krankenstation brachte, wo sich die Ärztin um meinen Arm kümmerte, den ich mir offensichtlich verstaucht hatte. Im Anschluss musste ich noch mit einem Psychologen reden, der mich jedoch nach zehn Minuten entließ, da es mitten in der Nacht war. Stattdessen gab er mir zehn Termine, wo ich zu ihm kommen sollte.
Die ganze Zeit weinte ich ununterbrochen, während sie versuchte mich zu beruhigen, doch alle Worte halfen mir nichts.
Niemand konnte mir helfen.
Meine Beine hatten ein paar Schürfwunden, die als Erstes desinfiziert wurden. Schließlich wurde der Direktor geweckt, der schlaftrunken sich anhörte, was geschehen war. Danach schickte er mich ins Bett.
»Den Vortrag bekommst du morgen zu hören«, gähnte er.
Von da an wurden sämtliche Gebäude sowie die Umgebung mit noch mehr Schutzschilden geschützt.
Die Magier hatten sie über Nacht verstärkt und erneuerten sie von nun an jede Woche.
Ich starrte diese Nacht die ganze Zeit aus dem Fenster, um eine mögliche Gefahr zu erkennen und erst jetzt begriff ich, wie gefährlich es gewesen war und wie knapp ich dem Tod entronnen war, denn wäre der Wächter nicht gewesen, dann wäre ich jetzt wahrscheinlich nicht mehr am Leben.
Ich ließ meinen Tränen freien Lauf und mir fielen die Worte von meinem Vater wieder ein.
»Viele stellen sich das Wächterin großartig vor und wollen sich beweisen um zu zeigen, wie mutig sie sind. Die meisten sterben dabei.«
Ich hatte gelacht, aber er hatte Recht gehabt, denn Wächter zu sein, war lebensgefährlich.
»Hoffentlich geht dieses Jahr endlich zu Ende«, dachte ich.
Der Tod des Wächters folgte mir den Rest des Jahrs wie ein dunkler Schatten, denn überall sah ich ihn vor mir.
Cal versuchte mich aufzuheitern, aber ab diesem Tag hatte sich alles verändert. Ich war ernster geworden und jede Nacht wachte ich schweißgebadet auf, weil ich immer wieder den selben Albtraum hatte und ich immer wieder den Wächter sterben sah.
Cal besuchte mich deshalb jede Nacht, weil er wusste, was ich durchmachte, aber es änderte sich nichts daran, denn die Albträume blieben und ich musste jeden Tag damit leben. Manchmal übernachtete er heimlich in meinem Zimmer und schlich sich morgens wieder zurück in sein Wohnheim. Mich wundert es, dass sie ihn bis zum heutigen Tag nicht erwischt hatten. In manchen Dingen war er einfach besser als ich, wobei ich ihm das nie sagte, denn dann hätte ich sein grinsendes Gesicht vor der Nase. Den Gefallen tat ich ihm nicht. Egal wohin ich ging, er folgte mir wie ein zweiter Schatten. Wahrscheinlich fühlte er sich schuldig, dass er an dem Abend nicht bei mir gewesen war und mich nicht hatte beschützen können. Es war wohl sein Beschützerinstinkt für mich.
Wir wollten einander immer gegenseitig beschützen. Doch gegen den Tod war auch er machtlos. Der schlich sich langsam und wie eine Raubkatze wartend an.
*********************
Als das Ende des Jahres gekommen war, packten wir unsere Sachen. Die Sommerferien waren da und Mom und Dad holten uns von der Akademie ab.
»Na, wie war es?«, fragte Dad.
»Ganz gut, aber ich bin froh, wenn Aria nächste Jahr auf dem Teil vom Campus ist, wo ich bin«, erwiderte Cal.
»Ihr seid seltsam. Normale Geschwister streiten immer«, meinte Dad. Ich lachte.
»Glaub mir er ist mir das ganze Jahr auf die Nerven gegangen.«
»Das heißt aber nicht, dass ich weniger auf dich aufpasse«, erwiderte Cal feixend. Ich seufzte. »So schnell werde ich doch wohl nicht los.«
Mom schmunzelte. »Sind sie dir jetzt normal genug?« Dad brummte vor sich hin. Er nahm einen Koffer in die Hand.
»Fliegen wir los?«
Seine Flügel erschienen und breiteten sich aus. Er flog in die Höhe und wir folgten ihm. Es dauerte nicht lange und wir waren zu Hause. Den Rest des Tages packten wir unsere Sachen aus. In den Ferien war ich ziemlich besessen davon mit meinem Vater kämpfen zu trainieren. Cal übte mit seinem Element Feuer und tat die meiste nichts als im Garten zu faulenzen. Er versuchte mich mehrmals mich ebenfalls zu überreden.
»Wir haben Sommerferien und außerdem lernst du früh genug wie man kämpft.«
Ich ignorierte ihn und kämpfte noch verbissener. Bei dem nächsten Angriff wollte ich mich verteidigen können und nicht einfach nur zusehen, wie ein Mann vor mir getötet wurde. Währenddessen versuchte Cal sein Element zu beherrschen, was jedoch beinahe einen Waldbrand verursachte. Danach hatte er bis zum Ende der Ferien Magieverbot. Währenddessen genoss ich jeden Tag außerhalb der Akademie. Leider gingen die Tage viel zu schnell um.
Am letzten Abend bevor ich zurück in die Akademie fliegen würde, saß ich mit Dad draußen und blickte mit ihm in den Sternenhimmel.
»Fast wie früher«, dachte ich.
Fast, denn zu viel hatte sich geändert...
Mom und Dad wussten über den Vorfall in der Akademie, aber nicht, dass ich dabei gewesen war und ich war die Letzte, die es ihnen sagen würde. Es war besser so. Ich wollte sie nicht in Panik versetzen und so blieb es Cals und mein Geheimnis. Es schweißte uns noch länger zusammen. Solange er da war, ging es mir gut.
Er ließ mich den Schrecken vergessen, den ich gesehen hatte.
Doch dieser Schrecken würde mich schon bald einholen...
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