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"Und, hast du deinen Bruder gefragt, ob er mitkommen will?" Louis trabte neben mir durch die pralle Mittagssonne und blinzelte mich an, während er genüsslich an seiner Zigarette zog.

Ich nickte."Er war zwar erst nicht so begeistet, hat dann aber doch zugesagt", antwortete ich, woraufhin er lächelte.

"Die Bilder, die du mir letztens von ihm gezeigt hast, waren fabelhaft. Garantiert wird er sich wohl fühlen", meinte er, ehe wir seinen schwarzen BMW erreichten und er meine Hand, die er den ganzen Weg über gehalten hatte, losließ, um  das Auto zu umrunden und sich hinters Steuer zu setzen.

Ich hingegen ließ mich auf den Beifahrersitz fallen und schaltete direkt das Radio an, woraufhin mein absolutes Lieblingslied Girls von The 1975 aus den Boxen schallte.

Die Lautstärke aufdrehend lehnte ich mich gegen die Kopfstütze und beobachtete Louis, wie er den Wagen langsam aus der Parklücke rollen ließ und sich danach in den Verkehr einfädelte.

Sich konzentrierend steckte er die Zunge zwischen die Lippen und hob seine Augenbrauen, sodass sie unter seiner Pilotensonnenbrille hervorlugten.

Weil er dabei so süß aussah, streckte ich meine Hand aus, damit ich ihm durch seine braunen Haare wuscheln konnte. Doch noch bevor ich überhaupt dazu kam, reagierte er und hielt mein Handgelenk gekonnt fest, ohne den Blick von der Straße zu wenden.

"Wag es ja nicht",  zischte er drohend, wobei ich ihm anhörte, wie sehr er sich ein Lachen verkneifen musste. Dummerweise hatte er vergessen, dass ich noch eine zweite Hand besaß, mit der ich locker durch seine Frisur fahren konnte.

"Ey!", protestierte er, aber trotzdem hörte ich nicht auf, sondern machte weiter damit, ihn zu ärgern. "Wenn du nicht kickboxen würdest, würde ich dich jetzt schlagen", grummelte er, weshalb ich kicherte.

"Das würdest du so oder so nie tun", entgegnete ich, meine Hand aus seinen Haaren nehmend und sie stattdessen auf seinem Oberschenkel platzierend, die er prompt mit seiner umschloss. "Das stimmt. Dafür lieb ich dich zu sehr."

Einige Minuten herrschte Schweigen zwischen uns, die bloß durch die Musik unterbrochen wurde, bis wir kurz darauf mit quietschenden Reifen vor der Einfahrt meines Hauses zum Stehen kamen.

"Willst du noch mit reinkommen?", schlug ich vor, was er jedoch mit einem Kopfschütteln verneinte. "Ich bin nachher noch mit den Jungs zum Fußball verabredet", erklärte er entschuldigend, weshalb ich ihm einen Abschiedskuss auf die Wange drückte, bei dem sein Dreitagebart furchtbar an meinen Lippen kratzte.

Spielerisch boxte ich ihm gegen den Oberarm. "Rasier dich mal", sagte ich streng, wofür er mir bloß die Zunge rausstreckte - schließlich wusste er, dass ich das in keinster Weise ernst meinte, sondern ihn einfach ein bisschen nerven wollte.

Nachdem er wieder weg gefahren war, lief ich nach drinnen, wo ich bereits von meinem Bruder Harry und unserer Mutter erwartet wurde. Mum stand in der Küche und war gerade dabei, Gemüse zu schnippeln, während Harry am Küchentisch saß und andächtig Kartoffeln wusch.

Früher hatte er oft ganz alleine gekocht, weil das seine absolute Lieblingsbeschäftigung war, aber seitdem er blind war, hatte Mum das wieder übernommen und bekam nur gelegentlich Unterstützung von ihm.

Generell hatte Harry ziemlich viel aufgrund des Unfalls, der ihm damals das Augenlicht genommen hatte, aufgeben müssen:

Kochen und Fotogafieren, Dinge, die er einst geliebt hatte, funktionierten heute nicht mehr so wie früher, was ihn innerlich fertig machte und wofür er sich die Schuld gab - obwohl das natürlich vollkommener Quatsch war - schließlich konnte er absolut nichts dafür, dass der Taxifahrer, der ihn vom Flughafen abgeholt hatte, von der Fahrbahn abgekommen war und gegen die Leitplanke gerast war.

Noch heute schlich er sich oft nachts in mein Zimmer, um sich zu mir zu legen und sich trösten zu lassen. Ich schlang dann jedes Mal meine Arme um seinen zitternden Körper und schmiegte mich an seine Brust, ihm solange etwas vorsingend, bis er irgendwann wieder einschlief.

Schon immer hatten wir einen engen Draht zueinander gehabt, allerdings hatte der sich nach dem Unfall noch mehr vertieft, sodass ich ihn inzwischen als Ein & Alles im Handy eingespeichert hatte - genauso wie er mich.

Für manche mochte es komisch rüberkommen, aber immerhin war ich in Harrys schwierigster Lebensphase immer an seiner Seite gewesen, hatte an seinem Krankenhausbett gesessen, wenn all seine Freunde ihn im Stich gelassen hatten und hatte nachts seine Tränen getrocknet, wenn er von Albträumen weinend geweckt wurde.

Ich hatte ihm beruhigend die Hand gehalten, als die Binde nach der OP von seinen Augen abgenommen wurde und er erkennen musste, dass sie nicht erfolgreich gewesen war - seine Sehnerven einfach versagt hatten.

Und auch er war in den letzten Jahren zu meinem Anker geworden, war da für mich, nachdem mein Exfreund mich betrogen hatte - mit meiner bis dato eigentlich besten Freundin. Auch er hatte mich gehalten, als die Welt für mich zusammengebrochen war, und hatte mir versprochen, mich nicht mehr allein zu lassen, bis es mir besser ginge.

Mittlerweile tat es das tatsächlich, denn letztes Jahr hatte ich meinen Schulabschluss gemacht und anschließend angefangen, Soziale Arbeit zu studieren, weil ich später mal unbedingt mit Kindern zusammen arbeiten wollte.

Im ersten Semester hatte ich auch gleich Louis und seine Freunde kennengelernt, die mir innerhalb kürzester Zeit ans Herz gewachsen und nicht mehr aus meinem Leben wegzudenken waren.

Nun begrüßte ich Harry, indem ich vorsichtig meine Arme von hinten um seinen Hals schlang und ihm einen Kuss auf den Scheitel drückte.

"Hey", sagte er fröhlich und tatstete mit seinen Fingern nach meinem Arm, um sanft über ihn zu streichen. "Wie gehts dir?" "Gut, und dir?", fragte ich, mich wieder von ihm lösend.

Ich band mir meine langen braunen Locken schnell zu einem Dutt zusammen, dann setzte ich mich neben ihn, um ihm zu helfen. "Auch." Er schenkte mir ein schiefes Lächeln, ehe er sich wieder den Kartoffeln widmete.

"Wer war der Kerl, der dich nach Hause gebracht hat?", ertönte Mums Stimme plötzlich vom Herd und ließ sowohl mich, als auch Harry zusammen zucken.

Ich musste schmunzeln, da Mum immer so furchtbar neugierig war, auch wenn sie wusste, dass es mich eigentlich ziemlich nervte - schließlich war ich neunzehn und brauchte keinen Babysitter mehr, der überprüfte, ob ich auch ja die richtigen Freunde hatte. Zumal sie wahrscheinlich eh nicht von ihm begeistert sein würde, da er unzählige Tattoos besaß und rauchte - etwas, wofür Mum wenig Verständnis aufbringen konnte.

Ich konnte mich noch zu gut an ihr enttäuschtes Gesicht erinnern, als Harry vor drei Jahren, kurz nach seinem achtehnten Geburtstag begonnen hatte, sich ebenfalls zu tättowieren.

Zwar sah er die Tattoos nicht, hatte ihnen aber dennoch eine Bedeutung zugesprochen und trug eine strahlende Miene an jenem Tag, wohingegen sie aussah, als hätte sie in eine saure Zitrone gebissen.

"Das war Louis, ein Freund aus der Uni", erklärte ich, was sie mit einem Nicken quittierte. Ich sah ihr an, dass sie noch etwas erwidern wollte, doch sie schwieg stattdessen lieber und kümmerte sich stumm weiter um die Zubereitung des Salats.

Harry war hellhörig geworden und blickte in meine Richtung. "Der, der dich zum Malkurs überredet hat?", wollte er wissen. "Ja." Ich beugte mich zu ihm, damit nur er mich hören konnte. "Er freut sich riesig auf Morgen und holt uns mit seinem Cabrio ab", verriet ich, woraufhin er breit grinste.

Schon immer hatte Harry eine Schwäche für Autos gehabt, und in einem Cabrio zu fahren stand definitiv auf seiner To-Do Liste - etwas, was ich ihm erfüllen wollte.

Damit Louis morgen aber auch tatsächlich mit dem alten Cabrio seines Vaters kam, zückte ich rasch mein Handy, um ihm eine SMS zu schicken.

Ella: Kannst du morgen mit dem Cabrio kommen? Ist ein kleiner heimlicher Traum von Harry, einmal in so einem Ding zu sitzen. 🤗❤

Nur wenige Sekunden später kam die Antwort.

Louis: Aber natürlich, ich bin persönlicher Traumfänger, schon gewusst? 😏❤

uff, das war lang. meinungen? ich liebe ella schon jetzt, holy. so eine schwester verdient jeder. all the love. xxx



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