Begegnung im Schatten
Fast lautlos, die Schritte vom weichen, feuchten Laub gedämpft, schlich der schwarze Schatten durch den dichten Nebel. Der schwache Schein des Mondes spendete gerade genug Licht, um die Umrisse der Bäume in der Dunkelheit des Waldes erkennen zu können.
Ihre scharfen Augen suchten jeden Zentimeter ihrer Umgebung ab, in der Hoffnung, den weißen Schemen wieder zu sehen, der ihr wenige Augenblicke zuvor begegnet war.
Ihre Verletzungen schmerzten nach wie vor, doch das sollte nichts sein, was die Jägerin aufhalten würde. Sie ignorierte es weitestgehend, und zum Glück behinderten die Verbände Ceana nicht allzu sehr. Sie wollte unbedingt sichergehen, dass ihre Augen ihr keinen Streich gespielt hatten, war es schließlich nicht das erste Mal, dass er irgendwo auftauchte und sie an der Nase herum zu führen schien. Sie wollte ihn sehen, ihn zur Rechenschaft ziehen für den Verrat, den er begangen hatte, auch wenn sich der Gedanke noch seltsam anfühlte.
Wenige Meter weiter hielt die Jägerin plötzlich inne. Da war es abermals. Eine schwache Silhouette war in der Dunkelheit erkennbar, im nächsten Atemzug jedoch schon wieder verschwunden. Ceana sah sich um. Ihr sichtbarer Atmen beschleunigte sich mit jedem Zug, ihr Puls beschleunigte, begann schon fast zu rasen.
Überall schien er plötzlich aufzutauchen. Er lachte höhnisch, verspottete sie.
Die Schwarze Wölfin lief hastig weiter und beschleunigte stetig ihr Tempo, bis sie schließlich regelrecht durch den Wald jagte. Laub flog herum und ließ Ceana leicht rutschen, als sie scharf um die Bäume sprintete. Sein Gelächter hallte in ihren Ohren wieder.
Kleine Äste und Zweige schlugen ihr ins Gesicht, sie ignorierte es, rannte einfach immer weiter, an unzähligen weißen Schatten und Schemen vorbei. Er war überall. Gelbe Augen starrten sie von allen Seiten an, bohrten sich in ihre sowieso schon geschundene Seele. Er versperrte ihr den Weg, egal in welche Richtung sie rennen wollte.
Sie hörte sein krankes Lachen. Es wurde immer lauter. Sie wusste keinen Weg mehr und drehte sich schon fast panisch im Kreis. So hatte Ceana sich das nicht vorgestellt. Sie wollte doch diejenige sein, die ihn jagte, und nicht andersrum, denn so war es doch sowieso schon immer gewesen.
Sie konnte es nicht länger ertragen und sackte letztendlich ein, kniff die Augen fest zusammen und versuchte gegen die spottende Stimme in ihrem Kopf anzukommen. Schreckliche Bilder und bösartige Worte rasten durch ihre Gedanken, und gerade als ihr Kopf zu zerspringen drohte, wurde es plötzlich totenstill. Die Stimme war verstummt.
Langsam öffnete Ceana ihre Augen und suchte die Umgebung ab, doch nichts als die Dunkelheit der Nacht und der dichte Nebel umgab sie. Es war alles ruhig, nur die leisen Stimmen und Geräusche des Waldes konnte man vereinzelt vernehmen.
Die Jägerin atmete noch etwas schwer, lief aber langsam weiter und ließ immer wieder ihren Blick schweifen, doch sie konnte nichts von Interesse erkennen. Nur eine Maus, die im Laub raschelte und hektisch ein Schlupfloch suchte, oder eine Krähe, die aufgeschreckt davon flog.
Ceana schnaufte leise und wollte gerade wieder umdrehen und zu ihren Freunden zurückkehren, als sie erneut eine Bewegung im Augenwinkel ausmachte.
Schnell wandte sie sich um und ihr Atem kam augenblicklich ins Stocken. Dort stand er, fest umhüllt vom Nebel, doch leuchtete sein weißes Fell im schwachen Mondschein. Sie sah dem weißen Wolf direkt in die Augen.
Der Weiße wandte sich seltsamerweise von ihr ab und würde erneut in der Dunkelheit verschwinden, weshalb Ceana sofort lossprang und ihm nacheilte. Sie wusste instinktiv, dass er diesmal der echte war, und sein Anblick löste nun kalte Wut in ihr aus.
"Verräter! Warte!"
Als hätte der Weiße nur darauf gewartet, beschleunigte er augenblicklich sein Tempo und lachte hämisch. Ceana setzte ihm knurrend nach und jagte ihn durch die Dunkelheit.
So schnell und verbissen Ceana auch rannte, konnte sie den Abstand zu ihrem Bruder nicht verringern.
"Du bist zu langsam!", lachte der Weiße und verhöhnte die schwarze Wölfin erneut.
Eine enorme Wut fegte durch den Körper der Jägerin und schien ihr einen Kraftschub zu geben. Sie bellte laut auf, sprang mit einem gewaltigen Satz auf den Weißen zu und brachte ihn zum Taumeln.
Durch die Wucht ihres schweren Körpers aus dem Gleichgewicht gebracht, stürzten beide lautstark zu Boden, rutschten einige Meter über den Waldboden und einen kleinen Abhang hinunter.
Der Weiße scharrte hastig im Laub und stand fast augenblicklich wieder auf seinen Beinen, doch Ceana reagierte ihrerseits ebenfalls schnell genug, um sich im selben Moment an seiner Schulter festzubeißen.
Martainn knurrte wütend und warf seinen Kopf zur Seite, versuchte die Schwarze mit seinen Fängen zu erreichen. Die Jägerin wich rechtzeitig aus, um seinen Zähnen zu entgehen, musste ihn dafür jedoch loslassen.
Diese Gelegenheit nutzte der weiße Wolf sofort aus, um seine Schwester gänzlich von sich zu stoßen und sich hastig wieder in Bewegung zu setzen.
Die Jägerin rappelte sich ebenfalls schnell wieder auf und stürzte erneut auf den Weißen zu. Sie fletschte die Zähne und wollte ihn am Nacken packen, doch Martainn drehte sich genau in diesem Moment und biss seinerseits Ceana in den Hals.
Ceana war mittlerweile fest auf Kampf eingestellt. Ihre Reflexe waren zum Glück gut ausgeprägt, sodass sie sich rechtzeitig abwenden konnte und Martainn sie nur oberflächlich erwischte. Seine Zähne kratzten an ihrer Haut, verursachten jedoch keine schlimme Wunde.
Ceana sprang ein Stück zurück und bellte wütend. Sie setzte ein weiteres Mal zum Sprung an, doch der Weiße konnte ihr Vorhaben erahnen und machte rechtzeitig einen Satz beiseite, sodass die Jägerin ihn knapp verfehlte und ihre Fänge in die Luft schnappten.
Martainn nutzte seine Chance sofort, drehte sich ruckartig um und diesmal konnte Ceana nicht rechtzeitig ausweichen. Er verbiss sich in ihrer Schulter und zerrte an ihr herum.
Die Jägerin brüllte laut auf. Ein heftiger Schmerz raste durch ihren Körper, als seine Zähne sich durch ihr zotteliges Fell hindurch in ihre Haut bohrten und Martainn sich immer fester zu beißen schien. Tiefhängende Äste brachen, als er Ceanas Körper gegen einen breiten Baum schleuderte. Sie knallte hart gegen den Stamm und keuchte gequält, als sie auf dem Boden aufschlug.
Der Weiße nutzte dies sofort aus und verschwand hastig in der Dunkelheit, noch ehe die Jägerin sich ganz aufrappeln konnte.
"Heute ist nicht der Tag Schwester!", hallte seine Stimme in ihren Ohren. "Aber bald!"
Ceana ignorierte den brennenden Schmerz so gut sie konnte und rannte los in die Richtung, in der ihr Bruder plötzlich verschwunden war. Sie sollte ihn in dieser Nacht jedoch nicht wieder sehen.
Sie rannte noch eine Weile, wurde jedoch Stück für Stück langsamer, bis sie schließlich ganz aufgab und schwer atmend stehen blieb. Er war weg.
"Ich finde dich!", knurrte sie tief und schrie ihren Schmerz und ihre Wut in den Nachthimmel. "Du bist nicht mehr mein Bruder!"
Sie atmete ein paar Mal tief durch, setzte sich für einen Moment ins weiche Laub und besah sich ihrer Umgebung. Sie war die ganze Zeit über gelaufen und musste zu ihrem Leidwesen feststellen, dass sie keine Ahnung hatte, wo genau sie sich befand.
Es war einige Zeit vergangen und sie vermutete, dass bald die Sonne aufgehen würde. Sie spitzte die Ohren und hielt ihre Nase in die kühle Nachtluft, in der Hoffnung, irgendwas zu riechen oder zu hören und eventuell das Ufer des Sees wiederzufinden. Sie brauchte einen Orientierungspunkt.
Da sie sich schon recht weit von den Zwergen entfernt hatte, würde sie es wahrscheinlich nicht rechtzeitig zurück schaffen, bevor die Gruppe mit dem Boot übersetzte. Sie beschloss kurzerhand, am Seeufer in Richtung Esgaroth zu laufen und dort zu ihnen zu stoßen.
Zu ihrem Glück, hatte Ceana recht schnell den See zu ihrer rechten Seite wiedergefunden, und orientierte sich der Einfachheit halber an diesem. In der nun wieder herrschenden Ruhe kam sie nicht umhin darüber nachzudenken, was Martainn mit seinem Auftauchen im Sinn gehabt hatte. Es war ihr unklar. Wollte er sich einen Scherz erlauben, oder wollte er ihr damit etwas sagen? Was es auch war, Ceana konnte sich keinen Reim darauf machen.
Die ersten zarten Strahlen der aufgehenden Sonne zeigten sich langsam am Horizont, und brachen die vorderen Schatten zwischen den Bäumen. Ihr schwarzes Fell glänzte im Schein, als sie ihren Blick über den See wandern ließ. Ganz schwach konnte man die Seestadt im Nebel erahnen, der noch schwer auf dem Wasser hing.
Der Landweg war ein gutes Stück länger als zu Wasser, und die Zwerge würden bestimmt jeden Moment aufbrechen. Ceana musste sich beeilen, um rechtzeitig zu ihren Freunden aufzuschließen.
Nach kurzer Zeit drangen Geräusche an ihre Ohren, die ihr gar nicht gefielen. Sie folgte der Geräuschquelle und entdeckte nach wenigen Metern schwarze Boote am Ufer und einige scheußliche Gestalten, die auf etwas zu warten schienen. Vor den Augen ihrer Feinde gut versteckt im Schatten, beobachtete die Jägerin eine Gruppe von etwa 30 Orks, die in Richtung Seestadt marschierten.
Da diese allen Anschein nach ebenfalls den Weg über das Wasser nehmen würden, musste Ceana sich jetzt beeilen. Sie entfernte sich lautlos von den Orks und sprintete los, in der Hoffnung, rechtzeitig in Esgaroth anzukommen.
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