Kapitel 25
Auf einmal ging alles ganz schnell. Die Männer lagen regungslos am Boden, Tarry hatte Hermione von den Fesseln befreit und Draco war, ohne auch nur einen weiteren Gedanken an alles ihn herum zu verschwenden, auf seine Mutter zugeeilt. Sie schrie nicht mehr.
Die Zeit die sie gebraucht hatten um die Kontrolle über die Situation zu bekommen, war genau die, die der blonden Frau nun fehlte. Das Blut trat nicht mehr wie ein quellender Bach aus ihren Adern, sondern sickerte wie der letzte Tropfen Wasser aus einem Glas heraus. Ihre Augen waren geschlossen und ihre Atmung hatte gestoppt. „Episkey!" murmelte Draco verzweifelt und schloss die langen Wunden an ihren Armen. Zögerlich gingen sie zu. Ihre Haut war so dünn, dass es ihr sichtlich schwer fiel zu verheilen.
„Mach die Augen auf!" flehte der ehemalige Slytherin die blass durchsichtige Frau vor ihm an. „Es ist vorbei Mutter. Es ist vorbei. Mach die Augen auf." er hatte seine Stimme zu einem Flüstern gesenkt. Seine Hände waren auf ihre Schultern gelegt und rüttelten sanft an ihr. Er konnte deutlich ihre Knochen unter seiner Haut spüren, hatte Angst ihr weh zu tun, wenn er sie zu fest anpackte. Sie war so dünn. So zerbrechlich. „Mach die Augen auf." Der Ton wurde verzweifelter, je mehr Sekunden verstrichen. Sein Herz schlug donnernd gegen seine Brust, das Adrenalin steckte noch in seinem Körper, seine Finger wurden plötzlich taub.
Hermione ging zu ihm hinüber, betrachtete das elende Antlitz seiner Mutter. Sie erkannte, dass ihre Haut anfing grau zu werden, ihre Lippen spröde. Vorsichtig legte sie einen Finger an ihre Halsschlagader. Wartete auf das lebenserhaltende Pochen, doch der Puls blieb aus. Erschüttert starrte sie auf die Frau vor sich, bemerkte erst dass ihr die Tränen kamen, als sie bereits über ihre Wange liefen. Sie wandte das Gesicht zu Draco, legte sachte einen Arm auf seine Schulter. „Sie ist tot." sagte sie schmerzlich.
Der Blonde sah sie wütend an. „Nein!" schrie er. „Nein! Sie ist viel zu stark um zu sterben!" Die Gefühle schäumten über. Sie durfte nicht tot sein! Nicht nach allem was sie hatte durchmachen müssen! Das sollten nicht ihre letzten Erinnerungen an diese Welt sein. Verzweifelt legte er seine Hände auf ihre Brust, begann mit der Reanimation. Ihr zierlicher Körper wackelte unter den Stößen, hüpfte beinahe auf und ab. Hermione hörte wie ihr Brustkorb, unter der Kraft die Draco anwandte, brach. Doch das erhoffte Ergebnis blieb aus.
Kein Laut, kein Seufzer, kein Atem, keine Regung. Ihre Haut, die von Sekunde zu Sekunde grauer wurde. „Mach die Augen auf." schrie Draco sie nun an. „Mach sie auf Mutter!" Die Tränen rannen hemmungslos über seine Wangen, tropften auf den leblosen Körper der einst so schönen Frau. „Du bist frei. Du kannst gehen. Es ist vorbei. Bitte..." schluchzte er. Er hatte das Gefühl, es würde jemand sein Herz fest umklammern und es so langsam er konnte, Millimeter für Millimeter herausziehen. Die Luft blieb ihm weg, er atmete unkontrolliert, konnte seinen Körper kaum steuern, alles war wie betäubt. Wie ferngesteuert drückte er immer weiter auf ihren kleinen Körper.
Hermione packte fest seine Hände, zog ihn somit von seiner Mutter weg. „Ich hätte sie retten können... ich hätte es vorher machen sollen... ich habe zu lange gewartet!" warf er sich vor. Er stand neben sich, merkte nicht einmal das die Brünette ihn vorsichtig in eine Umarmung hüllte. Er zitterte unentwegt, seine Sicht war verschleiert. „Sie hat immer alles für mich gegeben... und ich?" wimmerte er. „Es ist nicht deine Schuld Draco." versuchte Hermione ihn zu beruhigen.
Als die Worte in sein Bewusstsein drangen, übernahm ein anderes Gefühl seinen Körper und er stieß die ehemalige Gryffindor von sich. Wut. „Ich habe sie getötet, weil ich zu egoistisch war. Weil ich nicht schnell genug gehandelt habe. Weil ich mich ablenken ließ!" schrie er sie an. Dann wandte er sich dem Leichnam seiner Mutter zu. „Es tut mir so leid. So wahnsinnig leid!" sagte er furchtbar verzweifelt. Er ging hinüber, schloss sie fest in seine Arme und weinte auf den fast kalten Körper. Sein Kopf dröhnte, er konnte kaum schlucken, so groß war der Klos in seinem Hals. „Wach auf, bitte..." versuchte er es ein letztes Mal. Doch er wusste, dass das nichts mehr brachte. Sie war tot und er hatte sie umgebracht.
Es tat weh. Es tat so schrecklich weh. Er hatte sie so lange nicht gesehen, war immer wütend auf sie gewesen, weil sie nicht eingegriffen hatte, als sein Vater und der dunkle Lord ihn zu diesem Monster machten. Doch sie hatte immer ihr Bestes gegeben. Hatte ihn auf jede ihr möglichen Weiße beschützt. Er konnte ihr nicht einmal mehr sagen, dass er ihr verziehen hatte. Dass er sie liebte. Wenn sie nur noch einmal die Augen aufmachen würde, für einen einzigen Atemzug zurückkehren würde. Nur damit er ihr das noch sagen konnte. Was wenn sie es nicht weiß? Was wenn sie sich immer wieder Vorwürfe gemacht hatte? „Ich liebe dich!" schluchzte er in ihre Halsbeuge. Seine Finger krallten sich stärker um ihre dürren Arme, dann verließ ihn seine Kraft und er blieb schwach auf ihr liegen.
Er wusste nicht wie lange er bei ihr war und still weinte, doch irgendwann waren da warme Hände auf seinen Schultern, die ihn sachte von seiner Mutter zogen. Sein Blick war leer, seine Gedanken stumm. Wie in Trance ließ er sich von Hermione aus dem Raum ziehen, zurück nach draußen in das helle Licht der Sonne. Doch für ihn, war alles schwarz.
***
Die nächsten vier Tage war Draco nicht mehr als ein einziges Nervenbündel. Immer wieder machte er sich die selben Vorwürfe. Hermione fiel auf, dass er einen großen Bogen um jegliche Spiegel machte. Als würde es ihn anwidern sich selbst zu sehen. Die ehemalige Gryffindor wich ihm nicht von der Seite. Es war, als hätte sie plötzlich ein Kind, um das sie sich rund um die Uhr kümmern musste. Sie wusste nicht mal ob er es überhaupt wahrnahm, dass sie da war. Immer wenn sie in seine Augen blickte, waren sie überzogen von Schatten.
Sie konnte nachvollziehen wie er sich fühlte. Ihre Eltern waren zwar noch am Leben, aber sie wussten nicht einmal mehr das sie existierte. Sie hatte sie seit dem Krieg nicht mehr gesehen. In gewisser Weise waren sie auch gestorben. Doch das war natürlich nicht das Gleiche. Sie hatte Narzissa kaum gekannt. Eine einzige Unterhaltung hatten sie miteinander führen können, doch für Hermione war klar, dass diese Frau unglaublich edel war. Es tat ihr leid um ihren Tod. Aufrichtig und wahrhaftig leid.
Sie wusste nicht was sie tun konnte, um es Draco leichter zu machen. Vermutlich konnte sie gar nichts tun. Doch sie konnte einfach nicht gehen, nicht so lange sie nicht das Gefühl hatte, er würde alleine klarkommen. Es war an einem Dienstag, als er plötzlich die Augen auf sie richtete. Nicht klar, immer noch abwesend, aber etwas heller. „Sie ist tot." sagte er trocken, die Hände ineinander verschränkt. Hermione wusste nicht was sie sagen sollte, also nickte sie lediglich. „Ich hätte sie retten müssen." stellte er nüchtern fest.
Die Brünette legte sanft eine Hand auf die Seine. „Du hast getan was du konntest." versuchte sie ihn aufzumuntern, doch der ehemalige Slytherin wandte den Blick ab. „Es war nicht genug." Traurig betrachtete Hermione ihn. Was sagt man jemanden, der denkt er wäre schuld am Tod seiner Mutter? Sie war nur gestorben, weil Draco sie, Hermione, vor dem Verbluten retten wollte. Weil er Tarry gesagt hatte, sie solle ihr nichts tun. Nur deshalb gab Botjev den Befehl weiter. Wäre sie nicht gewesen, wäre Narzissa noch hier. „Du kannst nichts dafür Draco. Es lag an mir." sagte sie nach einiger Zeit. Sie hätte es überlebt, ihr wurde nicht über Wochen hinweg sämtliches Blut entzogen. Sie hatte noch mehr als genug, während es bei Dracos Mutter, gerade so viel war, um ihr Herz noch am Schlagen zu halten.
Der Blonde schüttelte den Kopf, sah sie erneut an. Hermione seufzte. „Es bringt doch nichts sich darüber Gedanken zu machen: Was wäre wenn? Draco, wenn Christian nicht gewesen wäre, dann wäre niemand in Gefahr gekommen. Irgendwie sind wir alle beteiligt." Der Blonde kniff die Augen zusammen. „Ich habe seine Familie getötet. Sie einfach umgebracht und mich nicht mal an ihre Gesichter erinnert. Sag mir Hermione, welcher Mensch tut so etwas?" seine Stimme klang hohl.
„Draco. Du warst nicht du selbst. Du hast selbst gesagt dir fehlen ganze Tage. Du wurdest dazu gezwungen, das ist ein Unterschied!" nahm sie ihn in Schutz. „Hör gefälligst auf mich zu verteidigen Granger! Botjev hatte schon recht. Jeder hat eine Wahl und ich habe mich mehrmals falsch entschieden. Ich wollte meinen eigenen arroganten Arsch retten, ohne Rücksicht auf Verluste. Verdammt. Ich habe Kinder ermordet. Kinder Hermione! Ich bin ein Monster, ein verdammtes Monster." schrie er sie an.
Er entriss seine Hände von ihrer und stemmte seinen Kopf verzweifelt dazwischen. Er hörte wie ihr Stuhl zurück rutschte, wie ihre zierlichen Füße um den Tisch gingen und sich dann ihre warmen Arme um seinen Rücken legten. Nichts was sie sagte hätte ihn irgendwie auf andere Gedanken bringen können, doch diese Umarmung, war tröstlicher als tausend Worte. Er hatte sie nicht einmal verdient, doch er stieß sie auch nicht weg.
„Es tut mir leid." brachte er nach einiger Zeit hervor. Hermiones kleine Hand war in seine Haare gewandert und massierte sanft seinen Kopf.
Sie sagte nichts, sie hätte auch nicht gewusst was sie sagen sollte. Sie nahm ihn lediglich etwas fester in den Arm, gab ihm einen sanften Kuss auf die Schläfen. Draco drehte sich mitsamt seinem Stuhl zu ihr herum, zog sie auf seinen Schoß und hielt sie einfach nur fest.
„Ich fühle mich als hätte ich versagt Hermione…“ flüsterte er schließlich, den Kopf in ihrer Halsbeuge vergraben, die Lippen gegen ihre zarte Haut gepresst, sodass es jedes mal etwas kitzelte, wenn er sie bewegte. „Ich kam doch nur hier her zurück um sie zu sehen. Ich hätte mich dagegen entscheiden können aber… sie ist doch meine Mutter… Hätte ich gewusst, dass das alles ein Plan ist… dass er mich hier her locken wollte… Sie wäre noch am Leben…“ er schniefte bei dem Gedanken an seine Mutter. Verfluchte sich selbst das er diesem Brief gefolgt war. Hätte er doch nur geahnt, dass es eine Fälschung war… „Ich wollte doch nur für sie da sein. Ihr sagen, dass ich sie liebe…“
Hermione drückte sich etwas von ihm weg, so dass sie ihm tief in die Augen sehen konnte. Sie waren jetzt definitiv ruhiger, die Gefühle tobten nicht mehr wie ein Wirbelsturm darin. Da war nur noch diese Verzweiflung und grenzenlose Trauer. „Das weiß sie doch Draco.“ sagte sie voller Überzeugung. Er hielt ihrem Blick stand, verlor sich ein wenig in den warmen, mitfühlenden braunen Augen. „Und was, wenn nicht?“ fragte er sie.
Sanft legte sie ihre Hände auf seine Wangen. „Du warst da um sie zu retten. Sie hat dich gesehen. Selbst wenn sie sich vorher nicht sicher war, ob ihr Sohn sie liebt, in dem Moment als sie dich sah, wusste sie es.“ erklärte sie so sicher, als hätte Narzissa es ihr persönlich gesagt. Draco schien ihr zu glauben, denn er nickte und ein feines Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Wäre Hermione ihm nicht so nahe gewesen, hätte sie es gar nicht bemerkt. „Sie liebt dich auch.“ flüsterte die Brünette ihm zu.
„Ich hoffe es.“ sagte er mehr zu sich selbst. Dann legte er zärtlich eine Hand in den Nacken des Mädchens und zog sie vorsichtig zu seinen Lippen heran. Als sie sich berührten waren sie weder fordernd, noch dringlich. Es war ein Kuss voller Schmerz und voller Liebe. Er brannte sich tief in ihre Seelen ein und verdrängte den unbändigen Kummer für einen winzigen, endlosen Moment.
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