Kapitel 16

Erschöpft streckte sie sich mit noch geschlossenen Augen im Bett aus. Was für ein Abend, dachte sie sich als sie die Erinnerungen revü passieren ließ. Nach der aufregeden Flucht waren sie in Malfoys Wohnung gelandet, in der sie die Akte sofort aufgeschlagen hatten. Das Problem war nur, dass sie mit einem Code verschlüsselt war. Sie mussten erst die Zauber herausfinden mit der sie sie leserlich machen konnten. Doch ihre übermüdeten Köpfe brachten nichts mehr zustande, weswegen sie sich entschieden hatten morgen weiter zu machen.

Über die Sache, die dort in Christians Büro passiert ist, sprachen sie nicht mehr. Und dafür war Hermione dankbar. Sie war so durcheinander dass sie selbst nicht mehr wusste was nun zu tun war und bevor sie erneut zu Malfoy ging, wollte sie sich über ein paar Dinge Gedanken machen.

Sie schlug die Augen auf und schlenderte hinüber ins Bad. War es sein ernst, als er sagte dass er sie immer noch liebte? Es klang ernst, doch das tat es damals auch. Und wie stand sie dazu? Es ist so viel passiert. Sie hatte sich neu verliebt, war glücklich... zumindest bis er zurück kam. Konnte sie ihn nach all dem noch lieben? Ihr Herz klopfte zur Bestätigung hart gegen ihre Brust. Die bessere Frage war wohl: Durfte sie ihn noch lieben?

Verzweifelt schlug sie sich Wasser ins Gesicht. Es war alles so kompliziert. Ihr Kopf schrie laut und deutlich nein. Sie würde sich in ihr Unglück stürzen. Erneut. Sie würde schmerzlich verletzt werden. Erneut. Sie würde daran zerbrechen. Erneut. Doch diesmal wusste sie nicht ob sie danach je wieder aufstehen konnte.

Auf der anderen Seite war da ihr Herz. Das Kribbeln auf ihrer Haut wenn er sie ansah und der Schwindel der sie ergriff wenn er sie berührte. Sie fühlte sich schwerelos wenn er da war, als könnte die Welt ihr nichts antun. Er war wie eine Droge für sie. Eine verbotene Frucht. Sie durfte ihn ganz gewiss nicht mehr lieben, doch es war so schwer ihn los zu lassen.

Und was war mit Christian? Er war die vernünftigere Wahl, doch damit auch die Richtige? Ihre Gefühle für Draco sind nach all dem trotzdem stärker als die für Christian. Konnte sie dennoch bei ihm bleiben? Auf die Antwort zu dieser Frage waren sich ihr Kopf und ihr Bauch recht schnell einig. Nein. Sie durfte ihn nicht weiter ausnutzen. Und weil sonst nur ein wirres Durcheinander in ihren Gedanken herrschte, entschied sie die Sache gleich zu beenden.

***

"Edita dimittere." murmelte Draco und schwang seinen Zauberstab über die Akte. Nichts passierte. Er stöhnte. "Ostende te." versuchte er es weiter. Stille. Sie verspottete ihn, diese sau blöde Akte. Nichts funktionierte, er konnte versuchen was er wollte. "Finite Incantatem!" schrie er verzweifelt. Das wäre auch zu einfach gewesen. Wütend schlug er die Mappe vom Tisch. Er musste wohl mal wieder darauf warten das Hermione etwas aus ihrem Freund herauskitzeln konnte. Botjev hatte sie nicht verdient. Er war eine miese kleine Schlange und Draco war sich sicher, dass er irgendetwas plante. Und er würde herausfinden was es war.

Plötzlich klopfte es an der Tür. Das wird wohl die kleine Hexe sein, dachte sich der Blonde und schlenderte hinüber. Als er die Tür öffnete, staunte er nicht schlecht. Es war nicht wie erwartet Hermione dahinter zum Vorschein gekommen, sondern jemand von dem er nie geglaubt hätte, dass sie je wieder freiwillig seine Wohnung betritt.

Vor ihm stand, mit den selben wunderschönen langen roten Haaren und einem unfassbar breiten Lächeln auf dem Gesicht: Tarry.

"Willkommen zurück!" quietschte sie vergnügt und fiel ihm, ehe er etwas sagen konnte, um den Hals. "Was tust du denn hier?" fragte er verblüfft und löste sanft ihre Arme von seinem Körper. "Ich wollte dich sehen." sagte sie mit einem entzückenden Augenaufschlag, weshalb Draco noch ratloser wurde.

War das die selbe Person die ihn im Gerichtssaal als seelenloses Monster bezeichnet hatte? Das Mädchen, das er vor allen anderen am meisten benutzt und betrogen hatte? Es war absurd. Wieso sollte sie zu ihm kommen?

"Aha." sagte er deshalb darauf nur und betrachtete sie abschätzig. Hier war etwas faul, anders konnte er sich das nicht erklären. Doch Tarry beachtete ihn nicht weiter, sondern drückte sich an ihm vorbei in die Wohnung. "Dass du tatsächlich wieder hier rein gezogen bist." meinte sie erstaunt während sie sich umsah. Dann blieb ihr Blick an der Akte hängen.

"Was ist das?" fragte sie neugierig und ging zielstrebig darauf zu. "Nichts!" schrie Draco und sprintete vor die Akte. Verwirrt sah sie ihn an. "Sag schon." meinte sie darauf und versuchte um ihn herum zu gehen. Der ehemalige Slytherin hielt sie bestimmt an der Schulter fest. "Das geht dich nichts an!" sagte er eindringlich und merkte wie sie es aufgab einen Blick auf die Unterlage zu erhaschen. Stattdessen antwortete sie trotzig: "Gut, dann sag ich dir auch nicht warum ich hier bin." Sie klang wie ein kleines Kind dem die Süßigkeiten weggenommen wurden.

"Es interessiert mich auch nicht." sagte Draco lässig und schob sie gleichzeitig Richtung Ausgang. "Ach ja?" fragte sie mit einem siegreichen Unterton in der Stimme. "Also ich würde alle Infos nehmen die ich über meine Mutter bekommen kann. Vorallem wenn sie bald stirbt."

Ruckartig blieb der Blonde stehen. "Was?" zischte er ihr zu und sah, wie sich ein zufriedenes Lächeln auf ihre Lippen stahl. Sie verschränkte die Arme und zog eine Augenbraue nach oben. "Was ist das für eine Akte?" fragte sie anstatt zu antworten.

Draco sah zum Tisch. Sollte er ihr wirklich etwas darüber erzählen oder bluffte sie nur? Abwegig sah er sie an. "Du zuerst." forderte er sie dann auf und verschränkte ebenfalls die Arme.

"Denkst du ich bin so blöd Draco?" fragte sie ernst, während der ehemalige Slytherin belustigt eine Augenbraue nach oben zog. Er erinnerte sich an die vielen Male in denen sie alles was aus seinem Mund kam, für bare Münze genommen hatte. "Sag einfach." meinte er lässig ohne ihre Frage zu beantworten.

Sie seufzte. "Versprich mir dass du es mir sagst." meinte sie dann darauf. Dracos Blick wurde sanft, dann streckte er eine Hand nach ihr aus und fuhr leicht ihren Oberarm entlang. "Versprochen." log er und schenkte ihr ein schiefes Lächeln. Das war zu einfach. Sie war so leicht zu manipulieren. Als wäre er nie weg gewesen.

Nach einem tiefen Blick in seine Augen entschied sie wohl, dass er ihr die Wahrheit sagte, dann fing sie an zu erzählen. "Ich habe Gerüchte gehört. Gerüchte, dass deine Mutter im Sankt Mugos eingeliefert wurde. Sie wollen dort ihre Drachenpocken behandeln."

Draco zog skeptisch eine Augenbraue nach oben. "Von wem hast du das gehört?" Es war ein gut gehütetes Geheimnis, dass seine Mutter zurück in London war. Kurze Zeit hatte selbst er daran gezweifelt ob das überhaupt wahr ist. Bis dann diese Akte aufgetaucht war. Woher sollte also ausgerechnet Tarry davon gehört haben.

"Ich hab meine Quellen." sagte sie nur ausweichend, was Draco noch misstrauischer machte. "Ist ja auch egal. Wichtig ist, das die Leute die sie aus Askaban raus geholt haben, nicht vor haben sie je wieder dort hin zu schicken." meinte sie dann mit Nachdruck.

"Wie meinst du das?" In seinem Kopf war ein einziges großes Fragezeichen. Es schien als würde nichts in dieser Situation zusammenpassen wollen. Eine Akte, die sich nicht lesen lassen wollte. Tarry, die aus dem Nichts wieder auftauchte und von einer geheimen Quelle Informationen über seine Mutter hatte und Botjev, der auch irgendwie mit drin hing. Wem konnte er vertrauen? Wer log ihn an?

"Sie wollen sie sterben lassen. Sie testen Medikamente gegen die Drachenpoken an ihr, verschiedene Methoden um die Ausbreitung einzudämmen, aber tatsächliches Interesse an ihrer Genesung haben sie nicht. Sie ist ihr Versuchskaninchen." führte Tarry ihre Aussage aus. Draco konnte nicht anders als sie entsetzt anzustarren.

Sein Kopf drehte sich, alle Fragezeichen wichen einem rießigen Ausrufezeichen. Es war vollkommen egal wer da mit drin hing und wieso das alles passierte, jetzt im Moment zählte nur eine einzige Sache: Er musste sie retten. Und zwar sofort. Er hatte keine Zeit mehr Tarry anzuzweifeln, er musste ihr einfach vertrauen. Es ging um seine Mutter! Er konnte sie nicht sterben lassen. Das würde er nicht zulassen!

"Wo ist sie Tarry? Wie komm ich da hin?" fragte er eindringlich und musste sich beherrschen sie nicht an den Schultern zu packen und wie wild zu schütteln bis sie ihm sagte was er wissen musste. "Ich weiß es nicht. Das ist alles was ich weiß, mehr konnte ich nicht herausfinden."

Draco sah sie wütend an. "Dann geh und finde es heraus! Und zwar sofort!" schrie er. Nun wurde auch Tarry sauer. "Wie wärs zur Abwechslung mal mit einem Danke. Immerhin steh ich hier und erzähle dir das nach allem was du getan hast!" Sie verschränkte die Arme und sah ihn stur an. Draco zog lediglich eine Augenbraue nach oben. "Du bist dran. Was ist das für eine Akte?" meinte sie beharrlich.

"Das sag ich dir wenn du mir genauere Informationen liefern kannst." meinte der ehemalige Slytherin kühl. Tarry klappte den Mund auf. "Du bist unglaublich! Schau selbst wie du zuerecht kommst!" sie drehte sich auf dem Absatz um und stürmte zur Tür. Draco hielt sie kurz davor auf. "Danke." sagte er in einem warmen, ehrlichem Ton. Sie nickte nur, dann verschwand sie und der Blonde ließ sie gehen.

Sie kommt wieder, dachte er sich. Sie kam bisher immer wieder.

***
"Christian?" rief Hermione in die Wohnung hinein. Es hatte ihr niemand geöffnet und daher war sie so frei den Ersatzschlüssel zu verwenden, den er ihr gegeben hatte. Stille entgegnete ihr. Er war scheinbar nicht Zuhause, was sie doch etwas verwunderte. Wohin war er nur gegangen? Immerhin war heute Sonntag. In der Arbeit konnte er also nicht sein.

Sie ging etwas weiter in die Wohnung hinein, dann lächelte sie plötzlich. Erinnerungen kamen hoch. Wie sie zum Ersten mal hier gewesen war. Es war ein verregneter Dienstag gewesen und sie sah absolut furchtbar aus. Sie hatte überhaupt keine Lust auf dieses Date gehabt, doch Harry und Ron haben sie dazu gedrängt. Sie hörte noch ihre Stimmen in ihrem Kopf. Du musst mal raus kommen Mione. Das Frettchen ist jetzt schon bald fünf Monate weg und Christian ist ein netter Typ. Du hast jemand netten verdient.

Wieder grinste sie. Insgeheim hatte sie sich sowieso gewundert, dass er sie überhaupt gefragt hatte. Sie hatte sich zu der Zeit ziemlich gehen lassen. Sie war ein Wrack gewesen und dennoch, schien es irgendwas an ihr zu geben das ihn fasziniert hatte. Es hätte so schön sein können. Sie wäre so glücklich geworden, wenn Malfoy nicht wieder aufgetaucht wäre und damit alles durcheinander gebracht hätte.

Sie ging hinüber zum Fenster und schaute hinaus. Die Sonne war gerade dabei unter zu gehen und die letzten roten Strahlen hüllten die Stadt in ein warmes Licht. Der Ausblick ist atemberaubend. Hörte sie sich selbst in der Vergangenheit flüstern. Das ist er wahrhaftig. Sagte Christian damals, während sein Blick auf sie gerichtet war. Ihre Wangen wurden rot. Immerhin trug sie damals eine einfache blaue Jeans und einen grauen Pulli. Nichts was diesem Kompliment gerecht gewesen wäre.

Er war so gut zu ihr. So lieb und nett und wunderbar. Und was tat sie? Sie war hier um ihn abzuservieren. Sie wollte ihn aus ihrem Leben schmeißen. Ihn, der ihr so sehr geholfen hatte Malfoy zu vergessen.

Eine Träne wanderte ihre Wange hinab. Es war so falsch, das Beste in ihrem Leben durch das Schlimmste zu ersetzen. Doch sie konnte nicht länger an etwas festhalten, das ihr Herz bereits aufgegeben hatte. Dennoch hatte sie Angst. Denn würde sie Christian jetzt loslassen, dann könnte Malfoy sie in einen bodenlosen Abgrund stürzen. Und sie wusste genau, dass er dazu in der Lage war. Sie schluckte einmal trocken.

"Hermione, was machst du hier?" riss sie plötzlich eine Stimme aus ihren Gedanken. Erschrocken fuhr die ehemalige Gryffindor herum. Christian stand mit fragendem Gesichtsausdruck vor ihr.

Nun war es also soweit, dachte sich das Mädchen. In wenigen Augenblicken würde sie die Leine zu ihrem Anker durchtrennen. Sie holte tief Luft, dann sagte sie möglichst monoton: "Wir müssen reden."

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