Kapitel 12

"Wer ist das?" riss sie eine schrille Stimme aus ihrem wohligen Schlaf. Sie merkte wie ihr Kopf dröhnte und verfluchte sich zugleich dafür, gestern so viel getrunken zu haben. Dann prasselten plötzlich all die Erinnerungen an die vorherige Nacht wie ein Regenschauer auf sie herein. Die wilden, unersättlichen Küsse die sie mit Draco geteilt hatte, sein heißer Atem auf ihrer Haut und das unwiderstehliche Gefühl seiner einnehmenden Nähe. Was hatte sie nur getan? Beschämt und gleichzeitig irgendwie zufrieden richtete sie sich langsam auf und öffnete die Augen.

Höchst verwirrt erblickte sie ein Mädchen, welches voller Wut und Verzweiflung mit dem Finger auf sie zeigte. Beinahe hätte sie geglaubt in einen Spiegel zu blicken, so ähnlich war sie ihr. Sie hatte dieselben widerspenstigen braunen Locken, die gleichen warmen braunen Augen und sogar die Gesichtsform glich der ihren bis auf das letzte Härchen. Der einzige Unterschied war, dass sie etwas größer als sie selbst war und vielleicht auch etwas schlanker. Außerdem zierte ein Schönheitsfleck auf der linken oberen Seite ihrer Lippe ihr Gesicht.

"Wer bist du?" fragte nun Hermione und bemerkte erst jetzt, dass ihr die Decke nur auf dem Schoss lag. Voller Scham zog sie sie zu ihren Brüsten herauf und spürte wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Dann drehte sie sich zu Draco, der noch immer schlief. Wie viel hatte er gestern getrunken? 

"Ich bin seine Freundin! Du widerliches kleines Flittchen! Was machst du bitte in seinem Bett?" fragte das Mädchen außer sich, während ihr Gesicht rot vor Wut wurde. Dann schritt sie auf Hermione zu, sammelte ihre Klamotten vom Boden auf und schmiss sie der ehemaligen Gryffindor mitten in das Gesicht. "Schau bloß das du verschwindest!" giftete sie sie zornig an. Ihre Augen sprühten Funken und beinahe war Hermione so, als würde sie unter ihrem Blick qualvoll verbrennen.

"Seine Freundin?" fragte sie fassungslos und rieb sich schmerzlich die Wange. Er hatte eine Freundin? Wütend drehte sie ihren Kopf zu dem schlafenden Mann. Wie konnte sie nur so dumm sein? Wieder einmal? Sie wusste doch dass er mit ihr spielte. Er benutzte sie um zu bekommen was er brauchte. Diesmal hatte er nicht einmal ein Geheimnis daraus gemacht und was tat sie? Kaum hatte sie ein paar Schluck Alkohol getrunken, ließ sie sich wieder von ihm einwickeln. Gerade war sie sich selbst zuwider.

"Ja ganz richtig!" schrie das Mädchen sie nun erneut an. Nun regte sich auch Draco. Mit einem Brummen drehte er sich zu Hermione um und öffnete mehrmals blinzelnd seine Augen. Als er sie erblickte erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht, ehe er ihr ein verschlafenes "Guten Morgen." zu murmelte.

"Ja guten Morgen!" schrie die Fremde nun aufbrausend und Draco wandte verwirrt sein Gesicht zu der Stimme. Plötzlich war er hellwach. "Ruby?" fragte er schockiert und saß noch im selben Augenblick senkrecht in seinem Bett.

"Ach sieh einer an! Du weißt ja scheinbar noch das ich existiere!" fauchte sie ihn wütend an. Noch ehe er darauf eingehen konnte, zeigte sie anklagend mit dem Finger auf Hermione und meinte schrill: "Wer zum Teufel ist das?"

Alles in Hermione zog sich zusammen. Es war als würde jede Vene in ihrem Körper schlagartig einfrieren. Sie fühlte sich so schlecht, so beschämt. Schnell zog sie sich ihr T-shirt über den Kopf, dann stieg sie aus dem Bett und rannte, ohne Ruby oder Draco erneut anzusehen, aus dem Zimmer. Warum hatte er ihr nichts von seiner Freundin erzählt? Weil sie leichter zu manipulieren war wenn sie sich zu ihm hingezogen fühlte? War es das? Wollte er erneut ihre Gefühle ausnutzen um sie für sich zu gewinnen? Für seinen Plan? Und ging er dafür so weit einen anderen Menschen rücksichtslos einfach zu betrügen? Die Antwort lag glasklar auf der Hand. Er hatte sich nicht verändert. Er tat alles was nötig war um sein Ziel zu erreichen, und wenn er dafür über Leichen gehen musste.

"Hermione, warte!" hörte sie ihn noch hinter sich herrufen, doch ging nicht darauf ein. Sie versuchte die Tränen die in ihr herrauf stiegen zu unterdrücken, versuchte zu ignorieren was für eine Karussell an Gefühlen er erneut in ihr auslöste. Sie war wütend, traurig, verletzt, verzweifelt und durcheinander. Was war denn nur falsch mit ihr? Warum ließ sie das immer wieder zu?

Draco sah ihr verzweifelt hinterher. Was hatte er da nur wieder angestellt? Gerade als sie sich ihm geöffnet hatte, musste alles wieder zerstört werden. Warum hatte er sich nur seinen Gefühlen hingegeben? Wieso hatte er nicht, wie auch sonst immer in ihrer Nähe, die Notbremse gezogen? Sie hätten sich einfach nur unterhalten sollen, wie konnte er das nur zulassen?

Doch über all diese Fragen konnte er im Augenblick nicht nachdenken, denn eine vor Wut tobende Ruby schrie ihn nun erneut an: "Du rufst ihr hinterher? Du willst das sie bleibt?" Zunächst überschattete der Zorn ihr Gesicht doch je länger der ehemalige Slytherin sie ansah, desto mehr erkannte er die Trauer darin.

"Ruby... ich..." stammelte er verlegen, um Worte ringend. "Nein! Nichts Ruby! Wie konntest du nur?" fragte sie mit Tränen in den Augen. "Du verschwindest von einem Tag auf den anderen. Hinterlässt mir einen lächerlichen Zettel:

Ruby, es tut mir leid aber ich muss für einige Zeit fort. Ich liebe dich, mach dir keine Sorgen. Ich komme bald zu dir zurück.
Draco."

Las sie laut vor und wedelte mit dem Brief vor seiner Nase. "Und ich sitze daheim, die Tage vergehen und du kommst nicht wieder. Ich war krank vor sorge! Krank hörst du? Und dann finde ich endlich raus wo du steckst, komme hier an und du widerliches Schwein vögelst mit ner anderen?" fragte sie außer sich und starrte ihn auffordernd an.

Unsicher fuhr er sich durch die blonden Haare. Was sollte er denn nun sagen? Sie hatte Recht. Sie hatte so verdammt Recht. Er wusste selbst dass es ein Fehler war.

"Willst du nichts dazu sagen?" herrschte sie ihn an als er minutenlang schwieg. "Was willst du denn hören? Das es mir leid tut? Schön! Es tut mit leid! Macht das die Sache jetzt besser?" fuhr er sie aufgebracht an. Er konnte nichts tun was diesen Ausrutscher entschuldigen würde. Es war bereits passiert und er hasste sich dafür. Wieso musste er den Menschen, die er liebte, immer Schmerzen zufügen? Was stimmte denn nicht mit ihm?

"Nein, das macht es ganz und gar nicht besser! Du bist ein Arschloch! Bedeute ich dir also so viel? Kaum bin ich nicht mehr bei dir schläfst du mit der nächst besseren? Oder hast du uns verwechselt? Sah sie unter dem Einfluss von Alkohol vielleicht so aus wie ich?" schrie sie aufbrausend und ballte ihre kleinen Hände zu Fäusten. Ihre Augen funkelten ihn herausfordernd an. 

"Verdammt Ruby so war das nicht! Was soll ich denn tun? Ich kanns nicht ungeschehen machen! Was machst du überhaupt hier?" Draco war völlig überrumpelt mit dieser Situation. Er wusste nicht was er sagen sollte, hatte keine Ahnung wie er sich zu verhalten hatte. Er kannte so etwas nicht. Früher war es ihm einfach egal. Früher hätte er sie einfach ausgelacht und wäre gegangen, er hätte sich das Drama nicht angetan. Doch er war nun ein anderer. Hermione hatte ihn wach gerüttelt, das Eis um sein Herz schmelzen lassen und ihm seine Wärme zurück gegeben. Ruby hatte es am Leben erhalten als es gerade dabei war wieder einzufrieren. Sie hatte stetig mit etwas heißer Luft dafür gesorgt das er nicht vergaß wie es sich anfühlte zu fühlen. Und dafür war er ihr unendlich dankbar. Nie wieder wollte er diese Person werden, dieses naive Kind das sich so weit von der Realität abgeschottet hatte, dass ihm einfach alles egal war. Wahrhaft gleichgültig, als ginge es ihn nichts an. Als wäre er nur ein Zuschauer in einem Theaterstück. 

"Was ich hier mache? Ist es jetzt meine Schuld dass ich dich erwischt habe? Wolltest du hier deine kleine Affäre genießen und dann zurück kommen und so tun als wäre nichts gewesen?" drehte sie ihm die Worte im Mund herum. "Oh das tut mir aber leid Euer Gnaden. Das nächste Mal werde ich Euren Wunsch akzeptieren!" schrie sie ironisch. 

Kapitulierend ließ er die Arme, die er unterbewusst aus Selbstschutz vor der Brust verschränkt hatte, sinken. "Du weißt dass ich das so nicht meine." sagte er ruhig, die Augen um Vergebung bittend auf ihre gerichtet.

Stumm sah sie ihn an. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Er konnte deutlich sehen wie die Enttäuschung und die Traurigkeit in ihrem Blick die Oberhand über die Wut errungen und als sie endlich wieder sprach, fragte sie beinahe verzweifelt: "Was hab ich denn getan dass du das Gefühl hattest das tun zu müssen?"

Sofort brachen die Schuldgefühle über ihn herein und sein Herz blutete Tränen, als er sie das fragen hörte. Sein Blick wurde weich und völlig aufgewühlt ging er zu ihr hinüber und nahm sie, ohne lange darüber nachzudenken, in den Arm. Ruby ließ sich in die Berührung fallen, bettete ihren Kopf in seiner Halsbeuge und er spürte wie ihre Tränen auf seine nackte Haut tropften.

"Gar nichts hast du falsch gemacht." flüsterte er ihr reuevoll ins Ohr. "Du bist perfekt Ruby. Du warst da als ich dich am meisten brauchte. Du kamst mir damals vor wie ein Engel. Du verstehst mich. Mit dir ist alles so schön einfach. Es tut mir leid, dass ich dir das angetan habe." Er strich sanft über ihr lockiges Haar, während sie sich mit jedem Atemzug beruhigte.

Dann löste sie sich von ihm und in ihrem Gesicht stand ein einziges großes Fragezeichen. "Wenn das so ist, warum hast du es dann getan?" fragte sie schniefend und strich sich die letzten Tränen von ihren Wangen. Wieder schwieg Draco. Wie sollte er ihr diese Frage beantworten, wenn er selbst nicht einmal wusste wieso.

"Bedeutet sie dir etwas?" fragte die Braunhaarige nach Momenten der Stille. Diese Frage traf ihn wie ein Messer in der Brust. Er klappte den Mund auf, wollte etwas sagen doch es kamen keine Worte heraus. "Ich werde jetzt gehen." sagte Ruby schließlich traurig und wandte sich zur Tür. "Warte!" rief er als sie beinahe draußen war. Dann sprintete er zu ihr und nahm ihre Hände in seine. "Sie bedeutet mir nichts. Du bist alles für mich. Ruby... ich liebe dich." sagte er aus tiefstem Herzen, doch wusste selbst das er gerade gelogen hatte. Hermione würde ihm immer etwas bedeuten, aber Ruby hatte ihm klar gemacht das diese Zeit vorbei war. Er musste aufhören ihr nachzutrauern oder auch nur Hoffnungen an eine gemeinsame Zukunft zu hegen. Sie waren nicht gut für einander, die Vergangenheit hatte das bereits gezeigt. 

Doch Ruby war gut. Sie war einfach. Richtig. Ihre Beziehung war nicht vergiftet. Vielleicht verlor er nicht seinen Verstand wenn er in ihrer Nähe war, vielleicht schlug sein Herz nicht so schnell, dass er fürchtete es würde jeden Moment explodieren und vielleicht hatte er auch nicht das Gefühl einer lange unterdrückten Sucht nachzugeben, wenn er sie küsste. Doch möglicherweise war das genau das Gute daran. Sie machten sich nicht gegenseitig wahnsinnig, sie blieben bei Vernunft. Sie waren keine Droge füreinander, sie waren gesund.

Eine einzelne Träne lief ihr über die rosigen Wangen und tropfte trostlos auf den hölzernen Boden. Dann ließ sie seine Hände los und verschränkte die Arme vor der Brust. "Zu wenig, zu spät Draco." flüsterte sie, deutlich um Fassung ringend. Dann wandte sie ihm endgültig den Rücken zu und schritt erhobenen Hauptes aus seiner Wohnung.

Der ehemalige Slytherin blieb zurück. Es war als könnte er hören wie der letzte dünne Faden an dem er hing riss und er in einen tiefen Abgrund fiel. Sie war die letzten zwei Jahre alles für ihn gewesen. Wegen ihr hatte er sich ständig daran erinnert was es bedeutet Gefühle zu haben. Wegen ihr hatte er sich nicht tagtäglich für all die furchtbaren Dinge, der er getan hatte gehasst. Sie hielt ihn oben, half ihm auf. Sie war die Stütze die er so dringend gebraucht hatte und plötzlich war sie einfach zerbrochen. 

Von außen hin schien es immer als hätte er alles unter Kontrolle, doch innerlich stand er am Rande des Wahnsinns. Seit er von Hermione wegging baute sich dieses Gefühl in ihm auf. Nur wegen Ruby ließ er es nicht heraus. Er durfte dem nicht verfallen, er war stärker als all das. Notdürftig klammerte er sich an den einzigen Strohhalm den er finden konnte: Er musste seine Mutter retten, koste es was es wolle!

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