[6] What I fear the most

Es war ein milder, herbstlicher Montagmorgen, als Draco Malfoy in Verteidigung gegen die dunklen Künste in der letzten Reihe des Klassenzimmers saß und noch im Halbschlaf den Worten des Lehrers lauschte. Seinen tonnenschweren Kopf stützte er auf seiner linken Hand ab, mit der anderen kritzelte er ein paar Stichpunkte auf ein Blatt Pergament. 

Professor Davies war zu Beginn des neuen Schuljahres eingestellt worden, um dieses Fach zu unterrichten, die Frage, die sich ein jeder stellte, war, wie lange er diesen Posten wohl behalten würde. All seine Vorgänger hatten es - wenn man das so sagen durfte - ja ziemlich schwer gehabt.

Wirklich folgen konnte er dem kleinen, pummeligen Professor mit den schwarzen Haaren und der großen Hornbrille nicht, doch seine Konzentration ließ montags um diese Uhrzeit generell immer zu wünschen übrig.

Das heutige Thema waren Irrwichte, etwas, über das der Blondschopf ohnehin schon tausendmal gelesen und gehört hatte, was bedeutete, dass seine geistige Abwesenheit nicht weiter schlimm war.

Die Einzigen, die dem Unterricht neugierig zu folgen schienen, waren diese nervigen und schleimigen Streber in den ersten beiden Reihen, darunter natürlich Oberstreberin Hermine Granger und ihre beiden idiotischen Anhängsel. Die drei wurden seit dem Krieg wie Heilige behandelt und von allen bewundert und hochgelobt, was dem millionenschweren Malfoy Erben ziemlich gegen den Strich ging, doch je weniger Beachtung er ihnen schenkte, desto besser kam er damit klar.

„Ich bitte Sie nun darum, Ihre Unterlagen in den Taschen zu verstauen und sie zusammen mit den Tischen an den Rand zu schieben. Anschließend bilden Sie bitte eine Schlange. Heute testen wir, ob Sie es auch praktisch mit einem Irrwicht aufnehmen können.", zwang die rauchige Stimme des Professors ihn schließlich wieder aufzupassen und wieder aufzuhorchen, die ersten seiner Klassenkameraden waren bereits aufgestanden, nur wenig später hörte man den Großteil der Tische über den Boden rücken.

Mit einem tiefen Seufzer erhob sich auch Draco, seine Laune war inzwischen komplett im Keller, doch weil er sich noch vor der Rückkehr nach Hogwarts geschworen hatte, dass er sich künftig mehr anstrengen würde, tat er es den anderen gleich und schob mit seinem Banknachbar Blaise Zabini den abgewetzten Holztisch an den Rand des Zimmers. Dieser schien ebenfalls nicht allzu begeistert zu sein, kam den Anforderungen des Professors dennoch nach und gähnte schlaftrunken vor sich hin, als er sich hinter seinen besten Freund in die Schlange einreihte.

Die beiden waren relativ weit hinten, das Schlusslicht bildeten Pansy Parkinson und Daphne Greengrass, die sich schon seit Beginn der Stunde über irgendwelche seltsamen Schminkutensilien unterhielten, die sie am Wochenende in Hogsmeade gekauft hatten.

„Gut, sehr gut." Davies klatschte freudig in die Hände, er war vermutlich der Einzige, der gerade motiviert und gut gelaunt war, und schob einen großen Holzschrank an die Stelle, an der sich zuvor noch sein Pult befunden hatte.

„Ich möchte, dass Sie alle Ihre Zauberstäbe zücken. Sie werden nun der Reihe nach einzeln nach vorne kommen und ihrem persönlichen Irrwicht gegenübertreten. Diese werden Ihnen Ihre größten Ängste und Schwächen zeigen. Ihre Aufgabe wird es dann sein, diese zu bezwingen. Kann mir jemand sagen, welchen Zauberspruch Sie- Ja, Miss Granger?", unterbrach er sich selbst, kaum, dass die Hand der Brünette nach oben geschossen war, was Draco mit einem genervten Augenrollen quittierte.

„'Riddikulus', Sir." 

„Ganz recht, Miss Granger, sehr gut!"

Ist ja nicht so, als hätten wir dieses dämliche Spiel schon im dritten Schuljahr durchgekaut, ging es dem Blonden durch den Kopf, der am liebsten still und heimlich aus dem Raum geflüchtet wäre.

„Nun denn, treten Sie bitte als Erste nach vorne und zeigen Sie Ihren Mitschülern, wie es funktioniert.", forderte er die Gryffindor auf, dem sie unverzüglich nachkam, indem sie resolut ihre Schultern straffte und motiviert nach vorne stolzierte.

Ein paar Meter vor dem Holzschrank blieb sie letztlich stehen, dabei umklammerte sie ganz fest ihren Zauberstab, bevor Davies die knarzende Tür öffnete und niemand Geringeres als Professor McGonagall herauskam.

Keine Sekunde später waren überall im Raum die leisen, unterdrückten Gelächter der anderen zu hören, Parkinson und Greengrass kicherten gefühlt zehn Oktaven zu hoch in ihre Hände, und auch Draco musste sich stark zusammenreißen, nicht lauthals loszulachen. Er hatte mit allem gerechnet, aber sicherlich nicht damit, dass Grangers größte Angst die neue Schulleiterin war.

Erst dann fiel sein Blick auf das, was die grauhaarige Hexe in ihren Händen hielt. Es war ein Blatt Pergament, genauer gesagt ein Test, der mit einem 'T' (nicht bestanden) bewertet worden war. Nun konnte er sich das spöttische Schmunzeln wirklich nicht mehr verkneifen, denn eigentlich hätte er sich ja denken können, dass ihre größte Angst eine schlechte Note, besser gesagt das Versagen in der Schule war.

„Riddikulus!", ertönte schließlich jener Zauberspruch aus dem Mund der Brünetten, besagtes Blatt Pergament verwandelte sich daraufhin in einen Papierflieger, der durch das Zimmer segelte, bis er durch das geöffnete Fenster flog und verschwand.

Begeistert von dieser kleinen Vorstellung, klatschte der Professor erneut in seine Hände, alle anderen taten es ihm vergleichsweise emotionslos gleich, während Hermine zurückwich und sich mit geröteten Wangen - zugegebenermaßen war ihr die Erscheinung McGonagalls unfassbar peinlich gewesen - auf einem der Tische niederließ, um dem nächsten aus der Reihe den Vortritt zu lassen.

Nämlich Harry, der etwas unsicher nach vorne tappte, gefühlt hielt gerade jeder den Atem an, denn wer sich noch an die gleiche Situation im dritten Schuljahr zurückerinnerte, wusste, dass seine letzte Begegnung mit einem Irrwicht alles andere als erfolgreich abgelaufen war.

Hermine, aber auch Ron und die anderen waren sich sicher, dass Voldemort oder aber wieder ein Dementor vor ihm auftauchen würde, doch zur Überraschung aller war es seine Freundin Ginny, die von meterhohen, orangeroten Flammen umgeben war, worauf der Auserwählte vor Schock erstmal einen großen Schritt zurückwich, um nicht Feuer zu fangen.

Der Irrwicht schrie immer wieder Harrys Namen, rief nach Hilfe und weinte sich die Augen aus dem Kopf, nach dem erlösenden Zauberspruch verwandelten sich die vielen Tränen auf ihren Wangen jedoch in einen Wasserfall, der die lodernden Flammen nach und nach löschte.

Ron war der nächste, wie damals handelte es sich bei ihm um eine riesengroße Spinne mit langen und dicken Beinen, an denen wenig später bunte Rollschuhe befestigt waren, die das haarige Monster zu Boden zwangen.

So ging dieses Spiel immer weiter; von Clowns, Geistern, Käfern, bis hin zu verstorbenen Geliebten war alles dabei, bis Draco Malfoy an der Reihe war und ebenfalls nach vorne treten sollte, wogegen er sich am liebsten gesträubt hätte. 

Kurz hatte er mit dem Gedanken gespielt sich mit der Drohung - seinem Vater hiervon zu erzählen - zu drücken, bis ihm einfiel, dass dieser ja in Askaban saß und ihm somit ohnehin nicht helfen könnte. Demnach blieb ihm nichts anderes übrig, als der Aufforderung des Professors Folge zu leisten und unter den Blicken aller Anwesenden - die inzwischen allesamt auf den Tischen Platz genommen hatten - auf den Schrank zuzugehen.

Die Todesfee von Seamus Finnigan, deren tödlicher Gesang soeben in einen Schluckauf verwandelt worden war, flatterte noch für ein paar Sekunden wirr durch das Zimmer, bis der Irrwicht direkt vor dem Blondschopf stehenblieb und die Gestalt eines Mädchens annahm. Eines Mädchens mit braunen, lockigen Haaren und haselnussbraunen Augen.

Und ab dem Moment, in dem sowohl Draco, als auch der Rest der Klasse sich darüber bewusst wurde, um wen es sich hierbei handelte, herrschte schlagartig eine Totenstille.

Vor ihm stand nämlich Hermine Granger.

Die Originalversion hingegen meinte jeden Augenblick umzukippen und in Ohnmacht zu fallen, denn damit hätte sie in hunderttausenden Jahren nicht gerechnet.

Draco Malfoy hatte Angst vor... ihr?!

Sie wusste absolut nicht, was sie davon halten sollte, und ob sie nun lachen, weinen oder aber einfach nur schreiend davonlaufen sollte. Ob er sich gerade einfach nur einen Scherz mit ihr erlaubte?

Nachdem der erste Schock verarbeitet war, konzentrierte sie sich vermehrt auf den Slytherin, dem es offenbar ebenfalls die Sprache verschlagen hatte, da er wie versteinert und sichtlich geschockt dastand, den Blick unentwegt auf seinen persönlichen Irrwicht gerichtet.

Seine Atmung war hektisch, nur mit größter Mühe konnte er den Sauerstoff in seine Lungen ziehen, die sich zusammenzogen wie ein vakuumierter Plastikbeutel. Er war genauso ratlos wie alle anderen, hatte keine Ahnung, was es damit auf sich hatte, doch seine unausgesprochene Frage nach dem 'Warum?' wurde in dem Moment beantwortet, in dem direkt hinter der Gryffindor seine Tante Bellatrix Lestrange erschien.

Ihrem Auftauchen folgten lautes Geraune und leises Getuschel, Hermine ließ sich davon allerdings nicht beeindrucken, auch die Hand von Harry, die sich auf ihre Schulter legte, ignorierte sie gekonnt, und starrte wie gelähmt auf die Szene, die sich ihr bot.

Die älteste Black-Schwester drückte ihren kleinen, schwarzmagischen Dolch an den Hals der Braunhaarigen, deren linker Unterarm plötzlich mit einer Unmenge an rotem Blut überströmt war. Die Wunde, das Wort, das dort eingeritzt war, war nicht zu übersehen und für alle Anwesenden deutlich lesbar; Schlammblut.

Jenes grausame Wort, das der Blondschopf ihr bereits des Öfteren an den Kopf geworfen hatte und mit dem sie während der Horkruxjagd, während des Aufenthaltes in seinem Zuhause, ein für alle Mal gezeichnet worden war.

Draco umklammerte seinen Zauberstab inzwischen so fest, dass es ihn nicht gewundert hätte, wenn dieser entzweigebrochen wäre, denn diese schrecklichen Bilder erneut vor Augen geführt zu bekommen, war zu viel für ihn. Er versuchte sich einzureden, dass es nur ein Irrwicht war, nur eine Demonstration seiner größten Angst und Schwäche, dass es nicht real war und sowohl er als auch Hermine in Sicherheit waren.

Doch, so sehr er es auch versuchte, er scheiterte und wurde von seinen Erinnerungen eingeholt.

Ihre Schreie hallten in seinen Ohren wider, ihre verzweifelten, herzzerreißenden Schreie, die er nie wieder vergessen oder verdrängen könnte, da sie damals etwas in ihm ausgelöst hatten, das er sich bis heute nicht erklären konnte. Doch nun fing er an es zu begreifen. Seine größte Angst war, Hermine Granger leiden zu sehen. Er konnte es nicht ertragen, wenn sie verletzt wurde oder ihr Schmerzen zugefügt wurden.

Und diese Erkenntnis schockierte, vor allem aber berührte auch die echte Hermine in höchstem Maße.

Sie wollte ihm helfen und dafür sorgen, dass diese schreckliche Szene ein Ende hatte, inzwischen lag ihr blutüberströmter Körper auf dem Boden des Klassenzimmers, über ihr nach wie vor die hämisch grinsende Bellatrix, die den leichenblassen Draco fokussierte und ihren Dolch in Zeitlupe nach oben hielt. Die Spitze deutete dabei direkt auf die Brust der wimmernden Irrwicht-Hermine, auf die Stelle, unter der sich ihr Herz befand, das jeden Moment durchbohrt werden würde, wenn der Blondschopf nicht den Zauberspruch sprechen und sowohl sie, als auch sich selbst erlösen würde.

Statt des 'Riddikulus' feuerte er allerdings einen 'Avada Kedavra' ab, der grüne Lichtblitz schoss aus seinem Zauberstab und kollidierte sowohl mit der Lestrange, die leblos durch die Luft geschleudert wurde, als auch mit dem hölzernen Schrank, der in tausend Einzelteile zerbarst. 

Erst dann wurde ihm bewusst, was er da gerade angerichtet hatte.

Er war derartig weggetreten gewesen, dass er die Realität nicht mehr von der Illusion hatte unterscheiden können. Zu sehr hatten ihn diese Bilder und Erinnerungen mitgenommen, ihn gequält und ihn völlig unkontrolliert handeln lassen. 

Und nun stand er da, die gesamte Aufmerksamkeit auf sich liegend, den Zauberstab in der zittrigen Hand, die Augen glasig, inmitten des Klassenzimmers vor seinen Mitschülern. Vor ihr.

Er konnte sich an keinen Moment seines Lebens erinnern, in dem er sich jemals derartig geschämt hatte. Die geröteten Wangen der Gryffindor zeigten ihm, dass er damit jedoch nicht alleine war, wofür er sich zusätzlich schämte, denn er hatte sie nicht in diese Situation bringen wollen. 

Er hatte nicht damit gerechnet, dass tief in seinem Inneren und seinem Unterbewusstsein ausgerechnet das seine größte Angst sein würde, doch jetzt, da er sie ansah und den verletzten Ausdruck auf ihrem Gesicht entdeckte, wurde ihm klar, dass es stimmte. Er konnte es nicht ertragen sie leiden zu sehen.

Er traute sich kaum sich zu bewegen, ließ dennoch seinen Zauberstab sinken und schielte vorsichtig über die vielen, geschockten Gesichter seiner Mitschüler, doch sein Blick suchte immer wieder den von Hermine, bis er diesem irgendwann nicht mehr standhalten konnte. Eine einzelne Träne stahl sich aus ihrem Augenwinkel, die dem Slytherin den Rest gab. Er konnte nicht hierbleiben und darauf warten, dass im nächsten Moment alles wieder normal oder wie zuvor sein würde. Das würde es nämlich nie wieder. 

Er musste hier weg. Und zwar schnell.

Ein letztes Mal suchten seine eisgrauen Augen die rehbraunen der Brünetten, und bevor seine Knie aufgrund dieses Anblicks noch weich werden würden, wandte er sich gänzlich ab, schmetterte seinen Zauberstab zu Boden und flüchtete so schnell wie nur möglich aus diesem verfluchten Klassenzimmer.

„Mr.- Mr. Malfoy!", stammelte der pummelige Professor, doch es war schon zu spät und die Tür knallte in ohrenbetäubender Lautstärke zu, was die bunten, gläsernen Fenster zum Wackeln brachte.

Die Luft war noch immer zum Zerreißen gespannt, keiner traute sich etwas zu sagen oder sich zu bewegen, es war, als hätte die ganze Welt den Atem angehalten. Darunter auch Hermine, die inzwischen alle Augenpaare auf sich liegen hatte und von diesen durchbohrt wurde. 

Dracos Zauberstab, der über den Boden rollte, war gerade das Einzige, das zu hören war, ansonsten war es nach wie vor totenstill.

„Das war... Verzeihen Sie diesen kleinen... Unfall, es... wenn Sie bitte die Tische zurück an ihren Platz schieben könnten, danach dürfen Sie gehen.", durchbrach erst das leise Räuspern und schließlich die Stimme von Davies eine ganze Weile später dieses bedrückende Schweigen, mit zittrigen Beinen steuerte er den demolierten Schrank an.

Alle anderen waren wie versteinert, blieben an Ort und Stelle stehen, da keiner den ersten Schritt machen wollte. So auch Harry und Ron, die ihre beste Freundin ansahen, als wäre ihr ein meterlanger Bart gewachsen, und dennoch war sie es, die als Erste aus ihrer Starre erwachte.

„Kannst du mir bitte deine Karte ausleihen?", wandte sie sich kleinlaut an den Jungen mit der Blitznarbe, die ein wenig verzogen wurde, als er fragend die Stirn runzelte.

„Wofür?", wollte er wissen, obwohl er die Antwort darauf bereits wusste.

„Du weißt wofür! Bitte, Harry!"

Der Auserwählte seufzte, um ihn herum wurde es nun immer lauter, nach und nach begannen die anderen Schüler wieder zu reden, zu tuscheln, dem er jedoch nur wenig Beachtung schenkte. 

Er setzte sich in Bewegung und steuerte den Tisch an, auf dem er seine Tasche abgelegt hatte, um Hermine die Karte des Rumtreibers zu geben, die sie ihm fast schon aus der Hand riss. Dracos Zauberstab war das letzte, das sie sich schnappte, bevor auch sie - die Rufe ihres Professors ignorierend - aus dem Zimmer stürmte.

Im Korridor angekommen, lehnte sie sich fürs Erste gegen die kühle Steinwand, in der Hoffnung wieder einen klaren Gedanken fassen zu können, dann öffnete sie die Karte und suchte fieberhaft nach dem Namen 'Draco Malfoy'. 

Die Tatsache, dass dieses Schloss verflucht groß war und manche Räume nicht angezeigt wurden, machte ihre Suche umso schwieriger, doch ihr Herz machte einen meterhohen Sprung, als sie ihn auf dem Astronomieturm ausfindig machte.

Als würde es um Leben oder Tod gehen, sprintete sie los, nahm Abkürzungen wo es möglich war und durchquerte fast das ganze Schloss, nur, um Draco zu finden und ihn zur Rede zu stellen. Zwar hatte sie nicht die geringste Ahnung, was sie zu ihm sagen sollte und wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte, doch eigentlich wollte sie sich ohnehin einfach nur vergewissern, dass er wohlauf war. 

Sie war schon völlig außer Puste, als sie die große Wendeltreppe erklomm und auch die letzten Meter zur Aussichtsplattform auf sich nahm, und in dem Moment, in dem sie oben ankam und den Blondschopf an der Brüstung entdeckte, fiel ihr ein tonnenschwerer Stein vom Herzen.

Sie atmete erleichtert auf, was durch ihre überanstrengten Lungen ziemlich schmerzhaft war, gleichzeitig musste sie stark an sich halten nicht in Tränen auszubrechen.

„Draco?", flüsterte sie gegen den sanften Wind an, der durch den Turm wehte und sich durch ihre Haare schlängelte. 

Der Angesprochene fuhr panisch, wie vom Blitz getroffen herum und weitete restlos überrumpelt die Augen, als er ausgerechnet Hermine Granger am Treppenaufgang erblickte. Einerseits freute er sich darüber, andererseits wusste er genau, was gleich kommen würde, und darauf konnte er getrost verzichten. Er war nämlich absolut nicht gut darin über seine Ängste und Gefühle zu sprechen, vor allem nicht mit ihr.

„Was willst du?" Er drehte sich wieder um, bemühte sich darum möglichst kalt und distanziert zu wirken, doch Hermine ignorierte gekonnt diese doch recht unhöfliche Frage und ging auf ihn zu, bis sie direkt neben ihm stehenblieb und auf den großen See blickte, der im hellen Licht der Morgensonne funkelte und sich bis zum Horizont erstreckte.

Seine Hände lagen auf dem schwarzen Geländer, klammerten sich krampfhaft um das kühle Eisen und sorgten dafür, dass die Adern auf seinen Armen vermehrt hervorragten.

„Keine Ahnung.", gab sie ehrlich zu, ein leises Schmunzeln verlautend.

„Warum bist du dann hier?" „Ich... hab mir Sorgen gemacht und... wollte mich vergewissern, dass es dir gut geht."

„Mir geht's blendend, siehst du doch.", knurrte er zähneknirschend, den Blick verbissen und stur geradeaus gerichtet, um nicht in Versuchung zu kommen sie anzusehen. 

Ohne diese Erkenntnis, die sie zuvor im Unterricht erlangt hatte, wäre sie spätestens jetzt vermutlich einfach wieder abgehauen, doch sie dachte nicht einmal daran und rückte noch ein Stück zu ihm auf, sodass ihre Schulter bei der kleinsten Bewegung seinen Oberarm streifte.

„Willst du... darüber reden?", hauchte sie, streckte ihm dabei vorsichtig seinen Zauberstab entgegen, den er anfangs überrascht beäugte und anschließend zornig in seinem Umhang verstaute.

„Nein. Und selbst wenn, dann ganz bestimmt nicht mit dir!"

Autsch, ging es der Gryffindor durch den Kopf.

„Aber... na ja, es... geht ja irgendwie um mich und-" „Egal, was du dir jetzt schon wieder in deinem neunmalklugen Kopf zusammengereimt hast, vergiss es einfach, okay?! Es ist nicht so, wie du denkst!"

„Warum ist deine größte Angst mich leiden zu sehen?", konfrontierte sie ihn aufgrund seines unmöglichen Verhaltens mit der bitteren Wahrheit, was ihn derartig überrumpelte und überforderte, dass ihm kurzzeitig schwarz vor Augen wurde. 

Eine Antwort bekam sie allerdings nicht. Er schwieg. Was sie dazu veranlasste, es ihm einfach gleichzutun und darauf zu warten, dass er sich hoffentlich doch noch zu Wort melden würde. Vielleicht dachte er auch einfach nur nach.

Eine gefühlte Ewigkeit später, in der das Schweigen noch immer nicht unterbrochen worden war und die beiden Schulter an Schulter an der Brüstung gelehnt hatten, hielt Hermine es schließlich nicht mehr aus.

„Als du nach vorne gegangen bist, habe ich eigentlich erwartet, dass der Irrwicht die Gestalt deines Vaters oder... die von Voldemort annehmen würde."

Er verkrampfte sich aufgrund dieser Worte, hatte nicht damit gerechnet, dass sie überhaupt noch etwas sagen würde, doch andererseits war es auch nicht wirklich überraschend, wenn man bedachte, dass sie normalerweise ununterbrochen quatschte und stets für alles eine logische Erklärung brauchte. Dann sollte sie diese eben bekommen.

„Ich hatte noch nie Angst vor meinem Vater, ich hatte einfach nur großen Respekt vor ihm. Ich wollte es ihm immer recht machen und ihn stolz machen, mehr nicht. Den dunklen Lord hab ich einfach nur verabscheut und verachtet, aber... ich wusste, wozu Potter und du fähig sein könnt. Demnach musste ich mir auch diesbezüglich keine Sorgen machen."

„Sollte das etwa ein Kompliment sein?", schmunzelte die Brünette mit leicht geröteten Wangen, schob es allerdings auf den kühlen Wind und nicht darauf, dass sie sich in gewisser Weise geschmeichelt fühlte. Doch so schnell wie es gekommen war, verschwand es auch wieder.

„Pf, träum weiter, Granger.", spottete er mit einem breiten Grinsen auf den Lippen, welches jedoch schlagartig erstarb, als sie merklich wütend ihre Arme verschränkte und einen Schritt zurückwich.

„Warum ist deine größte Angst mich leiden zu sehen?", verlangte sie ein weiteres Mal zu wissen, ihre Stimme klang wütend und angefressen, was Dracos Geduldsfaden Stück für Stück einreißen ließ.

„Was weiß ich?! Dieser dumme Schrank ist halt kaputt! Oder Finnigan hat beim Verzaubern seiner komischen Todesfee irgendwas zerstört! Tu mir einfach den Gefallen und bilde dir bloß nichts darauf ein, klar?!"

„Gib doch einfach zu, dass du-" „Verpiss dich einfach wieder und lass mich in Ruhe, Granger! Du hast keine Ahnung, okay?!"

„Was ist eigentlich dein Problem?!", keifte Hermine, ihr Gesicht wurde rot vor Zorn und die Ader auf ihrer Stirn immer dicker. 

Ihre Atmung gewann vehement an Schnelligkeit, genau wie ihr Herz, das sich in ihrer Brust zu überschlagen schien. Ganz besonders in dem Moment, in dem der Blondschopf herumwirbelte und sich bedrohlich, mit breiter Brust vor ihr aufbaute.

„Du!", schrie er. „Du bist mein Problem!"

Diese Worte schmerzten der sonst so starken und mutigen Gryffindor mehr, als sie jemals zugeben würde, sein durchbohrender Blick triefte nur so vor Verachtung und Hass und trieb ihr die Tränen in die Augen.

„Was hab ich denn getan?" „Das weißt du ganz genau! Tu doch nicht so scheinheilig, verdammt!"

„D-Draco, ich... weiß wirklich nicht, was-", schüttelte sie den Kopf, wurde jedoch harsch von ihrem Gegenüber unterbrochen.

„Siehst du?! Genau das meinte ich damit! Hör gefälligst auf mich so anzusehen und mich Draco zu nennen! Und mein Leben durcheinanderzubringen! Kapiert?!"

Ich bring dein Leben durcheinander?!", lachte die Brünette spöttisch auf. „Ist das gerade dein Ernst?! Was hab ich bitte getan, dass du behauptest ich würde-"

„Weil du alles kaputt machst!", donnerte er ungehalten, sein Geduldsfaden war inzwischen komplett gerissen und in zehntausend Einzelteile zerfetzt worden. Hermine verstand noch immer nicht. 

„Wovon redest du?"

„Davon, dass du alles infrage stellst, was mir jemals beigebracht wurde! Elf Jahre lang wurde mir eingebläut, dass Leute wie du Abschaum wären! Und weißt du was?! Ich wünschte du wärst dieses dumme, wertlose Schlammblut, vor denen mein Vater mich jahrelang gewarnt hat! Ich wünschte ich könnte dich so hassen und verachten, wie es von mir verlangt wird! Dich verletzen, ohne dass ich mir dabei selbst wehtue. Aber ich kann es nicht! Okay?! Ich kann dich nicht hassen! Vermutlich hab ich es auch nie getan! Vielleicht hab ich mir das alles immer nur eingeredet, weil ich mir nicht eingestehen wollte, dass ich dich eigentlich-" Er brach ab, als ihm - bedauerlicherweise viel zu spät - bewusst wurde, was er gerade beinahe von sich gegeben hätte. Zeitgleich schoss ihm das Blut in die Wangen.

Fuck...

„Dass du mich eigentlich was?", hakte sie eine ganze Weile später nach, in der sie sich einfach nur tief und perplex in die Augen geschaut hatten, in denen des jeweils anderen versunken waren. 

Ihre Worte waren nur ein leises Flüstern, kühlten das erhitzte Gemüt der beiden von Sekunde zu Sekunde wieder etwas ab und sorgten letztlich für einen äußerst magischen Moment, in dem aus Hass, Verachtung und Abneigung das genaue Gegenteil wurde. Sogar Draco gestand sich ein, dass er nun keinen Rückzieher mehr machen konnte und endlich mit der Wahrheit rausrücken musste.

„Dass ich...", begann er ruhig, verstummte wieder und machte stattdessen einen letzten Schritt auf dieses besondere Mädchen zu. Seine Hände legten sich wie von selbst auf ihre Wangen, strichen vereinzelte, wirre Haarsträhnen hinter ihre Ohren und fuhren sanft über ihre unfassbar weiche und makellose Haut, Dracos Fingerspitzen begannen dabei wie verrückt zu kribbeln.

Sie sah zu ihm auf, genoss diese sanften Berührungen und dieses Gefühl, das diese in ihr auslösten, dieser unschuldige Blick, den sie ihm zuwarf, ließ ihn dahinschmelzen wie eine Tafel Schokolade in der sommerlichen Mittagssonne.

Um nicht einfach auf der Stelle umzukippen, krallte Hermine sich in seinen Umhang und den dünnen Pullover, den er darunter trug, und schloss ergeben ihre Augen, als er seine Stirn vorsichtig gegen ihre lehnte.

„Du weißt genau worauf ich hinauswill, du nervige Besserwisserin.", flüsterte er gegen ihre halb geöffneten Lippen, die sich folglich zu einem süßlichen Lächeln formten.

„Trotzdem würde ich es gerne aus deinem Mund hören. Und wer weiß? Vielleicht... geht es mir ja genauso wie dir.", schmunzelte sie, ihre Nase ließ sie dabei neckisch und herausfordernd über seine gleiten, was dazu führte, dass er endgültig die Beherrschung verlor.

Fieberhaft suchte er in seinem Kopf nach den richtigen Worten, nach der Wahrheit, die er ihr schon so lange hatte offenbaren wollen, doch je länger er überlegte, desto bewusster wurde ihm, dass er das, was er fühlte, niemals erklären könnte. Selbst wenn er wollte, er könnte es einfach nicht.

Aus diesem Grund nahm er sie beim Wort, kam ihrer Aufforderung nach und ließ seinen Mund für ihn sprechen, indem er diesen bestimmend und fordernd auf ihren legte, um sie mit all der Leidenschaft und all der Liebe, die er für sie empfand, zu küssen. Um dieser Angst ein für alle Mal ein Ende zu setzen. 

Denn in diesem magischen Moment, in dem sowohl ihre Lippen als auch ihre Herzen miteinander verschmolzen, schwor er sich, ab diesem Tag alles in seiner Macht stehende zu tun, damit niemand sie je wieder verletzte.


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"Never let your fear decide your fate" ~ AWOLNATION 

(„Lass deine Angst niemals über dein Schicksal entscheiden")



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