[1] In Memoriam

Sorgfältig nach links und rechts blickend, überquerte die Brünette die eingeschneite Straße.

Der Schnee knirschte unter ihren Schuhen und funkelte im Licht der Straßenlaternen, die ihr an diesem eiskalten Dezemberabend den Weg wiesen.

Das kleine Mädchen an ihrer Hand schlenderte freudig durch die weiße Winterlandschaft und folgte ihrer Mami auf Schritt und Tritt. Ihre blonden Löckchen hüpften dabei auf und ab und fingen den Schnee auf, der gleichmäßig vom Himmel herabfiel und aussah wie Puderzucker, den man über einen Kuchen stäubte.

Ihre graublauen Augen funkelten wie zwei Eiskristalle an einem sonnigen Wintertag und schielten immer wieder zu der brünetten Hexe hinauf, die mit einem sanften Lächeln auf den Lippen zu ihrer inzwischen fünfjährigen Tochter blickte.

Sie war ihr ganzer Stolz. Ihr eigen Fleisch und Blut. Ihr Ein und Alles.

Doch vor allem war sie eines: Das Ebenbild ihres Vaters.

Die blonden Haare, die grauen Augen, das freche Grinsen; all das erinnerte die Brünette Tag für Tag an den wundervollsten und liebevollsten Menschen, den sie jemals kennenlernen durfte.

Es versetzte ihr einen schmerzhaften Stich ins Herz, als ihre Gedanken wieder zu ihrem Vorhaben und dem eigentlichen Grund für diesen kleinen Ausflug schweiften, denn sie hatte lange überlegt, ob sie diesen Schritt wagen sollte oder nicht. Sie wusste nicht, ob ihre Tochter schon alt genug war, um das, was sie ihr heute zeigen und sagen wollte, zu begreifen. Der jungen Mutter fiel es nämlich selbst unheimlich schwer, immer wieder an diesen Ort zu gehen, doch gleichzeitig heilte ihr Herz mit jedem weiteren Besuch ein Stückchen mehr.

Inzwischen war es für sie eine Art Tradition geworden, an Heiligabend jenen Ort zu besuchen, an dem sie früher oder später immer in Tränen ausbrach. Und zwar in dem Moment, in dem sie von ihren Erinnerungen eingeholt und von ihren Emotionen übermannt wurde. Schöne Erinnerungen, aber auch schreckliche Erinnerungen.

Seit dem Verlassen des Hauses herrschte eine Totenstille, die lediglich durch das leise Pfeifen des sanften Windes gestört wurde. Das kleine Mädchen schwieg, da die junge Mutter - wie jedes Jahr zu diesem Anlass - stark in sich gekehrt war.

Sie wusste inzwischen ganz genau, dass ihre Mami nicht immer diese glückliche und freudestrahlende Frau war, die sie immer vorgab zu sein. Sie wusste, dass ihre Mami immer wieder von schlimmen Albträumen heimgesucht und letzten Endes schreiend aus dem Schlaf gerissen wurde. Dass das Lächeln auf ihren Lippen nicht immer echt war. Dass ihr „Es geht mir gut" nicht immer ernst gemeint war.

Nur noch ein paar Meter trennten die kleine Familie von diesem besonderen Ort, doch nachdem sie auch diese überbrückt hatten, standen sie schließlich direkt vor ihrem Ziel.

Dem Friedhof.

Die Brünette nahm noch einen tiefen Atemzug, bevor sie nach der Klinke des großen Tors griff und diese nach unten drückte. Das kleine Mädchen achtete dabei auf die zitternde Hand ihrer Mutter, war sich aber nicht sicher, ob das der Eiseskälte oder ihrer Aufregung geschuldet war. Sie machte sich jedoch nicht allzu viele Gedanken darüber und warf stattdessen einen unsicheren Blick über die vielen Grabsteine, die allesamt von einer dicken Schneeschicht bedeckt waren und in allen Größen und Formen aus dem Boden ragten.

„Mami, was genau machen wir hier?" Sie wusste absolut nicht, was sie von diesem Ort halten sollte und fühlte sich um ehrlich zu sein nicht wirklich wohl, weshalb sie den Griff um die Hand ihrer Mutter abermals verstärkte.

Diese kniete sich lächelnd vor ihre kleine Tochter und streichelte sanft über ihre von der Kälte geröteten Wangen.

„Ich möchte dir etwas zeigen, Liebling. Ich habe dir doch mal erklärt, dass jeder Mensch früher oder später von uns gehen muss. Und heute möchte ich dir jemanden vorstellen, der mir sehr am Herzen lag und uns leider schon viel zu früh verlassen musste."

Das kleine Mädchen nickte mit dem Kopf, um zu zeigen, dass sie verstanden hatte, und blickte ihrer Mami tief in die Augen, über die sich ein feuchter Film gelegt hatte, der das Braun darin zum Glitzern brachte. Diese versuchte stark zu bleiben und nicht gänzlich in Tränen auszubrechen, doch in dem Moment, in dem ihre Tochter ihre kleinen Ärmchen um sie legte, um sie aufzumuntern, konnte sie diese nicht mehr länger zurückhalten.

Der Schnee segelte gleichmäßig auf sie herab, während sie Arm in Arm und eng umschlungen am Friedhof standen und sich die Wärme spendeten, die das kalte Wetter ihnen zunehmend entzog.

Eine ganze Weile verharrten sie in dieser Position, ehe sie sich wieder voneinander lösten, um nun zu dem Grab zu gehen, das die Hexe ihrer Tochter an diesem Abend zeigen wollte. Aufmerksam folgte das kleine Mädchen ihrer Mutter und blieb schließlich dicht neben ihr stehen, als diese innehielt und vor einem großen Grabstein zum Stehen kam.

Unsicher, fast schon schüchtern sah sie nach oben und musste feststellen, dass die Augen ihrer Mami erneut von einer Unmenge an Tränen heimgesucht wurden. Die Kleine hasste es, sie traurig zu sehen und kuschelte sich deswegen ganz fest an sie, allerdings ohne dabei den Blick von dem großen Stein zu lösen.

Mit ihren fünf Jahren konnte das blonde Mädchen bereits lesen und verzog daher fragend das Gesicht, als sie die Inschrift des Grabes las.

Sie hatte diese Person leider nie kennengelernt, aber diesen Nachnamen kannte sie natürlich. 

Ihre Mami hatte ihr immer ganz viel von ihm und seiner Familie, aber auch von seinem tragischen Tod erzählt, über den sie bis heute noch nicht hinweggekommen war. Viel zu früh hatte er diese Welt und seine Angehörigen verlassen müssen.

Die Brünette sammelte sich und nahm ein paar tiefe Atemzüge, bevor sie das Wort ergriff und ihrer Tochter jene Geschichte erzählte, für die sie hergekommen waren. Sie ging neben ihr in die Hocke, ließ sie auf ihrem angewinkelten Oberschenkel Platz nehmen, und das kleine Mädchen schlang ihre kurzen Ärmchen um den Hals ihrer Mutter, um ihr aufmerksam lauschen zu können. Nachdem sie sich ein letztes Mal geräuspert hatte, begann sie schließlich.

„Weißt du, Liebling... es gab eine Zeit, da war es nicht so friedlich wie heute. Vor ein paar Jahren, zu meiner Schulzeit, da... hat einer der schrecklichsten Zauberer aller Zeiten geherrscht und die Welt in Gut und Böse gespalten. Er hat sich an allen rächen wollen, die ihm jemals unrecht getan oder ihn schlecht behandelt haben und wollte die Macht an sich reißen. Dabei ist es zu einem großen Krieg gekommen, den wir, die Guten, gewonnen haben. Seitdem herrscht wieder Frieden, aber diese Schlacht hat viele Leben gefordert und... so auch dieses hier." 

Sie hielt einen Moment inne, um die Tränen, die sich erneut in ihrem Inneren ansammelten, herunterzuschlucken. 

„Ich habe ihn in meinem ersten Schuljahr kennengelernt und... ich weiß nicht, aber... er war mir von Anfang an sympathisch. Er war so ein wundervoller, selbstloser und vor allem humorvoller und lustiger Mensch. Er hat in allem etwas Gutes und Positives gesehen und hat sich nie unterkriegen lassen. Er war immer für andere da und hat stets für das gekämpft, das ihm wichtig war. Und zwar bis zum Schluss."

Das kleine Mädchen war etwas überfordert, nachdem sie geendet hatte, und wusste nicht so recht, was sie dazu noch sagen sollte, denn diese - wenn auch wenigen - Worte hatten sie sehr berührt. Sie drückte die Hand ihrer Mami leicht, um ihr in diesem wichtigen Moment Kraft und Halt zu geben, ließ diese jedoch wenige Sekunden später los, um den Blumenstrauß, den sie mitgebracht hatten, auf das Grab zu legen.

Restlos überwältigt und mit frischen Tränen in den Augen, beobachtete die junge Mutter, wie ihre kleine Tochter in die Hocke ging, den kleinen Strauß ablegte und zusätzlich einen kleinen Kuss auf den im Grabstein eingravierten Namen hauchte.

Erst, als die Brünette zwei starke, männliche Arme spürte, die sich von hinten um sie schlangen, erwachte sie wieder aus ihrer Trance und ihren Erinnerungen, die in ihr hochgekommen waren.

„Ich bin so stolz auf dich, mein Schatz. Auf euch beide.", flüsterte er liebevoll in ihr Ohr, nachdem er sich die ganze Zeit über zurückgehalten und geschwiegen hatte, bescherte der jungen Frau mit dieser Geste jedoch schlagartig eine Gänsehaut am ganzen Körper.

Sie war nicht fähig, etwas zu erwidern, geschweige denn überhaupt etwas zu sagen, da sie gerade so stark mit ihren Emotionen und Gefühlen zu kämpfen hatte, dass sie kein Wort herausbrachte. Aus diesem Grund ließ sie sich einfach gegen die Brust des Mannes sinken, der ihr einen sanften Kuss auf die kalte Wange hauchte und sich in ihren Schopf kuschelte.

Das kleine, blonde Mädchen hatte die beiden Erwachsenen unauffällig beobachtet und fand dieses Kuscheln und Knutschen normalerweise - wie sie selbst immer zu sagen pflegte - ziemlich ekelig, doch genau diese Momente zauberten ihrer Mami stets ein glückliches Lächeln auf die Lippen und das war alles, was sie sich wünschte.

„Können wir nächstes Jahr wieder herkommen?", wollte die Kleine wissen, nachdem sie noch eine ganze Weile schweigend und in sich gekehrt vor dem Grab gestanden hatten.

Die Brünette zögerte keine Sekunde und bejahte sofort die Frage ihrer kleinen Tochter, die daraufhin freudig in die Hände klatschte und ein leises Jubeln verlauten ließ.

Der jungen Mutter war es sehr wichtig, dass ihr kleines Mädchen zu schätzen wusste, wie wichtig Familie, Geborgenheit, Wohlstand und Frieden war, denn all diese Dinge waren keinesfalls selbstverständlich.

Das wurde ihr jedes Jahr aufs Neue vor Augen geführt.

Nur ein paar Meter von dem Grab und der kleinen Familie entfernt, erklang ein festlicher Gesang, der von einem ruhigen Glockenspiel und einer Orgel begleitet wurde und über den schneebedeckten Friedhof hallte. Ursprung dieses wundervollen Gesanges war die kleine Kirche, in der soeben die Christmette begonnen hatte. Für die kleine Familie war dies das Signal, dass es nun an der Zeit war nach Hause zu gehen, wo das Festessen, bei dem sich die fleißigen Hauselfen mit Sicherheit wieder selbst übertroffen hatten, bereits auf sie wartete.

Vergessen waren für das kleine Mädchen allerdings die vielen Geschenke und Pakete, die unter dem Weihnachtsbaum auf sie warteten, denn das größte Geschenk, das ihr an diesem magischen Abend gemacht worden war, war dieser kleine Ausflug, der ihr - da war sie sich sicher - jahrelang im Gedächtnis bleiben würde.

Sie verabschiedete sich im Stillen von diesem besonderen Ort und diesem einzigartigen Menschen und griff schließlich nach den Händen ihrer Eltern.

Die Kleine ging in der Mitte, Hermine Malfoy links von ihr, Draco Malfoy rechts von ihr.

Sie drehte sich noch einmal um, warf einen letzten Blick auf den Grabstein und verließ schließlich den Friedhof, um mit ihrer Familie das Fest der Liebe zu feiern.

In Gedanken wiederholte sie dabei immer wieder die Inschrift des Grabes.


Hier ruht 

Fred Weasley

* 01. April 1978  |  † 02. Mai 1998

Möge er auch im Jenseits alle mit seinem Humor verzaubern.


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Ich kann's auch kaum glauben, aber... das war tatsächlich mein erster Oneshot

Und ja, ich weiß, es ist ein Weihnachts-Oneshot, aber ich hatte die Idee dafür im November letzten Jahres und habe ihn aufgrund einer schrecklichen und wochenlang andauernden Schreibblockade nicht so umsetzen können, wie ich es mir vorgestellt und gewünscht habe, aber jetzt bin ich weitestgehend zufrieden damit und wollte ihn mit euch teilen.

Seht es daher einfach als kleine Überraschung für den heutigen Geburtstag unserer Lieblings-Zwillinge Fred und George Weasley (01. April 1978) und als Gedenken an unseren lieben Fred, der in der Schlacht um Hogwarts sein Leben lassen musste.

> Zauberstäbe nach oben /*


Ich freue mich natürlich wie immer über Feedback, Meinungen, Kommentare, Verbesserungsvorschläge und Votes.

Ganz liebe Grüße und bis zum nächsten Oneshot,

Eure Emma :)<3

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