𝟙𝟙𝟠. 𝕃𝕖𝕤𝕦𝕟𝕘𝕖𝕟 𝕖𝕚𝕟𝕖𝕤 𝔸𝕦𝕥𝕠𝕣𝕤

Draco schaute sich nervös um. So viele Menschen waren gekommen. Zu viele, um nicht nervös zu sein. Obwohl Draco schon seit Jahren Lesungen hatte, spürte er jedes Mal wieder, wie sich ihm die Brust zuschnürte und seine Hände ganz schwitzig wurden. Er verlor seine Coolness und manchmal motzte er jeden, der gerade zufällig im Weg stand, an.

Die Crew hatte dazu gelernt und vermied es, ihm kurz vor einer Aufführung in die Quere zu kommen. Draco rieb sich mit den Händen über die Stirn. Sein Assistent Dean Thomas, ein riesiger Kerl, der Draco fast zwei Köpfe überragte, beugte sich zu ihm hinunter und drückte ihm das Buch in die Hand, aus dem Draco vorlesen würde. Draco fuhr über den Titel Über dich und über seinen eigenen Namen. In diesem Buch hatte er Texte und Gedichte gesammelt, die von einem bestimmten Mädchen handelten. Er hatte sie auf Hogwarts, seiner Schule, kennengelernt und sich in sie verliebt. Noch heute dachte er oft an sie. Er hatte sich nie getraut, ihr seine Liebe zu gestehen, um ihre Beziehung mit einem anderen Mann nicht zu zerstören. Er hatte über Ecken und Kanten aufgeschnappt, dass die beiden sich verlobt hatten. Das hatte ihn das Herz gebrochen und all diesen Herzschmerz hatte er in diesem Büchlein niedergeschrieben. Es war der erste Gedichtband, der von ihm erschienen war. Draco hatte seine Liebe zum Schreiben im letzten Schuljahr entdeckt und sich seitdem durch alle Genres ausprobiert. Durch einen spannenden Thriller wurde er berühmt und eines seiner letzten Bücher, einem Liebesroman, der vor etwa einem Jahr erschienen war, sollte sogar verfilmt werden.

»Es ist so weit, Draco«, raunte Dean und geleitete ihn zur Bühne.

Jedes Mal, wenn Draco die Bühne betrat, ließ er den Blick durch den Raum schweifen. Nicht, um sich diesen anzusehen. Er kannte die Räume. Mal waren es kleine Buchhandlungen oder Bibliotheken, an anderen Tagen waren es große Säle. Draco schaute auf die Menge, er wollte wissen, ob ein bekanntes Gesicht zu ihm blickte. Vor allem aber wollte er erfahren, ob jenes Mädchen da war.

Da er aber heute auf einer Bühne in einem großen Saal stand, sah er nur in das Licht der Scheinwerfer. Die Gesichter konnte er nicht erkennen.

Er entschied sich, zu stehen. So schaffte er es, den Gedichten mehr Ausdruck zu verleihen.

H.J.G.

Meine verlorene Hälfte heiratet

Irgendwo da draußen, bald gedrahtet

An einen anderen Kerl

Der sie behandelt wie ein kostbars Perl

Und ich bin nicht dabei – wieso?

Ganz einfach, ich weiß nicht wo.


H.J.G.

Du liebtest mich nie, immer nur den anderen Kerl, den ich nie leiden konnte, du aber schon, und nun muss ich mir vorstellen, wie du in einem weißen Ballkleid durch eine Kirche läufst zu mir und im letzten Moment kommt dein Kerl, schubst mich weg und nimmt deine Hand entgegen und ich liege auf dem Boden und fange an, zu bereuen, dass ich dich nie um ein Date angefleht oder dir gesagt habe, was ich für dich empfinde, denn du hättest sicher Nein gesagt, aber da ist ein kleiner Teil in mir, der flüstert, was wenn doch, was wenn du doch Ja gesagt hättest, nur ein einziges Mal und hätte ich mich von meiner besten Seite gezeigt, dich so sehr beeindruckt, dass du nicht zurück zu diesem Kerl, den ich nie leiden, du aber schon, und ich muss mir vorstellen, wie du mit deinen Kindern am Zug stehst, sie in die Schule schickst, und ich ganz in der Nähe, in deiner Nähe, aber so weit entfernt von dir, mit meinen eigenen Kindern, die ich mit irgendeiner unwichtigen Frau, die schon längst über alle Berge, mich mit den Kindern zurückgelassen, dabei wünsche ich mir noch nicht mal Kinder, wenn sie nicht so aussehen wie du und neben dir steht dieser Kerl, den ich nie leiden, du aber schon und ich muss mir vorstellen, wie er dein Grab besucht und wenn ich diesen Friedhof betrete, ich fortgejagt werde, weil niemand ahnt, dass ich doch zu den Guten gehöre und nur das Grab meiner Liebsten, die nie meine Liebste war, besuche, sie vermisse, ihr Blumen aufs Grab legen, doch dann kniet da dieser Kerl, den ich nie leiden und du aber schon und ich bereue.

Draco hielt den Atem an, rang nach Luft. Es war ein schneller Text, denn die Zeit verging viel zu schnell.

H.J.G.

Ich hatte einen Traum

Ich stand unter einem Baum

Nah am Zaun

Atmete kaum,

Gestreichelt vom Wolkenflaum

Kamst zu mir, berührte ich deinen Hochzeitskleidsaum

Wir sind in einem Rhythmus

Mein Arm umschlingt deinen Corpus

Unsere Lippen vereinigen sich zu einem von vielen Kuss

Der wohl niemals kommt zu einem Schluss

Und ich wache nicht auf

Denn es ist kein Traum, nur Tagtraum,

Es ist mein größter Wunsch.

Draco sah den Scheinwerferlichtern entgegen, hörte, wie sich die Menge regte, murmelte, applaudierte, jubelte. Er hörte auch, dass die Menge nicht so laut war wie sonst. Nicht so begeistert wie sonst.

Dann setzte das Rumpeln ein.

Vor Draco hatten noch andere Autoren vorgelesen, er war der Letzte gewesen und nun löste sich die Menge auf.

Ein Keuchen erklang, dann sah Draco, wie eine junge Frau auf die Bühne kletterte und langsam auf ihn zuschritt. Draco legte den Kopf schief. Wer war diese Frau?

Die Menge blieb stehen. Sie erstarrte, hielt die Luft an. Etwas passierte auf der Bühne, etwas Interessantes, worüber sie danach tratschen konnten.

Die Frau kam näher und erst ein paar Zentimeter vor seinen Schuhspitzen blieb sie stehen. Als Draco in ihr Gesicht blickte, erkannte sie die braunen Augen, die er gezeichnet hatte und die Haare, die ihr Gesicht umrandeten. Diese Locken, die noch feiner und ausgeprägter waren als in seiner Erinnerung. Hermine, die Frau, über die er Gedichte geschrieben hatte, stand hier, vor ihm.

»Deine Texte waren schrecklich.« Ihre Stimme war klar und hell und so schön, dass Draco erst nach ein paar Augenblicken realisierte, was sie gerade gesagt hatte.

»Oh.«

»Deine anderen Texte sind so viel besser. Dein Thriller war spannend bis zum Ende, die Liebesgeschichte war realistisch, schön, mitreißend und in einer wunderschönen Sprache erzählt. Aber das hier, das war einfach nur die Niederschrift eines einfachen Mannes, der an Liebeskummer leidet. Gedichte leben von einer wunderbaren Sprache, die stimmig und flüssig klingt und nicht so alltäglich, langweilig. Sie leben von versteckten Stilmitteln, von Bilden, die im Text versteckt werden, von Vergleichen und Metaphern. Deine Texte klangen stumpf. Die solltest du definitiv verbessern. Du willst deine Leser und Hörer zu Gefühlen rühren oder nicht? Du willst, dass sie den Schmerz erleiden, den du erlitten hast. Du musst deine Gefühle schreiben.«

Hermine atmete aus.

»Klar, natürlich.«

»Lass mich raten, die Frau, über die du schreist, heißt Hermine Jean Granger, hat ihren Verlobten verlassen, einen großartigen Autor, der schlechte Gedichte schreibt, entdeckt, war auf jeder Lesung und muss diese schlechten Gedichte nun kritisieren?«

»Woher wusstest du das?«

»Deine Widmungen, deine Danksagungen, deine Gedichte, meine Initialen, der Kerl. Das war wirklich nicht so schwer, zu erraten.«

»Wow«, hauchte Draco.

»Soll ich dir beibringen, bessere Gedichte zu schreiben? Wir könnten uns treffen. Morgen, 12 Uhr, auf dem Marktplatz.«

»Äh natürlich.« Draco war etwas überfordert. Seine große Liebe stand endlich vor ihm. Die, nach der er sich jahrelang gesehnt hatte. Er sehnte sich danach, sie zu küssen, doch vorher wollte er eine Basis schaffen. Er wollte, dass sie sich in ihn verliebte. Also lächelte er stattdessen.

Hermine nickte.

Die Menge applaudierte, und zwar lauter als zuvor.


Hey, schaut gerne bei meiner neusten Romance-Geschichte DER IDIOT UND ICH vorbei. Das würde mich freuen. Es ist eine Enemies-to-Lovers- und Neighbours-Geschichte :)


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