Kapitel 3
Eine Einheit besteht aus fünfundfünzig Anwärtern und in jeder Staffel sind elf von uns. Da Grace und ich zum Glück in der selben Staffel sind, gibt es nur noch neun Anwärter, die mir gefährlich werden können. Ich weiß nicht, ob mich diese Tatsache tatsächlich beruhigt.
Zuerst sind Blake und Erin an der Reihe. Die beiden begeben sich auf den mit Matten ausgelegten Trainingsplatz. Silver und unser Staffelführer Maru, ein großgewachsener junger Mann mit orangenen Haaren und ruhigem Temperament, stehen etwas abseits von uns und beobachten das Geschehen. Marus reiterschwarze Rüstung ist mit orangenen Schuppen versehen, die farblich perfekt zu seinen Haaren passen. Grace hat mir erzählt, dass wenn die Reiter in den Krieg ziehen oder sich auf Patrouillenflug begeben, sie zusätzlich noch einen Harnisch tragen, der magisch verstärkt ist. Alles andere würde die Bewegungsfreiheit einschränken. Die eigentliche Ausrüstung ist eine schwarze, lederartige Uniform, bestehend aus einer Hose, einem langärmligen Oberteil und Stiefeln. Die meisten Reiter tragen zusätzlich noch Arm- und Beinschienen. Maru trägt zwar keinen Harnisch, jedoch ist auch sein Oberteil auf Brusthöhe mit einem Drache verziert, der bei ihm in rot gehalten ist. Dies bedeutet, dass er den Weg der Kriegsmagie gemeistert hat, wobei ich mir sicher bin, dass er noch einen weiteren Weg beherrscht. Denn schließlich ist er ein Reiter. Er scheint etwas jünger als Silver zu sein. Vielleicht so alt wie Jace?
Jace... Sein Gesicht blitzt plötzlich vor meinem inneren Auge auf. Die Heiterkeit in seinen ozeanblauen Augen, wenn er wieder einen seiner doofen Witze macht. Die Grübchen, die sich bilden, wenn er sich ein Lachen verkneifen muss. Seine blonden Haare, die sich bei jedem seiner Schritte mitbewegen. Unwillkürlich muss ich an die Nacht denken, in der er verhindert hat, dass ich vergewaltigt und entführt wurde. Es war jene Nacht, in der ich mich so einsam und zerbrechlich gefühlt hatte, dass ich gar nicht anders konnte, als seinen Kuss zu erwidern, während ich neben ihm lang und er mit seiner Magie dafür sorgte, dass sich meine Schmerzen im Zaum hielten. Jace... Plötzlich bedeutet mir all das so viel mehr. Plötzlich verstehe ich, dass er mich wirklich liebt, wo ich hingegen ihn über die Jahre wie einen Bruder lieben gelernt habe. Schnell schiebe ich die Gedanken an ihn wieder beiseite. Es gibt nun wichtigeres, auf was es sich zu konzentrieren gilt.
Silver erhebt die Stimme. "Der Sieger wird sich am Ende gegen mich beweisen müssen. Startet!" Dann gehen die beiden auch schon aufeinander los. Blake ist um einiges kräftiger und größer als Erin, die mühevoll versucht, seinen harten Angriffen stand zu halten. Er lässt seine Fäuste mit präziser Schnelligkeit auf sie einhageln, sodass es abzusehen ist, dass sie bald einen Schlag abbekommen wird. Und als dieser Schlag kommt, taumelt sie so sehr zurück, dass er in der Lage ist, ihr die Beine weg zu ziehen. Sie landet auf dem Rücken, doch entgegen meiner Erwartung hört Blake nicht auf. Er stürzt sich mit seiner gesamten Kraft auf die zierliche junge Frau und lässt seine Fäuste auf sie los. Erins Schreie hallen über den Platz und sie versucht vergebens, den Braunharigen von sich runter zu bekommen.
Hilfesuchend schaue ich zu Silver, der jedoch keine Miene verzieht. "Hör auf!", brülle ich Blake entgegen, aber da ist es schon zu spät. Ein lautes Knacken ertönt und Erins Körper erschlafft. Damit enden auch die qualvollen Schreie. Unglaubliche Wut ballt sich in mir zusammen, als er sich von Erins Körper erhebt und uns amüsiert entgegen sieht wie ein Tier, dass sich über seine erlegte Beute freut. "Wenn ihr bereits gegen eure Staffelmitglieder verliert, werdet ihr im Krieg nicht bestehen können", betont Silver nachdrücklich und schenkt mir einen mahnenden Seitenblick. 'Das kann doch nicht sein Ernst sein!' Ich ignoriere Erins leblosen Körper, ziehe meinen Stock und trete vor Blake auf die Matte. "Aideen, was zur Hölle tust du da!", ruft Grace mir hinterher, aber ich ignoriere sie. Der Tod der jungen Frau muss gerächt werden! Dieser aufgeblasene Idiot sieht das alles nur als ein Spiel. Er genießt es förmlich, seine Gegner ins Jenseits zu befördern. "So ein Krüppel wie du wird niemals das Zeug zum Magier haben", höhnt Blake und zieht einen Dolch aus dem Futteral seines Gewands. Blut glänzt auf seinen Knöcheln und er hat seine hässliche Fratze mit der schiefen Nase zu einem sadistischen Grinsen verzogen. Ich fange an ihn zu umkreisen und ignoriere seine Stichelei, mit der er versucht, mich aus der Fassung zu bringen. Eine Weile umkreisen wir uns und schätzen den jeweils anderen still ein, ehe Blake als erstes angreift. Er rennt auf mich zu und holt mit seinem Dolch gegen meine Schläfe aus. Ich wirbel meinen Stock nach oben, wehre den Angriff ab und rolle mich dann von ihm weg. Die Schienen an meinem Bein leisten ihren Dienst und ich konzentriere mich auf meine Atmung, um nicht zu schnell erschöpft zu sein.
Auf Blakes hellgrüner Tunika erkenne ich das Zeichen der Adelsfamilie von Froderk - eine weiße Rose, durchbort von einem schwarzen Pfeil - der direkten Nachbarprovinz von Anghara. Zugegeben, es wundert mich nicht. Unsere Akademie gilt als die beste des Reiches. Den sieben Adelafamilien steht es frei, zu welcher Akademie sie ihren Nachwuchs schicken. Bedauerlicherweise ist Blake bei uns. Dieser sprintet nun erneut auf mich zu, deutet einen Schlag auf meine linke Schläfe an und verpasst mir stattdessen einen Hieb in die Magengegend. Keuchend krümme ich mich und versuche, einen Treffer in seine Rippen zu landen. Doch auf halbem Weg packt er meine Hand und biegt sie um, was mir ein Wimmern entlockt. 'Verdammt. Er ist stärker als ich. Und er scheint eine gute Ausbildung am Hof genossen zu haben.' Meine Gedanken rasen. Ich überlege fieberhaft, wie ich mich aus meiner misslichen Lage befreien kann. Blake hingegen hält unbekümmert meine Hand in seinem Griff und sieht mich belustigt an. "Na los, du Krüppel! Wehr dich, oder willst du so enden wie sie!?" Meine Wut schwingt in Hass um, als ich Erins toten Körper ansehe. Ihre kurzen schwarzen Haare sind zerzaust, an ihren Mundwinkeln läuft Blut hinab. Die zierliche Nase scheint mehr als ein Mal gebrochen zu sein und über all auf ihrer blassen Haut erkenne ich schreckliche Hämatome. Mein Herz krampft sich zusammen.
Schreined reiße ich das Ende meines Stockes nach oben und befördere es in Blakes rechtes Auge. Fluchend lässt er mich los und fasst sich an die Stelle, wo sich bereits Blut den Weg seine Wange hinunterbahnt. Ohne zu zögern stürze ich mich mit meinem vollen Gewicht gegen ihn, sodass wir zu Boden gehen. Immer wieder dresche ich auf sein Gesicht ein, genau dort, wo ich sein Auge getroffen habe. Ich will, das er büßt. Dass er so leidet, wie Erin gelitten hat, als er immer wieder zugeschlagen und die bleiche Haut der jungen Frau zum Aufplatzen gebracht hat. "Ich werde dich töten!", grollt seine Stimme über mich hinweg und eine Welle an Energie katapultiert mich von ihm herrunter. Hart lande ich auf meinem kaputten Bein und höre ein unangenehmes Knacken. Da hebt er schreiend eine Hand und als sich loderne Flammen aus ihr ergießen, stemme ich mich mit meiner letzten verbliebenen Kraft nach oben und werfe mich zur Seite. Die Hitze bricht über mir zusammen, jedoch bleibt der Schmerz aus. Erst nach mehreren Atemzügen merke ich, dass Silver hinter mir steht. Der Kristall in seinem Amulett gibt ein stetiges Glühen von sich und um uns herum schimmert ein roter Schild. Er richtet die Augen auf Blakes Körper und es dauert nur den Bruchteil einer Sekunde, da liegt dieser schreiend auf dem Boden und die Flammen erlöschen. Es ist die gleiche Magie, welche Seth bei mir angewendet hat. Die Magie der Heiler. Jene Magie, mit welcher Silver nun dafür sorgt, dass Blakes Muskeln sich versteifen und er keine Kontrolle mehr über sie hat. "Merke dir eines: Unsere Magie darf niemals", er verstärkt die Wirkung auf Blakes Körper, was diesem erneut einen kläglichen Schrei entlockt, "an Unschuldigen missbraucht werden. Niemals!" Die Schreie verwandeln sich promt in ein bettelndes Flehen. "Ich schwöre es, bei Dibus! Bitte, hört auf!" Silver hebt argwöhnisch das Kinn, jedoch lässt er seine Magie fallen. Der Schild um uns erlischt und somit auch das Glühen des Kristalls.
Fassungslos starrt Blake zum Kriegsmagier empor und stemmt sich mit zittrigen Gliedmaßen auf die Beine. "Begib dich zum Flügel der Heiler. Unverzüglich", brummt Silver harsch. Völlig neben der Spur setzt Blake sich in Bewegung, die Hand an seinem verletzen Auge und kaum in der Lage, gerade aus zu gehen. Maru wirft Silver einen vielsagenden Blick zu. "Zweiter Abschnitt. Mindestens." Ich weiß zwar nicht, was unser Staffelführer damit meint, doch im Moment ist es auch nichts, womit ich mich befassen möchte. Ächzend ziehe ich die Hose meines beigefarbenen Gewands herunter und begutachte mein Bein. Es schmerzt höllisch und pocht wie verrückt. Die Schienen sind gebrochen, genauso wie mein Knochen es zu sein scheint. Heiße Tränen brennen mir in den Augen und der Geruch von Feuer hängt mir in der Nase.
Etwas scheint meinen Geist zu berühren, es fühlt sich an wie ein leichter Windhauch. 'Ich werde den Bruch heilen. Mit den Schmerzen musst du selbst fertig werden.' Eine männliche Stimme, die in meinem Kopf spricht. Silvers Stimme! Mit verzerrtem und verwirrtem Blick sehe ich ihn an. Er thront über mir, seine sturmgrauen Augen taxieren mich regelrecht. In seiner Miene kann ich keinerlei Emotionen lesen. Als sein Blick sich dann auf mein Bein richtet, spüre ich, wie der Knochen anfängt sich zu richten, nicht aber die Verformung, mit der ich seit Jahren zu kämpfen habe. Es ist ein schreckliches Gefühl, das durch meine Adern jagt wie Säure. Zitternd ramme ich mir meine Nägel ins Fleisch, so lange, bis der Knochen wieder an seiner Position ist.
"Kämpf weiter oder kapituliere. Es ist mir gleich." Mit diesem Satz begibt Silver sich wieder neben Maru, seine rote Robe hinter sich herziehend wie ein König. "Aideen, verdammt, was sollte das denn!" Grace packt mich unter den Achseln und hebt mich hoch. Manchmal ist es wirklich erschreckend, wie viel Kraft sie hat. "Er hätte dich mit dem zweiten Abschnitt mühelos getötet!" Ich muss sie wohl sehr perplex anschauen, denn sie fängt an sich zu erklären, während wir zurück zu den anderen laufen. "Jeder von uns besitzt einen Magiestrom. Du musst ihn dir vorstellen wie ein Fluss. Er ist in fünf Abschnitte unterteilt. Den zweiten Abschnitt beherrschen normalerweise nur Magier im zweiten Jahr!" Mir wird klar, was für eine Bedrohung Blake darstellt. Und zwar für uns alle. "Scheiße, das ist gar nicht gut." Grace seufzt kopfschüttelnd. "Nein, überhaupt nicht. Hat er dich arg verletzt? Geht's dir gut?" Schief grinsend zeige ich auf mein Bein. "Silver war in meinem Kopf. Er hat den Bruch geheilt." Jetzt ist Grace diejenige, die perplex dreinschaut. "Er hat was!? Silver gilt als skrupellosester unter den großen Dreien!"
Rowan stößt ihr verschmitzt in die Seite. Er ist ebenfalls ein Mitglied unserer Staffel. "Wundert's dich? Er ist der stärkste Kriegsmagier, den Anghara je gesehen hat! Er muss skrupellos sein. Nicht liebevoll wie Mildred, die deine Wunden heilt." Amüsiert beobachte ich, welche Blicke er Grace schenkt. Seine mandelfarbenen Augen leuchten sie förmlich an und er zupft nervös sein Baumwollhemd zurecht. Doch dann wird seine Miene hart. "Jeder Magier kann in den Kopf eines anderen Menschen eindringen, der noch keine Barriere hat. Außerdem kannst du ihm erst im Geist antworten, wenn du den ersten Abschnitt beherrscht und gemeistert hast."
"Du hast wohl viel darüber gelesen, was, Bauernjunge?" Blake gesellt sich lachend wieder zu uns. Bedauerlicherweise muss ich feststellen, dass jede seiner Wunden geheilt wurde. Rowan strafft die Schultern und fixiert Blake. "Ich stamme aus einer Magierfamilie von denen viele so mächtig sind, dass sie die Elemente beherrschen können. Sie helfen damit den Leuten auf den Feldern und beim Fischen. Was ist mit dir, Prinzchen? Hast du dir jemals die Hände schmutzig gemacht?" Kurz bevor diese Situation zu eskalieren droht, tritt Maru zwischen die beiden jungen Männer. "Innerhalb meiner Staffel erwarte ich Respekt, habt ihr das verstanden? Stellt euch wieder auf!" Rowan spuckt aus. "Dann ist es wohl respektvoll, uns gegenseitig zu töten, was?", höhnt er, leistet dem Befehl aber folge. Ich verstaue meinen Stock wieder auf meinem Rücken. 'Das wird ein langer Tag werden.'
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