Kapitel 3

Nahoyas Arme zitterten, als er Mikey gegenüber stand. Jener blickte ihn mit einer unbeschreiblich dunklen Leere in den Augen an.

"Warum zitterst du?"

Schnell senkte Nahoya den Blick. Er wagte es nicht seinen Mund zu öffnen. Stattdessen sah er starr zu Boden.

Auf Mikey wirkte es beinahe so, als habe sein Gesprächspartner - wenn man ihn denn überhaupt so bezeichnen konnte, da jener gar nichts von sich gab - Angst vor ihm.

Ein kalter Luftzug fegte ihnen um die Ohren und ließ den größeren, ohnehin schon zitternden, Mann frösteln.

Die windige Jahreszeit neigte sich nun langsam dem Ende zu und überall verbreitete sich bereits der süße Geruch von Zimt, Plätzchen und Lebkuchen. Selbst der Eingang des Supermarktes blieb von jenen Gerüchen nicht verschont.

Während Mikey die Gerüche viel zu intensiv vor kamen, sodass er sich schon darüber auf regte, schienen sie Nahoya nicht zu nerven. Zumindest antwortete ihm dieser nicht.

"Smiley?"

Erneut kam keine Antwort von dem Führungsmitglied. Nur das Rascheln der vertrockneten Blätter im Wind war zu hören.

Mikey drehte ihm daher den Rücken zu und versenkte die, zu Fäusten geballten, Hände in den Manteltaschen.

Er verstand nicht was auf einmal mit allen seinen Freunden los war. Alle verhielten sich ihm gegenüber seltsam. Keiner sprach mehr mit ihm. Sie sahen ihn nicht einmal mehr an. Selbst Draken verhielt sich seltsam.

"Ich geh nach Hause." Damit verließ der Blondschopf also den voll geparkten Parkplatz des kleinen Supermarktes, auf welchem er Smiley getroffen hatte, der ausnahmsweise ohne seinen Bruder unterwegs war.

Der ältere hatte eine Wette gegen jenen verloren und musste deswegen nun ganz allein die Snacks für den Abend einkaufen gehen. Da war er, unter dem Vordach des eigentlich viel zu kleinen Supermarktes, auf den Blondschopf gestoßen.

Draußen regnete es, weswegen sich der blondhaarige nach seinem Einkauf noch eine Weile unter dem Vordach des Geschäftes unter stellen wollte bis der Regen etwas nachgelassen hatte.

"Nahoya!", hatte er mit einem Lächeln auf den Lippen gesagt, sobald jener den Laden verlassen hatte, welches auf ihn allerdings so verzerrt aussah wie Sanzus, direkt nachdem dieser Drogen konsumiert hatte.

Wenn der ältere Zwilling nun so daran zurück dachte, breitete sich eine unangenehme Gänsehaut auf seinem Rücken aus, die ihn zum zittern brachte.

Wie angewurzelt blieb das Führungsmitglied Tomans unter dem Vordach stehen. Seine Augen fixierten den Blondschopf, der nun in den Regen hinaus schritt.

Sie verblieben so lange auf dessen Rücken, bis jener außer Sichtweite war. Selbst dann sah er noch einige Minuten auf das Gebäude, hinter welchem sein Anführer verschwunden war. Nur um sicher zu gehen, dass er es sich doch nicht anders überlegt hatte und wieder zurück kam.

Seinen Atem hatte er angehalten. Unbewusst, wohlbemerkt. Erst als Mikey nicht mehr zu sehen war, rang der ältere nach Luft. Sein Brustkorb hatte sich schmerzhaft eng zusammen gezogen.

Die Regentropfen glitten von dem Vordach und tropften auf den Boden hinab. Nur die Tropfgeräusche und das fahren der Autos durch Pfützen war noch zu hören.

Ab und an öffnete sich neben ihm die Ladentür. Leute liefen hinein, oder hinaus. Manche warfen ihm einen seltsamen Blick zu, andere dachten sich nichts dabei, dass er dort nur so herum stand und schenkten ihm keine Beachtung.

Souya machte sich bereits sorgen um seinen Bruder. Normalerweise wäre dieser schon vor einigen Minuten zuhause angekommen.

Daher schrieb er ihm mehrere Nachrichten. Nahoya jedoch stand nach wie vor wie angewurzelt unter dem Vordach.

Auf andere wirkte es vermutlich, als habe er einen Geist erblickt und würde sich daher nun nicht länger trauen, auch nur einen Millimeter unter dem Dach hervor zu treten.

Erst nach einigen Minuten schaffte er es endlich sich aus seiner Schockstarre zu befreien. Bis er es allerdings wagte das Gelände des Supermarktes zu verlassen, verging eine weitere Viertel Stunde.

Auf dem Weg nach Hause drehte sich der Lockenkopf mehrere Male um, da er das Gefühl hatte, irgendjemand würde ihn verfolgen.

So irrational jene Denkweise auch war, gegen die Panik kam die Logik nicht an.

Mit der Zeit ließ dieses Gefühl jedoch nicht nach. Stattdessen wurde es immer intensiver, sodass sich Nahoya immer häufiger um drehte und dadurch bereits verwirrte Blicke erntete.

Durchnässt und außer Atem, da er das letzte Stück gerannt war und es auf seinem Heimweg wieder wie aus Eimern zu Schütten angefangen hatte, kam der ältere schließlich bei seinem Zwilling zuhause an.

Die beiden hatten sich nach ihrem Schulabschluss zusammen eine kleine drei Zimmer Wohnung in der Innenstadt gemietet und veranstalteten nun jedes Wochenende mindestens einen Film-Abend. Früher waren alle Mitglieder Tomans vorbei gekommen. Mittlerweile verbrachten sie diese Abende allerdings nur noch zu zweit.

"Warum hast du deinen Regenschirm nicht benutzt?"

Smiley war noch immer nicht ganz ansprechbar. Das Wasser glitt seine Haare hinab und durchnässte seine ohnehin bereits nasse Kleidung, während der jüngere noch immer auf eine Antwort wartete.

"Nahoya?"

Souya wedelte mit seiner Hand vor den Augen seines Bruder herum, um dessen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch dieser schien sich regelrecht in Trance zu befinden.

Als er ihn schließlich doch beinahe ruckartig an sah, lief es dem blauhaarigen kalt den Rücken hinab. Er hatte das Gefühl er würde sich in einem schlechten Horrorfilm befinden.

"Ey Nahoya, ist alles in Ordnung? Sag doch was."

Souya nahm ihm die Einkäufe ab, stellte sie auf die Kommode und sah anschließend wieder zu Nahoya, dessen Blick dabei durchgängig auf seinem jüngeren Bruder gelegen hatte.

"Nahoya", fing dieser an, "du machst mir Angst. Hör auf mich so dumm an zu glotzen. Das ist nicht lustig."

Doch Nahoya wandte seinen Blick nicht ab. Er schien beinahe wie hypnotisiert zu sein.

Der blauhaarige trat einen Schritt zurück, da ihm die ganze Situation wirklich unangenehm erschien.

So starr wie Nahoya vor ihm stand wirkte er glatt wie ein Zombie, eine lebendige Leiche.

"Souya", brachte der ältere schließlich zwischen seinen trockenen Lippen hervor. Seine Stimme klang heißer. Beinahe als habe er Fieber. "Mir ist...schwindelig."

Im nächsten Augenblick verlor der ältere bereits den Halt unter den Füßen und fiel in die Arme seines Bruders.

"Nahoya!"

Erschrocken fing Souya seinen Bruder auf, wobei er - durch dessen Gewicht - fast zwei kleine Schritte nach hinten taumelte.

Erst jetzt erkannte Souya, dass sich Schweißperlen auf dessen Stirn gebildet hatten. Zuvor hatte er sie doch glatt mit Regentropfen verwechselt.

Die Stoßatmung seines Bruders ließ auf nichts gutes verheißen. Er fühlte den unregelmäßigen Atem des älteren in seinem Nacken, wodurch sich eine unangenehme Gänsehaut auf seiner Haut bildete.

"Scheiße, was ist mit dir passiert?!"

Souya ignorierte seine eigenen Kopfschmerzen, die ihn nun schon seit Beginn der Woche plagten und schleppte seinen Bruder in Richtung Couch.

"Nahoya!" Panisch sah der jüngere in das Gesicht seines bewusstlosen Bruders, welches bereits begann blau an zu laufen.

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