Kapitel 2
Fast genau sechs Jahre vor jener Nacht und keine zwei vor seinem eigenen Tod, war der tatowierte auf dem Weg zu Takemichi.
Er saß unruhig auf seinem Motorrad. Seine Augen fixierten die Straße, doch wichen sie immer wieder zwischen jener und seinen Rückspiegeln hin und her.
Er hatte das Gefühl der Blondschopf würde ihn auf Schritt und Tritt verfolgen. Nicht, weil er dies normalerweise tat, sondern wegen den Dingen, von denen er Takemichi erzählen wollte.
Oder eher wegen der Dinge, die er Takemichi unbedingt erzählen musste. Es führte kein Weg daran vorbei. Draken konnte es unmöglich länger für sich behalten. Er brauchte Hilfe. Jetzt. Sofort.
Obgleich der Fahrtwind eisig kalt war, sammelten sich vereinzelte Schweißperlen auf dessen Stirn, welche - aufgrund von dessen hohen Adrenalinspiegel - auch nicht so einfach wieder verschwanden.
Die Räder bretterten im Eiltempo über den Asphalt. Beinahe als versuche er einen unsichtbaren Mikey abzuhängen, der ihm nicht einmal folgte. Doch das Gefühl der Unruhe und der Nervosität blieb bestehen. Genau so wie die Angst, die sich wie ein dichter Nebelschleier um ihn legte.
Je näher er seinem Ziel kam, um so unerträglicher wurde die unbeschreiblich starke Panik. Sie vernebelte seine Sinne zunehmend mehr, bis er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.
Er sollte umdrehen, solange er noch konnte.
Umdrehen und nach Hause fahren. All das hier vergessen und hoffen, dass Mikey nichts davon mitbekommen hatte.
Er sollte umdrehen, solange er noch konnte.
Doch nein. Er konnte nicht. Er durfte nicht.
"Takemichi!" Draken atmete schwer als er das Motorrad im Eiltempo in dem Hof des kleineren ab stellte. "Irgendetwas stimmt mit Mikey nicht!"
Der Blick des dunkelhaarigen lag auf der Tür, als der verschwitzte, mit dem Drachentattoo an der Schläfe, durch jene in seine Wohnung geplatzt kam.
"Was ist passiert?" Sofort ließ der jüngere alles stehen und liegen.
Noch immer atmete Draken schwer und ließ sich auf einem der Küchenstühle nieder. "Ich erkenne ihn nicht wieder." Er vergrub sein Gesicht in seinen Händen. "Seit Kisaki gestorben ist verhält er sich immer seltsamer."
Takemichi setzte sich zu dem schwarzhaarigen an den Tisch und hob eine Augenbraue. "Was meinst du mit seltsamer?"
Draken hob den Blick und sah Takemichi direkt in die Augen. Seine Pupillen waren geweitet. Beinahe als hätte er Angst vor etwas. Oder vor jemandem.
Der tatowierte blickte sich in dem Raum um. Er sah mehrmals von rechts nach links, ehe er auf stand und den Rolladen erst an einem, dann am zweiten und schließlich auch am dritten Küchenfenster herunter lies.
Mit unruhigen Füßen lief er auf die Tür zu. Langsam, da er unbewusst davon aus ging, dass hinter ihr ein gewisser jemand lauern könnte. Ein Blondschopf, der nur darauf wartete, dass er einen Blick hinter die Tür warf.
Draken schluckte und-
Natürlich befand sich niemand hinter der Küchentür.
Er hatte Panik vor nichts.
Obgleich er erleichtert ausatmen konnte, blieb sein Körper noch immer angespannt und sein Atem, so wie seine Körperteile, unruhig. Er schloss die Tür und sah sich beinahe hektisch um.
"Du hast keinen Schlüssel hier irgendwo, oder?"
Noch bevor Takemichi die Zeit zum antworten hatte, stellte Draken bereits einen Stuhl vor die Tür. Erst einen, dann zwei, dann drei, bis der jüngere dunkelhaarige genug gesehen hatte.
Er stand auf und legte eine Hand auf den Oberarm des schwarzhaarigen. Jener zuckte dabei so stark zusammen, dass man meinen könnte, Takemichi habe ihn mit einer Pistole bedroht.
"Alles ist gut Draken. Hier ist niemand außer dir und mir."
Doch so leicht beruhigte sich der ältere nicht. Noch immer wichen seine Augen unruhig durch die Küche. Nur auf eine Stelle zu sehen schien dem älteren unmöglich.
Takemichi gab jedoch nicht auf und führte den größeren so vorsichtig, aber bestimmend wie nur möglich, zurück zu dem Tisch und drückte ihn im Anschluss auf einen der Stühle.
"Du musst keine Angst haben. Wir sind wirklich nur zu zweit."
Trotzdem wichen dessen Augen immer wieder zu den Fenstern und auch zu der verbarrikadierten Tür. Vor allem zu der verbarrikadierten Tür.
"Draken."
Als angesprochener nicht sofort zu ihm sah, sondern starr auf die Stühle starrte, welche sich vor der Tür befanden, legte Takemichi seine Hände auf dessen Oberarme und blickte zu jenem hinab, da er noch immer vor ihm stand.
Erneut zuckte der dunkelhaarige zusammen, als er die Hände auf sich spürte. Draken bekam den Impuls seine Arme zurück zu ziehen, doch Takemichi hielt ihn fest, in dem er seine Finger in dem Stoff von Drakens Oberteil versenkte.
"Was ist los mit dir?"
Drakens Blick wanderte über die Hände, die sich auf seinen Oberarmen befanden, über die Arme des anderen hin zu dessen Gesicht.
"Was ist passiert?"
Der ältere wollte antworten, doch ihm fehlten die Worte. Es war als hätte man ihm die Zunge amputiert, damit er ja seinen Mund geschlossen hielt. Oder eher, als hätte Mikey sie ihm höchst persönlich abgeschnitten.
Spätestens jetzt wurde Takemichi bewusst wie ernst diese Situation war. Er hatte Draken noch nie verängstigt gesehen. Ihn jetzt so zitternd und mit irgend einer Angst kämpfend, vor sich sitzen zu sehen, war höchst alarmierend.
"Vor was hast du solche Angst?"
Hatte er irgendetwas getan für das er sich schämte? Oder irgendetwas gesehen, was ihm Angst machte?
"Nichts. Ich- Ich habe keine Angst." Erneut wich Drakens Blick zu der Tür, welche sich, seit seiner Ankunft, nicht einen Millimeter bewegt hatte und doch könnte er schwören, er habe sie rütteln gesehen.
"Was ist mit Mikey? Was hat er getan?" Takemichi ignorierte die Äußerung des älteren, welche sehr offensichtlich nicht der Wirklichkeit entsprach.
Doch kaum hatte der dunkelhaarige diese Worte nun ausgesprochen, lag Drakens Blick erneut auf ihm. Dieses Mal wirkte sein Gesichtsausdruck jedoch ertappt. Beinahe als hätte er etwas ganz intimes erraten, was kein anderer je wissen durfte.
"Shhhh", sagte der ältere also und hielt dem anderen noch im selben Atemzug die Hand vor den Mund. Jener zwinkerte zweimal verblüfft, da er mit dieser Reaktion nun absolut nicht gerechnet hatte. Vor allem, da Draken dessen Namen zuvor noch lauthals in seinem Hof geschrien hatte.
"Sag seinen Namen nicht so laut."
Takemichi wollte seinen Mund unter den Fingern befreien, welche seine Lippen fest verschlossen hielten. Dies gelang ihm jedoch nur mehr schlecht als recht.
Erst als Draken sich nochmals vergewissert hatte, dass sich wirklich niemand in ihrer Umgebung befand, nahm er seine Hände von dem Mund des jüngeren.
"Er hat sie ermordet.", hauchte der dunkelhaarige mit leeren Augen in Takemichis Richtung. "Er hat sie ermordet.", wiederholte er sich und begann dabei vor Furcht zu zittern.
"Wen?"
Doch er antwortete ihm nicht. Noch immer blickte er starr gegen das graue Oberteil des jüngeren, der - seiner Meinung nach - viel zu gelassen mit der ganzen Situation um ging.
"Draken, sag es mir. Wen hat Mikey ermordet?"
Der dunkelhaarige schluckte, hob schließlich den Blick und öffnete den Mund, um dem anderen zu antworten.
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