7. Kapitel: Doch keine Legende?

Minden:
Blitzartig wandte ich mich um und blickte in die Richtung, aus der ich den Schrei von Eira und ihrem Klingenpeitschling gehört hatte. Dort war absolut... nichts. „Was geht hier nur vor?", fragte ich mich selbst in Gedanken und flog in die Richtung, in der Eira theoretisch irgendwo sein müsste. Angespannt blickte ich mich dabei um und behielt meinen Speer jederzeit so in der Hand, dass ich auf jede mögliche Bedrohung schnell reagieren konnte. Dann schließlich hörte ich etwas, ein ganz leises, kaum wahrzunehmendes Knacken im Geäst... genau über mir. Hektisch riss ich den Kopf nach oben und erkannte undeutlich eine pechschwarze Gestalt, die auf einem dicken Ast über mir hockte. Oder besser gesagt ließ sie sich gerade jetzt von Selbigem hinuntergleiten und fiel so mit ausgestreckten Krallenhänden genau auf mich zu. Erst im allerletzten Moment konnte ich das Drachenjunges auf meinem Rücken anweisen zur Seite zu fliegen, um der Attacke zu entgehen. Nur um Haaresbreite rauschte dieses Ding, genauer konnte ich es einfach nicht beschreiben, an mir vorbei und landete scheinbar ganz sanft auf dem Waldboden. Ich konnte kaum so schnell gucken, wie mein Angreifer dann auch schon von irgendwoher einen kleinen, blutig roten Gegenstand zückte und ihn nach mir warf. Pfeifend wirbelte diese schmale Scheibe, soweit ich es erkennen konnte, auf mich zu und bevor ich auch nur ans Ausweichen denken konnte, hatte sie mich schon getroffen. Stechender Schmerz fuhr durch meinen linken Oberschenkel und brachte mich kurzzeitig völlig durcheinander, was sich in derselben Weise auch auf mein Klingenpeitschling-Baby auswirkte.

Auf diese Weise dauerte es nicht besonders lange, bis wir auf zu Boden gestürzt waren, natürlich unmittelbar in der Nähe unseres Angreifers. Die schemenhafte Gestalt zog genau in diesem Moment ein ebenso blutrotes Langschwert und stürmte damit auf mich zu. Ich wiederum konnte gerade noch rechtzeitig aufspringen, der hungrigen Klinge ausweichen und meinen kleinen Drachen anweisen sich irgendwo in der Nähe zu verstecken. Kaum hatte dieser es getan, musste ich auch schon den nächsten Hieb der blutigen Klinge mit meinem Speer abwehren, was mir nur mäßig gelang. Fast im selben Moment kam dann auch schon der nächste Angriff, oder besser gesagt ein ganzer Hagel aus Attacken und zwang mich weit zurück. Schließlich fand ich mich auch schon voller Verzweiflung mit dem Rücken gegen einen Baumstamm gedrängt und meinen geisterhaften Angreifer direkt vor mir wieder. Nur mit all meinem Geschick und zugegebenermaßen auch etwas Glück konnte ich es geradeso vermeiden bei lebendigem Leibe in Stücke gerissen zu werden und die Klinge meines Gegners zur Seite zu schlagen. Doch was folgte, hätte ich mir niemals ausmalen können, denn diese Schattengestalt ließ einfach mit einer Hand vom Schwertgriff ab und hieb mit seinen blutigen Krallen nach mir. Erst im allerletzten Moment gelang es mir noch, mich seitlich nach unten weg zu ducken, womit lediglich der Baumstamm in Mitleidenschaft gezogen wurde und nicht mein Gesicht. Lange hielt mein Erfolg jedoch nicht an, denn fast im nächsten Moment bekam ich einen Tritt in die Magengrube und im Anschluss einen Aufwärtshaken unters Kinn, was mich ein ganzes Stück zurückwarf. Stöhnend blinzelte ich, da mir durch diesen Schlag etwas Blut in die Augen gelaufen war, und blickte wieder zu meinem Angreifer, welcher nur betont langsam näherkam.

Ich glaubte schon, mein Lebensfaden würde genau hier und jetzt durchtrennt werden, aber zu meiner großen Überraschung wurde ich im letzten Augenblick noch gerettet. Kurz bevor dieser Schatten, oder was er auch immer war, mich erreicht hatte, explodierte nämlich auf einmal das Blätterdach über uns und ein sehr wütender Rowin in Nachtschattenform brach hindurch. Wie ein Schutzwall landete er genau zwischen mir und dieser pechschwarzen Gestalt, welche er mit seinem Kopf einige Meter weit wegstieß. Unter einem schneidenden Pfeifen sammelte Rowin anschließend sein Plasmagas im Maul und ließ den Feuerstoß bereits Sekundenbruchteile später auf dieses Ding los. Leider verfehlte der Schuss sein Ziel knapp, schleuderte es aber nochmals ein kleines Stück durch die Luft und müsste es eigentlich auch schwer verletzt haben, sofern man es denn verletzen konnte. Der Beweis für letztere Option kam sehr viel schneller, als ich es mir hätte vorstellen können, indem die Schattengestalt sich aufrappelte und ein kleines, kugelförmiges Etwas von irgendwoher zog. Noch ehe ich oder Rowin irgendwie reagieren konnten, hatte unser Gegenüber etwas von diesem Ding abgezogen, woraufhin es sich wie von Geisterhand selbst zu entzünden schien. Zu allem Überfluss warf er das Teil dann auch noch etwa einen Meter vor Rowins Pfoten, wo es zu meinem Entsetzen nur einen Moment später explodierte und den Seelenkrieger fast umriss. Als wir beide einige Sekunden später endlich wieder klarsehen konnten, war unser Angreifer verschwunden... und das ohne auch nur die kleinste Spur zu hinterlassen. Vor Schock fast wie gelähmt atmete ich erstmal einige Male tief durch, bevor ich wie gebannt auf meinen linken Oberschenkel starrte. Aus ihm ragte eine blutrote Wurfscheibe mit irgendwie elegant, aber gleichzeitig auch grausam gezackten Klingen.

„Die Schatten sie... sie sind lebendig geworden und haben... haben sich auf mich gestürzt...", diesen kurzen Satz hatte Eira bestimmt Dreidutzendmal wiederholt, seit wir sie und Liv bewusstlos aufgefunden hatten. Seit der Begegnung mit diesem unerklärlichen Etwas war ungefähr eine Stunde verstrichen, in der Rowin und ich uns wieder mit den anderen vereint hatten. Wenig später hatten wir dann Liv und Eira bewusstlos an einen Baum ganz in der Nähe entdeckt und mit etwas Mühe auch wieder wach bekommen. An sich war ihnen nichts widerfahren, wenn man von Eiras offensichtlichem Sprachfehler einmal kurz absah. Wenigstens war Liv noch bei klarem Verstand, auch wenn sie sich leider an nichts mehr erinnern konnte, was uns weiterbrachte. Sie wusste nur noch, dass jemand sie von hinten überfallen und ihr einen Lappen auf den Mund gedrückt hatte, bevor sie das Bewusstsein verlor. „Liv, bring Eira bitte zurück ins Lager zu Nadia und dann bleib dort", bat Heidrun meine Freundin, welche nur nickte und Genannter aufhalf. Diese ließ es geschehen, so als würde sie kaum begreifen, was um sie herum eigentlich gerade geschah. „Was im Namen der Götter kann ihr nur einen solchen Schrecken eingejagt haben?", rätselte Terek wohl einfach nur laut vor sich hin. Ich wandte derweil nur den Blick etwas ab und schluckte leise, während ich an meine eigene Begegnung mit diesem phantomhaften Etwas zurückdachte. Es konnte doch nicht wirklich wahr sein... oder doch? „Minden, hast du vielleicht eine Idee?", fragte plötzlich Rowin, dem mein Verhalten anscheinend ins Auge gesprungen war. „Das ist... kompliziert", antwortete ich und zog damit augenblicklich sämtliche Blicke auf mich. „Wenn du irgendwas Nützliches weißt, dann wäre jetzt ein wirklich guter Zeitpunkt es uns zu sagen, also vereinfache es bitte", erwiderte Venatrix messerscharf, woraufhin ich nur leise seufzte.

„Vor etwas mehr als Fünf Jahren wurde ein Mann an unsere Küste gespült, er war schon halbtot, als wir ihn aus dem Wasser fischten. Er schien völlig verwirrt und redete wirres Zeug von einem Ungeheuer, das aus tiefster Dunkelheit besteht und jeden niederstreckt, der sich ihm in den Weg stellt. Wir dachten alle, dass der Mann nur im Fieber fantasieren würde, immerhin starb er in der Nacht darauf eben daran, aber... Damit hörten die Geschichten nicht auf, ganz im Gegenteil. Im Laufe der Jahre hörten wir immer wieder ähnliche Gerüchte aus verschiedensten Quellen. Manche dieser Geschichten besagen, diese Inseln hier wären die Heimat eines grausamen Dämons, welchen man sogar aus der Unterwelt verbannte... Eine Kreatur, die sich am Leiden ihrer Opfer ergötzt und ihnen bei lebendigem Leibe das Blut aus den Körpern saugt... Der Geflügelte Bluträuber", berichtete ich ihnen also. „Und weder du noch Minden habt daran gedacht, dass daran vielleicht etwas Wahres dran sein könnte, bevor ihr euch diesen Ort hier für den Ausflug ausgesucht habt?!", fragte Rowin nun aufgebracht. „Wir dachten, das alles wären nur Märchen, irgendein komplett ausgedachter Seemannsgarn... Außerdem warst du doch gestern Abend auch noch so überzeugt davon, dass die Geschichten über den Fledermaus-Menschen nur ausgedacht sind", erinnerte ich ihn und verschränkte die Arme vor der Brust. „Hm, also da hat Minden nicht ganz Unrecht, Süßer", meinte Heidrun und knuffte ihrem Freund spielerisch in die Seite. Dieser schien noch etwas erwidern zu wollen, aber schlussendlich ließ er es dann doch bleiben. „Ich glaube, ich habe hier etwas gefunden", hörten wir plötzlich die Stimme von Gunnar, welcher den Ort, wo ich gegen diese Kreatur gekämpft hatte, untersuchte.

Eilig liefen wir zu ihm wo er neben genau dem Baum stand, dem mein Angreifer mit seinen Klauen zugesetzt hatte. „Du hast etwas gefunden?", erkundigte sich Venatrix. „Ja, was auch immer Minden hier angegriffen hat, es dürfte wohl kaum ein Mensch gewesen sein. Immerhin haben seine Klauen die Rinde des Baumes praktisch zerfetzt und dazu hätte wohl kein normaler Mensch die Kraft", berichtete er und betrachtete dabei die Furchen im Holz. „Das hätte ich auch so sagen können... Aber du hast uns doch nicht nur deswegen hergerufen, oder?", hakte ich nach. „Nein, das habe ich in der Tat nicht", entgegnete Gunnar und ging anschließend ohne ein weiteres Wort auf die Stelle zu, wo Rowin auf diese Schattengestalt geschossen hatte. Ein Stück weit dahinter blieb er schließlich stehen und strich mit der Hand über eines der größeren Blätter eines nahen Buschs, seine Finger waren mit etwas rötlichem verschmiert. „Das ist Blut. Aber nach den Mindens Aussage und den Spuren hier... stammt es nicht von einem von uns. Wer oder vielleicht auch besser gesagt was dieses Ding auch immer ist, jetzt gerade ist es wohl verletzt und blutet", berichtete Gunnar und wandte sich wieder zu uns um. „Wie schwer ist die Verletzung, wenn du einmal raten müsstest?", fragte Rowin, in dessen Augen nun ein entschlossener Blick lag. „Nun, aufgrund des mehr als offensichtlichen Mangels einer echten Blutspur... nicht allzu schwer. Höchstens ein Kratzer, mehr nicht", erwiderte der Angesprochene. „Aber was blutet das kann man töten... Also jagen wir jetzt zur Abwechslung einmal ihn!", meinte Rowin bestimmt.

???:
Leise vor Schmerz stöhnend drückte ich meine Hand auf die Wunde an meinem rechten Bein, während ich mich auf einem Hocker meines Arbeitsraums niederließ. Für gewöhnlich war meine Panzerung beinahe undurchdringlich, aber eben nur beinahe. An manchen Stellen blieb sie eben trotz allem noch durchlässig, genau wie an dieser einen Stelle zwischen Knie und Oberschenkel. Genau hatte ich es nicht wirklich mitbekommen, aber als der Feuerstoß dieses Nachtschattens neben mir eingeschlagen war, musste mich ein Holzsplitter eben dort erwischt haben. Mit zusammengebissenen Zähnen griff ich nach einer Flasche Alkohol auf dem Tisch neben mir und kippte den Inhalt über meine Wunde, was natürlich höllisch brannte. Nachdem ich so jedoch verhindert hatte, dass ich mir eine Infektion holte, stellte ich die Flasche wieder ab und schnappte mir stattdessen eine kleine Zange. Damit spreizte ich das Fleisch um meine Verletzung zunächst etwas, bis ich den etwa mittelgroßen Splitter erkannte, der noch immer darin steckte. Ein letztes Mal tief durchatmend griff ich danach mit der Zange nach Selbigem und zog ihn mit einem kräftigen Ruck aus meinem Oberschenkel.

Zwar versuchte ich es mit allen Mitteln, aber nun konnte ich es doch nicht mehr verhindern, dass ein markerschütternder Schrei durch das Höhlensystem fuhr. Leicht zornig blickte ich das überraschend kleine Stück Holz an, ehe ich es einfach fallenließ und die Zange zurück auf den Tisch warf. Stattdessen griff ich mir eine kleine Schüssel mit verschiedenen Kräutern sowie einigen Beeren und nahm eine Hand voll davon heraus, um sie zwischen meinen Händen zu zerdrücken. Mit einem ganz kurzen Moment des Zögerns presste ich mir die dabei entstandene, zähflüssige Masse gegen die Wunde. Erneut brannte es höllisch, aber diesmal konnte ich den Schrei noch hinunterschlucken. Anschließend schnappte ich mir eine Rolle mit sauberem Verband und legte diesen so stramm wie möglich um die Verletzung herum an. „Hm, schon besser", murmelte ich nach einigen Minuten entnervt und stand wieder auf, da die Wunde inzwischen kaum noch schmerzte. „Zeit noch ein wenig mit meinem Gast zu plaudern", führte ich meinen Gedanken fort und ging mit schnellem Schritt in Richtung der Gefangenenhöhle.

Atali:
Ich wusste nicht genau, wie viel Zeit bereits verstrichen war, aber es könnte durchaus ein ganzer Tag gewesen sein. Auf einmal hörte ich Schritte von einem Teil weiter vorne in der Höhle und mit einem Mal stand er wieder vor mir. Was mir aber diesmal an ihm auffiel, war das Weiße an seinem rechten Bein. Aufgrund der mangelnden Lichtverhältnisse konnte ich es zwar nicht genau erkennen, aber es sah fast aus wie... „Ist das ein Verband?", fragte ich die Gestalt völlig dreist. „Nein, das da ist ein letztes Geschenk von deinen Freunden, genauer gesagt von dem Nachtschatten. Ich befürchte, dass sie dir nicht mehr helfen werden", erwiderte er nur und kicherte am Ende fast schon verrückt. „Rowin...", murmelte ich leise. „Wenn das sein Name war... Jedenfalls wird er sich wohl so schnell nicht nochmal in meine Sachen einmischen", erinnerte er mich ein weiteres Mal. „Das glaube ich dir nicht... Viel eher glaube ich, dass er dir wortwörtlich die Hölle heiß gemacht hat!", gab ich bissig zurück. Blitzartig und impulsiv zog diese Schattengestalt auf einmal eine Art von roter Metallscheibe und schleuderte sie genau auf mich. Sofort erstarrte ich, als wäre mein Körper zu Eis erstarrt, doch zu meinem Glück steckte diese Wurfscheibe, wie ich nun erkannte, nur knapp neben meinem Gesicht in der Wand. „Du hast keine Ahnung, wovon du redest, glaube mir... Denn die Spielzeit ist ab jetzt vorbei", drohte er und wandte sich ab, ehe er im Dunkeln verschwand.

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